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Erschienen in: Journal für Gynäkologische Endokrinologie/Schweiz 1/2022

Open Access 09.03.2022 | Der rätselhafte Fall

Hirsutismus in der Postmenopause

verfasst von: Dr. med. Angela Niggli, Dr. med. Mareike Roth-Hochreutener

Erschienen in: Journal für Gynäkologische Endokrinologie/Schweiz | Ausgabe 1/2022

Hinweise

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.

Fallbericht

Die 63-jährige, postmenopausale Patientin stellte sich nach Zuweisung aus der Adipositassprechstunde in der gynäkologisch-endokrinologischen Sprechstunde vor. Die Patientin war dort aufgrund eines Übergewichts mit einem BMI von 29 kg/m2 in Betreuung. Die Patientin konnte mithilfe des GLP-1-Agonisten Saxenda® (Novo Nordisk, Bagsværd, Dänemark) ihr Gewicht erfolgreich normalisieren. Im Rahmen einer endokrinologischen Basisabklärung fiel eine Hyperandrogenämie mit einem Testosteron von 6,42 nmol/l (Referenzbereich: 0,10–1,42 nmol/l) und einem Androstendion von 5,6 nmol/l (Referenzbereich: 0,5–4,9 nmol/l) bei normwertigem Kortisol, DHEAS und 17α-Hydroxyprogesteron auf. Zur Postmenopause passend waren die Gonadotropine wie das follikelstimulierende Hormon FSH mit >50 IE/l erhöht. Das Estradiol war für eine sich seit 23 Jahren in der Postmenopause befindende Patientin jedoch mit 86 pmol/l hoch.
Auf Nachfrage berichtete die Patientin von einem zunehmend störenden Hirsutismus vor allem an Kinn, Bauch und Beinen seit einem Jahr. Es bestand zudem eine progrediente androgenetische Alopezie vom weiblichen Typ, weshalb sie bereits 5 Jahre zuvor bei einem Dermatologen mit temporärer, lokaler Therapie mittels Minoxidil behandelt worden war. Ein Hormonstatus wurde damals nicht durchgeführt. Virilisierungserscheinungen wie eine Klitorishypertrophie oder Stimmveränderungen bestanden nicht. Eine exogene Androgen- oder Anabolikazufuhr verneinte die Patientin. Sie nahm einzig Rosuvastatin aufgrund einer Dyslipidämie sowie weiterhin Saxenda® zur Unterstützung der Gewichtsreduktion ein. Trotz der Gewichtsreduktion von 11 kg besserte sich die Hirsutismussymptomatik nicht.

Diagnostik

Klinisch zeigte sich ein modifizierter Hirsutismusscore nach Ferriman und Gallwey von 12. Nach laborchemischer Bestätigung der Hyperandrogenämie wurde eine MRI-Bildgebung der Nebennieren und des Beckens veranlasst. Hier zeigten sich schlanke Nebennieren und prominente Ovarien, jedoch ohne tumorsuspekte Raumforderungen. Auch transvaginalsonographisch imponierten die insgesamt morphologisch unauffälligen Ovarien beidseits für die Postmenopause vergrössert (Abb. 1).
Bei fehlenden anderweitig wegweisenden Befunden und Verdacht auf eine übermässige von den Ovarien ausgehende Androgenproduktion wurde die Indikation zur laparoskopischen Adnexektomie beidseits gestellt. Bei sonographisch zudem aufgebautem Endometrium von 8 mm wurde zeitgleich auch eine Hysteroskopie mit Kürettage durchgeführt. Die Operation verlief komplikationslos. Hysteroskopisch zeigte sich das Cavum uteri unauffällig mit einem atrophen Endometrium. In der diagnostischen Laparoskopie fielen feine Adhäsionen im gesamten kleinen Becken sowie die prominenten, aber ansonsten makroskopisch unauffälligen Ovarien auf. Das Kürettagematerial, die Adnexe sowie eine Douglas-Spülung wurden zur histopathologischen bzw. zytologischen Untersuchung eingesandt.

