Open Access
12.04.2019 | leitlinien für die praxis
Individualisierung der antihypertensiven Therapie bei Patienten mit Diabetes mellitus. Leitlinie der Österreichischen Diabetes Gesellschaft (Update 2019)
verfasst von:
Guntram Schernthaner, Christoph H. Saely, Gerit-Holger Schernthaner, Bruno Watschinger, Heinz Drexel
Hypertonie ist eine sehr häufige Komorbidität bei Patienten mit Diabetes mellitus, die – wenn unzureichend behandelt – signifikant zur erhöhten Mortalität und zum Auftreten von mikrovaskulären und makrovaskulären Komplikationen beiträgt. Eine Individualisierung der Blutdruckzielwerte in Abhängigkeit vom Patientenalter und vom Vorliegen bestimmter vaskulärer Komplikationen wird heute weltweit diskutiert. Blutdruckzielwerte um 130/80 mm Hg waren in den Studien mit der geringsten Ereignisrate an Komplikationen assoziiert. ACE-Hemmer und Angiotensin-Rezeptorblocker sollen in der Hypertonie-Therapie bei Patienten mit Diabetes mellitus bevorzugt werden. Calciumantagonisten und Diuretika sind in der Second-Line-Therapie oft notwendig. Nach Erreichung der Zielwerte muss die antihypertensive Therapie fortgeführt werden, wobei regelmäßige Blutdruckmessungen durch die Patienten für die Optimierung der Blutdruckeinstellung sehr hilfreich sind. Neuere Antidiabetika wie SGLT2-Inhibitoren oder GLP1-Rezeptoragonisten haben tragen ebenfalls zur Blutdrucksenkung bei.
Hinweise
Hinweis des Verlags
Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Definition
Eine arterielle Hypertonie soll dann diagnostiziert werden, wenn der Blutdruck bei wiederholten Messungen an verschiedenen Tagen ≥ 140/90 mm Hg liegt. Rezent wurden in den USA niedrigere Grenzwerte für die Diagnose einer Hypertonie vorgeschlagen [1]; aufgrund der fraglichen therapeutischen Konsequenz wird diese neue Definition allerdings kontrovers diskutiert [2‐4]. Die vorliegenden österreichischen Leitlinien [5, 6] definieren eine arterielle Hypertonie bei Diabetes mellitus übereinstimmend mit mehreren internationalen Leitlinien als einen Blutdruck ≥ 140/90 mm Hg.
Epidemiologie und Screening
Die arterielle Hypertonie ist eine sehr häufige Komorbidität sowohl bei Patienten mit Typ 2 als auch bei Patienten mit Typ 1 Diabetes mellitus, und ein erhöhter Blutdruck ≥ 140 mm Hg systolisch und/oder ≥ 90 mm Hg diastolisch findet sich in Abhängigkeit von Diabetesdauer und Ausmaß der Adipositas in 50–60 % aller Patienten [7]. Der Blutdruck sollte bei jeder Visite eines Patienten mit Diabetes kontrolliert werden. Hypertensive Patienten mit Diabetes sollten ihren Blutdruck auch zuhause selbst regelmäßig kontrollieren. Häufig geht die Hypertonie dem Diabetes zeitlich voraus und findet sich dabei assoziiert mit anderen Komponenten des Insulinresistenzsyndroms. Patienten mit Hypertonie haben ein 2,2-fach erhöhtes Risiko innerhalb von 5 Jahren einen Diabetes zu entwickeln. Sie sollen deshalb auf das Vorliegen einer Glukosestoffwechselstörung gescreent werden.
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Im Vergleich zu nichtdiabetischen Patienten findet man insbesondere bei älteren Diabetes-Patienten häufig eine isolierte systolische Hypertonie. Das häufige Fehlen einer physiologischen Nachtabsenkung („Dipping“) geht mit einer Mikroalbuminurie bzw. Linksventrikelhypertrophie einher und ist ein ungünstigster Prädiktor für kardiovaskuläre Ereignisse.
Lebensstilinterventionen zur Blutdrucksenkung
Lebensstilmaßnahmen sind die Basis jeder antihypertensiven Therapie. Bereits bei Patienten mit Blutdruckwerten > 120/80 mm Hg sollten eine Gewichtsreduktion bei Übergewicht oder Adipositas, eine Kochsalz-arme und Kalium-reiche Diät, der Verzicht auf übermäßigen Alkoholkonsum sowie körperliche Aktivität empfohlen werden. In der Initialphase der LOOK-AHEAD-Studie (n = 5145) senkte eine Gewichtsreduktion von zirka 8 kg nach einem Jahr bei übergewichtigen/adipösen Patienten mit Typ 2 Diabetes die Blutdruckwerte um 5/2 mm Hg signifikant [8]. Bei Patienten mit einem Gewichtsverlust > 15 % betrug die systolische Blutdrucksenkung sogar 10 mm Hg [8].
Individualisierung des Zielblutdruckes bei Patienten mit Diabetes mellitus?
