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Ärzte Woche

21.03.2023 | Gesundheitspolitik

Viel versprochen, wenig gehalten

verfasst von: Josef Broukal

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Diese Ohrfeige sitzt: Der Rechnungshof zerreißt eine der großen Ansagen von Türkis-Blau in der Luft. Die 2018 versprochene „Patientenmilliarde“ hat es nie gegeben. Das Zusammenlegen der Gebietskrankenkassen hat ganz im Gegenteil mehr Geld gekostet, als hätte man sie so gelassen, wie sie waren.

Wir schreiben den 14. September 2018. Ein Jubeltag für die Regierung von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ). Man hat sich auf Großes geeinigt: Die neun bundesländerweise organisierten Gebietskrankenkassen sollen eine einzige große „Österreichische Gesundheitskasse“ werden, die ÖGK.

Hunderte Mitwirkende an der Führung der Kassen werden eingespart. Angeblich bringt das – und die erhofften Rationalisierungen in der Verwaltung – in ein paar Jahren eine Milliarde Euro ein. Geld, das den Versicherten bessere Leistungen bringen soll. Ein griffiger Slogan ist auch schon gefunden: „Patientenmilliarde statt Funktionärsmilliarde“.

Damit diese Reform gelingt, muss offenbar der Einfluss der Vertreter der Arbeitnehmer in den Kassen beschnitten werden – und dafür der Einfluss der Arbeitgeber ausgebaut. Vereinfacht gesagt: ÖGB raus. WKO hinein. Und das auch in den zur Österreichischen Gesundheitskasse umgemodelten Gebietskrankenkassen, die ausschließlich für Arbeitnehmer da sind. Die Lüge von der „Funktionärsmilliarde“ steht auf ganz kurzen Beinen. Schon nach wenigen Wochen ist klar: Die Sitzungsgelder aller Funktionäre der bis dahin 21 Krankenkassen in Österreich betragen nicht Tausend Millionen Euro. Es sind vergleichsweise schlanke 5,3 Millionen Euro im Jahr. Aus dem behaupteten Umwidmen von Geld für Bonzen in Geld für Kranke lässt sich selbst bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag keine Milliarde gewinnen. Ganz im Gegenteil. Schon damals wird prophezeit: Die Neuordnung der Kassen werde zunächst Hunderte Millionen Euro kosten. Viele Mitarbeiter werden jahrelang damit beschäftigt sein, aus 21 Kassen fünf Kassen zu machen.

Kein Ziel, kein Plan

Fast Forward in den Dezember 2022. Der Rechnungshof stellt lapidar fest: Das von der Regierung Kurz-Strache ins Parlament gebrachte „Sozialversicherungs-Organisationsgesetz“ enthielt keine Zielbestimmung über Einsparungen, insbesondere keine Vorgabe an die Selbstverwaltung, den Verwaltungsaufwand um 1 Mrd. EUR zu senken.

Will heißen: Während man der Öffentlichkeit die Patientenmilliarde in Aussicht stellte, gab es keinerlei Weisung an die Krankenkassen, diese Milliarde einzusparen. Dem RH gegenüber sagten die Kassen, dass ihr gesetzlicher Auftrag die Erbringung der vorgesehenen Leistungen sei. Die Höhe des Verwaltungsaufwands sei eine Entscheidung der Selbstverwaltung. Es sei ihnen kein Ziel einer bestimmten Einsparung vorgegeben. Sie würden sich bemühen, effizient und sparsam zu wirtschaften.

Wie aber war das Sozialministerium überhaupt auf die Patientenmilliarde gekommen? Die Prüfer des Rechnungshofes staunten. Sie hielten fest, dass das Sozialministerium keine Begründung für die Annahmen zur Einsparung vorlegen konnte .

Ergebnis: Im Jahr 2023 würden die von der Reform betroffenen Sozialversicherungsträger und der Dachverband voraussichtlich um 167 Millionen Euro mehr ausgeben im Vergleich zum Jahr 2018, als die Reform beschlossen wurde. Der Schluss daraus: Der Rechnungshof empfahl Sozialministerium und Sozialversicherung, in Zukunft gemeinsam realistische Ziele festzulegen und Maßnahmen zur Zielerreichung zu setzen.

Geheimsache Beratervertrag

Um den Kassen und ihrem Dachverband beim Neuaufbau der Sozialversicherung zu helfen, holte das Sozialministerium eine Beratungsfirma an Bord. Man sollte glauben, dass das Kabinett der damaligen Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) wenigstens dieser Firma klare Anweisungen mit auf den Weg gegeben hatte. Weit gefehlt: Die der Öffentlichkeit verkauften Ziele „Verwaltungskostenreduktion“ und „Leistungsvereinheitlichung“ wurden bei der Suche nach einem geeigneten Beratungsunternehmen gar nicht genannt.