Des Rätsels Lösung

In der histologischen Aufarbeitung der Ovarien fanden sich eine Stromahyperplasie sowie eine Hyperthecosis ovarii beidseits ohne Anhaltspunkte für Malignität (Abb. 2). Die Beschwerden der Patientin können hierdurch erklärt werden. Die erfolgte bilaterale Adnexektomie war somit die entsprechende therapeutische Intervention. Im Kürettagematerial zeigten sich keine Malignitätszeichen, ebenso wenig in der Douglas-Spülung.
In der postoperativen Kontrolle nach 6 Wochen berichtete die Patientin von Wohlbefinden. Es konnte bereits eine leichte Besserung des Hirsutismus festgestellt werden. Der modifizierte Hirsutismusscore nach Ferriman und Gallwey betrug nun 7. Laborchemisch lagen die Androgenwerte mit einem Testosteron von 0,21 nmol/l und einem Androstendion von 2,3 nmol/l nun im Normbereich, sodass mit einer weiteren Regredienz des Hirsutismus und der androgenetischen Alopezie im Verlauf gerechnet werden kann. Das Estradiol lag postoperativ bei <18 pmol/l, das Endometrium zeigte sich transvaginalsonographisch schmal mit 3 mm.

Hyperthecosis ovarii – eine seltene Ursache der Hyperandrogenämie

Während die Hyperandrogenämie im Rahmen des polyzystischen Ovar-Syndroms (PCOS) ein sehr häufiges Phänomen darstellt, tritt eine Hyperandrogenämie in der Postmenopause nur selten auf und ist in der Regel anderen Ursachen zuzuordnen. Mögliche Differenzialdiagnosen sind adrenale oder ovarielle androgenproduzierende – möglicherweise auch maligne – Tumoren, eine Hyperprolaktinämie, ein Morbus Cushing, die kongenitale adrenale Hyperplasie oder aber die Hyperthecosis ovarii. Dabei sind die langsame Entwicklung der Symptome sowie der Symptombeginn in der Postmenopause für die Hyperthecosis ovarii typisch, während eine neu aufgetretene, sich rasch entwickelnde Virilisierung mit exzessiver Hyperandrogenämie bis zum Beweis des Gegenteils malignitätsverdächtig ist [1]. Vor einer ausgedehnten Diagnostik sollte immer die exogene Zufuhr von androgen wirkenden Substanzen inklusive bestimmter synthetischer Progesterone ausgeschlossen werden.
Die Hyperthecosis ovarii ist eine benigne, funktionelle Erkrankung der Ovarien, welche aufgrund einer Stromahyperplasie mit metabolisch aktiven, luteinisierten Thekazellen zu einer signifikant vermehrten Androgenausschüttung führt. Die Genese der Erkrankung ist unbekannt. Eine genetische Disposition und die Stimulation der Hormonproduktion durch Gonadotropine werden als Einflussfaktoren diskutiert. Eine Assoziation mit Adipositas, Hyperinsulinämie und Insulinresistenz ist bekannt [2].
Die Klinik der Hyperthecosis ovarii entspricht derjenigen einer Hyperandrogenämie im Sinne eines Hirsutismus und einer Alopezie, in schweren Fällen einer Virilisierung mit Stimmveränderung, Klitorishypertrophie sowie Maskulinisierung des Habitus [3].

