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Ärzte Woche

19.01.2022 | Gesundheitspolitik

Wissen, das zu den Menschen vordringt

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Gesundheitskompetenz ist ein Schlagwort, das seit zwei Jahren mit Inhalt gefüllt wird. Entscheidungen, die man in Friedenszeiten vor sich her schiebt - seit dem Ausbruch der Pandemie müssen sie tagtäglich getroffen werden.

„Die Pandemie gemeistert, die Krise bekämpft“, hieß es im Sommer 2020 auf einem ÖVP-Plakat. Eine Delta- und eine Omikron-Variante später wird deutlich, das war vorschnell oder „übermotiviert“, wie die „Kleine Zeitung“ urteilte. Man kann es auch so sagen: „Das Licht am Ende des Tunnels kann manchmal auch ein entgegenkommender Zug sein.“ Das sagte Wolfgang Kaps, Geschäftsführer von Sanofi Österreich und Schweiz, anlässlich der Präsentation des 13. Gesundheitsjahrbuchs. Ziel der Initiative ist die Steigerung der Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung – und bei dem einen oder anderen ihrer politischen Repräsentanten. Das Zusammenspiel von Wissen und Verhalten „fängt in normalen Zeiten mit diesen Fragen an: Wie viel trinke ich, wie viel rauche ich, wie viel esse ich, wie viel bewege ich mich? Das sind übrigens Faktoren, die eine Rolle spielen beim Risiko, wie schwer man an COVID-19 erkrankt: Fettleibigkeit, Raucherverhalten“, sagt Rolf Gleißner, Leiter der Abteilung für Sozialpolitik und Gesundheit in der Wirtschaftskammer Österreich. Aber auch in der Pandemie spielen Fragen der Gesundheitskompetenz eine zentrale Rolle: Lasse ich mich durch Fakten von der Notwendigkeit überzeugen, mich impfen zu lassen, oder braucht es eine gesetzliche Pflicht? Wie streng müssen Maßnahmen kontrolliert werden, um Kontakte und Infektionen zu reduzieren? Oder kann man auf Eigenverantwortung setzen, wie das die Schweden gemacht haben? Fragen wie diese prasseln täglich auf uns ein, jeder ist aufgefordert, darauf Antworten zu finden. „Ganz abgesehen davon, dass man sehr gesundheitskompetent sein muss, um alle zwei Wochen eine neue Verordnung zu verdauen“, sagt Gleißner als Jurist und erst recht als „einfacher“ Bürger.

Martin Krenek-Burger

Politiker und Behörden haben nur geringe Glaubwürdigkeit


„Wir müssen vom Reden ins Handeln kommen. Es geht in der Umweltmedizin nicht nur um die Wissenschaft, sondern auch um die Umsetzung des von uns generierten Wissens in die Praxis. Das kann nur funktionieren, wenn bestimmte Handlungen erfolgreich vermittelt werden. Das Ziel ist klar: möglichst viele gesunde Lebensjahre. Das kann aber nur funktionieren, wenn die Gesundheitsinformationen richtig verstanden und beurteilt und letztendlich auch genützt werden. Wissenschaft soll ja nicht im Nirwana enden, das wäre der falsche Ansatz.

Bei COVID-19 wird versucht, ein gewisses Risiko zu vermitteln, nämlich die Wahrscheinlichkeit, dass eine Gesundheitsstörung aufgrund einer Exposition auftritt. Grundlage dafür ist eine wissenschaftliche Risikoabschätzung. Nun ist aber die Frage: Wie wird diese Risikokommunikation in der Bevölkerung wahrgenommen, und in welche Richtung geht die öffentliche Beurteilung – ins Handeln, ins Nicht-Handeln, oder gibt es Mischformen? Die öffentliche Wahrnehmung ist trügerisch, subjektiv geprägt, was häufig zu einer Risiko-Überschätzung bzw. -unterschätzung führt.

Das Ziel der Umweltmedizin ist hingegen die Förderung umsichtigen Handeln. Wir wollen nicht, dass verharmlost wird. Genauso wenig wollen wir, dass es zu Hysterie kommt, zu übersteigerten Ängsten. Risiken zu kommunizieren ist in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten durch die Nutzung der Sozialen Medien deutlich schwieriger geworden. Beim Coronavirus ist es so: Milliarden Einträge in Sozialen Medien machen das Geschäft der Informationsvermittlung nicht gerade leicht. Die Nutzer messen bestimmten Quellen eine unterschiedliche Glaubwürdigkeit bei. Die Politik, die Behörden und der Journalismus gelten pauschal als wenig glaubwürdig, während NGOs in puncto Redlichkeit ganz oben rangieren. Wenn Global 2000 oder Greenpeace etwas sagen, hat das hohe Glaubwürdigkeit, obwohl auch nicht immer stimmt, was diese Organisationen äußern. Das Ziel bleibt das gleiche: Ausgewogenheit. Wir wollen vermeiden, dass es eine Gruppe gibt, die starke Befürchtungen hegt, aber auch die andere Gruppe, die wirre Dinge von sich gibt, will man nicht vergrößern.“

Prof. PD DI Dr. Hans-Peter Hutter, Abt. für Umwelthygiene und Umweltmedizin (stv. Leiter), Zentrum für Public Health

Mangel anpraktischer Aufklärung

„Meine Arbeit hat sich sehr verändert, insofern, als sich die Menschen mit ganz neuen Themen an mich wenden. Eine typische Frage ist: Die Mutter müsste dringend operiert werden, kriegt jetzt aber keinen Termin, was sollen wir tun?

