Patient*innen mit konservativ nicht kontrollierbaren, chronischen (hauptsächlich neuropathischen) therapierefraktären Schmerzen (ICD R.52.1) stellen eine Indikation für interventionelle Behandlung dar. Wenn die Schmerzen dieses Patient*innen im Vorfeld im interdisziplinären und multimodalen Setting nicht zufriedenstellend reduziert werden konnten und bezüglich ihrer Lebensqualität mit einer konservativen medikamentösen Therapie keine zufriedenstellenden Ergebnisse erzielt werden konnten, sollte an invasive Verfahren – bis hin zur Rückenmarkstimulation („spinal cord stimulation“, SCS) – gedacht werden.
Ein abgestufter Ansatz von invasiven Interventionen hat das Potenzial, die Ergebnisse bei vielen Patient*innen mit häufig auftretenden refraktären neuropathischen Schmerzen zu verbessern [23]. Diese invasiven Verfahren sollten mit retrospektiven und prospektiven, placebokontrollierten Studien zur Sicherheit und Wirksamkeit aktueller und zukünftiger Therapien, für Verbesserung der Lebensqualität und für neue Indikationen und technische Fortschritte evaluiert werden.
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Chronische Schmerzen werden in den meisten Fällen durch konservative medikamentöse Therapieoptionen im multimodalen Setting – Schmerzbewältigung (VT, Trauma, Hypnotherapie) und physikalische Therapie – gut therapiert.
Invasive Methoden wie die Neurostimulation kommen noch immer nicht rechtzeitig zum Einsatz, was in vielen Fällen zu einer noch stärkeren Chronifizierung führt. Vermehrte Evidenz zeigt, dass nach dem Versagen konservativer Therapien mit der heute zur Verfügung stehenden Stimulationsverfahren nach klarer Indikationsstellung eine bemerkenswerte Schmerzlinderung und eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität erreicht werden kann.
Chronische Schmerzen, die auf systemische medizinische, multimodale Therapien nicht ansprechen, haben erhebliche Auswirkungen auf die Lebensqualität [13, 26]. Dazu gehören Schmerzen im unteren Rückenbereich (LBP), das fehlgeschlagene Rückenoperationssyndrom (FBSS; heute als „chronic persistent spinal pain syndrome“ [CPSS] bezeichnet), das sich typischerweise als radikulärer Schmerz darstellt, gemischt mit fokalen Schmerzen im paravertebralen Bereich, im zervikalen Bereich, Spannungskopfschmerzen und postherpetischen Neuralgien (PHN).
Chronische Kreuzschmerzen (CLBP) sind eine der häufigsten chronischen Schmerzstörungen in der westlichen industrialisierten Welt und stellen eine hohe sozioökonomische Belastung dar [20]. Schmerzen im unteren Rücken haben die höchste Prävalenz und betreffen ungefähr 8–11 % der Bevölkerung [20]. Chronische Schmerzen betreffen viele Aspekte des Lebens eines Menschen. Sie können emotional Not und/oder psychosoziale Beeinträchtigung verursachen und sind hierfür die häufigste Ursache bei Erwachsenen in den USA [20, 23, 26]. Unterer Rückenschmerz ist eine der Hauptursachen für Behinderungen wegen Schmerzen bei älteren Menschen. Bei jungen Patient*innen führen die dauernden Schmerzen im LWS-Bereich zur Beeinträchtigung der Arbeitsleistung, die Lebensqualität sinkt deutlich [9].
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CLBP und CPSS [2] sind wichtige Ursachen für körperliches und emotionales Leid, familiäre und soziale Störungen und stellen eine der Hauptursachen für Arbeitsausfälle und zahlreiche Arztbesuche dar. CLBP ist eine der diagnostisch komplexesten therapeutischen Herausforderungen aller chronischen Schmerzstörungen bei Erwachsenen. CPSS bezieht sich auf einen Zustand bei Patient*innen, bei denen weiterhin Rücken- und/oder Beinschmerzen trotz erfolgreicher Wirbelsäulenchirurgie auftreten [3, 4, 21].
