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06.09.2024

„Ich liebe Malerei“

verfasst von: Katja Uccusic-Indra

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„Ein Foto zu kopieren, interessiert mich nicht.“ Das sagt Natia Kalandadze. Von der akademischen Monumentalmalerei in Tiflis führte der Weg der positiv Kunstbesessenen in die Wiener Meisterklasse von Michelangelo Pistoletto. In eine Schublade pressen lässt sich ihr Werk nicht.

Natia Kalandadzes Atelier befindet sich im Parterre eines Altbaus in der Weintraubengasse in der Leopoldstadt. Die Künstlerin wohnt auch im selben Haus. Beim Interview gibt es passend zum Straßennamen frische Weintrauben, die in einer gestreiften Glasschüssel auf einem kleinen Marmortisch liegen. Im Atelier ist es angenehm kühl, während sich draußen die Mittagshitze breitmacht.

Kalandadzes Werkstatt besteht aus drei Räumen: Das Vorzimmer und ein schmales Kabinett werden als Lager für ihre Bilder genutzt. Im Hauptraum arbeitet sie. Kleinere Formate wie Collagen und Zeichnungen entstehen auf dem Schreibtisch, die großen Öl- und Acrylbilder an der Wand rechts vom Fenster. Neben der Couch steht ein kleiner Holzofen, mit dem Kalandadze im Winter heizt. Der Boden mit seinen bunten Farbresten sieht selbst aus wie ein Kunstwerk.

„Es ist nicht besonders groß und nicht sehr hell hier, aber in diesem Raum kann ich trotzdem gut arbeiten“, sagt sie und zeigt auf die Wand rechts: Eine Leinwand mit einem formatfüllenden weiblichen Gesicht hängt direkt an der Mauer und ein Bild in Rottönen, auf dem ein Sessel, ein Tisch mit Gläsern und ein Regal zu sehen sind, steht auf dem Estrich. Kalandadze hat das Atelier kurz nach der Geburt ihrer älteren Tochter, die mittlerweile 23 Jahre alt ist, bezogen.

Bilder einer Comic-Ausstellung

Das Werk der 1972 in Tiflis, Georgien, geborenen Künstlerin lässt sich in keine Schublade stecken: Porträts, Menschen, Tiere, Bäume, Blumen, Landschaften oder Stillleben gehören ebenso zu ihrem Repertoire wie abstrakte Arbeiten, die an Wolken und den Himmel erinnern. Sie bevorzugt Blau-, Grün-, Lila-, Rosa- und Rottöne, verwendet Ölfarben genauso wie Acryl oder Tusche. Im Vorraum zeigt sie Bilder, die vor zwei Jahren während und nach einer Reise nach Japan entstanden sind, wo sie, kuratiert von Tina Natsvlishvili und Hisa Enomoto, gemeinsam mit anderen Künstlern einen Monat gearbeitet hat: Zu sehen sind Rückenansichten von japanischen Frauen im traditionellen Kimono, aber auch junge Mädchen mit Handy und Corona-Maske oder ein Sushi-Teller in harmonischen Pastelltönen und kräftigem Rot.

Eines der Werke sticht besonders hervor: Es zeigt eine jugendliche Japanerin von hinten, die Kalandadze in einer Comicausstellung beobachtet hat. Sie hat hochgestecktes Haar, trägt einen blauen Kimono und eine große Tasche um die Hüften. Die Malerin hat ein paar gerade weiße Linien hinzugefügt, die der Arbeit ein grafisches Element und eine spannende Tiefe verleihen.

Während des Aufenthalts in Kumano, einer Stadt, die in der Präfektur Mie liegt (A nm.: im Süden der japanischen Hauptinsel Honshu ), hatte sie ein großes Projekt im Freien, nämlich die Jalousie eines aufgelassenen Geschäfts zu bemalen. Keine leichte Aufgabe, war es doch sehr heiß und staubig draußen. Es entstand ein spektakulärer Himmel in Blau- und Rosatönen, für den Kalandadze viel Lob erhielt.

