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Ärzte Woche

23.09.2019 | Innere Medizin

Bei diesen Symptomen einen HIV-Test durchführen

verfasst von: Johannes Bogner

Es kommt immer noch vor, dass Patienten erst in Spätstadien einer HIV-Infektion in die Praxis zur Behandlung kommen. Verdächtige Symptome und Diagnosen rechtzeitig zu erkennen und den Betroffenen gegebenenfalls einen HIV-Test anzubieten, ist daher eine wichtige Aufgabe der Hausärzte.

In diesem Jahr jähren sich die ersten Fallberichte von Pneumozystosen im Zusammenhang mit der Erstbeschreibung des erworbenen Immunschwächesyndroms AIDS zum 40. Mal. Damals war AIDS ein tödlicher Schrecken – heute ist die Infektion gut behandelbar. Allerdings gibt es auch heute noch Todesfälle im Zusammenhang mit dieser Erkrankung, insbesondere dann, wenn die Diagnose zu spät gestellt wird.

Unser Ziel muss es also sein, möglichst jeden Arzt in die Lage zu versetzen, die Warnlampen zu erkennen, und einen HIV-Test auf den Weg zu bringen, wo dies erforderlich und sinnvoll ist.

In unserem Klinikum sehen wir immer wieder Patienten, die über Notaufnahme oder Intensivstation diagnostiziert und behandelt werden, bei denen die Anamnese der vergangenen fünf Jahre zeigt, dass Diagnosen vorlagen und Arztbesuche stattgefunden hatten, die eigentlich längst zum HIV-Test hätten führen sollen. Umso wichtiger ist es mir, auf diese „Warnlampen“ hinzuweisen.

Für HIV-Tests Mut machen

Um den Segen der neuen, effektiven und sehr gut verträglichen Therapien nicht ungenutzt zu lassen, ist es nötig, für HIV-Tests zu werben und damit die Dunkelziffer und die Spätpräsentation der HIV-Infektion mit auch heute noch möglicher Todesfolge zu reduzieren. Außerdem gilt es, die Neuansteckungsrate durch Patienten mit einer Plasma-Virusmenge unter der Nachweisgrenze zu verringern.

Inzwischen ist weithin bekannt, dass die HIV-Infektion exzellent behandelbar ist und dass die Behandlung im Gegensatz zu den frühen Therapien gut vertragen wird. Heute gilt bei uns der Leitsatz: Wir finden für jeden Patienten eine Dreifachkombination bzw. ART (antiretrovirale Therapie, auch cART und HAART genannt), die so gut verträglich ist, dass der Patient sie mit hoher Einnahmetreue über lange Zeit einnehmen kann. Das Therapieziel der nicht nachweisbaren Viruslast im Plasma wird heute bei etwa 99 Prozent der Patienten erreicht.

Zum obligaten Wissen aller Hausärzte gehört auch die Kenntnis von der nach wie vor vorkommenden Diskrimierung von HIV-Patienten. Oft wird uns erzählt, dass in Praxen und Kliniken Bloßstellungen am Anmeldeschalter oder im Wartezimmer vorkommen, ärztliche Behandlungen oder zahnärztliche Eingriffe abgelehnt werden, ungerechtfertigte Wartezeiten aufgebürdet werden mit Verweis auf eine (meist nicht vorhandene) Infektiosität.

Ein nicht virämischer Patient kann heute für jeden Eingriff normal eingeplant werden, ohne in der Warteschlange immer wieder ans Schlusslicht geschubst zu werden. Diese Erfahrungen sind nicht nur erschütternd und angsteinflößend für den Patienten, sondern führen auch dazu, dass beim nächsten Arzt die Diagnose verschwiegen wird. Aber: Nur wenn die Diagnose gestellt und die Therapie eingeleitet ist, kann die Infektiosität verhindert werden.

Indikator-Symptome und -Diagnosen

Die Kenntnis von Indikator-Symptomen, -Befunden und -Erkrankungen bei möglichst allen Ärzten kann dazu führen, dass die Rate unerkannter HIV-Infektionen verringert wird. Wenn beim Auftreten von solchen Warnhinweisen daran gedacht wird, anamnestisch die Risikokonstellation für eine HIV-Infektion zu hinterfragen, kann die Zahl von tödlichen Spätpräsentationen definitiv gesenkt werden.

Warnlampen im Sinn von subjektiven Symptomen und charakteristischen Diagnosen sind im Kasten „HIV-Warndiagnosen“ auf der Seite 17 aufgelistet. Darin aufgeführt sind Situationen, die dazu auffordern, nach einem HIV-Risiko zu fragen oder einen HIV-Test vorsichtig vorzuschlagen.