In epidemiologischen Studien fand sich ein enger Zusammenhang zwischen dem Auftreten von makrovaskulären Komplikationen wie koronare Herzkrankheit (KHK), Schlaganfall, peripherer arterieller Verschlusskrankheit (PAVK) sowie mikrovaskulären Komplikationen (diabetische Nephropathie und diabetische Retinopathie) und den erhobenen Blutdruckwerten [7]. Da in epidemiologischen Analysen das niedrigste Risiko bei Blutdruckwerten von 120/80 mm Hg beobachtet wurde [8, 9], glaubte man, dass möglichst niedrige Blutdruckwerte mittels antihypertensiver Therapiemaßnahmen bei Patienten zu erzielen wären. In der IDNT-Studie [10] wurde eindrucksvoll gezeigt, dass das renale Überleben bis unter 120 mm Hg besser ist, dass allerdings die Mortalität bei <121 mm Hg systolisch dramatisch wieder ansteigt (J-Curve).
Bis 2007 wurde deshalb in allen Guidelines ein systolischer Zielblutdruck bei Patienten mit Diabetes mellitus unabhängig vom Alter < 130 mm Hg gefordert [11, 12], wobei für Patienten mit diabetischer Nephropathie sogar Zielwerte unter 120/75 mm Hg empfohlen wurden, obwohl Evidenz-basierte Interventionsstudien für diese Zielwerte nie vorlagen. In weiterer Folge publizierte Interventionsstudien bestätigten allerdings die Annahme eines generellen Vorteils sehr niedriger Blutdruckwerte nicht [13‐16]. 2008 wurden in der ACCORD-Studie Nachteile einer zu niedrigen Blutdruckeinstellung (<120 mm Hg) nachgewiesen. Im Blutdruckarm der ACCORD-Studie wurden 4700 Patienten mit Typ 2 Diabetes entweder einer intensivierten Therapie (systolischer Blutdruck < 120 mm Hg) oder einem Standardtherapiearm (systolischer Blutdruck < 140 mm Hg) zugeordnet [17]. Nach ca. 5 Jahren betrugen die Blutdruckwerte 119 mm Hg versus 133 mm Hg. Durch die intensivierte Therapiestrategie wurde der primäre Endpunkt schwerer kardiovaskulärer Ereignisse nicht signifikant gesenkt, Schlaganfälle nahmen um 47 % ab, während die Mortalität nicht beeinflusst wurde. Die intensivierte Therapie war allerdings mit schwerwiegenden Rhythmusstörungen, Hyperkaliämie, Arrhythmie und Hypotension assoziiert. Subsets der Patienten in ACCORD mit hohem kardiovaskulärem Risiko profitierten allerdings von einer aggressiven Blutdruckeinstellung [18, 19]. Ähnlich wie bei der Intensität der Glukoseeinstellung [20] scheint es also sinnvoll, die Intensität der antihypertensiven Therapie individuell auf den Patienten anzupassen [21].
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Dabei muss aber vorsichtig vorgegangen werden. In einer Studie von Cooper-DeHoff et al. [22] fand sich etwa bei Patienten mit Diabetes und koronarer Herzerkrankung unter einer intensivierten Blutdrucksenkung eine Zunahme der Gesamtmortalität; bei Patienten mit systolischen Blutdruckwerten < 110 mm Hg war die Mortalität im Vergleich zu Patienten mit systolischen Blutdruck-Werten von 125–130 mm Hg signifikant erhöht. Auch in der VADT-Studie fand sich eine signifikante Zunahme der kardiovaskulären Ereignisse, wenn die diastolischen Blutdruck-Werte < 70 mm Hg abgesenkt wurden [23].
Die aktuellen Leitlinien der American Diabetes Association (ADA) 2018 [24] fordern ein generelles Blutdruckziel von <140/90 mm Hg, niedrigere Blutdruckziele < 130/80 mm Hg können bei hohem kardiovaskulärem Risiko erwogen werden, wenn das Erreichen dieser Werte adäquat vertragen wird. Die rezenten Guidelines der American College of Cardiology/American Heart Association empfehlen hingegen Blutdruckzielwerte von <130/80 mm Hg bei Patienten mit und ohne Diabetes mellitus [25]. Blutdruckzielwerte von <130/80 mm Hg werden aber auch von Kanadischen Experten [26], der IDF [27]; WHO; [28], UK-NICE [29] und von Japanischen Experten [30] empfohlen (Tab. 1). Die im September 2018 publizierten Guidelines der ESH/ESC empfehlen ebenfalls einen systolischen Blutdruckzielwert von 130 mm Hg oder niedriger wenn toleriert, allerdings nicht unter 120 mm Hg. Andererseits erlauben größtenteils ältere Guidelines auch höhere Zielwerte ([31, 33, 34]; Tab. 1).
Tab. 1
Verschiedene Blutdruckziele verschiedener internationalen Fachgesellschaften
Die unterschiedlichen Empfehlungen basieren darauf, dass die Studienlage hinsichtlich intensivierter Blutdrucksenkung komplex ist und widersprüchlich interpretiert wird, wobei dies insbesondere für die Studien ACCORD-BP (bei Diabetikern) [35] und SPRINT (bei Nichtdiabetikern) [36] gilt. In beiden Studien wurden im intensivierten Studienarm Blutdruckzielwerte < 120/80 mm Hg verfolgt und mit den Ergebnissen der Kontrollkohorten (Zielwert < 140/80 mm Hg) verglichen. Während in der ACCORD-BP-Studie der kardiovaskuläre Tod durch die intensivierte Blutdruckkontrolle nicht gesenkt wurde (HR 1,06; 95 % CI 0,74–1,52), fand sich in der SPRINT (0,57; 0,38–0,85) Studie eine dramatische Senkung. Auch die Unterschiede in der Risikobeeinflussung für die Herzinsuffizienz waren kontrastierend: ACCORD-BP (0,94; 0,70–1,26), und SPRINT (0,62; 0,45–0,84).