Der Stress ist sehr groß, noch dazu, wo sich derzeit viele Menschen scheuen, überhaupt eine Gesundheitseinrichtung aufzusuchen, weil sie Angst haben, sich anzustecken. Wenn wir von Gesundheitskompetenz sprechen, möchte ich erwähnen, dass diese in erster Linie eine Bringschuld der Gesundheitspolitik ist. Wer meint, dass es genügt, über den ORF und über andere Kanäle diffuse Informationen zu verbreiten, täuscht sich. Das wird nicht funktionieren. Damit überlässt man die Bühne jenen, die nicht im besten Interesse der Patienten handeln.

Die pandemiebedingten Neuerungen im E-HealthBereich sind unterschiedlich gut angenommen worden. Wir wissen von vielen niedergelassenen Ordinationen, die sich den elektronischen Verschreibungen widersetzt haben. Besonders schwierig ist es für ältere Patienten, die keinen Computer haben und mit dem Handy höchstens telefonieren. Remote-Konsultationen sind ganz bestimmt ein Vorteil für Patienten, weil man nicht mehr wegen jeder Kleinigkeit ins Spital oder in die Ordination laufen muss.

Ich habe vor Kurzem einen Schulsprecher getroffen, der meinte, es mangle an den Schulen an praktischer Aufklärung, was im Fall einer Infektion zu tun sei. Für die gesamte Bevölkerung wünsche ich mir simple Aufklärungsfolder in allen Sprachen, die bei uns gesprochen werden, wo die Menschen erfahren, wie man eine Maske richtig trägt, was Aerosolübertragung bedeutet und warum es keine gute Idee ist, eine Liftkabine zu betreten. Das ist Handlungsorientierung. Die Menschen erleben sich selbstbestimmt, wenn sie wissen, was sie tun können. Die Politiker sind Legion, die angekündigt haben, dass wir das Gröbste bald überstanden haben. Das hat sich als nicht valide herausgestellt.“

Dr. Sigrid Pilz, Wiener Pflege- und Patientenanwältin

In Österreich wird viel zu wenig differenziert


„Wir lernen jeden Tag hinzu. Eines unserer größten Probleme ist die Dynamik der Pandemie. Wir können vieles nicht voraussagen, sollten das aber den Menschen viel offener kommunizieren. Man sollte jetzt schon diskutieren, dass wir zwar jetzt die 3. Impfung empfehlen, aber wahrscheinlich weitere Impfungen benötigen. Das sind kleine Informationen, die uns gut täten. Ich selber bin davon überzeugt, dass uns das Thema Corona über Jahre erhalten bleiben wird. Wir haben es mit einer neuen Situation zu tun, man sollte den Mut haben, der Bevölkerung mitzuteilen, dass wir viele Dinge nicht wissen und dass wir eigentlich immer einen Schritt hinterherhinken. Wir schauen jetzt auf die USA oder auch Israel und warten hoffnungsvoll auf deren Daten zur 4. Impfung. Danach werden wir reagieren. Man muss kommunizieren, dass wir noch nicht wissen, wie viele Impfungen wir letztendlich benötigen werden.

Ich erlebe, dass manche Menschen Schwierigkeiten haben, den Wert der Impfung oder die Krankheit an sich anzuerkennen. Das wundert mich aber ehrlich gesagt nicht. Das was medial derzeit abgeht und was sich in den Sozialen Medien abspielt, führt zu einer Verunsicherung, gerade wenn Menschen nicht sicher sind, was sie tun sollen. Ich glaube, dass wir in Österreich zu wenig unterscheiden, wir haben zu viele Fachmeinungen, transportieren aber zu wenig, dass nicht alle Fachmeinungen auch für das Coronavirus relevant sind. Ich ziehe als Beispiel die Aerosolforschung heran. Deren Erkenntnisse lassen sich nicht automatisch auf COVID-19 umlegen. Wir müssten alle Fachmeinungen an einen Tisch bringen und herausarbeiten, was klinisch relevant ist und was nicht.

Meine persönliche Meinung zu den Impfskeptikern ist, dass viele von ihnen in Wahrheit mit der politischen Gesamtsituation und dem Pandemie-Management unzufrieden sind. Man kann nie alle in ein Boot holen. Wenn es uns gelingen soll, von dem Drittel an Impfskeptikern ein paar Prozent herüberzuziehen, dann nur durch fach- und sachgerechte Aufklärung. Dazu gehört, dass man auf die Punkte eingeht, die von den Kritikern angeführt werden. Medizin ist weder weiß noch schwarz, häufig ist sie grau.“

Prof. Dr. Cornelia Lass-Flörl, Direktorin des Instituts für Hygiene und Medizinische Mikrobiologie, Medizinische Universität Innsbruck


Metadaten
Titel
Wissen, das zu den Menschen vordringt
Schlagwort
Gesundheitspolitik
Publikationsdatum
19.01.2022
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 3/2022

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