Bispezifischer Antikörper verbessert Gesamtüberleben bei ALL

Die Daten der potenziell praxisverändernden Phase-III-Studie E1910 sind erstmals – und hochrangig – vollpubliziert worden. Demnach steigert die Addition von Blinatumomab die Effektivität einer Konsolidierungschemotherapie bei MRD-negativen Erkrankten mit B-Vorläufer-ALL. freshidea / stock.adobe.com × Selbst wenn sich bei Personen mit akuter lymphatischer Leukämie vom B-Vorläuferzell-Typ (B-Vorläufer-ALL) die Erkrankung durch eine Induktionschemotherapie soweit bekämpfen lässt, dass die Leukämie unter eine bestimmte Nachweisschwelle sinkt, erleiden viele Personen trotz dieser sogenannten MRD(„measurable residual disease“)-Negativität im Verlauf doch noch ein Rezidiv. Ein Team um Mark Litzow von der Mayo Clinic in Rochester, MN/USA, hat daher untersucht, ob sich die Schlagkraft chemotherapeutischer Ansätze noch steigern lässt, wenn man den bispezifischen T-Cell-Engager (BiTE) Blinatumomab zur Konsoliderungschemotherapie ergänzt. Dass das in der Tat der Fall ist, konnten sie in der Phase-III-Studie E1910 zeigen, an der Personen im Alter von 30 bis 70 Jahren teilgenommen hatten, bei denen eine BCR::ABL1-negative B-Vorläufer-ALL vorlag. Analysiert wurden die Daten von Personen, bei denen nach der Induktions- und Intensivierungschemotherapie eine MRD-negative Remission erreicht worden war (n=224). Bisher gab es zum letzten Sachstand aber nur eine knappe Konferenzpublikation.1 Nun hat das Team die Daten der dritten geplanten Interimsanalyse im New England Journal of Medicine vollpubliziert.2 Nach einem medianen Follow-up von 43 Monaten lagen die 3-Jahres-Raten für das Gesamtüberleben (primärer Endpunkt) bei 85% im experimentellen Arm (Chemotherapie plus Blinatumomab; n=112) und bei 68% im Kontrollarm (Chemotherapie allein; n=112). Das Risiko, im Beobachtungszeitraum zu versterben, fiel damit im Chemotherapie/Blinatumomab-Arm um fast 60% niedriger aus als im Kontrollarm (Hazard Ratio [HR]: 0,41; 95%-Konfidenzintervall 0,23–0,73; p=0,002). Ein ähnliches Bild zeigte sich beim rezidivfreien Überleben (RFS; sekundärer Endpunkt; 3-Jahres-RFS-Raten: 80% vs. 64%; HR: 0,53; 95%-KI 0,32–0,87). Auch in allen Subgruppenanalysen (etwa bezogen auf das molekulare Risiko oder die Intention, sich einer Stammzelltransplantation zu unterziehen) ergab sich ein Vorteil für die Addition von Blinatumomab. „Obwohl die Studie nicht für Subgruppenanalysen gepowered war, schienen Patienten unter 55 Jahren den größten Nutzen [von der Addition von Blinatumomab] zu haben“, schreiben Litzow und Kolleginnen und Kollegen in der Diskussion. Zu beachten ist, dass insbesondere neurologische oder psychiatrische unerwünschte AE der Grade 3-5 im Chemotherapie/Blinatumomab-Arm statistisch signifikant häufiger auftraten (23% vs. 5%; p<0,001). Implikationen der Studie für die Praxis Die E1910-Studie erweitert die Erkenntnislage zu Blinatumomab in der MRD-negativen Situation (bei MRD-Positivität lagen schon vor der E1910-Studie Erkenntnisse vor). „Die Zugabe von Blinatumomab zur Konsolidierungstherapie ist damit ein neuer Standard in der Behandlung der neu diagnostizierten, MRD-negativen B-ALL“, hatte sich Studienerstautor Litzow bereits auf der Jahrestagung 2022 der American Society of Hematology überzeugt gezeigt.2, 3 Die jetzt vorgelegte Vollpublikation stützt diese Einschätzung. In dieses Bild fügen sich tendenziell auch retrospektive Daten, die ein Team um Irene Urbino, Saint-Louis Hospital, Paris, Frankreich, aus ihrem Zentrum und einem weiteren im italienischen Turin kürzlich publiziert hat.4 Die Forschenden hatten sich die Verläufe bei 115 mit Blinatumomab behandelten B-Vorläufer-ALL-Erkrankten (darunter BCR::ABL1-negative und -positive Fälle) angesehen und danach unterschieden, wann die Blinatumomab-Therapie erfolgt war: In der ersten Komplettremission (CR1), in der zweiten CR (CR2; also nach rezidivierter oder refraktärer Erkrankung) oder direkt in der rezidivierten bzw. refraktären Situation. Auf dieser Basis kommen die Forscherinnen und Forscher unter anderem zu folgendem Schluss: „[Unsere] Studie legt nahe, dass eine Konsolidierung mit Blinatumomab einen starken Nutzen für Patientinnen und Patienten hat, die vor der Exposition gegenüber Blinatumomab ein vollständiges MRD-Ansprechen erreicht haben. In unserer Kohorte waren diese Patienten meist CR1-Patienten, die eine Toxizität gegenüber vorheriger Chemotherapie aufwiesen, oder CR2-Patienten mit günstigen Reaktionen auf die Salvage-Therapie.