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Ärzte Woche

28.01.2020 | Hygiene- und Umweltmedizin

Strahlende Zellen

Der Grundstein für die digitale Zukunft ist gelegt. Leistungsfähige Breitband- und 5G-Netze soll es in fünf Jahren in ganz Österreich geben. Gesundheitliche Bedenken sind nicht ganz ausgeräumt, auch Ärzte zweifeln.

„Wir haben das Ziel, Österreich zu einer der führenden Digitalnationen Europas zu machen. Dafür braucht es eine flächendeckende Breitband-Versorgung in ganz Österreich“, sagt Bundeskanzler Sebastian Kurz. Bis 2025 soll es das neue Mobilfunk-Protokoll 5 G in ganz Österreich geben. Im Gesundheits- und Pflegebereich könnten Start-ups profitieren, die telemedizinische Anwendungen anbieten, etwa in der Wunderversorgung. Die Warnungen vor möglichen Schäden durch die Mobilfunkstrahlung sind indes nicht ausgeräumt. Während Ärztekammer-Präsident Dr. Thomas Szekeres diplomatisch bleibt – „Es gibt Studien in alle Richtungen“ – wurde sein Co-Referent für Umweltmedizin, Dr. Piero Lercher, schon einmal deutlicher: „Wenn Befürworter die Bevölkerung beruhigen, indem sie die 5 G-Strahlung mit Fernsehwellen vergleichen und verharmlosen, werden damit die Leute für blöd verkauft.“

Die für die Telekom-Agenden zuständige Ministerin Elisabeth Köstinger beruhigt, man nehme Bedenken ernst und habe einen Beirat eingerichtet. Grund zur Sorge bestehe aus technischer Sicht nicht, sagt der Mobilfunk-Experte der TU Wien, Dr. Stefan Schwarz. „Existierende Studien konnten nur eine thermische Wirkung von Millimeterwellen auf den Körper feststellen, die jedoch bei Einhaltung etablierter Grenzwerte unmerkbar gering ausfällt.“ Auf der Seite des deutschen Krebsinformationsdienst heißt es: „Weder hochfrequente, noch niederfrequente Felder sind stark genug, um Atome und Moleküle direkt zu verändern. Das schaffen nur die energiereicheren UV-Strahlen sowie Röntgen- und Gammastrahlen.“ Bedeutet: Elektromagnetische Felder können Erbinformation in Zellen nicht so schädigen, dass Krebs entsteht.

Martin Krenek-Burger

Elektromagnetische Energiedichte verringert

„Innerhalb der Gesellschaft gibt es Besorgnisse bezüglich 5 G, die teilweise durch wissenschaftlich nicht tragbare Gerüchte verstärkt werden. Als Hauptgründe gelten: dichtere Netzstrukturen, Antennenfelder und höhere Frequenzen. Dichtere Netzstrukturen – mehr Basisstationen – sind notwendig, um der wachsenden Nachfrage gerecht zu werden. Hierbei werden an Orten mit hohem Bedarf, meist innerstädtisch, Small Cells platziert, um vorhandene Basisstationen zu entlasten. Small Cells sind hinsichtlich Größe und Sendeleistung mit WLAN Access Points vergleichbar und nicht mit Sendemasten wie man sie von heutigen Basisstationen kennt. Durch geschickten Einsatz von Small Cells kann die umgebende elektromagnetische Energiedichte reduziert werden, da die Sendeleistung der Basisstationen mit wachsender Anzahl bei gleicher Empfangsqualität umgekehrt überproportional abnehmen kann. Darüber hinaus werden Smartphones, welche am Körper den größeren Anteil der elektromagnetischen Belastung verursachen, ebenfalls mit geringerer Sendeleistung die nächstgelegene Basisstationen erreichen. Der Einsatz von Antennenfeldern erlaubt es, Energie gezielt in Richtung einzelner Benutzer abzustrahlen, anstatt sie wie bisher gleichförmig im Raum zu verteilen. Dadurch ergibt sich ein ähnlicher Effekt wie oben: die Sendeleistung kann reduziert werden, um trotzdem noch dieselbe, wenn nicht bessere Empfangsqualität zu erzielen. Hinzu kommt eine Verbesserung der Energieeffizienz des Mobilfunknetzes. 5 G wird zunächst im selben Frequenzbereich ausgerollt wie bisherige Mobilfunknetze. Um in fünf bis zehn Jahren auch noch den Bedarf decken zu können, muss man zusätzliche Bandbreite erschließen. Daher rühren die Bestrebungen, den Millimeterwellen-Bereich für den Mobilfunk nutzbar zu machen. Millimeterwellen liegen etwa einen Faktor 10 über den heutigen Mobilfunkfrequenzen und einen Faktor eine Million unter der UV Strahlung. Sie werden bereits seit Jahren in WLAN und im Richtfunk eingesetzt. Die Reichweite von Millimeterwellen im Mobilfunk ist auf einige zehn Meter beschränkt, weshalb sie nur für sehr kleinräumige Small Cells in Frage kommen.“

Prof. Dr. Stefan Schwarz, CD Lab Dependable Wireless Connectivity for the Society in Motion, Institute of Telecommunications (ITC), TU Wien

