Die Abstimmung erfolgt mit den Füßen, die meist in Skischuhen stecken. Weder hohe Kartenpreise noch überfüllte Pisten schrecken die Gäste ab. Den Ärzten bleibt da oft nur, an die Vernunft zu appellieren.
Gibt es eigentlich einen Plan B für die Tiroler Skigebiete, sollte der Schnee einmal ausbleiben? Aber auch mit Schnee – ist der Ansturm auf die Pisten noch normal? Oder haben die Kritiker recht, die von Overtourism sprechen, mit all seinen negativen Begleiterscheinungen wie verunfallten und verunglückten Wintersportlern? Sollte Tirol nicht für sanften Tourismus mit Schneeschuhwandern werben und das „goldene Kalb“ Ski fahren schlachten?
Spätestens seit dem Riesenslalom von Sölden und dem Comeback des für die Niederlande startenden Marcel Hirscher ist der Winter los. Und mit der kalten Jahreszeit beginnen wieder die Debatten über nachhaltigen Tourismus und hohe Kartenpreise. Bilder von wahnwitzig überfüllten Talabfahrten in Ischgl und anderswo machen die Runden.
Fakt ist: Österreichs Wintertourismussaison ist wieder auf Vor-Corona-Niveau angekommen. Daran können auch Nachrichten über Schneemangel, weiße Schneebänder und Unfallstatistiken nichts ändern. Die Gäste pilgern in die Skigebiete Tirols, Salzburgs, Kärntens und der Steiermark.
Was bleibt den Ärzten und Bergrettern anders übrig, als an die Vernunft der Skifahrer und der Touristiker zu appellieren? Unfallchirurg Thomas Gstrein aus Kitzbühel macht seinen Job gern, aber es sei schon so, dass manche Skifahrer ihr Können überschätzen. Viele Unfällen ließen sich verhindern, indem man die Gäste dazu bringe, nicht sechs Stunden am Stück auf der Piste zu verbringen, um die Tageskarten auszunützen.
Eine grundsätzliche Neuausrichtung ist nicht zu erwarten. Der Wintersport ist das zentrale Asset des alpinen Österreichs. Ein „zu viel“ gebe es nicht, sagt Touristikerin Ingrid Schneider.
Meist machen nur ein paar Unvernünftige Blödsinn
„Der Ansturm auf die Berge scheint unbegrenzt zu sein. Das liegt an den topographischen Besonderheiten, die einen Reiz ausüben. Dieser Reiz kollidiert aber zum Teil auch mit einer ungenügenden Planung der Menschen, die auf die Berge gehen und diese nutzen. Wichtig ist mir hierbei zu betonen, dass wir in dieser Sache nicht beurteilen oder gar darüber urteilen, was richtig ist und was falsch. Wir retten Menschen, wenn es notwendig ist, das ist unsere Hausaufgabe. Unsere ureigenste Aufgabe ist außerdem die Prävention und die Wissensvermittlung.
Meine Wahrnehmung ist aber, dass die Menschen im Winter tendenziell etwas vorsichtiger sind als im Sommer. Das kann auch daran liegen, dass das Thema Lawine tief im Bewusstsein der Menschen verankert ist. Man weiß, was Lawinen sind, man weiß, was Schneebretter sind. Das ist eine Bedrohung, die man fassen kann. Im Sommer gibt es so ein konkretes Drohszenario nicht wirklich. Unabhängig davon sind auch im Winter viele unerfahrene Personen auf den Bergen. Die meisten der unerfahrenen Personen sind Gäste und Personen aus dem Ausland. 70 Prozent von diesen Personen sind Deutsche. Doch es sind weder Nationalität noch Erfahrung entscheidend. Es gilt, an alle Nutzer von Bergen im Winter zu appellieren. Liebe Leute, macht Kurse! Schaut, was es zu wissen gibt und was es zu wissen gilt. Man muss wissen, was es als Tourengeher zu berücksichtigen gibt. Wer da nicht Schaufel und Sonde mit dabeihat, agiert schon eher fahrlässig.
In der Wintersaison gibt es Ortsstellen, die an ihre Grenzen kommen. Das ist umso ärgerlicher, weil es meist nur ein paar Unvernünftige sind, die einen Blödsinn machen und dafür sorgen. Es geht immer um den Faktor Mensch. Selbstauslösungen von Lawinen führen zu Katastrophen. Wichtig ist, dass man auf die Wetterprognose schaut und die Touren plant. Wenn man nicht erfahren genug ist, bietet es sich an, ein Gelände auszuwählen, das nicht so steil ist.
Nach dem Corona-Knick geht es wieder steil bergauf, was die Zahl der Menschen betrifft, die in und auf den Bergen sind. Es geht hin zu neuen Spitzenwerten und zum Teil zu einer Wahrnehmung, die die Berge als alpinen Spielplatz etablieren. Wir appellieren zu Besonnenheit und zur Vernunft, die mit einer Saisonvorbereitung beginnt. Man muss sich fit halten. Erste Skitouren wollen gut vorbereitet sein. Es ist ratsam, langsam einzusteigen, sich an das Gelände und die Jahreszeit zu gewöhnen.“
Mag. Ekkehard Wimmer, Landesleiter Bergrettung Tirol
Wintersportler müssen ihre Risiken kennen
„Wintersport ist nach wie vor ein zentraler Anziehungspunkt für einen Winterurlaub in den Bergen. Mit rund 80 Prozent ist das Skifahren die sportliche Hauptaktivität unserer Tirol-Urlauberinnen und -Urlauber. 42 Prozent nennen aber bereits Winterwandern, gefolgt von Rodeln, Snowboarden und Langlaufen als wichtige Aktivitäten.