Es ist unklar, ob die unterschiedlichen Studienergebnisse auf die differenten Populationen zurückzuführen sind oder ob auch das Studiendesign einen Einfluss hatte [37]. Auch die unterschiedliche Blutdruckmessung muss dabei bedacht werden. Bei der unbeobachteten automatisierten Messung in SPRINT sind insgesamt niedrigere Werte zu erwarten, die wahrscheinlich höheren in der Selbstmessung und bei der Ordinationsmessung entsprechen.
In der ACCORD-Studie wurde gleichzeitig auch der Effekt einer intensivierten Blutzuckerkontrolle (HbA1c-Zielwert < 6,0 %) untersucht, wobei in der intensivierten Gruppe eine erhöhte kardiovaskuläre Mortalität beobachtet wurde [35]. In der Re-Analyse der ACCORD-Studie [38] fand sich im glykämischen Standardarm unter intensivierter Blutdrucksenkung eine signifikante Senkung von Schlaganfall (−39 %), der CV-Endpunkte (−33 %) und des Myokardinfarktes (−37 %). Mancia und Grassi [4] diskutieren einen potentiell negativen Effekt von schweren Hypoglykämien im intensivierten Blutzuckerarm auf den potentiell vorteilhaften Effekt der intensivierten Blutdruckeinstellung.
In einer rezenten gepoolten Analyse von ACCORD-PB und SPRINT fanden sich ähnlich günstige Effekte auf kardiovaskuläre Endpunkte unter einer intensivierten Blutdruckkontrolle mit fehlender statistischer Heterogenität [19]. In einer weiteren gepoolten Sekundäranalyse von ACCORD-PB und SPRINT fanden sich hingegen warnende Hinweise, dass eine zu strikte Blutdruckeinstellung die Inzidenz der chronischen Niereninsuffizienz (CNI) steigern dürfte [39]. Bei Patienten ohne CNI vor Intervention (n = 4311 in ACCORD; n = 6715 in SPRINT), wurde der Effekt der systolischen Blutdrucksenkung (13,9 mm Hg in ACCORD und 15,2 mm Hg in SPRINT) auf einen Abfall der eGFR > 30 % auf <60 mL/min per 1,73 m2) analysiert. Nach drei Jahren betrug die kumulative Inzidenz einer CNI in der ACCORD-Studie 10 % im intensivierten Arm vs. 4,1 % im Standardarm; auch in der SPRINT-Studie war die Inzidenz einer CNI signifikant höher im intensivierten Arm – 3,5 % vs. 1,0 % im Standardarm. Eine Überwachung der Nierenfunktion unter intensivierter Blutdruckkontrolle ist daher sehr wichtig.
Eine rezente große Kohortenstudie [40] spricht für ein Blutdruckziel < 140 mm Hg auch bei Patienten mit Typ 2 Diabetes ohne etablierte kardiovaskuläre Erkrankungen; niedrigere systolische Werte < 130 oder <120 mm Hg waren mit keinem zusätzlichen kardiovaskulären Vorteil assoziiert. Aufschlussreich ist auch eine rezente retrospektive Kohorten-Studie aus Hongkong [40] bei 28.014 Patienten mit Typ 2 Diabetes ohne Vorliegen einer kardiovaskulären Erkrankung. Die Inzidenz einer kardiovaskulären Erkrankung nach einer mittleren Beobachtungszeit von 5 Jahren war nach den erreichten Blutdruckzielwerten deutlich unterschiedlich <120 mm Hg (15,3 %), <130 mm Hg (9,1 %), <140 mm Hg (10,1 %) [40]. Patienten mit erreichten Blutdruck-werten < 120 mm Hg hatten ein signifikant höheres Risiko als Patienten mit Werten < 130 mm Hg (Hazard Ratio (HR) 1,75 [95 % Confidence Intervall [CI]: 1,53–2,00]) oder <140 mm Hg (HR 1,67 [95 % CI: 1,46–1,90]). Bei jüngeren Patienten (<65 Jahre) war das Risiko allerdings signifikant geringer, wenn Blutdruckwerte < 130 mm Hg erzielt wurden (HR 0,81 [95 % CI: 0,69–0,96]) im Vergleich zu Patienten mit Blutdruckwerten < 140 mm Hg [40]. Bei älteren Patienten (>65 Jahre) hingegen war kein Vorteil für Blutdruckwerte < 130 mm Hg zu beobachten [40].
Bezüglich der Zielwerte für den diastolischen Blutdruck besteht eine weitgehende Übereinstimmung der Expertenmeinung. In der HOT (Hypertension Optimal Treatment) Studie fand sich bei Typ 2 Diabetes-Patienten [41] mit diastolischen Blutdruckzielwerten < 80 mm Hg (erreichter Zielwert betrug 81 mm Hg) eine 51 % Senkung der CV-Ereignisse im Vergleich zur Kontrollgruppe (< 85 mm Hg or <90 mm Hg). In der UKPDS-Studie [42] führte die Senkung des diastolischen Blutdruckes von 87 auf 82 mm Hg zu einer signifikanten Abnahme von Myokardinfarkt (−21 %) und Schlaganfall (−44 %). In der SAVOR-Studie [43] fand sich die niedrigste CV-Ereignisrate bei diastolischen Blutdruckwerten zwischen 80 und 90 mm Hg und systolischen Blutdruckwerten bei 130–140 mm Hg. Diastolische Blutdruckwerte < 60 mm Hg waren mit einem erhöhten Myokard-Infarkt-Risiko assoziiert (HR 2,30 [95 % CI 1,50–3,53]) im Vergleich zu Patienten mit höheren diastolischen Blutdruckwerten (80–90 mm Hg). Die rezenten ESH/ESC Guidelines [32] empfehlen diastolische Blutdruckwerte von <80–70.
