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Ärzte Woche

24.01.2022 | Innere Medizin

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verfasst von: Philip Klepeisz

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In den wohlhabenden Ländern werden die Menschen rund 20-mal schneller geimpft als in armen Staaten. US-Forscher haben nun eine Rezeptur für einen kostengünstigen Impfstoff gegen SARS-CoV-2 entwickelt, der diese Länder unabhängig machen soll.

Idealismus trifft auf Kapitalismus. Georg Hegel kam mir in den Sinn, als ich vor Kurzem auf orf.at einen Artikel zum Impfstoff Corbevax™ der Firma Biological E Ltd. gelesen habe. Es lohnt sich, in die Tiefe zu gehen und die Energie, die einige Wissenschaftler aus den USA in die Entwicklung dieses Impfstoffs gesteckt haben, zu würdigen. Das Ziel der Forscher: Die ungleiche Verteilung der Impfstoffversorgung auf der Welt zu verbessern, damit auch in armen Ländern des Südens die Pandemie adäquat bekämpft werden kann.

Indien produziert


In Indien fermentiert die Firma Biological E bereits kräftig Antigene und stellt mit diesen Rohstoffen nach dem US-Konzept Impfstoffdosen her. Ende Dezember des vergangenen Jahres wurde das Vakzin Corbevax™ durch den Drugs Controller General of India , kurz DCGI, zugelassen. Als Grundlage dienten zwei klinische Studien der Phase III, durch welche die Sicherheit und die Wirksamkeit des neuen Vakzins bestätigt wurden. Der effektive Schutz, beispielsweise vor einer symptomatischen Infektion durch die Deltavariante, liegt bei mehr als 80 Prozent. Eine dritte klinische Studie befindet sich aktuell in der Phase II. Hier wird die Dauer des Schutzes untersucht. Die Daten sehen laut den Wissenschaftlern „gut“ aus: Der Verlust an neutralisierenden Antikörpern nach sechs Monaten bei zwei verabreichten Dosen beträgt weniger als 30 Prozent.

Ab Februar will die Firma mehr als 100 Millionen Dosen pro Monat kostengünstig herstellen. Die Regierung Indiens ist zuversichtlich, dass das Vakzin ein geeigneter Weg zur Bekämpfung der weltweiten Pandemie ist. Andere Länder werden folgen.

Grundlage geschaffen


Die Grundlage dafür schufen, wie gesagt, US-amerikanische Wissenschaftler des Baylor College of Medicine und des Texas Children’s Hospital Center for Vaccine Development, die sich mit weiteren Instituten zusammengetan haben. Am Baylor College of Medicine beispielsweise wird bereits seit 2011 an Vakzinen gegen das Coronavirus gearbeitet, da die Forscher schon damals die Gefahr einer Pandemie durch dieses Virus befürchtet haben.

Sie entwickelten in Kooperation mit anderen Instituten die Rezeptur für eine rekombinante ProteinUntereinheit, die der Rezeptorbindungsdomäne, kurz RBD, des Spikeproteins von SARS-CoV-2 entspricht und unserem Immunsystem als Antigenvorlage dient. Zur Herstellung wird auf ein traditionelles Verfahren zurückgegriffen, das laut der Virologin Reingard Grabherr relativ einfach machbar ist und sehr gut skaliert werden kann ( siehe Interview auf S. 6 ).

Die Rezeptur für den Impfstoff stellen die Forscher lizenzfrei und ohne weitere Forderungen zur Verfügung. Die Vorarbeit ermöglicht jedem Interessenten einen direkten Start in klinische Studien, falls diese nötig sind. Wie es die Firma Biological E gemacht hat.

Rekombinante Proteine herstellen


Kommen wir zur Herstellung, denn diese besticht durch ihre relative Einfachheit und einen minimalen Kostenaufwand – wodurch sich eben Länder mit einem niedrigen und mittleren Einkommen selbst mit einem Impfstoff gegen SARS-CoV-2 versorgen können. Auf Twitter nennt man das: „Entkolonialisierung des Südens.“

Jedenfalls: Die Rezeptur begründet einen proteinpartikel-basierten Impfstoff. Diese Impfstoff-Klasse wird schon seit geraumer Zeit bei einem Hepatitis-B-Vakzin verwendet. Die Herangehensweise ist also durchaus gängig und bekannt.

Als Expressionssystem für das rekombinante Protein RBD des Spikeproteins – genannt SARS-CoV-2 RBD203-N1 – wird ein Hefepilz verwendet, Pichia pastoris . Durch das Einbringen des gewünschten Genabschnitts, ein Plasmid, entsteht im Endeffekt das rekombinante   Pichia pastoris X-33 Konstrukt , das für die Herstellung verwendet wird. Es wird in den Fermenter eingebracht, dort vermehrt sich die Hefe und produziert das Antigen. Die Klonierung der Zellen und die Art, wie man sie fermentiert, aufreinigt und das Ganze hochskaliert, haben die Forscher in ihrer Rezeptur beschrieben. Interessierte finden diese Details in den Quellen 5 und 6 ( siehe die Referenzen unten ).

Gut zu lagern


Abgesehen von den bereits erwähnten Vorteilen, gibt es einen weiteren: die Lagerfähigkeit. Die benötigte Temperatur liegt bei lediglich 4° C. Dies vereinfacht das Aufrechterhalten der Kühlkette erheblich – vor allem in entlegenen Gebieten.

Noch einmal zurück zum eingangs erwähnten Hegel und seinem absolutem Idealismus. Demnach gilt: „was vernünftig ist, wirklich ist, und was wirklich ist, vernünftig ist“ ( siehe www.philomag.de ).

Im übertragenen Sinn wird so der Moment des erfüllten Wunsches der Forscher bezeichnet, an welchem eine gerechte weltweite Verteilung von Impfstoffen gegen diese Pandemie erreicht sein wird. Das meint zumindest der Amateur-Hegelianer und Autor dieses Artikels.

Referenzen:
1.
https://science.orf.at/stories/3210924
2. www.biologicale.com
3. Baylor College of Medicine https://bit.ly/3Il703X
4. Peter J Hotez und Maria Elena Bottazzi.Annu Rev Med Oktober 2021

https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/34637324
5. Jungsoon Lee et al., Process development and scale-up optimization of the SARS-CoV-2 receptor binding domain–based vaccine candidate, RBD219-N1C1
https://link.springer.com/article/10.1007/s00253-021-11281-3
6. Wen-Hsiang Chen et al., Yeast-expressed recombinant SARS-CoV-2 receptor binding domain RBD203-N1 as a COVID-19 protein vaccine candidate https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/3468891


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Metadaten
Titel
Lizenz zum Fermentieren
Publikationsdatum
24.01.2022
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 4/2022

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