Schon als kleines Kind hat Natia gerne gezeichnet. „Ich erinnere mich, dass ich damals im Alter von vier Jahren bereits in einem Malkurs, der im letzten Stock eines modernen Gebäudes in Tiflis stattgefunden hat, war. Der Lehrer gab uns große Kartons und Gouachefarben und wir konnten uns austoben. Auf mich hat dieses Erlebnis eine große Faszination ausgeübt und ich habe nie mehr aufgehört zu malen“, erzählt sie. Ihre Eltern förderten das Talent der Tochter weiter, mit 10 Jahren besuchte sie in ihrer Geburtsstadt eine Kunstschule. Nach dem Abschluss schaffte sie die schwere Aufnahmsprüfung und studierte von 1989 bis 1994 an der dortigen Akademie der bildenden Künste Monumentalmalerei, wo es „sehr konservativ, aber auch cool zuging“.

Nach Wien kam sie durch einen Zufall: Gemeinsam mit ihrer besten Freundin Nino Doborjginidze lernte sie in Tiflis Monika Wührer, eine Studentin Michelangelo Pistolettos, kennen, die die jungen Frauen überredete, nach Österreich zu kommen. Sie bot ihnen auch gleich an, bei ihr zu wohnen. Dann lief alles perfekt: Sie wurden in der Klasse des italienischen Arte-Povera-Stars aufgenommen, dem es wichtig war, Kreative verschiedener Sparten um sich zu versammeln. Der Professor war oft in Wien und stand seinen Studentinnen und Studenten mit Rat und Tat zur Seite. „Wir haben keine Ahnung gehabt, wer er ist. Es war für uns, als wären wir auf dem Mond gelandet“, sagt die Künstlerin.

Neubeginn in Wien

In Georgien, Teil der ehemaligen Sowjetunion, gab es kein Internet, keine Informationen zu Pistoletto. „Es war wie eine Mauer. Man kannte natürlich etwas von Beuys, Pop Art oder Picasso. Ich war ja ein paarmal in Deutschland, bevor ich nach Wien gekommen bin.“ Kalandadze empfand das Studium in Österreich gleichzeitig als Befreiung, aber auch als schwierig, weil sie von null anfangen musste: „Ich war sehr unsicher. Zeitgenössische Kunst hat eine eigene Sprache, die wir so nicht gekannt haben.“ Sie experimentierte während der Ausbildung zwar mit verschiedenen Medien, fand dann jedoch wieder zur Leinwand zurück.

„Ich bin nicht konzeptuell, denn ich liebe Malerei“, sagt die Georgierin. „Aber jeder hat irgendein Konzept. Ohne Konzept kannst du nicht einmal eine Linie auf der Leinwand machen.“ Für ihre Arbeiten verwendet sie häufig Fotos als Vorlage, wobei sie diese nur als Ausgangspunkt benötigt. „Ein Foto zu kopieren, interessiert mich gar nicht“, erläutert sie. Dann zeigt sie eine Serie mit nicht grundierten quadratischen Leinwänden, auf die sie Motive wie menschliche Köpfe und Vögel mit hellblauer und schwarzer Tusche gemalt hat. Sie wirken wie zarte Zeichnungen.

„Momentan male ich gerne Porträts und verwende viel Ölfarbe. Früher in Georgien war ich viel rebellischer und habe mehr experimentiert. Ich habe das Gefühl, dass ich jetzt ein bisschen zurückgehe“, erzählt die Künstlerin. Ihre Leinwände bespannt sie selber, was auch zu mehr Freiheiten bezüglich der Formate führt. Selbst große Rahmen bespannt sie alleine.

Der Weg der Kinder ist ...

Die Malerin erhielt 1999 den Meisterschulpreis, im selben Jahr diplomierte sie in Pistolettos Bildhauerei-Klasse an der Akademie der bildenden Künste. Ihre Werke waren unter anderem in der Wiener Galerie Overground, auf der Parallel Vienna, im Palazzo Zenobio in Venedig und bei der DaDaDa Akademie, Art Area, in Tiflis zu sehen. Kalandadzes Arbeiten befinden sich in zahlreichen Sammlungen im In- und Ausland. Im Moment ist sie auf der Suche nach einer Galerie. Sie war eine Zeit lang bei einer Galerie in Graz unter Vertrag, die es aber nicht mehr gibt. Interessierte können auch direkt bei ihr im Atelier kaufen. Eine Arbeit auf Leinwand in der Größe 1 × 1 Meter kostet 3.000 Euro. Kalandadze hat zwei erwachsene Töchter mit dem Bildhauer Gilo Moroder, die nicht in die Fußstapfen der Eltern treten: Die 23-jährige Sophie studiert Jus, Elena, 18, plant ein Medizinstudium.

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Metadaten
Titel
„Ich liebe Malerei“
Publikationsdatum
06.09.2024

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