Diagnostik und Therapie

Die Diagnostik der Hyperthecosis ovarii besteht zum einen in der laborchemischen Bestätigung einer schweren Hyperandrogenämie mit Testosteronspiegeln in der Regel über 5,2 nmol/l. Das androgene Hormon DHEAS zeigt sich vor allem bei adrenalen Pathologien erhöht. In der Bildgebung – Ultraschall und MRI – sind die Ovarien grösser als die für die Postmenopause üblichen 2,5 bis 3,5 cm3 darstellbar, zeigen aber keine vermehrten antralen Follikel, wie es für das PCOS charakteristisch ist. Mittels CT oder MRI lassen sich zudem Raumforderungen der Nebennieren und Ovarien mehrheitlich ausschliessen [4].
Als weitere Diagnostik wird das selektive venöse Sampling aus der V. ovarica und V. suprarenalis mittels interventioneller Radiologie beschrieben. Ziel ist die Demonstration unterschiedlicher Androgenkonzentrationen und somit Lokalisation der Hormonausschüttung. Dieses technisch anspruchsvolle Vorgehen führt selten zu einem diagnostischen Mehrwert gegenüber der oben genannten Routinediagnostik und wird daher im Alltag kaum angewendet [5]. Gleiches gilt für Dexamethasonsuppressionstests oder GnRH-Provokationstests zur Differenzierung zwischen ovariellen und adrenalen Pathologien.
Eine definitive Diagnosestellung der Hyperthecosis ovarii ist nur mittels histologischer Sicherung möglich. Die bilaterale Ovarektomie stellt neben dem diagnostischen Goldstandard auch die naheliegende Therapieoption der Wahl bei der postmenopausalen Patientin dar, sodass bei entsprechender Befundkonstellation die Operationsindikation gestellt werden sollte [2, 3]. Bei Inoperabilität der Patientin oder bei den seltenen prämenopausalen Patientinnen mit Wunsch nach Fertilitätserhalt kann eine Therapie mit GnRH-Agonisten in Betracht gezogen werden [6].
Aufgrund der peripheren Aromatisierung der Androgene in Östrogene ist die Hyperandrogenämie ein Risikofaktor für endometriale Polypen, Hyperplasien oder Malignome. Ein spezielles Augenmerk auf das Endometrium in der Sonographie ist bei betroffenen Patientinnen wie im Fallbeispiel daher zu empfehlen. Hierbei sollte grosszügig die Indikation zur histologischen Abklärung gestellt werden [7].

Fazit

  • Eine neu aufgetretene Hyperandrogenämie in der Postmenopause ist selten. Bei langsamer Entwicklung der Symptomatik ist die Hyperthecosis ovarii eine wichtige Differenzialdiagnose. Bei rascher Symptomentwicklung und exzessiver Hyperandrogenämie sollte eine maligne Neoplasie ausgeschlossen werden.
  • Eine sorgfältige laborchemische und bildgebende Abklärung ist notwendig. Therapie der Wahl bei V. a. Hyperthecosis ovarii in der Postmenopause ist die beidseitige Ovarektomie.
  • Aufgrund der Assoziation mit metabolischen Erkrankungen wie Adipositas und Diabetes mellitus ist eine entsprechende internistische Betreuung der betroffenen Patientinnen essenziell, insbesondere da nach einer Therapie normalisierte Androgenwerte nicht immer mit einer Verbesserung der metabolischen Situation einhergehen [8].
  • Ebenso besteht ein erhöhtes Risiko für Endometriumpathologien. Die Patientin und das Behandlungsteam sollten entsprechend sensibilisiert sein.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

A. Niggli und M. Roth-Hochreutener geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autorinnen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien. Für Bildmaterial oder anderweitige Angaben innerhalb des Manuskripts, über die Patienten zu identifizieren sind, liegt von ihnen und/oder ihren gesetzlichen Vertretern eine schriftliche Einwilligung vor.
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Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Literatur
1.
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Metadaten
Titel
Hirsutismus in der Postmenopause
verfasst von
Dr. med. Angela Niggli
Dr. med. Mareike Roth-Hochreutener
Publikationsdatum
09.03.2022
Verlag
Springer Vienna
Erschienen in
Journal für Gynäkologische Endokrinologie/Schweiz / Ausgabe 1/2022
Print ISSN: 1995-6924
Elektronische ISSN: 2520-8500
DOI
https://doi.org/10.1007/s41975-022-00235-1

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