Die derzeitigen Behandlungsmöglichkeiten haben eine begrenzte Wirksamkeit für die Behandlung chronischer Schmerzen gezeigt [26]. Patient*innen mit CLBP benötigen häufig Schmerzmittel, einschließlich Opioide. Diese werden oral oder durch lokale Injektion verabreicht. Die ständige Gabe von Opioiden hat erhebliche langfristige Nebenwirkungen.
Die Neuromodulation ist ein bedeutender Fortschritt im Management von CLBP und wurde erstmals 1967 von Shealy et al. durchgeführt [24]. Sie wurde als Behandlungsoption für verschiedene chronische hartnäckige Schmerzsyndrome zugelassen in dem Bestreben, chronischen Schmerzpatient*innen damit eine bessere Lebensqualität zu ermöglichen.
Neuromodulation ist ein Begriff für chirurgische Techniken, die die neuronale Aktivität zu verändern scheinen, ohne irreversible Gewebeschäden zu verursachen. Dabei werden Elektroden im epiduralen Raum platziert, um den Rücken und die Wirbelsäule zu stimulieren [8, 12, 14]. Neuromodulative Behandlungen sind reversibel, anpassungsfähig und arbeiten normalerweise mit intermittierender oder kontinuierlicher Anwendung elektrischer Ströme auf Teile des peripheren oder zentralen Nervensystems. Es gibt mehrere zertifizierte (CE- und/oder FDA-zugelassene) Therapieoptionen zur Behandlung von chronischen Erkrankungen und neuropathischen Schmerzen wie die epidurale SCS, die Stimulation der Spinalganglien („dorsal root ganglion stimulation“, DRG), die periphere Nervenstimulation (PNS) oder die subkutane Nervenstimulation (SCNS).
Eine Aufrechterhaltung der langfristigen Schmerzlinderung bei Patient*innen mit CLBP war trotz der jüngsten Fortschritte bei SCS, wie programmierbare Multikontaktelektroden und die Selbstanpassung der Stimulationsintensität [8, 12, 14], schwierig. Bei Formen, wo eine Kribbelparästhesie spürbar ist (bei tonischer Stimulation), ist es sinnvoll, die Kribbelparästhesien über die Schmerzareale in LWS und Beinen zu legen. Oft wird dies von den Patient*innen jedoch als unangenehm empfunden, da diese bei bestimmten Bewegungen zunehmen können [5].
Die Behandlung von Patient*innen mit chronischen Schmerzen erfordert ein stufenweises, multimodales und interdisziplinäres Vorgehen (Abb. 1). Die konkrete Therapieentscheidung auf den einzelnen Stufen ist für jede*n Patient*in differenziert zu treffen, abhängig von Faktoren wie Alter, Komorbiditäten und allfälliger Multimedikation, der Dringlichkeit eines raschen Therapieerfolgs, Lebensumständen, Beschäftigungssituation (Notwendigkeit regelmäßiger Kontrolltermine) und der zu erwartenden Compliance. In jedem Fall sollte eine Neurostimulation vor einer intrathekalen Analgesie zum Einsatz kommen.
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Wirksamkeit von Neurostimulationsverfahren
Bei Patient*innen mit therapierefraktären Schmerzen, bei welchen mit konservativem Therapiesetting im interdisziplinären und multimodalem Modus kein Therapierfolg (keine Schmerzreduktion und keine verbesserte Lebensqualität) erzielt wird, ist es sinnvoll, invasiv zu therapieren. Die Diagnose entscheidet, ob im Vorfeld invasive Techniken wie Facettennervenblockade/Denervation, Single-shot-PDA oder z. B. eine lumbale Sympathikusblockade zum Einsatz kommen.
Wenn eine Neuromodulation in Erwägung gezogen werden soll, dann benötigen Sie im Vorfeld eine aktuelle MRT-Bildgebung und eine Vorstellung beim Neurochirurgen bzw. Orthopäden, ob keine operative Sanierung notwendig ist; zusätzlich sollte ein aktueller neurologischer Status mit einer Nervenleitgeschwindigkeit vorhanden sein. Sinnvoll wäre auch eine quantitativ-sensorische Testung (QST). Danach muss der*die Patient*in zur psychologischen Testung und zum Gespräch, ob auch eine eventuelle längere Verhaltenstherapie (VT)/Schmerzbewältigung neben einer Implantation erfolgen muss. Bei einigen Patient*innen ist im Vorfeld eine psychiatrische Abklärung notwendig. Auch gut eingestellte Patient*innen mit einer psychiatrischen bzw. psychosomatischen Erkrankung können therapierefraktäre Schmerzen haben und sich für eine invasive Therapie eignen.
