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Ärzte Woche

21.03.2023 | Gesundheitspolitik

Hart, aber fair?

verfasst von: Michael Krassnitzer

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Unis suchen sich ihre Studenten künftig auch nach deren sozialen Fähigkeiten aus. Aber genügt das? Führt das nicht nur zu mehr Stress beim Test? Und was wurde aus dem Vorschlag für ein Pflegepraktikum?

Noch bis Monatsende läuft die Online-Anmeldephase für die Aufnahmetests am 7. Juli an einer der heimischen Medizin-Universitäten – in Wien, Innsbruck, Graz und Linz. Zehn Jahre nach seiner Einführung ist der MedAT, das ist der offizielle Name des Tests, in die Diskussion geraten. „Wir brauchen rasch eine breite Analyse und Evaluierung“, sagt etwa Dr. Johannes Steinhart, Präsident der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK). „Was wir suchen, sind die besten Ärztinnen und Ärzte für unser Land und für unsere Patienten und wie wir diese treffsicherer herausfiltern – und nicht nur gute Studenten“, erläutert Dr. Harald Mayer, ÖÄK-Vizepräsident und Bundeskurienobmann der angestellten Ärzte. Besonderes soziales Engagement könne beim Aufnahmetest bzw. beim Zugang zum Studium berücksichtigt werden. Auch soziale Kompetenz solle verstärkt in die Auswertung des MedAT einfließen. Hierbei stehe man in Kontakt mit den Rektoren der Medizin-Unis, sagt Harald Mayer.

Von der Idee eines verpflichtenden Pflegepraktikums für angehende Medizinstudenten hingegen halten Steinhart und Mayer wenig: „Angehende Ärztinnen und Ärzte sind keine Lückenbüßer für den über Jahre hindurch von der Politik verursachten akuten Pflegemangel. Hinzu kommt, dass es unmöglich ist, jedes Jahr Tausende von jungen Menschen, die Medizin studieren wollen, in Spitälern für Pflegedienste unterzubringen. Pflege ist ein hoch qualifizierter Beruf, und nicht umsonst dauert die Ausbildung für Pflegefachkräfte mehrere Jahre.“ Auch mehr Studienplätze, wie immer wieder gefordert wird, lösen in den Augen der Ärztevertreter die Probleme nicht. Eines steht für beide fest: „Eine Reform kann und darf es nur unter Einbindung der Ärztekammer geben.“

Humanitäre Einstellung und Empathie unberücksichtigt

„Der Vorschlag, den Aufnahmetest MedAT durch ein Pflegepraktikum zu ersetzen oder zu ergänzen, hat hohe Wellen geschlagen. Tatsächlich haben die beiden Dinge vordergründig nichts miteinander zu tun. Und doch könnte bei etwas gutem Willen und Mut zur Innovation ein doppelter Nutzen entstehen. So gibt es einen Mangel an Pflegekräften, der zu Bettensperren, Terminverschiebungen und medizinischer Mangelversorgung führt. Trotz aller Anstrengungen ist eine Lösung nicht in Sicht – im Gegenteil dürfte der Pflegemangel in den nächsten Jahren noch stärker werden. Gleichzeitig werden Jahr für Jahr mehr als 10.000 junge Menschen nach nicht erfolgreichem Aufnahmetest nach Hause geschickt. Eben diese Ressource könnte man nutzen, um zumindest einen Teil des Pflegemangels zu kompensieren. Die Vorteile:

- Unterstützung der Pflege bei einfachen Tätigkeiten

- Kennenlernen des Umgangs mit Patienten und Überprüfung der persönlichen Eignung

- Einblick in den Bereich der Pflege als Basis für die zukünftige Zusammenarbeit

- Bezug eines angemessenen Entgeltes als materielle „Lebensgrundlage“

- Möglichkeit, auch im weiteren Studienverlauf in diesem Bereich tätig zu sein

Man kann diskutieren, ob ein Pflegepraktikum den Aufnahmetest ergänzen oder ersetzen soll – beides ist denkbar. Außer Zweifel steht wohl, dass der Aufnahmetest nicht in der Lage ist, die zukünftig besten Ärzte zu selektieren. Wiederholtes Absolvieren überteuerter Paukkurse und Antreten über mehrere Jahre hinweg sind der Schlüssel ins Medizinstudium. Humanitäre Grundeinstellung, Empathie bleiben weitgehend unberücksichtigt. Das Zugeständnis der MedUnis, diese Aspekte beim MedAT mehr als bisher zu berücksichtigen, würde zur Vermittlung in weiteren Paukkursen führen. Die Idee, das Medizinstudium mit einem echten Pflegepraktikum zu verknüpfen, ist nicht neu. Kolleginnen und Kollegen, die als Hilfsschwestern oder Ähnliches gearbeitet haben, berichten, wie wichtig diese Zeit für ihren Werdegang war. Wohl deshalb, weil ärztliche und pflegerische Tätigkeit im Alltag kein Widerspruch, sondern Ergänzung sind.“

Prof. Dr. Reinhold Kerbl, Leiter der Abteilung für Kinder und Jugendheilkunde am LKH Hochsteiermark, Standort Leoben

Soziales Engagement stärker berücksichtigen

„Den gemeinsamen Aufnahmetest für das Studium an den heimischen Medizin-Unis gab es erstmals 2013. Dass der MedAT ein gutes und funktionierendes Tool für die Unis ist, zeigt der niedrige Drop-Out beim Medizinstudium – dennoch muss nach zehn Jahren darüber nachgedacht werden, wie man den MedAT reformieren und verbessern kann, um nicht nur gute Studenten, sondern auch gute Mediziner zu finden.