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Therapie mit Antihypertensiva
Bei bestätigter Hypertonie (Blutdruck ≥ 140/90 mm Hg bei mehreren Messungen an verschiedenen Tagen) sollte eine medikamentöse Blutdrucktherapie begonnen und zeitnahe angepasst werden. Liegt der Blutdruck ≥ 160/100 mm Hg, so sollte bereits initial eine Kombination von zwei antihypertensiven Wirkstoffen gegeben werden [44]. Es sollten Antihypertensiva verwendet werden, für die bei Diabetes eine Reduktion von kardiovaskulären Ereignissen gezeigt wurde: ACE-Hemmer, Angiotensin-2-Rezeptorblocker, Diuretika vom Thiazid-Typ und Calciumantagonisten vom Dihydropyridin-Typ. Während von verschiedenen Wissenschaftsgesellschaften unterschiedliche Blutdruckzielwerte für Patienten mit Diabetes mellitus empfohlen werden, besteht bezüglich der Bevorzugung von ACE-Inhibitoren und Angiotensin-2-Rezeptorblockern Übereinstimmung (Tab. 1).
Bei Patienten mit erhöhter Albuminausscheidung (Albumin/Kreatinin-Ratio ≥ 30 mg/g) sollte ein ACE-Hemmer oder ein Angiotensin-Rezeptorblocker (ARBs) in der höchsten für die Hypertoniebehandlung zugelassenen und verträglichen Dosierung gegeben werden. Dies gilt nicht nur für hypertensive Patienten: Unabhängig vom Blutdruck sollten ARBs oder ACE-Hemmer bei Patienten verwendet werden, die eine erhöhte Albuminausscheidung aufweisen. Die Blutdruckzielwerte müssten allerdings entsprechend dem Alter, dem Pulsdruck, einer vorbestehenden koronaren Herzerkrankung, einer PAVK, Risiko der Progression der Nierenerkrankung sowie Abwesenheit oder Vorliegen einer diabetischen Retinopathie individualisiert werden.
Unter Behandlung mit einem ACE-Hemmer, einem Angiotensin-2-Rezeptorblocker oder einem Diuretikum sollte die Nierenfunktion zumindest einmal im Jahr kontrolliert werden.
Bei Diabetes-Patienten mit Nephropathie ist es besonders schwierig die Blutdruckzielwerte zu erreichen, sodass bei der Mehrzahl aller Diabetes-Patienten eine antihypertensive Kombinationstherapie erforderlich ist [44].
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Die Kombination von ACE-Hemmern und Angiotensin-Rezeptorblockern ist zur Blutdrucksenkung nicht sinnvoll, eine Kombination dieser beiden Medikamentenklassen mit direkten Renin-Inhibitoren ist kontraindiziert. Es wurde in der Vergangenheit versucht durch eine Doppelblockade des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems die Progression der Albuminurie besser zu beeinflussen als mit einer Monotherapie mittels ACE-Hemmer, ARB oder Renin-Inhibitoren. Bei diesen Studien (ONTARGET, ALTITUDE) zeigte sich zwar eine stärkere Reduktion der Albuminurie durch die duale Blockade, kardiovaskuläre und renale Ereignisse sowie schwere Nebenwirkungen (unter anderem Hypotonie und Hyperkaliämie) wurden allerdings unter dieser Kombinationstherapie signifikant häufiger beobachtet [45‐47]. Aufgrund dieser Daten empfehlen die 2012 publizierten KDIGO-Guidelines, eine duale Blockade mittels ACE-Inhibitoren und ARB oder ARB plus Renin-Inhibitoren bei Diabetes-Patienten mit chronischer Nierenerkrankung bzw. Albuminurie nicht mehr einzusetzen [48]. Auch bei diesen Studien waren wahrscheinlich RR-Werte deutlich unter 130 mm Hg systolisch für das Auftreten von schwerwiegenden Ereignissen, sowie dem schlechteren Outcome bei Patienten mit zusätzlicher KHK verantwortlich.
Lange Zeit wurden Kombinationstherapien von ACE-Inhibitoren oder ARB mit niedrigdosierten Diuretika favorisiert. In der ACCOMPLISH-Studie [49] wurde allerdings bei 6000 Patienten mit Typ 2 Diabetes und Hypertonie nachgewiesen, dass bei gleichen Blutdruckzielwerten (135/80 mm Hg) die Kombination von ACE-Inhibitoren mit Kalziumantagonisten der Kombination von ACE-Inhibitoren und Diuretika deutlich überlegen war. Die Überlegenheit könnte aber auch darauf zurückzuführen sein, dass die Halbwertszeit von Amlodipin wesentlich länger ist als jene von Hydrochlorothiazid. Da Diabetes-Patienten häufig – insbesondere, wenn sie mit Insulin behandelt sind – eine vermehrte Wasserretention aufweisen, ist eine zusätzliche Therapie mit niedrigdosierten Diuretika im Sinne einer Dreifachkombination häufig sinnvoll.