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Psychologische Testungen sollten vor dem Verfahren durchgeführt werden, dann ein halbes und ein Jahr später nochmals, um das Outcome zu evaluieren und gleichzeitig als Qualitätssicherung zu dienen. Indikationen stellen Schmerzen bzw. auch Durchblutungsstörungen dar (Abb. 2; [6]).
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Wirkmechanismus.
Es sind bisher viele unterschiedliche Wirkmechanismen aufgezeigt worden, die jedoch noch nicht restlos geklärt sind. Die Neurostimulation verhindert durch elektrische Reizung GABAerger Interneurone eine überproportionale Steigerung der sensorischen Information. Sie ist auf verschiedenen Ebenen des Nervensystems möglich, beispielsweise im Bereich peripherer Nerven, des Rückenmarks, des Thalamus, des Ganglion trigeminale und des Motorkortex.
Supraspinale Effekte von SCS.
In Studien konnte eine Erhöhung der Aktivierung von primärer und sekundärer sensomotorischer und posteriorer Inselrinde gezeigt werden [25]. Zusätzlich treten Veränderungen der funktionalen Konnektivität zwischen sensorischen und limbischen Bereichen auf [8]. Eine Erhöhung der Durchblutung des Thalamus, bilaterale parietale Assoziationsbereiche, vorderer cingulärer Kortex und präfrontale Bereiche werden durch SCS beobachtet [1, 7, 15]. Die kortikalen Effekte von SCS kann die negativen affektiven Komponenten von Schmerzen herunterregulieren und Schmerzschwellen modulieren.
Rückenmarksebene.
Auf Rückenmarksebene spielen bei der SCS auch nozizeptiv Reflexe eine Rolle [11]. Es werden Veränderungen der sympathischen Reflexe, eine Reduktion des H‑Reflexes und eine Reduktion der somatosensorisch evozierte Potenziale beschrieben [28]. Analgesie durch SCS korreliert mit nozizeptiver Reflexschwächung, die SCS verursacht eine breite Hemmung sensorischer afferenter Eingänge, jedoch ist der Mechanismus der Schmerzlinderung unklar [28].
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Neurochemische Änderungen.
Auch neurochemische Prozesse wie die Antagonisten von GABA, Serotonin, Noradrenalin und Dopamin können Effekte von SCS reduzieren [18, 21]. Zusätzlich kommt es zur Unterdrückung der taktilen Allodynie durch Freisetzung von GABA im dorsalen Horn. Diese reduzierte Dorsalhornexpression vom assoziierten NMDA-Rezeptor-Subtyp erzeugt eine periphere Sensibilisierung [18, 21]. Auch CB1-Rezeptoren sollen für die Umkehrung der bei SCS beobachteten Hyperalgesie verantwortlich sein [3, 21] – auch hier ist der genaue Mechanismus noch unklar.
Zentrale Sensibilisierung.
Neben peripherer Sensibilisierung kommt es auch zu einer zentralen Sensibilisierung, die leider auch eine sekundäre Hyperalgesie verursacht und auch gesunde Areale miteinbezieht. Wenn Synapsen im RM und Gehirn über eine längere Dauer übererregt werden, kommt es zu einer Long-Term-Potentiation. Neuropathische Schmerzen und besonders therapierefraktäre neuropathische Schmerzen können bei langanhaltender Dauer ins Schmerzgedächtnis übergehen. Es kommt zum Verlust der zentralen inhibitorischen Kontrolle. Diese kann mit Opioiden präsynaptisch, postsynaptisch und durch Gegenirritationen wie Neuromodulationsverfahren wiederhergestellt werden [17].
Gliazellen und Astrozyten.
