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Ärzte Woche

01.05.2021 | HNO

Neurologie

Die Facetten des Schwindels

verfasst von: Michael Koczorek

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Schwindel gehört zu den in der Praxis am häufigsten von Patienten beklagten Beschwerden. Um akute zentrale von peripheren vestibulären Syndromen unterscheiden zu können, fokussiert sich die klinische Untersuchung auf fünf zentrale Zeichen.

Schwindel ist keine Krankheitseinheit, sondern ein multisensorisches Leitsymptom unterschiedlicher Erkrankungen. Unterschieden werden im Wesentlichen periphere und zentrale vestibuläre Syndrome, die meist vom Hirnstamm oder Kleinhirn ausgehen, sowie funktioneller Schwindel und Schwindel anderer Ursache, etwa orthostatischer oder medikamentös verursachter Schwindel. Schwindel als Notfall ist von hoher klinischer Relevanz.

Zur Unterscheidung von akuten zentralen versus peripheren vestibulären Syndromen sei „die Anamnese das A und O“, erläuterte Dr. Michael Strupp, Neurologische Klinik und Deutsches Schwindel- und Gleichgewichtszentrum am Klinikum der Universität München, am diesjährigen virtuellen Neuro-Update im März. Zunächst sollte der ABCD2-Score erhoben werden; eher für eine zentrale Genese sprechen dabei eine erstmalige Episode, die ohne Trigger akut auftritt, zentrale Begleitsymptome, eine Episodendauer von mehr als 60 Minuten, höheres Alter (> 60 Jahre) sowie kardiovaskuläre Risikofaktoren wie Hypertonus und Diabetes mellitus.

Fünf Zeichen


Die klinische Untersuchung fokussiert auf fünf zentrale Zeichen, die Strupp zufolge gezielt sondiert werden müssen: die Augenposition („skew deviation“), den zentralen Fixationsnystagmus (ein durch Fixation nicht unterdrückbarer Nystagmus ist nicht peripher), die Blickhaltefunktion (Blickrichtungsnystagmus entgegen dem Spontannystagmus), die Standfunktion (mit starker Lateropulsion) und die Funktion des vestibulo-okulären Reflexes (VOR) im Kopfimpulstest (HIT; ein normaler Test spricht nicht für eine periphere Ursache). „Ist eines dieser Zeichen pathologisch, ist eine zentrale Genese eher wahrscheinlich“, sagte Strupp.

Bessere Spezifität via Video-HIT


Die Aussagekraft des HIT zur Differenzierung peripher versus zentraler Schwindel ist stark abhängig von der Erfahrung des Untersuchers. Das zeigten Ohle et al. in einer Metaanalyse von fünf Studien mit 617 Teilnehmern (Acad Emerg Med 2020; 27:887–96) . Demnach erreichen „Notaufnahmeärzte“ lediglich eine Sensitivität von 83 Prozent und Spezifität von 44 Prozent – während Neurologen mit dem Test auf eine Sensitivität von 97 Prozent und Spezifität von 95 Prozent kommen. Idealerweise sollte anstelle des klinischen HIT der Video-HIT eingesetzt werden, der über eine weitaus bessere Spezifität verfügt (100 % versus 64  %; Machner B et al. Eur J Neurol 2020; doi: 10.111/ene.14707) .

Zu den peripheren vestibulären Syndromen, die vom Innenohr oder Gleichgewichtsnerv ausgehen, zählt die bilaterale Vestibulopathie. Therapeutisch stehen vier Maßnahmen im Vordergrund: Neben der Aufklärung des Patienten über die Funktion der Gleichgewichtsorgane und die gute Prognose der Erkrankung sollte eine Primärprophylaxe mit Restriktion ototoxischer Substanzen und Behandlung der Grundkrankheit erfolgen, sowie eine begleitende tägliche Physiotherapie mit Balancetraining.

Gute Daten: vestibuläres Implantat


Als neue Behandlungsoption ist ein vestibuläres Implantat in der klinischen Erprobung (Chow MR et al. N Engl J Med 2021;384:521–32) . Es verbessert die Funktion des VOR für die Bogengänge gerade im funktionell relevanten hohen Frequenzbereich sowie für die Otolithenorgane und bessert so die Balance und die dynamische Sehschärfe. Chow et al. konnten eine Verbesserung der Balance, des Gehvermögens und der Lebensqualität sechs und zwölf Monate nach Implantation zeigen. Allerdings verschlechterte sich das Hörvermögen auf der betroffenen Seite bei sechs von sieben Patienten.

Mit involvierten Kopfschmerzen


Die vestibuläre Migräne (VM) ist die häufigste Ursache für rezidivierende spontan auftretende Schwindelattacken bei Erwachsenen und bei Kindern. Hilfe bei der Unterscheidung von Migräne ohne vestibuläre Symptome könnte eine aktuelle Studie bieten (Wattiez AS et al. Headache 2020;60:1581–91) . So zeigten Wattiez et al., dass der Kopfschmerz bei VM signifikant häufiger okzipital auftritt (Odds Ratio: 3,5), später im Lebensverlauf beginnt und Bewegungskrankheiten beim Patienten selbst oder in der Familienanamnese häufiger sind. Eine spezifische prophylaktische Therapie der VM gibt es bislang nicht; hier seien randomisierte kontrollierte Studien dringend erforderlich, sagte Strupp.

In einer eigenen Studie zum Vergleich Metoprolol versus Placebo wurde ein deutlicher Placeboeffekt (50 %) und lediglich ein nicht signifikanter Trend zugunsten des Betablockers beobachtet (Bayer O et al. Trials 2019;20:813) .

Der Originalartikel „ Aktuelles vom Schwindel“ ist erschienen in „InFo Neurologie + Psychiatrie 4/2021“; DOI https://doi.org/10.1007 s15005- 021-1932-6 ©Springer Verlag

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Metadaten
Titel
Neurologie
Die Facetten des Schwindels
Publikationsdatum
01.05.2021
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 18/2021

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