In der Eingangs- und Zulassungsphase zum Medizinstudium sehe ich dringendes Verbesserungspotenzial. Eine Reform kann und darf es nur unter Einbindung der Ärztekammer geben, denn es muss dringend berücksichtigt werden, wie Ärzte zukünftig arbeiten wollen. Die Parameter dafür haben sich verschoben, die Gesellschaft und die Lebenskonzepte unterliegen einem Wandel, der in der Ärzteschaft von einem Generationenwechsel verstärkt wird. Den jungen Ärztinnen und Ärzten ist ein optimaler Ausgleich zwischen Job und Privatleben heute wichtiger als vor zehn Jahren. Dafür werden flexiblere Arbeitszeitmodelle notwendig sein.

Das alles müssen wir auch bei der Auswahl der angehenden Medizinerinnen und Mediziner berücksichtigen. Was wir suchen, sind die besten Ärzte, und nicht nur gute Studenten. Das und die geänderten Rahmenbedingungen des Arztseins müssen sich stärker widerspiegeln. Zum Beispiel wäre es wünschenswert, den Test-Teil, in dem es um sozial-emotionale Kompetenzen und um soziales Entscheiden geht, stärker in die Beurteilung einfließen zu lassen. Auch bei den Zulassungskriterien sind neue Wege erlaubt, die genau das berücksichtigen. So könnte man besonderes soziales Engagement in einer im Detail noch zu klärenden Form belohnen und einen Teil der Studienplätze für diese Schiene vorsehen.

Was keinesfalls kommen darf, sind mehr Studienplätze. Wir produzieren schon jetzt zu viele Jungärzte für das benachbarte Ausland. Mit dieser Idee verirrt sich die Politik gerne in sinnlosem Aktionismus und zeigt damit, dass man noch immer nicht begriffen hat, worum es im Kampf gegen den Ärztemangel geht. Nämlich darum, attraktive Rahmenbedingungen im öffentlichen System zu schaffen, damit wir jene, die bei uns ausgebildet werden, mit allen Mitteln in Österreich halten können. Dazu gehört der MedAT, daher muss jetzt über Reformen gesprochen werden. Wir sind bereit.“

Dr. Harald Mayer, 2. Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Obmann Bundeskurie Angestellte Ärzte

Studium und soziales Denken gehen Hand in Hand

„Die standardisierten Aufnahmeverfahren für ein Human- und Zahnmedizinstudium in Wien, Graz, Innsbruck oder Linz dienen dazu, dass diejenigen Bewerber und Bewerberinnen einen kostenlosen Ausbildungsplatz erhalten, von denen angenommen werden kann, dass sie das Studium erfolgreich absolvieren. Aufgrund eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs 2005 führte Österreich für das unentgeltliche Medizinstudium ein objektivierbares Zugangsverfahren für alle Bewerber ein, wie dies in den allermeisten westlichen Ländern etabliert ist. Das Aufnahmeverfahren hat sich als Erfolgsrezept erwiesen. 90 bis 95 Prozent der Studierenden, die ein Humanmedizinstudium beginnen, absolvieren dieses auch. Vor 20 Jahren hatten wir das Problem, dass viele Studierende angefangen haben, ohne ihr Studium zu beenden. Und, dass sie deutlich länger studierten. Mit dem MedAT gibt es seit zehn Jahren ein rechtssicheres, objektivierbares Verfahren, das den EU-Vorgaben entspricht und die Dimension der Studierfähigkeit gut berücksichtigt.

Bei jedem MedAT-Durchlauf wird genau geprüft, ob Fairness und Chancengleichheit für die unterschiedlichen Gruppen von Bewerbern gegeben sind. Auch im Vergleich zu alternativen Aufnahmekriterien, wie Schulnoten, Bewerbungsgesprächen oder der Erfassung von freiwilligen Aktivitäten, bietet das aktuelle Verfahren Vorteile in Bezug auf Objektivität, Validität und Fairness. Alternativen zum etablierten Auswahlverfahren müssen auch hinsichtlich der Organisierbarkeit beurteilt werden; wir zählen aktuell ja mehr als 15.000 Studienbewerber pro Jahr.

Bei der Diskussion um die Berücksichtigung der sozialen Kompetenzen ist zu bedenken, wie diese bei Bewerbern, die überwiegend 18 oder 19 Jahre alt sind, messbar abgefragt werden können. Diese stehen ja noch vor ihrer Ausbildung, und soziale Kompetenzen werden mehr denn je im Studium vermittelt. Leider wird der völlig falsche Eindruck vermittelt, dass diejenigen, die sich bei den Aufnahmeverfahren erfolgreich durchsetzen, weniger sozial kompetent seien. Unsere Erfahrung ist aber, dass Studium und der Erwerb von sozialer Verantwortlichkeit Hand in Hand gehen. Siehe COVID-19-Pandemie, in der viele Medizinstudierende freiwillig große Leistungen für das Gesundheitssystem erbracht und soziales Denken und Engagement bewiesen haben.“

Prof. Dr. Wolfgang Prodinger, Vizerektor für Lehre und Studienangelegenheiten der Medizinischen Universität Innsbruck

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Metadaten
Titel
Hart, aber fair?
Publikationsdatum
21.03.2023
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 12/2023

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