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Ärzte Woche

14.06.2019 | Gesundheitspolitik

Ärztemangel

Sag mir, wo die Ärzte sind

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Die bevorstehende Pensionierung der „Baby Boomer“ verschärft den Ärztemangel. Das wiederholten Experten auf der Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Public Health (ÖGPH) in Wien.

Eine zweistellige Zahl steht am Beginn: 68 Kassenstellen für Allgemeinmedizin waren laut Angaben der Österreichische Ärztekammer Ende 2018 unbesetzt. In den kommenden zehn Jahren werden rund 60 Prozent aller Hausärzte das Pensionsalter erreichen. Zusätzlich werden die demografischen und epidemiologischen Veränderungen den Bedarf der Bevölkerungen noch weiter erhöhen. Es zeigt sich auch bereits, dass die neue Generation von Hausärzten ein neues Verständnis von Work-Life-Balance hat und vermehrt Teilzeit arbeiten will.

Es ist daher davon auszugehen, dass zwischen 2020 und 2030 jährlich 150 bis 400 allgemeinmedizinische Kassenpraxen nachbesetzt werden müssen. Die Verantwortlichen in den Ministerien, Krankenkassen und den Ärztekammern – so lautet zumindest die Kritik der Public Health Experten – hätten bereits viel zu lange untätig zugesehen.

Die Geburtsdaten aller Ärzte seien allen Beteiligten hinlänglich bekannt und es lägen auch bereits genug Expertenpapiere mit Empfehlungen zur Bekämpfung des Ärztemangels auf dem Tisch. Gefordert wird ein Bündel an Maßnahmen: So führe nach Ansicht der Experten kein Weg am Facharztstatus für Allgemeinmedizin vorbei. Nur so könne der Beruf aufgewertet und attraktiver gemacht werden. Die Ausbildung müsse praxisnäher und die Kassenverträge flexibler gestaltet werden. Die Hausärzte müssten von administrativen Aufgaben entlastet und entsprechend honoriert werden. Das Angebot der Leistungen sollte auf internationalem Niveau und österreichweit einheitlich sein und für Ordinationen in schwierig zu besetzenden Regionen soll es extra Zuschläge geben. Übrigens: Die Zeit drängt.

Andrea Fried

Abwarten ist mit Sicherheit keine Option

„Derzeit schließen jährlich rund 1.300 Studenten das Medizinstudium ab. 2017 haben 650 Personen die Prüfung zum Arzt für Allgemeinmedizin erfolgreich absolviert, 2018 waren es nur noch 485 und 2019 werden es weniger als 400 sein. Reicht diese Zahl aus, um die zwischen 2020 und 2030 frei werdenden Kassenstellen erfolgreich nachzubesetzen? Dazu müsste man wissen, wie viele jungen Allgemeinmediziner tatsächlich vorhaben, als klassischer Hausarzt zu arbeiten. Bis dato hat nur jeder vierte fertige Allgemeinmediziner auch eine allgemeinmedizinisch Kassenstelle übernommen. Viele junge Ärzte bleiben nicht in Österreich, aber auch in den österreichischen Krankenhäusern werden Allgemeinmediziner dringend als Stationsärzte gebraucht. Manche von ihnen werden Fach- oder Wahlärzte, einige landen in öffentlichen Institutionen, bei der Pharmaindustrie oder in anderen medizinfernen Bereichen. Wie können wir also zukünftigen Bedarf an Hausärzten decken? Ein wichtiger Pool ist sicher jene Ärzte, die schon jetzt Hausärzte in der Praxis vertreten. Leider gibt es zu dieser Gruppe keine öffentlich verfügbaren Daten. Weitere mögliche Gruppen sind rund 2.600 allgemeinmedizinische tätige Wahlärzte, 230 Ärzte für Allgemeinmedizin mit kleinen Kassen und rund 7.200 Allgemeinmediziner, die derzeit als Stationsärzte tätig sind. Außerdem gibt es noch eine unbestimmte Zahl an Fachärzten mit abgeschlossenem Turnus ( ius practicandi ), die grundsätzlich berechtigt wären, eine Hausarztstelle zu übernehmen. Diese quantitative Analyse zeigt, dass wir derzeit keinen Mangel an Allgemeinmedizinern haben, sondern vor allem ein Verteilungsproblem. In naher Zukunft könnte aber daraus, zumindest für die hausärztliche Versorgung, ein echter Mangel entstehen. Neben den quantitativen Aspekten des Generationenwechsels in der hausärztlichen Versorgung bleiben noch mindestens ebenso wichtige qualitative Fragen. Schließlich wollen wir nicht nur frei werdende Hausarztstellen besetzen, sondern wir wollen sie auch mit guten Ärzten besetzen. Es gibt viele wirksame Maßnahmen, um das Verteilungsproblem zu lösen und die hausärztliche Versorgung zu sicher. Diese müssen aber möglichst rasch umgesetzt werden. Verantwortlich dafür sind insbesondere die Medizinischen Universitäten, Ärztekammern, GKK, Gesundheitsfonds und Gemeinden. Abwarten ist mit Sicherheit keine Option.“

