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Ärzte Woche

13.12.2021

Goldene Jahre in Jaffa

verfasst von: Katja Uccusic-Indra

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Die Autorin Nadine Sayegh entstammt einer Familie Vertriebener. In „Orangen aus Jaffa“ schildert sie ihre Familiengeschichte vor 1948. Sie weiß: Die Bürger des alten Palästina hatten nichts mit Attentaten oder Sprengstoffgürteln zu tun.

Warum hast du dieses Buch geschrieben?

Nadine Sayegh: Ich hatte den Eindruck, dass es eine wichtige Geschichte ist, weil man über den wahren Ursprung dieses Konflikts, der so oft im Radio und im Fernsehen vorkommt, nichts weiß, auch weil das Thema in der Schule nicht unterrichtet wird – zumindest nicht in Österreich. Ich habe in meiner Schulzeit kaum etwas davon mitbekommen. Ich weiß aber, was dort los war, weil ich aus dieser Gegend komme. Ich habe meine Freunde, die gleichzeitig mit mir maturiert haben gefragt, ob sie etwas über diesen Konflikt wissen und alle haben nein gesagt. Vor ein paar Jahren habe ich mir gedacht, wenn ich diese Geschichte nicht aus meiner Perspektive schreibe, ist sicher etwas verloren. Die Zeitzeugen sind schon so alt. Leute, die diese Zeit erlebt haben, sind weit über achtzig. Wenn die einmal nicht mehr sind, gibt es niemanden mehr, der darüber berichten kann.

Eine andere Triebfeder war, dass ich mir als Mädchen und junge Frau schwer mit meiner eigenen Identität als Palästinenserin getan habe. Es war für mich immer leichter zu sagen, ich bin im Libanon geboren, auf das Libanesische zu insistieren als zu sagen, ich bin eine Palästinenserin. Wenn man erzählt hat, man ist Palästinenserin, waren die Assoziationen immer negativ: Sprengstoffgürtel, Tränengas, Steinwurf. Für mich als junger Mensch war es schwierig, mir diese Identität aufzubürden. Mit der Zeit hat sich meine Persönlichkeit gefestigt und ich habe das leichter ausgehalten. Ich habe gesehen, dass, obwohl es viele Bestrebungen gegeben hat, Frieden in diese Gegend zu bekommen, nichts gefruchtet hat. Es sind immer mehr Diktatoren an die Macht gekommen, die das Ganze noch schlimmer gemacht haben. Es gibt kaum Informationen, die diesen Konflikt beschreiben und keine Informationen über das Palästina vor 1948. Mein Vater Nicolas hat uns diese Geschichten im Wien der achtziger Jahre zum Einschlafen erzählt, als wir kleine Kinder waren. Wie er in Jaffa mit seinen Freunden herumgestreunt ist – Lausbubengeschichten wie Tom Sawyer in Palästina. Er hat vom Leben seiner Familie, bürgerliche, christliche Palästinenser, berichtet. Diese Geschichten sind nicht nur auf unsere Familie reduziert. Es gab eine breite bürgerliche Schicht in Jaffa, die so gelebt hat. Das war die Alltagskultur. Dieser Teil der Geschichte wurde völlig ausgelöscht, als das alles 1948 ein jähes Ende gefunden hat.

Die Identität der Palästinenser, die wie Europäer gelebt haben, ist einfach ersetzt worden: Sie wurden zu Menschen, die sich nur noch über Gewalt – Sprengstoffgürtel, Selbstmordattentate, Palästinenserschal, Demonstrationen – ausdrücken.

Wie hat die Familie deines Vaters nach der Flucht in Beirut gelebt?

Sayegh: Es war sehr schwierig. Mein Großvater war damals Mitte fünfzig, meine Großmutter Mitte dreißig. Mein Großvater hat die Vertreibung nie verwunden, es hat ihn gebrochen. Er war nicht in der Lage, in Beirut einen Job zu finden. Die Familie lebte zwei Jahre in Hotels, teilweise im Libanon, teilweise in Jordanien, immer in anderen Städten. Sie lebten mit der Erwartung, dass sie zurück nach Jaffa können. Sie haben nicht verstanden, dass es ein „point of no return“ war. Aus zwei Wochen wurden zwei Monate, und aus zwei Monaten wurden zwei Jahre. Das Geld der Familie, das in Orangenplantagen, Zinshäusern und Fabriken investiert war, war enden wollend.

