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Ärzte Woche

24.01.2022 | Hygiene- und Umweltmedizin

Die Forever-Party

 Ob Après-Ski oder Querdenker-Kundgebungen – der disziplinierte Teil der Gesellschaft muss derzeit einiges ertragen. Die Infektionsgefahr auf Corona-Demos im Winter ist besonders hoch.

Wien Heldenplatz, Schwarzenbergplatz, Sigmund-Freud-Park, Ringstraße – das sind einige der Plätze, an denen sich die Teilnehmer für Corona-Kundgebungen treffen. Wer für Maskentragen, Impfen und Abstandhalten wenig übrig hat – und dies auch zeigen möchte –, wird früher oder später dort vorbeischauen.

Manche enthemmten Besucher von Après-Ski-Bars in Kitzbühel und anderswo regen die disziplinierten Menschen im Osten des Landes auf. Indes rotten auch sich auch in Wien Demonstrationszüge von Kleinstadtgröße zusammen. Was wiederum in Westösterreich für Kopfschütteln sorgt. Vergangenen Dezember standen beispielsweise in Wien 1.400 Polizisten rund 44.000 Umzugsteilnehmern gegenüber. Das Infektionsrisiko durch virenbeladene Tröpfchen unterschiedlicher Größe ist in dicht gedrängten Menschenansammlungen besonders hoch. Dazu kommt, dass man sich im Winter leichter ansteckt als im Sommer. Eine wesentliche Rolle spielt dabei die relative Luftfeuchtigkeit. Sie ist im Winter draußen höher als im Sommer. Die ausgeatmete Luft ist viel feuchter als die Umgebungsluft, und diese ausgeatmete Feuchtigkeit führt dazu, dass die Tröpfchen nur langsam verdunsten. Das haben Prof. DI Dr. Alfredo Soldati und sein Team am Institut für Strömungsmechanik und Wärmeübertragung der TU Wien aufgrund von Experimenten und Simulationen herausgefunden. Der Umweltmediziner Prof. DI Dr. Hans-Peter Hutter von der MedUni Wien würde trotz aller Probleme nicht am Demonstrationsrecht rütteln. „Wenn dabei aber die Maskenpflicht ignoriert wird, kann und muss die Exekutive einschreiten. Das ist aber nichts Neues. Das passiert ja auch, wenn andere Regeln nicht eingehalten.“

Martin Krenek-Burger

Große Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit


„Die ,Querdenken’-Demonstrationen im November 2020 haben dazu beigetragen, dass sich das Corona-Virus innerhalb Deutschlands stark verbreitet hat. Untersucht wurde das Infektionsgeschehen in den Landkreisen, aus denen zehntausende Demonstranten zu den Kundgebungen am 7. November 2020 in Leipzig und am 18. November 2020 in Berlin anreisten. Um diese Orte zu bestimmen, nutzen die Autoren der Studie Informationen über das Angebot von Busreisen eines Netzwerks von Busunternehmen, das sich seit Sommer 2020 auf die Beförderung von Demonstranten zu den ,Querdenken’-Kundgebungen spezialisiert hat.

So stieg die Sieben-Tage-Inzidenz nach den Demonstrationen deutlich stärker in Landkreisen an, die Städte mit einer solchen Busverbindung beinhalten, als in Landkreisen ohne solche Busverbindungen. Dies hatte bis Weihnachten einen Anstieg der Sieben-Tage-Inzidenz um 40 in den betroffenen Landkreisen zur Folge.

Die Wissenschaftler schätzen, dass bis Weihnachten zwischen 16.000 und 21.000 COVID-19-Infektionen hätten verhindert werden können, wenn diese beiden großen Kundgebungen abgesagt worden wären. Die Analyse von ZEW und Humboldt-Universität quantifiziert somit erstmals den Zielkonflikt zwischen der Einschränkung von Freiheitsrechten und gesundheitspolitischen Maßnahmen zum Infektionsschutz. Das individuelle Verhalten – wenn Personen beispielsweise entgegen der geltenden Regeln keine Mund-Nasen-Bedeckung tragen oder Abstandsregeln missachten – kann große Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit haben. Eine mobile Minderheit, die sich nicht an geltende Hygieneregeln hält, kann so ein erhebliches Risiko für andere Personen darstellen.“

Dr. Martin Lange, Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsbereich „Arbeitsmärkte und Personalmanagement“ des ZEW, Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung, Mannheim

Infektionsgefahr geht von größeren Tröpfchen aus


„Klarerweise ist das Infektionsrisiko bei einem Schweigemarsch geringer als bei einem Demonstrationszug, auf dem herumgeschrien wird, Parolen skandiert und gebrüllt werden und auf dem man dicht an dicht steht. Ob und wie sehr das Risiko von Infektionen steigt, hängt daher vor allem davon ab, wie sich die Menschen auf diesen Demos verhalten.

Die Infektionsgefahr geht bei Demonstrationen im Freien nicht von den winzigen Aerosolen aus, die in Innenräumen eine große Rolle spielen, sondern von den größeren Tröpfchen, die übertragen werden, wenn die Menschen quasi Nase an Nase stehen, und sie beispielsweise kommentieren, was der oder die auf dem Podium gerade gesagt hat.