Wintersport ist weit mehr als nur eine Freizeitaktivität. Für viele Menschen – Bewohnerinnen und Bewohner sowie Gäste – bietet die Bewegung in der Natur in einer zunehmend digitalen Welt einen unschätzbaren Mehrwert. Die frische Bergluft und die körperliche Aktivität fördern und fordern die physische und psychische Gesundheit und schaffen einen sehr wichtigen Ausgleich zum hektischen Alltag. Die Begeisterung für den Wintersport lässt sich daran festmachen, dass rund dreiviertel der Tirol-Urlauberinnen und -Urlauber Stammgäste sind, die (fast) jedes Jahr einen Urlaub in Tirol verbringen.
Auf die Fragen nach einem „zu viel“ hat die Tirol Tourismusstrategie Der Tirol Weg – Perspektiven für eine verantwortungsvolle Tourismusentwicklung eine klare Antwort: Uns geht es nicht um Quantität, sondern um Qualität; nicht um ein immer mehr, sondern um ein intelligenter und besser. Dazu gehören Maßnahmen der Besucherlenkung, etwa wenn mittels Dynamic Pricing in den Skigebieten auslastungsschwächere Zeiten preislich attraktiver gestaltet werden. Insgesamt bietet die Digitalisierung bereits jetzt und zukünftig noch mehr Möglichkeiten – Stichwort KI – Besucherinnen und Besucher besser zu lenken. Durch öffentliche Mobilitätsangebote – etwa Ski- und Wintersportbusse, die vielfach in Gästekarten inkludiert sind – gelingt es im Verkehrsbereich bereits jetzt, den Druck durch Individualverkehr zu reduzieren und damit auch CO₂-Emissionen einzusparen.
In Bezug auf das Risikoverhalten der Wintersportlerinnen und Wintersportler sind Aufklärungsarbeit und Präventionsmaßnahmen entscheidend. Der Tourismus kann hier – vor allem in Zusammenarbeit mit alpinen Vereinen, Berg- und Skiführerinnen und Skiführern oder der Bergrettung – einen Beitrag leisten. Letzten Endes geht es aber immer auch um eine verantwortungsvolle Selbsteinschätzung: Wintersportlerinnen und Wintersportler müssen die Risiken kennen und von diesem Wissen ausgehend eigenverantwortlich handeln.“
MMag. Ingrid Schneider, Geschäftsführerin Verband der Tiroler Tourismusverbände (VTT)
Unfallgefahr durch Müdigkeit nach dem Essen am höchsten
„Wenn ich an den Winter denke, dann denke ich nicht mit Sorge daran. Ich bin ja auch Unfallchirurg und mein Beruf macht mir Spaß. Aus medizinischer Sicht gibt es aber zu sagen, dass viel davon abhängt, wie der Winter wettermäßig abläuft. Es ist entscheidend, ob es viel oder wenig Schnee gibt. Bei viel Schnee sind die Verletzungen weniger schwer, weil es Sturzräume mit ausreichend Schnee gibt.
Das Wetter ist ein Faktor, der sich nicht beeinflussen lässt. Fakt ist, dass es umso gefährlicher wird, je weniger Schnee vorhanden ist. Das im Zusammenhang, dass wieder mehr und mehr Touristen kommen und die Pisten zu gewissen Zeiten sehr voll sind, ist eine nicht unproblematische Kombination.
Was sich beobachten lässt, ist, dass die Tickets fürs Skifahren immer teurer werden, aber gleich viele Leute kommen. Es gibt also offenbar einen Drang von Touristen, Skifahren zu gehen, egal was es kostet. Das führt dazu, dass sich auf begrenztem Raum sehr viele Menschen tummeln.
Die Sache mit den steigenden Kosten für die Liftkarte hat aus meiner Sicht sogar einen negativen Effekt. Wenn man als Tourist vor Ort ist, dann hat man zwei ganze Tage oder mehr eine Liftkarte. Da diese teuer ist, will man sie ausnutzen und fährt damit so viel wie nur irgendwie möglich. Das führt zu körperlicher Überforderung und zu Müdigkeit. Diese ist besonders groß nach dem Mittagessen auf einer Hütte, da danach der Körper mit der Verdauung beschäftigt ist. Das ist die Zeit, in der die meisten Unfälle passieren.
Nun könnte man am Bewusstsein der Skifahrerinnen und Skifahrer anschließen und an die Vernunft appellieren: Wer zu wenig körperliche Fitness hat, kann nicht jeden Tag sechs Stunden auf den Skiern stehen und auf der Piste sein. Es ist aber auch so, dass sich viele Menschen gnadenlos überschätzen: Selbstbild und Realität klaffen oft auseinander.
Meine Überlegung wäre, dass man die Halbtageskarte deutlicher günstiger anbieten könnte. Womöglich würden dann mehr Menschen nur halbtags Skifahren gehen und am Nachmittag andere Freizeitaktivitäten ausüben. Auch könnten Regionen gut steuern, indem sie Kombinationsangebote für Gäste schnüren, zum Beispiel Skifahren plus Hallenbad. Man könnte den Wintertourismus nachhaltiger gestalten und sich fragen, wie man die Besucherströme an Gästen besser verteilen kann. Ich denke an Schneeschuhwandern. Auch das würde dazu führen, dass es weniger schwere Unfälle auf den Pisten gibt.“
Prim. Dr. Thomas Gstrein, Gesundheitszentrum Kitzbühel