Sandkühler und sein Team konnten zeigen, dass bei therapierefraktären neuropathischen Schmerzen bei der Neuroinflammation Gliazellen und Astrozyten mit den Interleukinen eine wichtige Rolle spielen [17]. Gliazellen leisten einen aktiven Beitrag zur neuronalen Verarbeitung. Gliazellen setzen bei chronischen Schmerzzuständen Faktoren frei, die Neurone sensibilisieren und entzündliche Reaktionen verursachen können. Vorklinische Nachweise lassen darauf schließen, dass Gliazellen mit elektrischen Stimuli moduliert werden können, wodurch Neurotransmitter freigesetzt werden, was sich auf die Kommunikation von Zelle zu Zelle auswirkt [19, 27].
Indikationen
Unter den verschiedenen Verfahren der Neurostimulation ist die SCS die am häufigsten angewandte Methode. Es kommen Ein- und Mehrelektrodensysteme zur Anwendung. Bei bilateralen Schmerzen und komplexen Schmerzmustern können Mehrelektrodensysteme erforderlich sein (Abb. 3).
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Die Diagnose chronischer Schmerzsyndrome erfolgt nach ICD-11 unter Beachtung der Klassifikation der IASP (Patient*innen mit konservativ nicht kontrollierbaren, chronischen – hauptsächlich neuropathischen – therapierefraktären Schmerzen ICD R.52.1). Für die einzelnen Neurostimulationsverfahren sind die Indikationen aufgelistet (Abb. 4).
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Epidurale Rückenmarkstimulation (SCS)
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Radikulopathien
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Gemischte neuropathische/nozizeptive Schmerzzustände, z. B. FBSS („failed back surgery syndrome“ – jedoch neue Nomenklatur: „persistent spinal pain syndrome“), Rhizopathien nach Diskushernienoperationen oder anderen Eingriffen im Bereich der Wirbelsäule
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Inkomplette Querschnittsyndrome
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Deafferentierungsschmerz (CRPS II, Phantomschmerz, postherpetische Neuralgie, periphere Neuropathie, traumatische Rückenmarksverletzung)
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Neuralgien (z. B. Post-Zoster-Neuralgie oder diabetische Polyneuropathie)
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Periphere Ischämien (periphere arterielle Verschlusskrankheit, PAVK),
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Therapieresistente Angina pectoris
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Komplexes regionales Schmerzsyndrom (CRPS)
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Phantomschmerz (schwache Evidenzlage)
Subkutane Nervenstimulation (SNS)
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N.-occipitalis-Neuralgie
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N.-inguinalis-Neuralgie
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Inkomplette periphere Nervenläsionen
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Oberes Zervikalsyndrom
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Postherpetische Neuropathie
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Chronische Rückenschmerzen
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Persistierender idiopathischer Gesichtsschmerz
Periphere Nervenstimulation (PNS)
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Chirurgische Methode zur Behandlung chronischer, brennender Schmerzen
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(Mono)neuropathische Schmerzen z. B. nach einer peripheren, inkompletten Nervenschädigung, verbunden mit Allodynie und Hyperpathie
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Phantomschmerzen
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CRPS II (Kausalgie)
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Inkomplette Plexusläsion
Spinalganglienstimulation (DRG)
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Komplexes regionales Schmerzsyndrom (CRPS) Typ-I- oder Typ-II-Schmerzen in den unteren Extremitäten
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Postherpetische Neuralgie
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Diabetische Neuropathie
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Phantomschmerzen
Einschlusskriterien
Ein invasives neuromodulatives Verfahren sollte bei allen Patient*innen, deren chronische therapierefraktäre Schmerzen (siehe die oben genannten Indikationen) mit konventionellen Maßnahmen nur unzureichend oder unter Inkaufnahme erheblicher Nebenwirkungen therapiert werden können, frühzeitig in Betracht gezogen werden. Vor einer definitiven Systemimplantation ist eine mindestens einwöchige Testphase mit perkutaner Ausleitung der Stimulationselektroden und externem Stimulationsgerät zwingende Voraussetzung. Der*die Patient*in muss eine Compliance aufweisen und Verständnis für das Verfahren haben. Er*sie muss im interdisziplinären und multimodalen Setting für solch ein Verfahren abgeklärt sein (es darf keine orthopädische, neurochirurgische bzw. gefäßchirurgische Operationsindikation vorliegen).