Was aber wurde mit diesem Unternehmen dann konkret besprochen? Die zuständige Fachsektion im Gesundheitsministerium gab sich dem Rechnungshof gegenüber ahnungslos. Die inhaltlichen Gespräche hätten die persönlichen Mitarbeiter der Sozialministerin geführt. Die zuständige Sektion sei nicht eingebunden gewesen.

Okay, sagte der Rechnungshof, dann sehen wir uns die Unterlagen des Ministerkabinetts an. Pech gehabt: Diese wurden nach dem Ende von Türkis-Blau für 25 Jahre versiegelt und weggesperrt – als „Privatakten“, deren Inhalt nur mit Einverständnis der ehemaligen Sozialministerin eingesehen werden kann. Bis zum Jahr 2021 sollte die ÖGK eine große Aufgabe bewältigen: Sie sollte einen Gesamtvertrag für alle niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte in ganz Österreich mit der Ärztekammer ausverhandeln und in die Tat umsetzen. Einen solchen Gesamtvertrag für den ärztlichen Bereich gibt es bis heute nicht. Der Rechnungshof stellt fest, dass nach wie vor für jedes Bundesland separat verhandelt wird.

Einheitliche Ärztehonorare?

Der RH wies darauf hin, dass eine vollständige Leistungsharmonisierung noch offen war: Bei der ÖGK war das Ziel eines bundeseinheitlichen Gesamtvertrags im ärztlichen Bereich noch nicht umgesetzt, bei der SVS bestanden z. B. bei den Behandlungsbeiträgen und der Geldleistungsoption noch wesentliche Unterschiede. Weiters wies der RH darauf hin, dass Leistungen nur innerhalb der einzelnen Sozialversicherungsträger vereinheitlicht wurden, aber nicht zwischen ihnen.

Der Rechnungshof glaubt offenbar auch nicht, dass es bald zu einem einheitlichen Gesamtvertrag im ärztlichen Bereich kommen wird: Da die ÖGK nach wie vor neun Landesärztekammern mit unterschiedlichen lokalen Interessen gegenüberstehe, dürfe eine zeitnahe Realisierung eines einheitlichen Gesamtvertrags wohl eher nicht erwartet werden.

Daher solle den Ärztekammern eine Rute ins Fenster gestellt werden:

Der RH empfahl dem Sozialministerium, im Falle einer Nichteinigung bei den Verhandlungen zu einem einheitlichen Gesamtvertrag im ärztlichen Bereich auch die Umgestaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen (Regelung der Verhandlungs– und Vertragspartner auf Ärzte– und ÖGK–Seite) zu erwägen und gegenüber dem Gesetzgeber durch Vorlage einer Gesetzesnovelle darauf hinzuwirken.

Es ist derzeit nicht bekannt, ob die neue grüne Führung im Sozialministerium einen solchen gewaltsamen Schritt in Erwägung zieht. Man wird sehen…

Und was sagt die ÖGK dazu?

In der Chefetage der Gesundheitskasse gibt man sich zerknirscht. Man habe die Vorschläge des Rechnungshofes aufgegriffen und diese auch umgesetzt. Im Herbst 2022 seien weitere Schritte für österreichweit gleiche Leistungen für alle ÖGK-Versicherten gesetzt worden. So habe man in einem Gesamtvertrag für Hebammen deren Tätigkeit auf höchstem Niveau gesichert. Bundesweite Verträge gäbe es auch im Bereich der Augenoptik und bei der Versorgung mit krankheitsbedingten Perücken. Schließlich: Wie der Rechnungshof gefordert habe, sei ein Kontrollgremium eingerichtet worden. Dieser „Prüfungsausschuss“ habe bereits mehrfach getagt.

Der wenig vielversprechende Ausblick? Die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) hat das Jahr 2021 Jahr mit einem Minus von 92,2 Millionen Euro abgeschlossen. Im Vorjahr wuchs das Minus auf 137,0 Millionen Euro an, bis 2024 soll es auf 45,9 Millionen Euro schrumpfen und dann bis 2026 wieder auf 120,4 Millionen Euro steigen. Das größte Defizit weist freilich ein anderer Träger auf, die BVAEB der Beamten, Eisenbahner und Bergleute verbuchte 2021 ein Minus von 141,5 Millionen Euro. Dieses soll kontinuierlich zurückgehen bis auf 39,4 Millionen im Jahr 2026. Schwarze Zahlen schreibt als einziger Träger lediglich die SVS der Selbstständigen und Bauern.

Metadaten
Titel
Viel versprochen, wenig gehalten
Schlagwort
Gesundheitspolitik
Publikationsdatum
21.03.2023
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 12/2023

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