In kontrollierten Interventionsstudien gelang es trotz Einsatz von 3 bis 4 Antihypertensiva in den meisten Fällen allerdings nicht, die Blutdruckzielwerte bei Patienten mit Diabetes und Hypertonie zu erreichen [44]. Noch ungünstiger war es, wenn Patienten mit diabetischer Nephropathie in Studien inkludiert wurden [44].
In einer Blutdruckzielwert-Studie für die Sekundärprävention an 29.000 Patienten mit Typ 2 Diabetes in Deutschland und Österreich [50] erreichten 67 % der Patienten nach Herzinfarkt den Blutdruckzielwert 130/80 mm Hg und 90 % der Patienten nach Schlaganfall den Zielwertbereich 120/70–140/90. In einer rezenten kanadischen Studie erreichten nur 36 % der von praktischen Ärzten betreuten Diabetes-Patienten den Zielwert von <130/80 mm Hg [51].
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Mancia und Grassi [4] berichteten, dass in prospektiven randomisierten Studien bei hypertensiven Diabetes-Patienten nur in 5 von 13 Studien systolische Blutdruckzielwerte ≤ 140 und nur in 6 von 13 Studien diastolische Blutdruckzielwerte ≤ 80 mm Hg erreicht wurden.
Bei Patienten mit inadäquat kontrollierten Blutdruckwerten trotz einer Dreifachkombination antihypertensiver Wirkstoffe, die auch ein Diuretikum einschließt, kann die zusätzliche Gabe eines Mineralokortikoidantagonisten zur Blutdruckkontrolle erwogen werden. Unter dieser Kombinationstherapie sind allerdings regelmäßige Kontrollen der Nierenfunktion und des Kaliums unabdingbar. Gegenwertig wird die blutdrucksenkende Wirkung der Mineralkortikoidantagonisten in mehreren Studien auf eine Beeinflussung/Verbesserung des kardiovaskulären und/oder renalen Event-freien Überleben bei Patienten mit Diabetes/diabetischer Nephropathie geprüft.
Blutdrucksenkung durch Antidiabetika
Bei Verwendung von mehreren Antidiabetika-Klassen kommt es zu einer signifikanten Blutdrucksenkung, wodurch die Blutdruckeinstellung der Patienten verbessert wird. Während unter Metformin, Insulin, Sulfonylharnstoffen und DPP-4-Inhibitoren keine Veränderung der Blutdruckwerte beobachtet wurde, senken SGLT-2-Inhibitoren, GLP-1 Rezeptoragonisten und Pioglitazon den Blutdruck signifikant unabhängig davon, ob eine Hypertension oder eine Normotension vorliegt.
In einer Metaanalyse von Qayyum [52] an 13 Studien senkten die Glitazone im Vergleich zu Placebo den systolischen/diastolischen Blutdruck signifikant um 4,9/1,8 mm Hg.
In einer Metaanalyse von Wang et al. [53] wurde der blutdrucksenkende Effekt von GLP-1 Rezeptoragonisten in 13 randomized controlled trials (RCTs) analysiert. Exenatide senkte im Vergleich zu Placebo den systolischen/diastolischen Blutdruck um 5,2 und 5,4 mm Hg und Liraglutid senkte den systolischen Blutdruck um 5,6 mm Hg.
In einer Metaanalyse von Baker et al. [54] an 6 Studien, in denen unter einer Therapie mit SGLT2-Inhibitoren 24-Stunden Blutdruckmessungen durchgeführt wurden, fanden sich signifikante Blutdrucksenkungen systolisch um 3,76 mm Hg und diastolisch um 1,83 mm Hg. Die Blutdrucksenkung während des Tages betrug 4,3 mm Hg und während der Nacht 2,6 mm Hg. Die Blutdrucksenkungen waren unter den 4 getesteten SGLT-2-Inhibitoren (Canagliflozin, Dapagliflozin, Empagliflozin und Ertogliflozin) nicht signifikant unterschiedlich und korrelierten auch nicht mit dem Ausgangsblutdruck oder der Gewichtsabnahme [54]. Der blutdrucksenkende Effekt der SGLT-2-Inhibitoren ist bezüglich der Nephroprotektion und Kardioprotektion prinzipiell als günstig zu beurteilen.
In der EMPA REG Outcome Studie [55] und in der CANVAS-Studie [56] waren die Ausgangsblutdrucke bei 135/77 mm Hg und 136/78 mm Hg, da ca. 80–90 % der Patienten mit einem oder mehreren Antihypertensiva behandelt wurden. Erwartungsgemäß sank der Blutdruck in beiden Studien unter den SGLT-2-Inhibitoren signifikant weiter ab. In der EMPA-REG Outcome Studie kam es unter Empagliflozin zu einer hochsignifikanten Senkung von kardiovaskulärem Tod, Gesamtmortalität, und Progression der Nierenerkrankung, der Blutdruckabfall von BP 135,3/76,6 mm Hg auf 131,3/75,1 mm Hg hat keinerlei negativen Effekt. Diese Daten weisen darauf hin, dass Blutdruckwerte um 130 mm Hg auch bei Hochrisikopatienten mit Typ 2 Diabetes nicht gefährlich sein dürften. Bei älteren Patienten sollte bei einer Kombinationstherapie von Antihypertensiva und SGLT-2-Inhibitoren eine häufigere Blutdruckmessung erfolgen, um im Bedarfsfall die Zahl oder Dosis der Antihypertensiva zu reduzieren.