Eine psychologische und psychiatrische Abklärung, Testung bzw. Therapie ist unabdingbar, bevor der*die Patient*in für ein invasives Verfahren mündlich und schriftlich aufgeklärt wird. Patient*innen dürfen keine positive Alkohol- und/oder Drogenanamnese aufweisen.
Ausschlusskriterien
Allgemeine internistische und chirurgische Kontraindikationen sind im Vorfeld zu beachten. Absolute Kontraindikationen zur rückenmarksnahen Stimulation sind der Wurzelausriss und die komplette Rückenmarksläsion.
Patient*innen mit negativer Testphase und mangelnder Therapie-Compliance müssen vom Verfahren der Neurostimulation ausgeschlossen werden. Eine psychiatrische Komorbidität (wie schizophrene, affektive, neurotische Störungen, Persönlichkeitsstörungen, Verhaltensauffälligkeiten, organisch bedingte psychische Auffälligkeiten inkl. Sucht und Medikamentenmissbrauch) muss individuell evaluiert werden und kann gegebenenfalls zum Ausschluss führen.
Ein laufendes Rentenbegehren oder laufende Gerichtsverfahren sind relative Ausschlusskriterien. Sollte ein invasives, neuromodulatives Verfahren dennoch in Betracht gezogen werden, so ist der*die Patient*in schriftlich daraufhin zuweisen, dass eine Schmerzreduktion unter SCS/STS eine Arbeitsfähigkeit bewirken kann.
Herzschrittmacher, implantierbare Defibrillatoren und magnetresonanztomographische Untersuchungen stellen keine absolute Kontraindikation dar. Herstellerangaben sind generell zu beachten.
Mangel an Engagement, dysfunktionale Bewältigung, unrealistische Erwartungen, unzureichendes tägliches Aktivitätsniveau, problematische soziale Unterstützung, sekundärer Gewinn, psychische Belastung und Unwilligkeit, hochdosierte Opioide zu reduzieren, sind Kontraindikationen aus dem psychosozialen Bereich.
Diagnostik
Ambulant durchzuführende Untersuchungen vor Austestung eines invasiven neuromodulativen Verfahrens.
Wenn das WHO-Stufenschema (einschließlich Opioidtherapie) in Kombination mit psychologischen Maßnahmen (Schmerzbewältigung), physikalische Therapie, TENS, Akupunktur und invasive Therapiemaßnahmen (Blockaden) keinen anhaltenden Erfolg bringt (VAS > 5), sollte die Indikationsstellung eines invasiven neuromodulativen Verfahrens in Betracht gezogen werden. Die Schmerzanamnese muss insbesondere die psychosoziale Struktur sowie den psychischen Befund des*der Patient*in berücksichtigen.
Neurologischer Status durch einen Neurologen.
Rezentes MRT (nicht älter als 6 Monate) der Wirbelsäulenregion, wo die Sondenimplantation geplant ist. Neurochirurgische bzw. orthopädische Kontrolle zum Ausschluss einer Operationsindikation.
Psychologische Evaluation.
Psychiatrische Stellungnahme ist einzuholen, wenn eine psychiatrische Vorerkrankung bekannt ist oder der*die Patient*in einen Verdacht auf eine solche hat. Psychologische Testungen: z. B. Fragebogen Lebenszufriedenheit (FLZ; [4]). Die Psychometrie erfolgt mithilfe mehrerer standardisierter Fragebögen zur Erkennung psychiatrischer Komorbiditäten (Psychosen, Neurosen, Persönlichkeitsstörungen, organische Psychosyndrome, Sucht). Zusätzlich ist auch noch ein psychologisches/psychiatrisches Interview erforderlich.
Aufklärung der Patient*innen.
Nach entsprechender Indikationsstellung erfolgt die Aufklärung des*der Patient*in anhand des Formulars zur Allgemeinen Information über SCS/STS und des Aufklärungsbogens „Schmerzbehandlung mittels elektrischer Nervenstimulation“ (Dio-med Aufklärungsbögen: www.diomed.de). Darüber hinaus erfolgt auch eine Einverständniserklärung zur Aufklärung für Anästhesie (Perimedbögen), falls intraoperativ eine Sedierung bzw. eine Allgemeinanästhesie geplant ist.
