Skip to main content
Ärzte Woche

22.08.2022 | Gynäkologie und Geburtshilfe

Verdachtsdiagnose: chronische Unbekanntheit

verfasst von: Katja Uccusic-Indra

print
DRUCKEN
insite
SUCHEN

Um Endometriose zu diagnostizieren, genügt bei drei Viertel der Patientinnen ein Ultraschall. Eine Operation ist nicht nötig. Dennoch ist die Krankheit kaum bekannt, wie der Grünen- Gesundheitssprecher freimütig bestätigt.

Nach Angaben der World Health Organization (WHO) leiden weltweit etwa 190 Millionen Frauen und Mädchen im gebärfähigen Alter an Endometriose. Jede zehnte Frau in Österreich ist betroffen, und doch ist die Krankheit relativ unbekannt. Das soll sich schleunigst ändern.

Es handelt sich bei Endometriose um ein chronisches Leiden, bei dem Gebärmutterschleimhaut-ähnliches Gewebe außerhalb der Gebärmutter wächst, blutet, sich entzündet und dadurch starke Schmerzen hervorrufen kann. Weitere Symptome sind Kopfweh, Fieber, Erschöpfung sowie Ohnmacht bis hin zu Unfruchtbarkeit und Organschäden. Die Krankheit ist nicht heilbar.

Mag. Meri Disoski, Frauen- und Gleichstellungssprecherin der Grünen, ist der Ansicht, dass „hier politisch nicht hingeschaut wurde, unter anderem, weil Frauen in der Medizin als ,kleine Männer‘ abgetan werden, weshalb die Versorgung im Hinblick auf Endometriose und all ihre Begleiterscheinungen in Österreich mangelhaft ist.“

Prof. Dr. René Wenzl, Leiter der Endometriose-Ambulanz im AKH, setzt sich seit Jahren dafür ein, die Krankheit bekannter zu machen. Heuer hat er beispielsweise in der Ärztekammer einen Vortrag gehalten, bei dem neben Gynäkologinnen auch zahlreiche praktische Ärzte und Gastroenterologen teilnahmen. „Es gibt genügend Zentren, die das ausreichend gut behandeln. Wir sensibilisieren unsere Kolleginnen und Kollegen, Gastroenterologen, Urologen und Thoraxchirurgen, dass sie sich an uns wenden können, wenn jemand Symptome hat. Je weiter man das spreadet, desto mehr Vorteile hat es für die Patientinnen.“

Es sei problematisch, sagt Wenzl, dass zu wenig Forschungsgelder zur Verfügung gestellt werden, auch weil die Erkrankung zwar schmerzhaft und unangenehm, aber nicht lebensbedrohlich ist.

Ralph Schallmeiner, der Gesundheitssprecher der Grünen, möchte auf allen Ebenen ein Bewusstsein für Endometriose schaffen – in der breiten Öffentlichkeit und in der Fachwelt. Ihm selbst war das Thema bis vor Kurzem ebenfalls unbekannt. „Es braucht politischen Willen. Diesen haben wir“, sagt Schallmeiner. Fazit: Der Fokus müsse auf die „breitflächige Sichtbarmachung“ dieses sogenannten „Chamäleons der gynäkologischen Erkrankungen“ gelegt werden, damit auch Allgemeinmediziner und Schulärzte und andere im medizinischen Bereich tätige Personen das Leiden eher erkennen, meint Schallmeiner. Experte Wenzl ist auch der Ansicht, dass die Krankheit nicht nur mehr beachtet gehört: „Es reicht nicht, nur zu sensibilisieren, man muss auch etwas tun. Je mehr Personen davon wissen, auch im Freundeskreis, desto früher wird die Diagnose gestellt werden.“ Ein Lichtblick sind die vereinfachten Diagnose-Methoden. „Früher war Endometriose wirklich schwer zu diagnostizieren, weil man eine OP gebraucht hat, um diese festzustellen. Da war man natürlich sehr zurückhaltend. Bei drei Viertel der Patientinnen reicht heute ein Ultraschall zur Diagnose“, erklärt Wenzl.

„Man muss sich trauen, über diese Beschwerden zu reden“

In Frankreich wurde Endometriose zur Chefsache erklärt. Von so viel Interesse an „seiner“ Krankheit kann René Wenzl hierzulande nur träumen.

© MUW/Matern

Ärzte Woche: Wie wird Endometriose diagnostiziert?
Wenzl: Früher mit einer Bauchspiegelung. Es gibt vier unterschiedliche Formen, drei davon kann man mit Ultraschall oder MRT erkennen. Die peritoneale Form muss noch immer mithilfe einer Bauchspiegelung diagnostiziert werden, wobei man Endometriose bei der OP nicht nur feststellt, sondern gleich therapiert. Eine OP, nur um die Diagnose zu stellen, ist Schnee von gestern.