Blutdruckziele bei Diabetes mellitus je nach Komorbiditäten
Blutdruckzielwerte und antihypertensive Therapie bei alten Patienten mit Diabetes
Es existieren nur wenige Studien, die spezielle ältere Patienten mit Diabetes mellitus eingeschlossen haben, obwohl 30–60 % aller Diabetes-Patienten in der Welt älter als 65 Jahre sind [57]. Ältere Patienten stellen eine sehr heterogene Gruppe dar, viele Patienten zwischen 65–75 Jahren sind nicht selten frei von Komplikationen, generell ist aber die Komorbidität bei diesen Patienten deutlich erhöht (vor allem Herzinsuffizienz und Nephropathie). Bei komplexen und gebrechlichen Patienten sollten etwas höhere Zielwerte (<150/90 mm Hg) angestrebt werden, bei Patienten ohne Komplikationen empfehlen die Guidelines der ADA und IDF Zielwerte von 140/85, jene von Kanada allerdings <130/80 mm Hg [57]. Die rezenten ESH/ESC Guidelines [32] empfehlen hingegen systolische Blutdruckwerte < 140–120 für Patienten mit einem Alter von 65–79 Jahren und idente Werte auch für Patienten > 80 Jahre. Aufgrund der zunehmenden Inzidenz von Herzinsuffizienz sollten Diuretika in der Kombinationstherapie bei diesen Patienten nicht fehlen.
Nephropathie
Eine internationale Expertengruppe hat für KDIGO (Kidney Disease Improving Global Outcomes) evidenzbasierte Richtlinien für die antihypertensive Behandlung von Diabetes-Patienten mit chronischer Nierenerkrankung oder Makroalbuminurie festgelegt, die 2012 publiziert wurden [48]. Für Patienten mit chronischer Nierenerkrankung und Diabetes mellitus ohne erhöhte Albuminausscheidung wurden Blutdruck-Zielwerte < 140/90 mm Hg empfohlen. Bei Patienten, die zusätzlich eine erhöhte Albuminausscheidung aufweisen, wurden Zielwerte von <130/80 mm Hg empfohlen [48].
Verschiedene Studien haben gezeigt, dass differente Blutdruckzielwerte unterschiedliche Effekte auf Endorganschäden ausüben [10, 17]. Während möglichst niedrige Blutdruckwerte für die Schlaganfallprävention [17] und zur Verhinderung der Progression der diabetischen Nephropathie [10] sehr günstig sein dürften, werden kardiovaskuläre Ereignisse insgesamt oder auch die Sterblichkeit dadurch nicht gesenkt. Unter besonders niedrigen Blutdruckwerten (sowohl systolisch als auch diastolisch) wurden sogar signifikant vermehrt kardiovaskuläre Ereignisse beobachtet, sodass von niedrigeren Zielwerten als 130/80 mm Hg im Allgemeinen abzuraten ist. In der ROADMAP-Studie [58] wurde etwa mittels einer aggressiven Blutdrucksenkung (Zielblutdruck < 130/80 mm Hg) das Auftreten einer Mikroalbuminurie zwar signifikant verzögert, gleichzeitig stiegen aber die fatalen kardiovaskulären Ereignisse signifikant an, wobei dies primär auf vermehrte kardiovaskuläre Todesfälle bei Patienten mit präexistenter KHK zurückzuführen war.
In einer rezenten Metanalyse von 24 RCTs an nahezu 70.000 Patienten (14 Studien mit Diabetes und 10 Studien ohne Diabetes) wurde unter einer Blutdrucksenkung von 10/5 mm Hg eine hochsignifikante Reduktion der terminalen Niereninsuffizienz (ESRD) um 21 % nachgewiesen mit einer Number-Needed-to-Treat (NNT) von nur 8 Patienten bei einer Therapiedauer von 5 Jahren [59]. Bemerkenswert ist allerdings der hochsignifikante Unterschied (p < 0,0001) zwischen Patienten mit Diabetes (HR 0,79 (0,66–0,95)) und ohne Diabetes (HR 1,01 (0,81–1,26). Diese Metaanalyse würde also nahelegen, dass eine Blutdrucksenkung bei Nichtdiabetikern keine Senkung des Risikos einer terminalen Niereninsuffizienz bewirkt, während bei Patienten mit Diabetes mellitus eine nur relativ kleine Blutdrucksenkung von 10/5 mm Hg eine dramatische Verbesserung bewirken könnte.
Allerdings waren sowohl in ACCORD-BP als auch in SPRINT-Studie [39] Patienten im intensivierten Arm einem höheren Risiko für das Entstehen einer CNI (eGFR > 30 % auf <60 mL/min per 1,73 m2) ausgesetzt, als im Standard-Arm. Eine Überwachung der Nierenfunktion unter intensivierter Blutdruckkontrolle erscheint daher sehr wichtig. Die therapeutischen Strategien zur Behandlung von Bluthochdruck bei Vorliegen einer chronischen Nierenerkrankung, wie sie vor kurzem in den neuen ESC/ESH Guidelines empfohlen wurden [33], sind in der Abb. 1 zusammengefasst.