Im Unterschied zu einer Après-Ski-Bar – solange dort nicht Verantwortungslosigkeit herrscht – ist die Chance vermutlich höher auf einer Querdenker-Demonstration auf Menschen zu treffen, die sich auch in ihrem sonstigen Leben nicht wirklich um das Einhalten von Schutzmaßnahmen scheren, sich nicht impfen lassen und womöglich infektiös sind. Als Teilnehmer geht man persönlich ein vergleichsweise höheres Infektionsrisiko ein und riskiert daher seine eigene Gesundheit.

Trotz alledem hat sich meine Meinung in den vergangenen zwei Jahren nicht geändert. Es gibt für Demonstrationen Maßnahmen, um das Infektionsrisiko zu reduzieren. Aber ebenfalls zu betonen ist, dass es für die Exekutive zwar schwer ist, eine Demonstration einigermaßen geregelt abzufertigen. Am Demonstrationsrecht darf man in einer Demokratie nicht rütteln.

Wenn beispielsweise jemand auf Demos für das offene Tragen von Schusswaffen eintritt, kann er das in einer Demokratie selbstverständlich tun, selbst wenn die Mehrheit dieses Anliegen für gefährlich irre erachten –was ich nach wie vor zumindest annehme. Dennoch darf er auf dieser Veranstaltung nicht herumzuschießen. Es gibt halt gewisse Regeln, die im Übrigen nicht schwer einzuhalten sind. Genauso gut kann jemand öffentlich sagen, dass er die Corona-Maßnahmen für falsch hält. Wenn dabei aber etwa die Maskenpflicht ignoriert wird, kann und muss die Exekutive einschreiten. Das ist aber nichts Neues. Das passiert ja auch, wenn andere Regeln nicht eingehalten werden wie etwa bei Gewalttätigkeit.“

Prof. PD DI Dr. Hans-Peter Hutter, Abt. für Umwelthygiene und Umweltmedizin, Zentrum für Public Health, MedUni Wien

Demos in der Omikronwelle enormes Sicherheitsrisiko

„Demos in der explodierenden Omikronwelle sind ein enormes Sicherheitsrisiko für Teilnehmer und Gesellschaft. Bei einer 7-Tage- Inzidenz von weit über 1.000 ist die Befeuerung von Großkundgebungen schlichtweg verantwortungslos. Dass ein früherer Innenminister ( Anm.: Herbert Kickl ) ein derart hohes Maß an Hass, Hetze und Verantwortungslosigkeit an den Tag legt, ist schockierend und nicht mehr nachvollziehbar. Die Demonstrationsaufrufe von Kickl werden immer mehr auch zum Sprachrohr für Rechtsextremismus und Gewalt. Eine Folge davon sind die zunehmenden Angriffe vor Impfstraßen, Spitälern und öffentlichen Einrichtungen.

Herbert Kickl ist aufgefordert, die Verantwortung für diese aktuelle Situation zu übernehmen – seine Argumentationslinie, die Bundesregierung sei an der aktuellen Spannung schuld, stimmt nicht. Er spaltet aktuell die Gesellschaft und befeuert mit Hetzreden die Spirale der Aggressivität. Derzeit gefährdet er dadurch Einsatzkräfte im Rahmen der Demonstrationen – zahlreiche Polizistinnen und Polizisten wurden in der Vergangenheit bereits verletzt.

Wiener Kaufleute kämpfen seit knapp 2 Jahren mit den Folgen der COVID-19-Krise – Einkaufssamstage, wo unter Einhaltung sämtlicher Sicherheitsmaßnahmen die Öffnung ihrer Geschäfte möglich wäre, verhindert die FPÖ mit ihren wiederholenden Kundgebungen an Verkehrs- und Handelsknotenpunkten. Die FPÖ soll ihre politischen Botschaften im Parlament kundtun und nicht auf der Straße in Verbindung mit rechtsextremen und gewaltbereiten Demonstranten.

Die FPÖ wies paradoxerweise in der Vergangenheit mehrfach auf die Problematiken von Demonstrationen in der Wiener Innenstadt hin. Mit dem Verweis auf das Wohl der Wiener Geschäftsleute schlug man die Einrichtung von Demonstrationszonen außerhalb der Ringstraße vor. FPÖ-Chef Kickl hatte etwa in einer Aussendung vom 8. Februar 2017 erklärt: ,Wir bekennen uns zum Demonstrationsrecht, aber auch die Rechte von nicht-demonstrierenden Bürgern, Anrainern und Geschäftsleuten sind zu schützen.‘

Eine konstruktive Haltung erwarte ich mir von FP-Wien-Chef Dominik Nepp. Im Juli 2020 präsentierte er ein 5-Punkte-Paket gegen Demo-Wahnsinn in Wien. Dieses enthält die Forderung nach einem Demonstrationsverbot im Bereich von Geschäftsstraßen und Hauptverkehrsrouten.“

Karl Mahrer, Stadtrat und Landesparteiobmann der Wiener ÖVP

Metadaten
Titel
Die Forever-Party
Publikationsdatum
24.01.2022
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 4/2022

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