Ärzte Woche: Stimmt es, dass viele Ärzte Endometriose nicht kennen?
Wenzl: Es ist schwierig zu sagen, sie kennen sie nicht, aber man könnte sie besser kennen. Ich glaube, die Krankheit gehört mehr beachtet.

Ärzte Woche: Bei einer Pressekonferenz der Grünen zu diesem Thema wurde eine Sichtbarmachung im medizinischen Bereich gefordert.
Wenzl: Das ist sicher sinnvoll, wir machen das auch. Ich habe vor einem dreiviertel Jahr ein Ärztekammer-Seminar geführt, bei dem nicht nur Gynäkologinnen, sondern auch praktische Ärzte und Gastroenterologen und fachverwandte Kolleginnen waren. Wir setzen hier Initiativen, aber wenn das noch breiter gesetzt wird, ist das sicher gut. Man muss es aber auch über die potenziell Betroffenen und deren Partner spielen. Der französische Präsident Emmanuel Macron macht das, er hat Endometriose zu einer nationalen Erkrankung erklärt. Es reicht nicht nur zu sensibilisieren, sondern man muss auch in weiterer Folge etwas tun. Je mehr Personen, auch im Freundeskreis, davon wissen, desto früher wird die Diagnose gestellt.


Ärzte Woche: Warum dauert es heute noch so lange - durchschnittlich acht Jahre - bis zur richtigen Diagnose?
Wenzl: Das stimmt so nicht mehr. Die Daten sind 15 bis 20 Jahre alt. Es ist sicher schon viel besser, wobei es keine aktuelle Erhebung gibt. Je mehr von offizieller Seite, aber auch von den Medien gemacht wird, desto besser ist es. Es gibt zwei gute Filme zu diesem Thema, der eine heißt „Nicht die Regel“, ist im Kino gelaufen, der andere „Hysterical Sisters“., Beide sind persönliche Initiativen von Betroffenen und im Internet zu finden.

Ärzte Woche: Zum Gender Pain Gap: Wird Endometriose nicht so beachtet, weil es eine Frauenkrankheit ist?
Wenzl: Nein, das glaube ich nicht. Es ist sicher keine vom Gender abhängige Negierung. Es ist eine sehr komplexe Krankheit, die aber immer besser erfasst wird. Wir haben komplexere, bessere Therapieformen. Man muss sich aber trauen, über diese Beschwerden zu reden.

Ärzte Woche: Weiß man heute, was die Ursachen der Krankheit sind?
Wenzl: Man weiß es nicht genau. Es gibt verschiedene Theorien, die alle ein Hinkebein haben. Am wahrscheinlichsten ist, dass das Ausscheiden von Blut in den Bauchraum für die Symptome verantwortlich ist, aber das erklärt nicht alle Formen der Erkrankung. Heute vermuten wir, dass die Epigenetik eine wesentliche Rolle spielt. Gene werden dabei individuell an- oder abgeschaltet und somit kann die unterschiedliche Aktivität dieser Areale unserer Erbmasse das Entstehen von Endometriose begünstigen.

Ärzte Woche: Endometriose geht oft mit Unfruchtbarkeit einher. Was können Betroffene mit Kinderwunsch tun?
Wenzl: Ohne aktuellen Kinderwunsch im Prinzip vorerst zuwarten. Wir wissen nicht, ob eine prophylaktische Therapie einen zukünftigen Kinderwunsch verbessern kann. Wenn der geeignete Partner da ist und der Kinderwunsch wirklich aktuell ist, vorerst eine Spontanschwangerschaft anstreben.
Klappt das abhängig vom Alter des Paares innerhalb von sechs Monaten nicht, dann setzen wir eine Kinderwunschbehandlung ein.

Ärzte Woche: Gibt es genügend Forschungsfinanzierung in diesem Bereich?
Wenzl: Nein, sowohl von offizieller Stelle als auch von den Firmen ist relativ wenig Interesse da. Wir haben gerade selbst eine Studie beendet, wo Kurkuma – Gelbwurz – als potenzielles Therapeutikum verwendet wird. Wir haben die Studie bei einer offiziellen Forschungsförderungsstätte eingereicht und leider nichts bekommen. Wir sind fast gescheitert, weil wir keine Subventionen bekommen haben.
Wir versuchen es auch mit Grünteeextrakt, aber da muss man schon betteln gehen, damit man eine Förderung bekommt. Das ist traurig. Die meisten Firmen, die Nahrungsergänzungsmittel produzieren, können ihre Produkte offensichtlich gut verkaufen und sind an validen Studien nicht vorrangig interessiert.
Onkologische Projekte werden gefördert, aber eine gutartige Erkrankung, die wehtut und massiv das Leben beeinträchtigt wie Endometriose, ist nicht so im Fokus. Alles, was nicht das Leben direkt bedroht, ist nicht so interessant.

print
DRUCKEN
Metadaten
Titel
Verdachtsdiagnose: chronische Unbekanntheit
Publikationsdatum
22.08.2022
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 34/2022

Weitere Artikel der Ausgabe 34/2022