Erwärmung wird durch die Grenzwerte ausgeschlossen

„Die Kritiker von 5 G sagen, dass ein zu hoher Grenzwert in Deutschland, in Österreich und anderen europäischen Ländern angewandt wird. Der Grenzwert ist aber das Ergebnis jahrzehntelanger Forschung auf dem Gebiet. Was anerkannt ist, auch vonseiten der WHO, ist, dass die einzige Wirkung von elektromagnetischen Feldern Erwärmung ist. Und dieses Warmmachen wird durch die Grenzwerte ausgeschlossen, das heißt eine Erwärmung des Gewebes findet nicht statt. Ausgehend jenem Wert, ab dem es zu einer Erwärmung kommt, um den Faktor 50 reduziert, das sind die Grenzwerte, die momentan gelten. Es handelt sich um eine biologische Wirkschwelle, die um den Faktor 50 unterschritten wird. Der Grenzwert gilt für alle Funkanlagen, also auch für Radio- und TV-Sender, die mit bis zu 2.500-facher Leistung von Mobilfunkstandorten senden. Ich finde es psychologisch interessant, dass die Aufregung in der Bevölkerung sich immer gegen Mobilfunkmasten richtet und nicht gegen die viel stärkeren Sendeanlagen des Rundfunks und des Fernsehens. Auch Ärzte unterzeichnen Appelle gegen 5 G. Aber die Sorgen der Ärzte beruhen auf Studien, die umstritten sind, wie die Reflex-Studie (Anm.: Risk evaluation of potential environmental hazards from low energy electromagnetic field exposure using sensitive in vitro methods, 1999), die nach wie vor unter Fälschungsverdacht steht und nie reproduziert werden konnte; es gibt die Hausmannstätten-Studie, wo es einen Krebs-Cluster aber niemals eine Sendeanlage gab, wie sich herausstellte; oder auch die kürzlich veröffentlichte NTP-Studie, die mit großem finanziellen Aufwand über einen Zeitraum von zehn Jahren durchgeführt wurde, wobei Ratten Magnetfeldern von 6 Watt pro Kilogramm ausgesetzt wurden, was in Richtung Tierquälerei geht. Interessanterweise überlebten die exponierten Tiere länger als die nicht-exponierten, was nicht ins Bild passt. Es gab auch missinterpretierte Studien, etwa die große Interphone-Studie, eine Befragungsstudie von Menschen, die an einem Gehirntumor leiden. Aus dieser Studie wurde heraus gelesen, dass es möglicherweise eine Krebsgefahr gibt. Allerdings, wenn man diese Daten anders sortiert, dann kann man sagen, dass Mobilfunknutzer, damals der Studien-Endpunkt, länger lebten als solche ohne Handy. Das waren Daten, die in diese oder jene Richtung interpretiert werden können.“

Prof. Dr. Alexander Lerchl, Life Sciences & Chemistry, Jacobs-University Bremen

5G oder die Fortsetzung einer unendlichen Geschichte

„Die Geschichte des Mobilfunks hat eine Konstante: Im Vorfeld fand keine Technologiefolgenabschätzung und keine medizinische Prüfung statt. Es ist nicht verwunderlich, wenn sich rund um diese komplexe Technologie diverse Befürchtungen bis hin zu skurrilen Fantasien bilden. Zusätzlich trugen die verharmlosenden ,Da-ist-nichts-dran’-Aussagen der Industrie nicht zu einer ausgewogenen Sicht der Dinge bei. Dies ist nun verstärkt bei 5 G spürbar. Seriöse Wissenschaft behauptet nicht, dass jeder, der mobil telefoniert, sofort einen Tumor bekommt. Aber immerhin zeigt sich in Ländern, die ein vollständiges Tumorregister führen, wie Dänemark, ein Anstieg an Gehirntumoren. Selbst wenn dieses Risiko für den Einzelnen gering ist, handelt es sich um schwerwiegende Erkrankungen, die wohl immer der Vorsorge bedürfen. Die Aufgabe der Umweltmedizin liegt darin, diese Risiken ausgewogen darzustellen und Maßnahmen zu definieren. Wir müssen vorsichtig, umsichtig sein und Überlegungen zu einer Expositionsminimierung anstellen. Die größte Strahlenbelastung für Benutzer wird durch Endgeräte verursacht, die man sich an den Kopf hält oder eng am Körper trägt. Dieses Risiko wird freiwillig eingegangen und kann durch einfache Verhaltensänderungen – Headsets verwenden – verringert werden. Nicht im Einflussbereich des Einzelnen liegt die Aufstellung von Sendeanlagen. Zwar ist die Exposition um Zehnerpotenzen geringer, dennoch sollten bei der Errichtung nicht nur funktechnische und wirtschaftliche Gegebenheiten berücksichtigt werden, sondern auch gesundheitliche Agenden. Das gilt speziell für 5 G. Der derzeit vergebene Frequenzbereich – um 3,45 GHz – wird nur wenige zusätzliche Antennen erfordern. Bei der Ausrollung des eigentlichen 5 G, für die der Millimeterwellenbereich eingesetzt werden wird, müssen abertausende neue Antennen errichtet werden. Es wird zu neuen Expositionsszenarien kommen, die mangels vorliegender Konzepte, wie diese Technik genutzt werden soll, nicht abschätzbar sind. Das Bundesamt für Strahlenschutz erklärt, dass wichtige Fragen offen sind, sodass Empfehlungen, um ein etwaiges Gesundheitsrisiko zu reduzieren, nicht abgeleitet werden können. Zwei Seiten stehen einander gegenüber: ,Funk ist Funk’ versus ,Mobilfunk bringt uns um’. Wir unabhängige Forscher stecken mittendrin – etwas eingequetscht.“

Prof. DI Dr. Hans-Peter Hutter, Zentrum für Public Health der MedUni Wien, Abteilung für Umwelthygiene und Umweltmedizin

Metadaten
Titel
Strahlende Zellen
Publikationsdatum
28.01.2020
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 5/2020

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