Dr. Martin Sprenger, MPH, Leiter der Public Health School an der MedUni Graz 

Hausarzt sein muss attraktiver werden

„Viele junge Mediziner schätzen den Hausarztberuf völlig falsch ein, weil die Ausbildung nach wie vor sehr spitalslastig ist. Ein weiterer Grund ist sicherlich auch die mangelnde Wertschätzung für den Beruf. Das kommt weniger von der Bevölkerung als von den eigenen Facharztkollegen und Entscheidungsträgern. Eine Rolle spielen sicher auch die hohe Arbeitsbelastung und die vergleichsweise geringe Honorierung. Unser Einkommen hängt stark von der Zahl der Patientenkontakte ab. Viele Leistungen wie das ärztliche Gespräch, Medikamentenmanagement, die Koordination mit Spitälern und mobilen Diensten, das Führen der Patientenakten und das Management von chronischen Erkrankungen werden von vielen Kassen kaum oder gar nicht bezahlt. Diese machen aber unsere spezielle Qualität aus. Aber es geht sicher nicht nur ums Geld. Es geht auch darum, dass wir einen ungesteuerten Zugang zu allen Stufen der Versorgung haben. Das macht es für uns Hausärzte schwer, den Überblick zu bewahren und die Menschen optimal zu leiten. Manche Patienten kommen bereits mit fünf verschiedenen Meinungen zu uns oder gehen nur mehr zum Hausarzt, um sich Medikamente verschreiben zu lassen. Damit können wir unserer Rolle als therapieführende Stelle nur mit sehr viel Aufwand gerecht werden. Die Gesellschaft für Allgemeinmedizin hat im Vorjahr unter der Einbeziehung junger Mediziner und Universitäten einen Masterplan Allgemeinmedizin erstellt, der Abhilfe schaffen soll. Die enthaltenen Maßnahmen reichen von der Stärkung der Ausbildung an den Universitäten über die Forderung nach mehr praktischer Erfahrung während des Studiums, die Zuerkennung des Facharztstatus für Allgemeinmedizin, Unterstützung bei der Gründung einer Hausarztpraxis und flexible Modelle für den Kassenvertrag. Darüber hinaus sollen Ärzte von administrativen Aufgaben entlastet werden und entsprechend honoriert werden. Das Angebot der Leistungen sollte auf internationalem Niveau und österreichweit einheitlich sein und das Ansehen des Hausarztes auch durch Imagekampagnen aufgewertet werden. Für Ordinationen in schwierig zu besetzenden Regionen soll es extra Zuschläge geben. Wir haben aufgezeigt, was zu tun ist. Nun brauchen wir einen Schulterschluss mit der Politik und den Entscheidungsträgern – im Interesse des gemeinsamen Ziels und unter Zurückreihung von Einzelinteressen.“

Dr. Susanne Rabady, Ärztin für Allgemeinmedizinin Niederösterreich und Präsidiumsmitgliedder Österreichischen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (ÖGAM)

Verpflichtende Lehrpraxis bringt Vorteile

„Es gibt sehr unterschiedliche Gründe, warum heute viele junge Ärzte nicht Hausarzt werden wollen. Lange Zeit war die Allgemeinmedizin im Curriculum der Universitäten de facto nicht vertreten. Dies ändert sich langsam, da man nun weiß, dass ein früher Kontakt mit der hausärztlichen Praxis Kollegen dazu motivieren kann, diesen wunderschönen Beruf zu ergreifen. Die Ausbildungsreform 2015 hat zwar, vor allem durch die Einführung einer verpflichtenden Lehrpraxis, kleine Verbesserungen gebracht, jedoch hat sich die Qualität der immer noch hauptsächlich im Spital stattfindenden Ausbildung nicht verbessert. Früher mussten fast alle Kollegen die Ausbildung zum Allgemeinmediziner durchlaufen, weil es zu wenige Ausbildungsstellen für die Sonderfächer gab. Heute zeigt sich auch dort zunehmend ein Mangel, sodass hier eine massive Abwerbung der Kollegen stattfindet. Zumal man während des vergangenen Jahrs und der nun für alle nach dem Studium verpflichtenden neunmonatigen Basisausbildung hautnah die Schlechterstellung der angehenden Allgemeinmediziner in Bezug auf die Ausbildungsqualität gegenüber den Sonderfächern miterlebt – das macht keine Lust auf die folgenden Jahre. Die Initiative mancher Bundesländer, begleitend allgemeinmedizinische Seminare und Mentoring anzubieten, kann dem etwas entgegensetzen und sollte auf ganz Österreich ausgeweitet werden. Gemeinsam mit flexiblen Zusammenarbeitsformen wie Jobsharing oder Übergabepraxis können so sicher mehr Kollegen für die Niederlassung gewonnen werden. Dennoch sind am Ende die Allgemeinmediziner (gemeinsam mit Kinderärzten und Psychiatern) oft jene, die am schlechtesten verdienen. Dies ist vor allem in Anbetracht des breiteren Aufgabenspektrums (Visitentätigkeit, Wochenend- und Feiertagsbereitschaft etc.) schlicht und ergreifend nicht mehr nachvollziehbar. Zusätzlich macht die durch Hausärztemangel und Fehlplanung immer weiter steigende Zahl an Patienten pro Hausarzt die Tätigkeit zunehmend unattraktiver – Österreich ist europaweit eines der Länder mit dem kürzesten Arzt-Patientenkontakt. Hier braucht es also Innovation und Veränderung im Kassensystem. Der Mangel hat insofern auch sein Gutes, als dies nun langsam erkannt wird. Hoffen wir, dass die Veränderungen nicht mehr lange auf sich warten lassen.“

Dr. Markus Brose, Arzt in Ausbildung zur Allgemeinmedizinund Mitglied des Präsidiums der JAMÖ (Junge Allgemeinmedizin Österreich)

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Metadaten
Titel
Ärztemangel
Sag mir, wo die Ärzte sind
Schlagwort
Gesundheitspolitik
Publikationsdatum
14.06.2019
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 24/2019

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