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Ärzte Woche

14.03.2023 | Gesundheitspolitik

Verstreut und doch vereint

verfasst von: Mit Daniela Karall und Georg-Friedrich Vogel hat Markus Stegmayr gesprochen

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„Rare Diseases“ treten gar nicht so selten auf – immerhin 450.000 Personen leiden hierzulande an einer von Tausenden seltenen Erkrankungen, ein großer Teil davon sind Kinder und Jugendliche. Ausgehend von der MedUni Innsbruck haben sich Ärzte zu einem Zentrum für seltene Erkrankungen zusammengefunden, um über ihre Fälle zu sprechen.

Daniela Karall ist Gründungsmitglied des „Zentrums für Seltene Erkrankungen Innsbruck“, kurz ZSKI. Der Name täuscht ein wenig. Das Zentrum ist weniger ein Ort, als vielmehr ein interdisziplinärer Zusammenschluss von Medizinerinnen und Medizinern. Im Interview mit der Ärzte Woche nehmen sie und der Innsbrucker Kinderarzt Georg-Friedrich Vogel Stellung zu den besonderen Herausforderungen in einem Gebiet, in dem es oft nur eine Handvoll Patienten pro Krankheit gibt.

Prof. Karall, können Sie mir skizzieren, wie das ZSKI aufgestellt ist und wie man dort agiert?

Karall : Vorausgeschickt: Die seltenen Krankheiten spielen wirklich in jeden Bereich und in jede Disziplin mit hinein. Die Beschäftigung mit diesem Thema ist meist an Universitäten und Zentralkrankenhäuser gebunden, da man dort mehr Ressourcen für Wissenschaft und Lehre hat. Zu den seltenen Krankheiten muss man wissen, dass mehr als die Hälfte dieser Krankheiten im Kindes- und Jugendalter auftreten. Das heißt, dass fünfzig Prozent erst im Erwachsenenalter auftreten – oder dort erst sichtbar werden.


Wie sind die Ressourcen in Innsbruck konkret verteilt?

Karall : Wir haben ja zuerst einmal den Vorteil, dass der Campus bei uns nicht so groß wie zum Beispiel der Campus in Wien ist. Daher kommt man durch Reden leichter zusammen. Das war auch der Ausgangspunkt: Der Austausch, das Netzwerk, das sich dadurch gebildet hat. 2014 haben wir, als virtuelles Netzwerk, das ZSKI gegründet. Dieses ist wiederum ein loses Netzwerk, das nicht räumlich verortet ist. Es gibt stattdessen Boards, Austauschtreffen, die jeden ersten Montag im Monat stattfinden. Bei diesen Treffen sind eine wechselnde Anzahl von Kolleginnen und Kollegen mit dabei, meistens zwischen fünf und 15. Immer vor Ort ist die Pädiatrie, die Genetik und die Hautklinik. Diese Bereiche haben die größten Überschneidungen mit den seltenen Krankheiten. Sie sind auch die Disziplinen, die 2011 den Verein „Forum Seltene Krankheiten“, den Vorgänger des ZSKI, gegründet haben. Je nachdem, welche Fälle bei uns gerade aktuell sind, sind auch Internisten, Neuroradiologen, Radiologen und andere beteiligt.

Prof. Vogel, beschreiben Sie uns bitte Ihre Tätigkeit.

Vogel: Ich betreue Kinder und Jugendliche mit seltenen Darm- oder Lebererkrankungen und erforsche den zugrunde liegenden Krankheitsmechanismus. Entscheidend bei der Diagnoseerstellung seltener Krankheiten ist oft die genetische Analyse. Da kann es sein, dass man in den bekannten Genen keine Defekte findet, dafür aber in Genen, die nicht mit der jeweiligen Krankheit assoziiert werden. Dann wird es spannend, vor allem auch für die Grundlagenforschung, die ich ja betreibe.