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Schlaganfall
Xie at el [60]. analysierten den Effekt einer Blutdrucksenkung auf das Schlaganfall-Risiko in einer Network Analyse aus 21 RCTs, die insgesamt 65.000 Patienten eingeschlossen hatten. Untersucht wurde die Risikosenkung einer Blutdrucksenkung von 10/5 mm Hg bei systolischen Ausgangsblutdrucken >140, <140, >130 und <130 mm Hg. Für Patienten mit den niedrigsten Ausgangsblutdrucken (<130 mm Hg) fand sich noch immer eine signifikante Schlaganfall-Reduktion bei Diabetes-Patienten (HR 0,61 [95 %CI: 0,47–0,79]).
In der ACCORD-BP Studie [17] wurde unter der intensivierten Blutdrucksenkung mit einem Zielwert von 119,5 mm Hg im Vergleich zum Kontrollarm (133,5 mm Hg) ebenfalls eine hochsignifikante Risikoreduktion des Schlaganfalls (HR 0,59 [95 % CI: 0,39–0,89]) beobachtet.
PAVK
Diabetes-Patienten mit PAVK haben eine weitaus schlechtere Prognose als Diabetes-Patienten nach Herzinfarkt oder Schlaganfall, wie in der PROactive-Studie nachgewiesen werden konnte [61]. Früher wurde für PAVK-Patienten generell Blutdruckzielwerte < 130/80 mm Hg gefordert, obwohl dafür keine Evidenz aus Studien vorlag. In der posthoc Analyse der INVEST-Studie [62] wurde das besonders hohe Risiko der PAVK-Patienten (Diabetesanteil 41 %) bestätigt. Bei insgesamt 2699 Patienten mit PAVK (1106 Patienten mit Typ 2 Diabetes) zeigte sich nach einer Studiendauer von 2,6 Jahren ein enger Zusammenhang zwischen den Blutdruckwerten und dem primären Endpunkt (Gesamtmortaliät, nichtfataler Herzinfarkt und nichtfataler Schlaganfall). Der beste Outcome (niedrigste HR für den primären Outcome) fand sich bei systolischen Blutdruckwerten zwischen 135 bis 145 mm Hg und diastolischen Werten zwischen 60–90 mm Hg. Bei niedrigeren systolischen Blutdruckwerten stieg die HR bis auf 1,7 (systolischer Blutdruck um 110 mm Hg) an, bei Blutdruckwerten um 180 mm Hg lag die HR sogar bei 2,5 [62]. Insgesamt ist die Datenlage bei PAVK und Diabetes mellitus besonders schwierig, da es wenig Primärstudien gibt.
KHK
Verschiedene Studien zeigen, dass insbesondere bei Diabetes-Patienten mit gleichzeitig bestehender KHK das Blutdruckziel nicht <130 mm Hg systolisch liegen sollte. So zeigt etwa eine rezente Auswertung von Daten der SAVOR TIMI 53 Studie [43] das niedrigste kardiovaskuläre Risiko bei Blutdruckwerten von 130–140 mm Hg systolisch und von 80–90 mm Hg diastolisch. Da allerdings sehr viele Diabetes-Patienten diese Blutdruckzielwerte trotz Einsatz mehrerer Antihypertensiva bei weitem nicht erreichen, ist im klinischen Alltag die Angst vor zu niedrigen Blutdruckwerten wahrscheinlich wesentlich unbedeutender als das Bemühen systolische Blutdruckwerte unter 140 mm Hg zu erreichen.
Rezente Metaanalysen und Expertenmeinungen
In den letzten beiden Jahren sind mehrere Metaanalysen von weltführenden Experten auf dem Gebiet der Hypertensiologie publiziert wurden. Die zum Teil widersprüchlichen Ergebnisse machen es verständlich, warum verschiedene Wissenschaftsgesellschaften unterschiedliche Blutdruckzielwerte empfehlen. Aggarwal et al. [63] analysierten den Effekt von Blutdruckzielwerten < 120/80 mm Hg versus < 140/mm Hg an 14.000 Patienten mit und ohne Diabetes aus den kontrollierten Studien von ACCORD-PB und SPRINT. Patienten mit den niedrigen Blutdruckzielwerten hatten signifikant weniger CV-Ereignisse (HR 0,83; 95 % CI, 0,74–0,92; P < 0,001), eine Interaktion mit Diabetes war nicht nachweisbar, wenngleich die positiven Effekte einer intensiven Blutdrucksenkung bei den Patienten ohne Diabetes viel stärker ausgeprägt waren. Thomopolous et al. [59] analysierten das Ausmaß einer Blutdrucksenkung von 10/5 mm Hg in 27 RCTs bei Patienten mit Diabetes und in 28 RCTS bei Patienten ohne Diabetes in Abhängigkeit vom Ausgangsblutdruck > 140, 130–140 und <130 systolisch. Während die Blutdrucksenkung auch bei niedrigen Ausgangsblutdrucken bei Nichtdiabetikern für alle Endpunkte positive Effekt zeigte, fand sich dies bei Diabetes-Patienten nur für den Endpunkt Schlaganfall, ein signifikanter Anstieg von Gesamtmortalität und kardiovaskulärem Tod wurde allerdings nicht beobachtet. Aus einer weiteren Metaanalyse hat dieselbe Arbeitsgruppe [64] den Schluss gezogen, dass Blutdruckwerte um 130 mm Hg mit dem geringsten vaskulären Risiko assoziiert sein dürften, eine ganz ähnliche Beurteilung kommt von der Arbeitsgruppe von Sarafidis [65]. Die rezente umfangreiche Analyse von Mancia und Grassi [4] schließt mit der Feststellung, dass die Blutdruckzielwerte bei Diabetes-Patienten wahrscheinlich niedriger als <140/90 sein sollten und wahrscheinlich 130/80 mm Hg betragen sollten. Die Evidenz für Blutdruckzielwerte < 130/80 mm Hg ist nach Meinung dieser Experten nicht ausreichend, Blutdruckzielwerte < 120/80 mm Hg sollten aber unbedingt vermieden werden.