Immer wieder muss darauf hingewiesen werden, dass das Krankheitsbild der Mononukleose bei unterschiedlichen Erregern identisch verlaufen kann: Die Erstinfektionen mit EBV, CMV und HIV sind klinisch nicht voneinander zu unterscheiden. Bei einer Mononukleose muss also auch danach gefragt werden, ob ein Risikokontakt stattgefunden hat, d. h. ungeschützter Sexualkontakt mit einer Partnerin/ einem Partner, deren/ dessen HIV-Testergebnis nicht schriftlich bekannt ist.

Das Risiko erhöht sich, wenn der Partner zu einer klassischen Risikogruppe gehört (Männer, die Sex mit Männern haben = MSM) oder aus einem Hochprävalenzgebiet entstammt (oder dort getroffen wurde, z. B. im Urlaub in Thailand oder Kenia). Fragen Sie also ruhig auch nach einem „Urlaubsabenteuer“ und weisen sie darauf hin, dass gesundes Aussehen einer Partnerin/ eines Partners keinesfalls ein Garant dafür ist, dass man sich nicht ansteckt.

Das Vorliegen einiger klassischer Symptomkomplexe und die dafür notwendige Abklärung sollte mit der Aufforderung zu einem HIV-Test einhergehen: Zu nennen sind hier B-Symptomatik, Fieber unklarer Genese, rezidivierende Infektionen mit Notwendigkeit der Antibiotikabehandlung (z. B. rezidivierende ambulant erworbene Infektionen).

Hierbei kann es sich um Symptome einer späten HIV-Infektion oder einer sich anbahnenden schweren opportunistischen Infektion handeln. Natürlich sind auch alle anderen nicht-infektiologischen Differenzialdiagnosen dieser Symptomkonstellation in Betracht zu ziehen.

Blickdiagnosen,die zum HIV-Test führen sollten

Typische Befunde, die den Verdacht auf eine HIV-Infektion lenken sollten, sind in den Abbildungen 1 bis 4 dargestellt: Orale Haarleukoplakie, Mundsoor, Zoster und kutanes Kaposi-Sarkom sind HIV-verdächtige Blickdiagnosen.

Bei der oralen Haarleukoplakie (siehe Abb. 1) handelt es sich um eine charakteristische leukoplakieartige, nicht abstreifbare und nicht schmerzhafte Läsion am lateralen Zugenrand, die man nur sieht, wenn die Zunge bei der Untersuchung seitlich abgelenkt wird. Unter der spezifischen T-Zell-Immunsuppression der HIV-Infektion kommt es lokal zu einer Reaktivierung von EBV im Epithel, die für diese sehr charakteristische Läsion verantwortlich ist. Das Vorliegen dieser Veränderung ist mit einer späten Präsentation der HIV-Infektion (z. B. weniger als 300 Helferzellen) assoziiert und kommt kaum jemals bei anderen Immundefekten vor.

Im Gegensatz zur hohen Spezifität der Haarleukoplakie ist ein ausgeprägter Mundsoor (siehe Abb. 2) in vielen anderen Situationen anzutreffen. Von einer Antibiotikatherapie bis zur Chemotherapie sind die Auslöser vielfältig. Jedoch sollte man beim Fehlen einer nahe liegenden Erklärung für einen Soor nach einem HIV-Risiko fragen und einen HIV-Test anbieten.

Herpes Zoster (siehe Abb. 3) ist häufig und insbesondere in Situationen der immunologischen Komorbidität oder in der Onkologie nicht direkt besorgniserregend. Bekommt jedoch ein ansonsten gesund wirkender Patient im jungen oder mittleren Lebensalter einen Zoster, dann wäre die Behandlung ohne weiteres Hinterfragen der potenziellen Risikofaktoren für HIV und das entsprechende Testangebot eine verlorene Gelegenheit zur rechtzeitigen Diagnose einer HIV-Infektion.

Das Kaposi-Sarkom (siehe Abb. 4) ist kein „Sarkom“ im klassisch-onkologischen Sinn, sondern eine polyklonale Zellproliferation von Spindelzellen und anderen mesenchymalen Zellen unter dem Einfluss des Humanen Herpesvirus 8 (HHV8). Es ist heute zwar selten geworden, hat aber ein charakteristisches Aussehen, das im sehr frühen Stadium eher an ein kleines Hämatom erinnert. Der Patient denkt möglicherweise an einen kleinen blauen Fleck. Nur: Falls das Knötchen wächst und einen klassisch rötlich-bläulichen Knoten in der Haut (häufig an mechanisch beanspruchten Stellen) erzeugt, sollte an ein Kaposi-Sarkom gedacht und der HIV-Test angeboten werden.


