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Ärzte Woche

25.06.2018 | Gesundheitspolitik

Wie konnte das nur passieren?

verfasst von: Martin Krenek-Burger

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Fehler passieren in jedem Spital und in jedem Pflegeheim. Der Umgang mit diesen habe sich hierzulande stark gebessert, sagen Vertreter des heimischen Expertennetzwerks für Patientensicherheit.

43 Millionen Schadensfälle ereignen sich laut WHO jährlich weltweit im Gesundheitswesen. 28,6 Millionen sind auf menschliches Versagen zurückzuführen. Im Unterschied zu früher steht heute weniger die Suche nach Sündenböcken, Mitarbeiter und Medien, die die schlechte Kunde in die Welt tragen, im Fokus. Vielmehr versucht man die Lehren zu ziehen. Aktuelles Beispiel: eine Medikamentenverwechslung im Spital Kirchdorf an der Krems führte zum Tod eines 61-jährigen Patienten, der mit Vorhofflimmern eingeliefert woden war. Was war passiert? Ein Pfleger hatte eine falsche Infusion verabreicht, er soll sie laut Bericht mit einer anderen Infusion verwechselt haben, weil sie in einer falschen Lade eingeordnet war und er das Etikett nicht mehr kontrolliert hat.

Dass Mauern und Abblocken sowie auf „die bösen Medien“ schimpfen in Fällen wie diesen nicht der Weisheit letzter Schluss sind, ist den leitenden Ärzten und Pflegedirektoren klar, ansonsten hätten sie nicht die Plattform Patientensicherheit gegründet. Diese besteht immerhin schon seit zehn Jahren. Den Kulturwandel und habe einen Kulturwandel eingeleitet, sagt die Präsidentin Brigitte Ettl. Der ist nicht zu leugnen. So hat der oberösterreichische Spitalsträger gespag hat nach dem tragischen Vorfall seine internen Abläufe umgestellt, um Verwechslungen künftig zu vermeiden.

Bei einer Veranstaltung für Journalisten wurde auch klar, dass gewisse Tabus weiter bestehen. Zu wie vielen Todesfällen es nach Kunstfehlern kommt, weiß man nicht. Plattform-Managerin Kletecka-Pulker deutete an, dass man mit einer besseren Datenlage das eigene Anliegen öffentlichkeitswirksamer vertreten könnte. Nach dem Vorbild schwedischer Verkehrspolitik: „zero deaths by 2020“.

Von der Droh- zur Sicherheitskultur

Dr. Brigitte Ettl, Präsidentin der Österreichischen Plattform Patientensicherheit, ärztliche Direktorin am KH Hietzing:

„Wenn früher auf einer Abteilung in einem Spital etwas passiert ist, dann hat man den Schuldigen gesucht und bestraft, das ging je nach Schweregrad der Verfehlung bis zur Entlassung. Die Organisation selber war damit ,weiß’, sie hatte eine Aktivität gesetzt und nach außen hin war alles in Ordnung. Dahinter steckte eine Drohkultur. Diese hat dazu geführt, dass wenn Schäden eingetreten oder Fehler passiert sind, diese klein gehalten wurden. Der Vorfall hat die Grenzen der einzelnen Abteilung üblicherweise nicht überschritten. Die Information darüber erreichte maximal den Abteilungsvorstand. Dadurch konnte man aus diesen negativen Ereignissen auch keine Erfahrungswerte ziehen.

Heute ist es so, dass Zwischenfälle oder Beobachtungen offen angesprochen werden, dass die Fehler über die Grenze der Abteilung hinaus kommuniziert werden. Dadurch bekomme ich als ärztliche Direktorin die Berichte auf den Schreibtisch und kann entscheiden, ob dieser Vorfall oder dieser Beinahe-Fehler nur in dieser Abteilung passieren kann oder ob so etwas woanders auch möglich wäre. Was in den vergangenen Jahren dazugekommen ist, dass einzelne Mitarbeiter offen zugeben, dass ihnen etwas, das anonym berichtet wurde oder das in der Zeitung gestanden ist, auch schon passiert ist. Früher herrschte Schweigen.

Heute wissen wir, dass sowohl für die Patienten als auch für die Mitarbeiter eine Sicherheitskultur entscheidend ist, das offene transparente Umgehen mit Fehlern. Nur so können andere aus diesen unerwünschten Ereignissen lernen und den nächsten Fehler vermeiden. Diese Sicherheitskultur lässt sich nicht von heute auf morgen aufbauen, tatsächlich ist es notwendig über einen längeren Zeitraum zu beweisen, dass man diese neue Kultur ernst nimmt. Dafür eignen sich Berichts- und Lernsysteme, die Mitarbeitern im Gesundheitswesen anonym die Möglichkeit bieten, beobachtete Beinahe-Fehler einzugeben und daraus Handlungsempfehlungen abzuleiten. Die entscheidende Frage lautet: Kann das bei uns auch passieren?“

Es gibt noch sehr viel zu tun

Mag. Gabriele Jaksch, Präsidentin der MTD-Austria, Dachverband der gehobenen medizinisch-technischen Dienste Österreichs:

„Die Fehlerkultur hat sich verändert, das Ansprechen von Problemen ist ein wichtiges Thema geworden. Das heißt aber nicht, dass wir schon am Ende der Fahnenstange angelangt sind, es gibt noch sehr viel zu tun. Ich vertrete sieben gehobene medizinisch-technische Berufe. Im Bereich der Patientensicherheit stellt der medizinische Fehler die dritthäufigste Todesursache dar. Für uns ist ,Speak Up’ ( engl.: laut sprechen, auch: sich einsetzen, Anm.) ein großes Thema. Es geht darum, im Team Themen aufzugreifen und Fehler zu dokumentieren, um diese Fehler künftig hintanzuhalten. Was das konkret bedeutet können wir am Beispiel des Krankheitsbildes der Dysphagie sehen. Wenn sich der Patient verschluckt, besteht die große Gefahr, dass der Patient aspiriert oder sogar verstirbt. Hier ist Team- und Kommunikationsfähigkeit gefordert, sowohl von Logopäden und Diätologen als auch von den Gesundheits- und Krankenpflegern wie auch von den Ärzten, um so eine Aspiration zu verhindern. Zur Darstellung der Orthoptisten kann angeführt werden, dass sie auftretende Probleme bei der Patientenversorgung unmittelbar beziehungsweise zeitnah mit dem Eye-Care-Team besprochen werden. Ein anderes Beispiel kommt von den Physiotherapeuten und Ergotherapeuten. Diese regen ihre Berufskollegen über alle Medien an, die ihnen zur Verfügung stehen – Homepage, Newsletter , soziale Medien und Fachzeitschrift –, Missstände anzusprechen, die man selber wahrgenommen hat. Außerdem läuft bei der Interessensvertretung PhysioAustria eine Umfrage bezüglich der Nutzung von CIRS ( Critical Incident Reporting System, Anm. ) mit folgenden Fragen: wird eingemeldet, wenn ja was wird gemeldet, woran liegt es wenn beobachtete Fehler nicht gemeldet werden, welche Unterstützung braucht die Berufsgruppe, damit sie ins CIRS einmelden kann? Bei manchen therapeutischen Berufen stelle ich fest, dass die Sensibilität noch nicht so vorhanden ist wie das wünschenswert wäre. Die meisten Einmeldungen ins CIRS kommen aus dem Labor und vom Röntgen (Biomedizinische Analytiker und Radiotechnologen, Anm.).“

Amerikanische Verhältnisse sind aber nicht zu erwarten

Dr. Maria Kletecka-Pulker, Geschäftsführerin Plattform Patientensicherheit und und stv. Leiterin des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin:

„Ist das Recht hinderlich für die Arbeit in Gesundheitsberufen, haben wir bei uns nicht schon amerikanische Verhältnisse? Es gibt den Trend, dass zunehmend Rechtsschutzversicherungen abgeschlossen werden. Ich glaube aber nicht, dass wir amerikanische Verhältnisse bekommen, weil wir ein anderes Sozialversicherungssystem haben. In den USA versuchen Patienten oft über einen Prozess zu Geld zu kommen, damit sie eine Behandlung bezahlen können. Dort stehen die Anwälte oft schon in den Krankenanstalten. Ich glaube auch nicht, dass wir das bekommen werden. Vor allem sollte es nicht dazu kommen, denn das würde das Vertrauensverhältnis massiv schädigen. Wir wollen gleichwertige Partner im Gesundheitssystem, es wird sogar davon gesprochen, dass der Patient Kunde ist. Ich glaube, das ist eine Illusion, der Patient ist nicht freiwillig hier. Er ist in einer Ausnahmesituation, hat Angst, es kommen Schmerzen dazu. Darüber hinaus wird der Patient von vielen Ärzten als potenzieller Kläger wahrgenommen, auch in den Gesundheitsberufen gibt es große Sorgen. Was oft vergessen wird ist, dass der Patient auch Mitwirkungs-Pflichten bei der Behandlung hat. Er muss wahrheitsgemäß Auskünfte geben, was auch zunehmend bei Prozessen beachtet wird. Dazu haben wir u. a. ein Patientenhandbuch entwickelt (https://bit.ly/2JN6aPG). Warum ist der Übergang von der Schuld- hin zu einer Sicherheitskultur so schwierig? Stellen Sie sich vor, sie sind ein Arzt. Sie machen einen Fehler, es passiert etwas bei einer Operation. Vielleicht ist es nicht einmal ihr Fehler, sondern es hat sich schicksalhaft etwas ereignet. Eine junge Mutter von drei Kindern stirbt. Der Arzt hat selbst Kinder und weiß nicht welche rechtlichen Konsequenzen er fürchten muss. Er geht nach Hause und trägt seine Angst vor einem Disziplinarverfahren mit sich. Viele Institutionen fangen ihre Mitarbeiter hier schon sehr gut auf, aber bei weitem nicht alle. Solange der Dienstnehmer sich nicht in einem sicheren Rahmen weiß, wird der offene Umgang mit Fehlern nicht immer funktionieren.“


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Metadaten
Titel
Wie konnte das nur passieren?
Schlagwort
Gesundheitspolitik
Publikationsdatum
25.06.2018
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 26/2018

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