Karall : Früher hat man oft biochemische Marker gehabt. Aufgrund von diesen hat man in spezifischen Genen nach Veränderungen gesucht. Jetzt passiert es oft genau umgekehrt. Man hat bei einem Kleinkind zum Beispiel eine Erkrankung mit parkinsonähnlichen Symptomen, aber eben im Kindheitsalter. Das passt da überhaupt nicht hin. Dann kommt selbstverständlich die Frage auf, ob das etwas Genetisches ist. Es ist insgesamt eine Herausforderung, mit der Technik in der Genetik umzugehen. Es is ja nicht so, dass ein Gen-Test gemacht wird und sofort klar ist, was los ist. Es werden eine Menge Daten generiert, die man aber nicht alle gleich gut versteht.

Vogel : Es werden prinzipiell alle Gene analysiert, aber man reduziert auf die wahrscheinlichsten. Es muss auch die Frage gestellt werden, was eine natürliche Variante ist und welche krankheitsbildend sein kann. Das ist in der Tat oft nicht leicht zu unterscheiden, es gilt hier kritisch zu sein. Grundsätzlich ist in den vergangenen Jahren, durch Technik und Software, alles viel schneller und effizienter geworden. Manche Anbieter könne alle 19.000 Gene in rund 24 Stunden analysieren. Dadurch werden Unmengen an Daten generiert.

Karall : Die Herausforderung, auch hinsichtlich der seltenen Krankheiten, liegt heute nicht mehr bei der Generierung von Daten. Es ist vielmehr die Frage, was diese Daten bedeuten und wie sie richtig interpretiert werden. Die Daten lassen sich am besten gemeinsam interpretieren, über die Disziplinen hinweg.


Womit wir wieder beim Stichwort Interdisziplinarität wären, über die wir eingangs sprachen.

Karall : Stimmt. Gemeinsam erreicht man jedenfalls ein besseres Verständnis und kann dadurch bessere therapeutische Ansätze ableiten.

Kann man sagen, dass dadurch die Erkenntnisse immer präziser werden?

Vogel : Wenn man weiß, wie Krankheiten genetisch und zellulär funktionieren, kehrt eine gewisse Ordnung ein. Die neue Systematik hilft, besser zu differenzieren. Die präzise Diagnostik ist auch für eine ebensolche Prognose wichtig. Je mehr wir wissen, desto adäquater können wir solche Fragen beantworten. Es gibt beispielsweise junge Patienten, die Durchfall haben, der dann aber wieder aufhört. Erst wenn die Symptomatik längerfristig besteht, immer schlimmer wird und die natürlichen und naheliegenden Therapieoptionen nicht greifen, dann dämmert es, dass es doch gravierender sein könnte und womöglich eine seltene Krankheit vorliegt.

Frau Karall, wo gibt es noch Aufholbedarf?

Karall : Was für mich wichtig ist: die Awareness. Die Kollegen in den niedergelassenen Praxen haben wenig Zeit, sich um seltene Krankheiten zu kümmern oder sich damit vertiefend auseinanderzusetzen. Aber sie haben eine gute Kenntnis ihrer Patienten und können daher hellhörig und sensibel in dieser Hinsicht sein. Wenn eine Therapie nicht wie gewohnt anspricht oder wenn etwas ungewöhnlich ist, zum Beispiel eine nicht zum Alter passende Erkrankung, oder wenn die Symptome in ungewöhnlicher Kombination auftreten oder nicht zusammen gehörende Organsysteme betreffen, dann sollte man ebenfalls hellhörig werden und schauen, wo man als Arzt und Praktiker in oder außerhalb der eigenen Region nachfragen und andocken kann.

Info 

Eine Krankheit gilt in der Europäischen Union als selten, wenn nicht mehr als fünf von 10.000 Personen betroffen sind. Geschätzte fünf Prozent der Bevölkerung weisen eines der 6.000 bis 8.000 Krankheitsbilder auf.



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Metadaten
Titel
Verstreut und doch vereint
Publikationsdatum
14.03.2023
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 11/2023

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