Gesundheitspolitik ist eine ewige Baustelle. Wo liegen die Mängel? Was ist zu tun? Darum wird es auch im Programm der nächsten Bundesregierung gehen – welche Parteien auch immer diese bilden werden. Die „Ärzte Woche“ hat die Gesundheitssprecher der fünf im Nationalrat vertretenen Parteien gefragt und die Wahlprogramme genau unter die Lupe genommen und zusammengefasst. 2 von ihnen haben uns auch Videobotschaften geschickt.
Alle Parteien sagen in ihren Wahlprogrammen, wohin sich unser Land in Sachen Gesundheit entwickeln soll. Wir haben uns die Programme der fünf im Nationalrat vertretenen Parteien angesehen – und sie kurz zusammengefasst:
Die ÖVP präsentierte bereits im Frühjahr im „Österreichplan“ ihre Zukunftsvisionen für das Gesundheitssystem. In den vergangenen 15 Jahren seien viele Entwicklungen verschlafen worden, das habe zu Problemen und Engpässen geführt. Die Partei will 800 neue Kassenarztstellen schaffen, damit Mängel im niedergelassenen Bereich behoben werden. In Österreich ausgebildete Ärzte sollen eine gewisse Zeit lang im Land arbeiten müssen. Primärversorgungszentren sollen massiv ausgebaut und Telemedizin gefördert werden. Wartezeiten für Operationen sollen durch bessere Koordination verkürzt und moderne Krebstherapien entwickelt werden. Forschung an und Produktion von Medikamenten sollen forciert werden.
Die SPÖ fordert eine Verdoppelung der Medizinstudienplätze. Bevorzugt werden sollen Studierende, die sich dem öffentlichen Gesundheitssystem verpflichten. Eine „staatlich garantierte Termingarantie“ soll sicherstellen, dass Akutpatienten innerhalb von 14 Tagen einen Kassen-Facharzttermin erhalten. Wenn das nicht möglich ist, sollen Wahlärzte verpflichtet werden, zehn Prozent ihrer Kapazität zum Kassentarif anzubieten. Die SPÖ will verbieten, dass Ärzte in Krankenanstalten von ihnen betreute Patienten auch als Privatpatienten betreuen. Für Jugendliche bis zum 23. Lebensjahr sollen Zahnarztbehandlungen kostenlos sein, ebenso Monatshygieneartikel und Verhütungsmittel.
Die Grünen setzen ebenfalls auf kostenlose Verhütung und Monatshygieneartikel. Sie fordern kürzere Wartezeiten bei Fachärzten, ohne konkrete Maßnahmen zu nennen. Attraktive Arbeitsbedingungen sollen 500 neue Kassenstellen schaffen. Primärversorgungseinheiten sollen Krankenhäuser entlasten und Budgetmittel einsparen. Eine einheitliche Sozialversicherung soll allen Menschen die gleichen Zugänge und Leistungen bringen. So soll es bloß noch eine einzige Krankenversicherungsgesellschaft geben – mit neun regionalen Stellen.
Die NEOS wollen das genaue Gegenteil: Freie Wahl unter verschiedenen Kassen, Versicherungspflicht statt Pflichtversicherung. Das österreichische Gesundheitssystem sei am Limit. Der Mangel an Kassen-Fachärzten soll gemildert werden, indem die vollen Wahlarzt-Kosten von den Kassen bezahlt werden. Das öffentliche Gesundheitssystem soll aus einer Hand bezahlt werden. Eine flächendeckende Versorgung mit Primärversorgungszentren soll chronisch Kranke vor Ort betreuen. School Nurses und Schulpsychologinnen sollen Kinder und Jugendliche zu einem gesunden Lebenswandel anleiten; eine tägliche Turnstunde soll Lust auf Sport machen. Und – man lese und staune – Cannabis soll „kontrolliert freigegeben“ werden: „Suchtprävention statt Schwarzmarkt und Strafe.“
Die FPÖ kritisiert das Gesundheitssystem als teuer, aber ineffizient. Sie fordert eine Finanzierung aus einer Hand, wie bei NEOS, und will, dass Wahlarzt-Behandlungen von der Sozialversicherung voll ersetzt werden, wenn kein Kassenarzt verfügbar ist. Medizinstudierende sollen bei den Eingangstests bevorzugt werden, wenn sie sich zur Arbeit in Österreich verpflichten.
Die FPÖ lehnt den Plan ab, Spitalsärzten Nebenbeschäftigungen als Wahlärzte zu verbieten. Sie fordert attraktivere Arbeitsbedingungen, um unabhängiger von ausländischen Pflegekräften zu werden. Und: „In Österreich ansässige Fremde, die nicht in unser Sozialsystem einzahlen“, sollen bloß einen Anspruch auf eine Elementarversorgung erhalten.
