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Ärzte Woche

26.06.2020 | Innere Medizin

Weiche Ladung

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Wenn die Kontrolle über den Darm verloren geht, bedeutet das enormen Leidensdruck für die betroffenen Menschen. Doch nur wenige suchen nach Hilfe – aus Scham und weil sie nicht wissen, dass es viele Möglichkeiten gibt, das Problem in den Griff zu bekommen.

Ist von Inkontinenz die Rede, denkt man meist an Blasenschwäche. Dabei darf aber nicht auf die vielen Menschen in Österreich vergessen werden, die unkontrolliert Darminhalt verlieren. Der Schweregrad einer sogenannten „Stuhlinkontinenz“ reicht von geringer Verschmutzung der Unterwäsche bis hin zum massiven Verlust von Winden und flüssigem, breiigem oder festem Stuhl. Etwa fünf Prozent der Berufstätigen haben dieses Darmproblem, ab 65 steigt die Zahl der Betroffenen naturgemäß an. Die Dunkelziffer ist aufgrund des Tabus hoch, vermutlich leidet durchschnittlich etwa jeder zehnte ältere Mensch an Darmschwäche. Frauen sind im Verhältnis 9:1 deutlich häufiger betroffen.

Noch viel mehr Menschen haben immer wieder ein Problem mit zu dünnflüssigem Stuhl. „Hält der Durchfall über mehr als vier Wochen an, bezeichnet man ihn als chronisch und braucht ärztliche Behandlung“, erklärt die Proktologin OÄ Dr. Michaela Lechner, Präsidentin der Medizinischen Kontinenzgesellschaft Österreich, kurz: MKÖ.

Wenn der Darm schwach wird...

Die Ursachen für Darmschwäche und damit den unwillkürlichen Verlust von Stuhl und Winden können vielfältig und komplex sein: Zum einen kann beispielsweise bei einer Hämorrhoiden- oder Fistel-Operation oder durch einen Dammriss bei der Geburt der anale Schließmuskel verletzt werden. „Der Schließmuskel hilft, den Stuhl zurückzuhalten. Nach einer Operation oder Geburt kann diese Funktion beschädigt werden und das Spüren für die Ausscheidung verloren gehen“, sagt Brigitte Drs, Physiotherapeutin in Wien.

Zum anderen können ein geschwächter Beckenboden oder Störungen im Bereich der Nervenversorgung Grund für eine Inkontinenz sein. Lechner: „In vielen Fällen treten mehrere Probleme gleichzeitig auf, die das Fass sprichwörtlich zum Überlaufen bringen.“

Dünnflüssiger Stuhl kann die Situation weiter verschlechtern. „Keime und Viren, die mit der Nahrung aufgenommen werden, eine gestörte Darmflora, Medikamente, Entzündungen oder Engstellen im Darm können einen dünnflüssigen Stuhl verursachen“, sagt die Medizinerin.

... gibt es Möglichkeiten der Abhilfe

Sowohl bei Stuhlinkontinenz als auch bei Durchfall stehen vielfältige Behandlungsoptionen zur Verfügung. In den meisten Fällen kann die Kontinenz durch eine Kombination aus unterschiedlichen Maßnahmen wiederhergestellt werden. Therapie der ersten Wahl ist das Beckenbodentraining unter Anleitung spezialisierter Physiotherapeuten. „Ein gesunder Muskel kann ent- und anspannen. Dass muss wieder erlernt werden“, betont Physiotherapeutin Drs. „Den Beckenboden kann man nicht sehen und schwer angreifen. Man muss sich darauf verlassen, ihn zu spüren. Daher sind am Beginn der Physiotherapie Übungen zur Wahrnehmung dieser Muskelgruppe so wichtig.“

Dazu helfen Diät und medikamentöse Strategien, wie Stuhl eindickende Mittel, gefolgt von Maßnahmen zur gezielten Enddarm-Entleerung oder eine Ernährungsumstellung. Wichtig zu wissen: „Mehr als zwei Drittel der Fälle können ohne chirurgischen Eingriff geheilt werden“, sagt die Chirurgin. Für schwierige Fälle stehen an spezialisierten chirurgischen Abteilungen wenig belastende operative Methoden – wie der Wiederaufbau der Schließmuskulatur oder deren Stimulation durch einen Schrittmacher– zur Verfügung.

Auch selbst kann man dazu beitragen, dass die Darmentleerung funktioniert. Allem voran steht die Vorsorge durch eine Darmspiegelung. Großen Einfluss hat regelmäßige körperliche Betätigung. Eine gute Stuhlkonsistenz kann auch durch bewährte Hausmittel wie ein geschabter Apfel oder dunkle Schokolade unterstützt werden.

Patienten aus dem Pflegeheim

Bis zu 5 Prozent der Gesamtbevölkerung und über die Hälfte der Menschen, die in Pflegeheimen leben, leiden an Stuhlinkontinenz und anderen Krankheiten des Dick- und Enddarms, die massiv die Lebensqualität der Betroffenen einschränken. „Bei über 50-Jährigen sind bis zu 15 Prozent davon betroffen und wir wissen aus Pflegeheimen, dass mehr als die Hälfte der dort lebenden Personen darunter leiden,“ erklärt OÄ. Dr. Irmgard Kronberger von der Uniklinik Innsbruck und National Representative der European Society of Coloproctology..

Die 1990 gegründete MKÖ hat sich die Förderung von Maßnahmen zur Prävention, Diagnostik, Behandlung und Versorgung der Harn- und Stuhlinkontinenz zum Ziel gesetzt und möchte die Thematik aus der Tabuzone holen. Unterschiedliche Berufsgruppen wollen ehrenamtlich das Thema enttabuisieren sowie Patienten, Pflegende, Haus- und Fachärzte über Behandlungsmöglichkeiten informieren.

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Metadaten
Titel
Weiche Ladung
Publikationsdatum
26.06.2020
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 26/2020

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