Die Empfehlungen der rezent publizierten ESC/ESH Guidelines [33] für die Therapie der Hypertonie bei Patienten mit Diabetes mellitus sind in der Abb. 2 zusammengefasst.
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Individualisierung der Blutdruckzielwerte bei Diabetes-Patienten in Abhängigkeit von der vorliegenden Komorbidität bzw. Alter des Patienten
Ähnlich wie bei der Blutzuckereinstellung erscheint es aufgrund der publizierten kontrollierten Studien sinnvoll, eine Individualisierung der Blutdruckzielwerte in Abhängigkeit vom Alter und der Komorbidität (Schlaganfall, Herzinfarkt, Herzinsuffizienz, PAVK, Nephropathie) anzustreben, wie in der Tab. 2 dargestellt.
Tab. 2
Individuelle Blutdruckzielwerte für Patienten mit Diabetes mellitus in Abhängigkeit von der Komorbidität und Alter
Patientenspezifika
Blutdruckzielwert
Kommentar
Keine Komorbidität
<140/85 mm Hg
Benefit wurde bis 130/80 beobachtet, darunter Risikozunahme möglich
Junge Patienten
130/80 mm Hg
Benefit vor kurzem gezeigt
Alte Patienten
<150/85 mm Hg
Zielwert hängt von den Komorbiditäten und Ihrer Komplexität ab
Nephropathie
<140/90 mm Hg
–
Ohne Albuminurie
Nephropathie
<130/80 mm Hg
Benefit am größten bei 120/80 mm Hg
Mit Albuminurie
Schlaganfall
120/80 mm Hg
Patienten mit gleichzeitiger KHK 130/80 mm Hg
PAVK
<145/90 mm Hg
Bei kritischer Extremitätenischämie können passager höhere Blutdruckwerte notwendig sein (bis zur Revaskularisierung)
KHK
130/80 mm Hg
Zu niedrige diastolische Blutdruckwerte (<70 mm Hg) sind mit einer verkürzten Lebenserwartung assoziiert
Zusammenfassung
Internationale Wissenschaftsgesellschaften empfehlen für Diabetes-Patienten unterschiedliche Blutdruckzielwerte <140/90 mm Hg (ADA) oder <130/80 mm Hg (AHA, ESH/ESC). Wichtig erscheint es, dass vor allem die konservativen Zielwerte < 140/90 mm Hg von allen Patienten erreicht werden. Patienten mit bestimmter Komorbidität – nach Schlaganfall oder bei Vorliegen einer Nephropathie – profitieren allerdings eindeutig von niedrigeren Zielwerte, sodass es aufgrund der gegenwärtigen Evidenz am sinnvollsten erscheint, eine Individualisierung der Blutdruckeinstellung bei Patienten mit Diabetes mellitus anzustreben. Ein Zielblutdruck um 130/80 mm Hg dürfte nach gegenwärtiger Evidenz jener sein, der mit der relativ besten Prävention von vaskulären Komplikationen und mit der größten Sicherheit einhergeht. Niedrigere Zielwerte (120/80 mm Hg) sind für die Primär-und Sekundärprävention von Schlaganfall und Nephropathie prinzipiell günstig, wegen des erhöhten Auftretens von schwerwiegenden Nebenwirkungen ist allerdings Vorsicht angezeigt. Blutdruckzielwerte unter 120 mm Hg systolisch und unter 70 diastolisch können aufgrund der potentiellen Steigerung der Mortalität keineswegs empfohlen werden.
Interessenkonflikt
C.H. Saely hat in Bezug auf diesen Artikel von folgenden Unternehmen, die teils auch fördernde Mitglieder der ÖDG sind, Forschungsunterstützungen und/oder Honorare erhalten: MSD, Merck, AstraZeneca, Novartis, Pfizer, Genericon, Takeda, Bayer, Roche. H. Drexel: hat in Bezug auf diesen Artikel von folgenden Unternehmen, die teils auch fördernde Mitglieder der ÖDG sind, Forschungsunterstützungen und/oder Honorare erhalten: Amgen, AstraZeneca, Bayer Austria, Boehringer-Ingelheim, Meda Pharma, Merck Sharp & Dohme, Novo Nordisk, sanofi-aventis, Servier. G. Schernthaner, G.-H. Schernthaner und B. Watschinger geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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Individualisierung der antihypertensiven Therapie bei Patienten mit Diabetes mellitus. Leitlinie der Österreichischen Diabetes Gesellschaft (Update 2019)
verfasst von
Guntram Schernthaner Christoph H. Saely Gerit-Holger Schernthaner Bruno Watschinger Heinz Drexel