Das Positive überwiegt
Analyse: Das Gesundheitssystem ist niederschwellig. Jede Person bekommt die medizinisch notwendigen Leistungen unabhängig vom Einkommen und vom sozialen Status, und fast jede Ebene der Gesundheitsversorgung ist unbürokratisch zugänglich. Es besteht ein breit aufgestelltes differenziertes Versorgungssystem, angefangen von Ordinationen für Allgemeinmedizin über Primärversorgungszentren, Fachärzte und schließlich Standard-, Schwerpunkt und Zentralkrankenhäuser. Innovationen werden rasch verfügbar gemacht, und laufende klinische Forschung garantiert, dass die Entwicklung am Puls der Zeit ist. Dazu gibt es eine intensive Verschränkung mit qualitätsvollen nicht-ärztlichen Gesundheitsberufen mit ihren jeweiligen Aufgaben.
Schwächen: Die drei wichtigsten Defizite im gegenwärtigen Gesundheitssystem sind erstens, dass sich die Patienten schwertun, den für sie jeweils „best point of care“ zu finden, sodass es zu Überlastungen, Engpässen und langen Wartezeiten kommen kann; zweitens dass es dazu auch eine Fehlallokation der ärztlichen Berufsgruppe mit zu wenig Kolleginnen und Kollegen im kassenärztlichen System gibt, und dass drittens alle Gesundheitsberufe in den vergangenen Jahrzehnten mit regulatorischen, bürokratischen und organisatorischen Aufgaben überhäuft worden sind, was zu Lasten der Kernaufgaben, der Sinnstiftung und der Arbeitszufriedenheit geht.
Was getan werden muss: Wir benötigen eine Patientenlenkung durch Beratung über 1450 mit erweiterten Funktionen, einschließlich Terminbuchungsmöglichkeit und Telekonsultation; einen Ausbau des kassenärztlichen Bereichs mit Stellenvermehrung und einen österreichweit einheitlichen, qualitativ und quantitativ attraktiven Gesamtvertrag (parallel dazu eine Modernisierung der Spitalsstruktur mit mehr Subsidiarität und Freiräumen für die Kernaufgaben); sowie weitere Programme zur Vorsorge und Früherkennung und die flächendeckende Aufnahme von Patientinnen und Patienten mit chronischen Erkrankungen in Disease-Management-Programme.
Note: Im Vergleich zu fast allen anderen Ländern verdient unser System ein Sehr gut, angesichts des durchaus erkennbaren Verbesserungspotenzials einschließlich mehr Prävention und „health literacy“ eher ein Gut – daher „1 bis 2".
Video Statement der ÖVP:
Reformwille dringend gesucht
Analyse und Schwächen: Alle können mitreden, Verantwortung übernehmen dann schon deutlich weniger, und Entscheidungen brauchen entsprechend lang. Zudem ergehen sich Systempartner intern in ideologisch motivierten Scharmützeln, anstatt die Interessen der Versicherten und Patienten als einzig relevante Größenordnung im Fokus zu haben.
Statt Mitarbeiter für gute niederschwellige Versorgung und mehr Augenmerk auf Prävention mit Kompetenzen auszustatten, ist jede berufsrechtliche Veränderung im System mit erbittertem Widerstand aufgrund von Besitzstandswahrung verbunden.
Jede Reform, die auf mehr Transparenz drängt, auf effektiveren Mitteleinsatz und mehr Zielgerichtetheit von Geld und Bemühungen, wird von einzelnen Systempartnern vehement – zum Teil auch mit Angst- und Panikmache – bekämpft.
Was getan werden muss: Die Reformen der vergangenen beiden Jahre müssen konsequent umgesetzt werden: Vorantreiben der Digitalisierung, der Planungsmöglichkeiten für das Gesundheitswesen und mehr Transparenz bei der Mittelverwendung. Langfristige finanzielle Absicherung der Sozialversicherung durch das Stopfen von Schlupflöchern und durch mehr Effizienz und das Beseitigen von Doppelgleisigkeiten. Hereinnehmen von hohen Kapitalerträgen in die Sozialversicherungspflicht. Harmonisierung der Leistungen der Sozialversicherungen sowie einheitliche Verträge für ganz Österreich mit allen relevanten Berufsgruppen. Gleiche Leistungen für alle Versicherten, sodass Privatversicherungen obsolet werden.
Vorsorge als zentralen Aspekt der Versorgung in die Aufgaben der Sozialversicherungen aufnehmen. Und damit verbunden psychische und herkömmliche Präventionsangebote verstärkt verankern. Niederschwellige Angebote wie „Impfen in den Apotheken“ umsetzen.
Note: Als Grüner verweigere ich mich Ziffernnoten.