“ Zudem weisen Urbino und ihr Team auf einen aus ihrer Sicht sehr wichtigen Aspekt hin: „Es sollte betont werden, dass die signifikante Inzidenz von ZNS-Rückfällen, die in unserem Report heraussticht, die kritische Notwendigkeit einer angemessenen ZNS-Prophylaxe bei Patientinnen und Patienten, die mit Blinatumomab behandelt werden, unterstreicht.“ Blinatumomab noch früher einsetzen? Ein großer Teil von den 488 in die E1910-Studie aufgenommenen Patientinnen und Patienten wurde schlussendlich doch nicht randomisiert, da sich bei ihnen die Erkrankung durch die Induktionstherapie nicht stark genug zurückdrängen ließ. Voraussetzung dafür, um in die weiteren Studienabschnitte zu gelangen, war nämlich das Erreichen einer morphologischen Vollremission (CR) mit oder ohne vollständige hämatologische Erholung (CRi). Personen mit CR bzw. CRi (n = 333) unterzogen sich dann einer Intensivierungstherapie mit Hochdosis-Methotrexat und Pegaspargase, um einem ZNS-Befall vorzubeugen. Sobald sich das Blutbild der so Behandelten erholt hatte, wurde das Knochenmark untersucht (n = 286): Ließen sich hier durchflusszytometrisch weniger als 0,01% leukämische Zellen nachweisen, galten die Betroffenen als MRD-negativ und konnten für die Konsolidierungstherapie mit oder ohne Blinatumomab randomisiert werden (n=224). Weil es viele Erkrankte in der Studie gar nicht bis zu diesem Punkt geschafft hatten (auch aufgrund von Rezidiven und Toxizitäten), stellt sich die Frage, ob Blinatumomab früher im Krankheitsverlauf eingesetzt werden sollte. Dazu laufen derzeit bereits Studien, zum Beispiel die Golden Gate Study.5 Stichwort Blinatumomab Blinatumomab ist ein bispezifischer Antikörper, der einerseits an CD19 auf Leukämiezellen bindet und andererseits an CD3 auf T-Zellen. Damit lässt der sogenannte BiTE eine immunologische Synapse entstehen, die zur Lyse der Leukämiezellen führt. Stand August 2024 ist Blinatumomab in der Europäischen Union in verschiedenen Indikationen bei B-Vorläufer-ALL bei Kindern und Erwachsenen zugelassen. Die Zulassung in der MRD-negativen Situation zur Konsolidierungstherapie nach CR1 gehört bisher nicht dazu.6 Referenzen: 1Litzow MR et al.: Consolidation Therapy with Blinatumomab Improves Overall Survival in Newly Diagnosed Adult Patients with B-Lineage Acute Lymphoblastic Leukemia in Measurable Residual Disease Negative Remission: Results from the ECOG-ACRIN E1910 Randomized Phase III National Cooperative Clinical Trials Network Trial. Blood 2022; 140(Supll_2): LBA-1 2Litzow MR et al.: Blinatumomab for MRD-Negative Acute Lymphoblastic Leukemia in Adults. N Engl J Med 2024; 391(4): 320-333 3Wedekind S. Neuer Therapiestandard bei MRD-negativer B-ALL: Konsolidierung mit Blinatumomab. Im Fokus Onkol 2023; 26(1): 28-29 4Urbino I et al.: Blinatumomab consolidation for adult B-cell acute lymphoblastic leukemia in first and second complete remission. Blood Adv 2024; 8(10): 2405-9 5Jabbour E et al.: Blinatumomab Alternating With Low-Intensity Chemotherapy (CT) Treatment for Older Adults With Newly Diagnosed Philadelphia (Ph)-Negative B-Cell Precursor Acute Lymphoblastic Leukemia (BCP-ALL) is Well Tolerated and Efficacious: Safety Run-In Results for the Phase 3 Randomized Controlled Golden Gate Study. Blood 2022; 140 (Suppl_1): 6134–6 6https://www.ema.europa.eu/de/documents/product-information/blincyto-epar-product-information_de.pdf Quelle: springermedizin.de

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