Wie ging das Leben deines Vaters weiter?

Sayegh: Später hat mein Vater für die UNRWA ( Anm.: Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten ) gearbeitet. Diese Organisation wurde 1949 gegründet, weil es auf einmal viele palästinensische Flüchtlinge gab, die man ernähren musste. Diese Organisation ist die erfolgreichste der UNO, weil sie das Leben von fünf bis sechs Millionen Palästinensern verwaltet. Das du heute mit mir sprichst, hat damit zu tun, dass diese Organisation meinem Vater in Beirut Arbeit gegeben hat und ein Studium der Statistik an der American University in Beirut ermöglicht hat. Als Krieg im Libanon war, hat Bruno Kreisky Gott sei dank gesagt: „Kommt nach Wien! Wir haben hier die UNO City.“ Meine Familie ist nach Wien gezogen, ich ging hier in die Schule und studierte.

Hat dein Vater den Menschen verziehen, die für die Vertreibung verantwortlich waren?

Sayegh: Ich glaube, dass mein Vater dieses Kapitel für sich abgeschlossen hat. Er ist weit über achtzig, aber ich denke, dass er nicht vergessen hat. Ich kann dir nicht sagen, ob er verziehen hat. Er kann seine Wut nicht gegen gewisse Personen richten, aber er hat natürlich eine bestimmte Meinung zur Politik in dieser Gegend. Er hat sich weitgehend mit der Situation abgefunden, sein Leben ist woanders passiert und in ruhigen Bahnen verlaufen. Die UNRWA hat für unsere Familie einen Riesen-Beitrag geleistet und ich glaube, dass es ihm viel Zufriedenheit gegeben hat, dass er selbst 40 Jahre für diese Organisation gearbeitet hat.

Wie war das Gefühl, als ihr vor dem ehemaligen Haus eurer Familie in Jaffa gestanden seid?

Sayegh: Mein Sohn Benni ist damals mitgekommen, er war zufällig genau 12 Jahre alt, dasselbe Alter, das mein Vater hatte, als er flüchten musste. Ich wollte Material für das Buch sammeln und die Generation über mir und unter mir mitnehmen. Ich weiß noch, wir saßen im Taxi und fuhren den Hügel hinauf und Benni sagte plötzlich: „Ich muss aussteigen, mir ist schlecht.“ Diese Angespanntheit von meinem Vater und mir hat sich in ihm widergespiegelt. Wir sind ausgestiegen, dann wieder eingestiegen. Wir wussten nicht, was uns erwartet. Treffen wir auf jemanden, der die Tür aufmacht? Wohnt da ein Palästinenser oder ein Israeli? Wir wussten von Vorfällen, bei denen Israelis Palästinenser davon gescheucht und gesagt haben: „Go away, this is not your house anymore.“ Ich wusste, ich bin die, die das aushalten muss, denn ich habe zwei fragile Personen dabei, einen alten Mann und ein Kind. In dem Haus wohnte ein palästinensischer Rechtsanwalt. Er hat uns durchs Haus geführt und war sehr nett. Der Anwalt hat uns das Konzept des verlassenen Eigentums erklärt. Wir haben erzählt, das wir aus Wien kommen, wo es Restitutionsverfahren für Menschen, die während des Zweiten Weltkriegs vertrieben wurden, gibt. Der Anwalt hat gefragt, wohin mein Vater geflüchtet ist. Mein Vater hat gesagt: In den Libanon. Da hat der Mann nur gelacht und gesagt: Das war’s. Weil der Libanon ein Feind Israels ist. ´

Die Familie meines Vaters wusste damals nicht, wo das Schiff, mit dem sie geflüchtet sind, hinfährt. Sie wollten nach Ägypten, aber das Schiff kam nie. Ich glaube, die Häuser gehören jetzt dem Staat und nach der heutigen Gesetzgebung bekommt man sie nicht zurück.

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Metadaten
Titel
Goldene Jahre in Jaffa
Publikationsdatum
13.12.2021
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 50-52/2021

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