Video Statement der Grünen:
Abgerutscht ins Mittelfeld
Analyse: Unser Gesundheitssystem war lange eines der besten der Welt. Seit Jahren verlieren wir allerdings Platz um Platz. Alle spüren es, es kracht an immer mehr Ecken und Enden. Zu den größten Stärken zählt das Gesundheitspersonal. Von der Pflege bis zu den Ärzten, in allen Gesundheitsberufen erlebe ich Menschen, die jeden Tag alles geben, unter oft wirklich schwierigen Bedingungen.
Schwächen: Immer mehr, statt weniger Zwei-Klassen-Medizin
Zu wenig Personal, von der Pflege bis zu den Ärzten – vor allem im niedergelassenen Kassenbereich.
Zu lange Wartezeiten auf Arzttermine.
Was getan werden muss:
Mehr Geld in das öffentliche Gesundheitssystem stecken, damit wieder die E-Card und nicht die Kreditkarte zählt.
Den Personalmangel gesamtheitlich bekämpfen: Medizinstudienplätze verdoppeln und eine echte Pflegeoffensive (vor allem durch bessere Arbeitsbedingungen).
Termingarantie: Maximal 14 Tage soll die Wartezeit auf einen Facharzttermin betragen. Dazu würden wir neben den bereits genannten Maßnahmen auch ein eigenes „Behandlungssicherheitsgesetz“ beschließen, in dem das geregelt ist.
Note: Das Gesundheitspersonal leistet einen wirklich ausgezeichneten Job. Ihnen gebührt nichts weniger als ein „Sehr gut“. Dennoch rutscht unser Gesundheitssystem vom ehemaligen Spitzenfeld mehr und mehr ins schlechte Mittelfeld. Daher: Nur noch Befriedigend.
Duales System ist in Gefahr
Analyse: Durch den niedergelassenen Bereich, repräsentiert durch Ärzte (Allgemeinmediziner und Fachärzte), Apotheker und die weiteren Gesundheitsberufe in der Psychotherapie bzw. den medizinisch-diagnostisch-technischen Berufen, ist vor Ort eine grundsätzlich gute Versorgung vorhanden. Eine wesentliche Stärke des österreichischen Gesundheitssystems stellt auch die Spitzenmedizin in den Krankenanstalten sowie die rasche Verfügbarkeit innovativer Therapien dar.
Das österreichische Sozialversicherungssystem ist die Basis eines grundsätzlich vorhandenen Zugangs zu medizinischen Leistungen.
Schwächen: Der vorhandene niedergelassene Bereich wird durch die Gesundheitspolitik, repräsentiert durch die aktuelle Bundesregierung und durch die Sozialversicherungen, repräsentiert durch eine schwarz-rote Funktionärsschicht bei der Vergabe von Kassenvertragsstellen, der Abgeltung der medizinischen Leistungen und bei der Ausübung des Freien Berufs behindert. Dies richtet sich in letzter Konsequenz sowohl gegen die Patienten als auch die Mitarbeiter im Gesundheitswesen.
Ein duales System, wo etwa Kassenvertragsärzte auch eine Privatpraxis führen können, wird blockiert. Dies verhindert die Gesundheitsversorgung vor Ort.
Der bisherige Finanzausgleich und die Zielsteuerungsprozesse führen so zu keiner organisatorischen, personellen und finanziellen Optimierung der Prozesse und der Leistungen.
Was getan werden muss: Die Finanzierung aus einer Hand, um die Entscheidungs-, Leistungs- und Finanzierungsebenen zusammenzuführen; eine Erweiterung und Neufassung der Kompetenzen der Gesundheitsberufe, um den aktuellen und zukünftigen Herausforderungen gewachsen zu sein; eine Attraktivierung der Gesundheitsberufe, von den Ärzten bis zur Pflege: Entbürokratisierung, Entlastung, leistungsorientiertes Anreizsystem bei der Bezahlung und eine dauerhafte finanzielle Absicherung dieses Reformpfades.
Note: Noch Befriedigend.
Prävention verstärken
Analyse: Der wichtigste Vorteil am heimischen Gesundheitssystem ist, dass es immer die Möglichkeit gibt, Versorgung zu erhalten. Die Orientierung für die Patienten ist zwar teilweise schwierig und oft kommt es zu Ineffizienzen. Als Patientin oder Patient kann man sich aber stets auf das Sicherheitsnetz von Krankenhaus und Rettung verlassen.
Schwächen:
Mehrgleisigkeiten und damit hohe Verwaltungskosten.
Mangelnde Digitalisierung und überbordende Bürokratie, die das Personal überlastet und für die ungenügende Gesundheitskompetenz der Bevölkerung mitverantwortlich ist.
Kompetenz- und Finanzstreitigkeiten zwischen niedergelassenem und stationärem Bereich.