Organisation der stationären Aufnahme
Stationäre Aufnahme für drei Tage zur Probeimplantation der SCS/STS-Elektroden. Anschließend Entlassung für etwa ein bis vier Wochen zur ambulanten Austestung. Wiederaufnahme für drei Tage zur Implantation des Generators bzw. Explantation.
Neuromodulative Techniken sollten Ärzt*innen vorbehalten bleiben, welche entsprechend den Qualitätsstandards der wissenschaftlichen Fachgesellschaften die multiaxiale Modalität des chronischen Schmerzgeschehens analysieren, die technische Umsetzung der Neurostimulation gewährleisten und eine sichere und kompetente Nachbetreuung und deren Komplikationen bewältigen können. Welches System der*die Patient*in erhält, hängt von der Diagnose ab und davon, ob er*sie eine Stimulation spüren möchte oder nicht.
Nach Abschluss der Diagnostik und Indikationsstellung zum Neuromodulationsverfahren sowie nach Patientenaufklärung über Art, Risiken und Tragweite des Eingriffs, sowie schriftlicher Einverständniserklärung, erfolgt der operative Eingriff nach üblichen Standards. Eine prophylaktische perioperative Antibiotikagabe („single shot“, z. B. Cephalosporine) ist obligat.
Testphase
Nach Indikationsstellung muss eine Testphase mit dem jeweiligen Neuromodulationsverfahren durchgeführt werden. Während der Testphase ist die Effektivität (gekennzeichnet durch Schmerzreduktion, wie international üblich > 50 %, Verbesserung der Lebensqualität sowie Reduktion des Medikamentenverbrauchs) in einem Schmerztagebuch zu dokumentieren. Die Dauer der Testphase muss individuell ermittelt werden und beträgt mindestens eine Woche, im Durchschnitt zwei, höchstens vier Wochen. Die Teststimulation wird bei Anwendung von SCS und STS mit einem externen Stimulator durchgeführt. Die endgültige Implantation eines kompletten Systems erfolgt in einem zweiten Schritt nach Abschluss einer positiven Testphase (Tab. 1), gegebenenfalls in Vollnarkose.
Tab. 1
Definition des Erfolgs der Teststimulation [20]
Teststimulation | Erfolg (%) |
---|---|
Bei richtiger Indikation | Mehr als 70 |
Bei Angina pectoris | Über 90 |
Bei peripheren Durchblutungsstörungen | 79 |
„Failed back surgery“ | 60 |
Komplexes regionales Schmerzsyndrom | 72 |
Sondenimplantation, Neurostimulation
Die perkutane Einführung einer Stimulationssonde zur SCS erfolgt oberhalb der Läsion, üblicherweise unter Lokalanästhesie in Bauchlage, und mit Hilfe der Röntgendurchleuchtung unter aseptischen Bedingungen, ggf. unter Sedierung. Zur genauen Platzierung der Elektroden erfolgt intraoperativ eine Austestung mittels externem Stimulationsgerät. Ziel ist es, die Sonden so zu platzieren, dass die Stimulation von dem*der Patient*in als Kribbelparästhesie im Schmerzareal deckungsgleich wahrgenommen wird. Für Schmerzen in der oberen Körperhälfte ist zumeist eine Lage der Sondenspitze auf der Höhe des Wirbelkörpers C5/C6 anzustreben, für Schmerzen im unteren LWS und im Bereich der unteren Extremitäten eine Sondenlage in der Höhe der Wirbelkörper TH8/TH9 (Tab. 2).
Tab. 2
Epidurale Elektrode unter Stimulation implantiert. (Quelle: Krames et al. 2013 [16])
Schmerzlokation | Elektrodenspitze |
---|---|
Fuß | T12-L1 |
Untere Extremität und Vorfuss | T11-T12 |
Oberschenkel und Knie | T9-T10 |
Axialer unterer Rücken und untere Extremität | T7-T12 |
Unterer Rücken | T8-T10 |
Präkordial (bei refraktärer Angina) | C6-T1 (links der Mittellinie) |
Obere Extremität | C5-T1 |
Nacken und Arm | C1-C2 (kann mittels retrograder C0-C1-Insertion platziert werden) |
Kopf und Gesicht | C1 (zervikomedulläre Verbindung) |
Chronische viszeraler Abdominalschmerz | T5-T6 |
Die Anlage der Stimulationssonde zur subkutanen Targetstimulation (STS) erfolgt – ohne Lokalanästhetikagabe – direkt in das Schmerzareal subkutan.