Verdächtige Laborkonstellationen


Laborergebnisse, die zu einem HIV-Test führen können

Thrombozytopenie

Leukopenie

Panzytopenie

Erhöhtes Gesamteiweiß

Hypergammaglobulinämie

Thrombozytopenie. Da bei wenigstens 25 Prozent aller nicht behandelten HIV-Infektionen eine Thrombozytopenie auftritt, sollte die Abklärung eines solchen Laborbefund auch einen HIV-Test beinhalten. Immer wieder haben wir erlebt, dass zwar eine Knochenmark-Histologie vorgenommen (meist mit dem Nachweis einer Vermehrung der Megakaryozyten und dem Bild einer Immunthrombopenie), aber kein HIV-Test durchgeführt wurde. Die HIV-bedingte Immunthrombopenie unterscheidet sich kaum vom M. Werlhof. Jedoch führen die richtige Diagnose und die HIV-Therapie in der Regel zur Normalisierung der Thrombozytenzahlen. Wird hingegen ohne HIV-Diagnostik eine hoch dosierte Steroidtherapie eingeleitet, kann beim Verfehlen der HIV-Diagnose Schaden gesetzt werden.

Lymphozytose. Beim Betrachten des Blutbildes kann auch das Vorliegen einer relativen Lymphozytose mit oder ohne Vermehrung des Anteils von monozytären/ atypischen Lymphozyten (oder „Virozyten“, „lymphozytärer Reizformen“) den Verdacht auf eine chronische Virusinfektion lenken. Auch hier gehört ein HIV-Test zur Abklärung bzw. zum Ausschluss einer Infektion dazu.

Spätstadium einer HIV-Infektion

Panzytopenie. Weisen alle drei Blutreihen eine Penie auf (Panzytopenie), kann es sich ganz klar um das Spätstadium einer HIV-Infektion handeln. Hier ist bei Vorliegen eines HIV-Risikos ein HIV-Test schneller zur Klärung geeignet als eine Überweisung zum Hämatologen. Gefährliche opportunistische Infektionen können eventuell noch rechtzeitig abgewendet werden durch Einleitung der HIV-Therapie und Prophylaxe gegen Pneumozystosen.

Hypergammaglobulinämie. Eine Hypergammaglobulinämie ist ebenfalls verdächtig auf das Vorliegen von HIV. Das Ausmaß der Erhöhung der Gammafraktion in der Elektrophorese ist vom Virustyp und von der Dauer der Infektion abhängig. Bei einigen HIV-Virusvarianten (z. B. HIV1-A, -C oder -E) kann es zu einer ausgeprägten Vermehrung des Gesamteiweißes kommen und die Gammaglobulinfraktion kann bis auf 40 Prozent ansteigen. Die Merkregel sollte also lauten: Zur Abklärung hoher Gammaglobuline gehört ein HIV-Test.

Wie taste ich mich anden Vorschlag zum HIV-Test heran?

Die Sexualanamnese bezüglich einer Risikokonstellation zu erheben, bedarf der Einfühlsamkeit. Der möglicherweise lebensrettende Effekt im Fall einer früheren HIVDiagnose entschädigt aber für die Mühe.

Die Einstiegsfrage kann beispielsweise lauten: „Haben Sie sich schon einmal testen lassen auf sexuell übertragbare Erkrankungen …?“ Das Gespräch kann dann darüber aufklären, dass ein gesundes Erscheinungsbild eines Partners keineswegs das Vorliegen einer HIV-Infektion oder anderer sexuell übertragener Erkrankungen ausschließt. Dann kann ein Testangebot gegeben werden mit dem Hinweis, das es sich um einen Ausschluss handelt.

Das persönliche Gespräch bei der Befundmitteilung (nicht telefonisch!) nach der Durchführung des Tests sollte angekündigt werden. Zu den Selbstverständlichkeiten des HIV-Tests gehört die Meldung der Erkrankung. Nur wenn mehr getestet wird, kann die Zahl der Spät-Diagnosen verringert werden.

Prof. Dr. Johannes Bogner ist in derSektion Klinische Infektiologie,Medizinische Klinik und Poliklinik IV,Klinikum der Universität München,Campus Innenstadt, tätig.

Der Originalartikel „Bei diesen Warnlampen sollten Sie einen HIV-Test erwägen“ inklusive Literaturangaben ist erschienen in „MMW – Fortschritte der Medizin“ 6/2019, DOI https://doi.org/10.1007/s15006-019-0573-x, © Springer Verlag


Metadaten
Titel
Bei diesen Symptomen einen HIV-Test durchführen
Publikationsdatum
23.09.2019
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 40/2019

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