Was getan werden muss:
Bundesweit einheitliche Vorsorgeprogramme mit Anreizsystem – damit Menschen in Vorsorgeuntersuchungen ihr Krankheitsrisiko bewerten können und möglichst viele Diagnosen frühzeitig gestellt werden.
Umfassende Präventionsprogramme, die die Gesundheitskompetenz stärken und beispielsweise Bewegungsanreize sowie Anstöße zu Veränderungen des Ernährungsverhaltens inkludieren.
Digitalisierung forcieren und ELGA ausbauen.
Note: Drei minus. Trotz hoher Kosten sind wir derzeit in vielen Bereichen mit Versorgungsengpässen, Personalmangel und einer abnehmenden Qualität für die Patient:innen konfrontiert.
Kleinparteien benoten das Gesundheitssystem
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Gerechtigkeit!
Analyse: Unser Gesundheitssystem wurde von den arbeitenden Menschen erkämpft, um Gesundheit als Grundrecht für alle zu gewährleisten. In der Akutversorgung sowie bei der Bereitstellung von Medikamenten und Heilbehelfen bleibt das System diesem Prinzip weitgehend treu. Im niedergelassenen Bereich, bei elektiven Eingriffen und in der Vorsorge zeigt sich jedoch eine fortgeschrittene Zwei-Klassen-Medizin.
Schwächen: Die EU-Politik und die Verantwortlichen in Österreich fördern die Profitorientierung im Gesundheitswesen. Das führt zur Privatisierung von Leistungen und zur Schließung weniger profitabler Einrichtungen, obwohl sie notwendig sind. Die Zwei-Klassen-Medizin zeigt sich deutlich im niedergelassenen Bereich. Die Profitorientierung belastet nicht nur die Patienten, sondern auch die Beschäftigten im Gesundheitswesen. Arbeitsdruck und -belastung müssen dringend reduziert werden.
Was getan werden muss: Der Zugang zu medizinischer Versorgung darf nicht vom Einkommen abhängen. Es braucht einen flächendeckenden Zugang zu Kassenärzten mit maximal 14 Tagen Wartezeit auf notwendige Untersuchungen. Die Rezeptgebühr soll bis 2030 eingefroren werden. Pflege zu Hause muss leistbar sein. Unabhängig vom Pflegegeld sollen Ausgleichszahlungen dafür sorgen, dass die Betroffenen mindestens die Höhe der Mindestpension erhalten. Regelmäßige Anpassungen des Pflegegeldes, Anstellung und gerechte Entlohnung pflegender Angehöriger sowie Community Nurses sind notwendig. 24-Stunden-Betreuerinnen verdienen reguläre Anstellungen und faire Löhne.
Es braucht bundesweit einheitliche und bessere Personalschlüssel, mehr Ausbildungsplätze für diplomierte Pflegekräfte und eine einheitlich geregelte Ausbildung. Pflegekräfte sollen in der Ausbildung bezahlt werden, wie Polizeischüler. Eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich, altersgerechte Arbeitsplätze und die Anerkennung von Pflege als Schwerstarbeit sind erforderlich.
Note: 4 minus. Trotz vorhandener Kompetenzen reicht es nicht, sich auf früheren Erfolgen auszuruhen
Video Statement der KPÖ:
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Wertschätzung!
Analyse: Akutversorgung funktioniert verlässlich. Wenn mir etwas passiert, bekomme ich fix eine rasche Versorgung. Österreich bietet eine umfassende und qualitativ hochwertige medizinische Versorgung, die durch ein gut ausgebautes Netz von Krankenhäusern und Fachärzten gewährleistet wird. Man kann sich auf das Personal verlassen. Die Menschen in Gesundheitsberufen federn vieles ab, was im System nicht gut läuft.
Schwächen: Es gibt viel zu wenige Angebote für Prävention. 30 Prozent der chronischen Erkrankungen wären vermeidbar. Wartezeiten für nicht-hochakute ärztliche Begutachtungen von Wochen bis Monaten (z. B. Kinderärzte, Psychiater), OP-Wartezeiten von bis zu einem Jahr (Mandel-OP, Gelenkersatz).
Pflegekräfte erhalten zu wenig Wertschätzung – pflegende Angehörige eher gar keine.
Was getan werden muss: Community-Health-Nurses: bundesweite Ausrollung des Programms. Mehr Ausbildungsplätze für Jungärzte nach dem Studium (anstelle von mehr Studienplätzen). Wirksame positive Anreize für Pflegeausbildung und Kassenverträge für Ärzte.
Note: 2 bis 3. Das Gesundheitssystem hat viele Stärken, aber es gibt lange Wartezeiten, eine wachsende Kluft zwischen Privat- und Kassenmedizin und wenig Prävention.