Bei Hochfrequenzstimulation kann die Elektrodenpositionierung ohne Austestung erfolgen und nur nach Röntgenkontrolle auf Höhe Th8-Th9.
Patientenunterweisung für Neurostimulation
Eine Unterweisung des*der Patient*in in Funktion und Bedienung des Systems ist vorzunehmen. Behandelnde Ärzt*innen haben sich davon zu überzeugen, dass Patient*innen mit der Funktionsweise des Implantats, der Möglichkeit zum Abstellen der Stimulation und evtl. der Änderung der Reizparameter vertraut sind. Für Notfälle und auch für die Nachbetreuung muss der*die Implanteur*in eine Kontaktmöglichkeit sicherstellen. Dem*der Patient*in ist ein Implantationsausweis mitzugeben.
Komplikationen und Nebenwirkungen
Komplikationen der Neurostimulation.
Komplikationen werden in der Literatur in den nachstehend genannten Häufigkeiten angegeben [10]:
-
Elektrodenprobleme (−30 %): Dislokation bzw. Bruch
-
Infektion (ca. 5 %): oberflächlich bzw. tief
-
Wundheilungsstörungen
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Toleranz
Systemassoziierte Komplikationen.
-
Technisches Versagen
-
Wandern
-
Brechen der Elektrode
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Funktionsausfall der Verlängerungen (mangelhafte oder falsche Verbindung) oder des implantierten Neurostimulators (leere Batterie, Probleme beim Wiederaufladen)
Biologische Komplikationen.
-
Oberflächliche und tiefe Infektionen
-
Hämatome oder Serome über dem implantierten Neurostimulator, Schmerzen über dem Neurostimulator
-
Punktion der Dura und damit einhergehende Kopfschmerzen und neurologische Schäden (Rückenmarkschäden, Lähmungen)
Epidurale, intrakranielle und andere Infektionen, Serome, epidurale Hämatome, Nervenverletzungen sowie Liquorleckagen werden extrem selten beschrieben.
Dislokation und Störungen des gesamten Systems (Impulsgenerator und Elektrode) sind bei MRT-Untersuchungen mit höheren Feldleistungen möglich. Eine Kontaktaufnahme mit dem Hersteller des Systems ist zu empfehlen.
Technische Komplikationen können telemetrisch und radiologisch überprüft werden und sind ggf. durch Neuprogrammierung des Neurostimulationssystems zu beheben. Bei Kabelbruch oder definitiver Dislokation sollte eine elektive operative Revision erfolgen. Bei Systemausfall kann unter Umständen eine vorübergehende orale Pharmakotherapie notwendig werden.
Nachkontrolle
Nach Implantation der Neuromodulationssysteme sind die technische Funktion sowie die Effektivität der Schmerzlinderung im Rahmen einer strukturierten Langzeitbetreuung sicherzustellen. Die Validität der Therapie ist anhand des NAS-Verlaufs (Schmerztagebuch) in definierten zeitlichen Abständen zu belegen.
Bei spätem Therapieversagen bzw. nichtbehebbarer Dysfunktion des Systems sollte unter Berücksichtigung des Patientenwunsches ggf. eine Explantation erfolgen.
Ambulante Kontrollen
Zwei Tage nach dem Eingriff kann bei unauffälligen und blanden Wundverhältnissen eine Entlassung unter Vereinbarung von Terminen zur Nachkontrolle stattfinden. Die erste Kontrolle ist üblicherweise nach 5 Tagen vorgesehen, die Nahtentfernung erfolgt nach 10–14 Tagen unter sterilen Bedingungen. Die Intervalle für die folgenden Kontrollen sollten 1 Woche, 2 Wochen und 1 Monat betragen, danach in größeren zeitlichen Abständen nach individueller Vereinbarung.
Schon früh entstehen Innovationen die Hardware zu verbessern hinsichtlich in erster Linie auf die Größenreduzierung und MRT-Kompatibilität. In jüngerer Zeit gab es einen Paradigma-Übergang von Hardware- zu Software-Innovationen zur Verbesserung der Effektivität und Patientenverträglichkeit. Das traditionelle SCS-System konzentriert sich auf die Parästhesie-induzierende Stimulation, die den Schmerz überlappen soll und die Verteilung mit der Absicht, die Schmerzwahrnehmung zu maskieren. Diese SCS-Systeme verwenden typischerweise niedrigere Frequenzen im Bereich von 40–60 Hz und erfordern eine intraoperative Kartierung durch Aufforderung eines Patientenfeedbacks zur Anpassung des Stimulationsorts, der Pulsfrequenz, Breite und Amplitude. Diese Art der Neuromodulation beruht auch auf der Angemessenheit und Dauerhaftigkeit der Parästhesie-Deckung als geduldige Toleranz, die Patientin verspürt Parästhesien in ihrem Schmerzareal und diese sollten das Schmerzareal überdecken, um Wirksamkeit zu erzielen. Bei der Behandlung chronischer axialer Rücken- und Gliederschmerzen hat sich eine ausreichende Parästhesie-Deckung im hinteren Bereich jedoch als herausfordernder erwiesen. Bei Patient*innen mit Rücken- und Beinschmerzen, mit oder ohne vorherige Operation, hat sich ursprünglich die konventionelle SCS mit einer besseren Analgesie und funktioneller Verbesserung als sinnvoll erwiesen. In jüngerer Zeit fand ein Paradigmenwechsel in Richtung parästhesiefreier Hochfrequenzstimulation statt. Diese neuartige Art der Neuromodulation konzentriert sich auf hochfrequente Impulse (1–10 kHz) mit niedriger Amplitude (1 bis 5 mA). Hochfrequenz-Rückenmarkstimulation vs. konventionelle SCS zeigte eine verbesserte Analgesie im Low-back-pain-Bereich und eine bessere Funktionalität. Bei dieser Methode kann auf eine intraoperative Austestung (Mapping) verzichtet werden, der untere Rückenschmerz wird bei dieser Methode besser abgedeckt. In randomisierten kontrollierten Studien konnte die hochfrequente Technik Rückenschmerzen mit bzw. ohne Beinschmerzen besser abdecken.
Weiterentwicklungen
Der Komfort der Patient*innen sowie die Wirtschaftlichkeit stehen bei aktuellen Weiterentwicklungen der Systeme im Vordergrund.
Closed-Loop-Stimulation.
Zur Optimierung der Therapie hat Medtronic bereits vor geraumer Zeit die AdaptiveStim™-Technologie eingeführt, die den Patient*innen eine automatische Anpassung der Stimulation basierend auf 7 Körperhaltungen ermöglicht. In Zukunft wird ein neues System eingeführt, welches das eCAPS-Konzept („evoked compound action potentials“) mit neuen Stimulationsmustern verbindet. Dabei werden Stimulation und Stimulationsmuster im Millisekundenbereich auf Bewegungen, Husten oder Ähnliches angepasst. Ziel ist es, die Patient*innen immer im optimalen Stimulationsfenster zu halten und so den Bedarf an Follow-up-Untersuchengen bzw. manuellen Anpassungen der Stimulation zu verringern.
Fernwartung.
Abbott hat ein neues Fernwartungssystem NEUROSPHERE™ VIRTUAL CLINIC (Abbott Medical, Plano, TX, USA) auf den Markt gebracht: Gerade in Pandemiezeiten ist ein Fernwartungssystem bzw. über Videocall eine Einstellung von extern zu Hause immer mehr gefragt. Fahrzeiten, die nötige Unterstützung durch eine weitere Person sowie mögliche Anreisekosten stellen die größten Herausforderungen für Patient*innen dar, wenn sie zur Nachsorge und Neuprogrammierung ins Krankenhaus kommen müssen.
Aggregate.
Jede Firma bemüht sich, mit neuen und einfacheren Programmierungen die Patientenzufriedenheit zu heben.
MRT-Tauglichkeit.
Alle Firmen bringen immer bessere Elektroden und Generatoren auf den Markt, die zunehmend bis 3 T (früher 1,5 T) MRT-tauglich sind.
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Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.