Wichtige Hilfsorganisationen fordern Vorschläge der Parteien für die Pflege. Die Politik müsse das Basislager verlassen. Auch die Bürgermeister wollen die Defizite der Gesundheitsversorgung nicht länger kaschieren.
„Pflege ist kein Randthema, sondern betrifft 1,5 Millionen Menschen, weil sie selbst Pflege brauchen oder weil sie pflegende Angehörige sind“, sagt Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser. Von den politischen Parteien erwartet sich der Dachverband Bundesarbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrt (BAG), dem die sechs Hilfsorganisationen angehören, daher konkrete und konstruktive Vorschläge zum Thema. Es sei „erschütternd“, dass die Langzeitpflege von alten Menschen im aktuellen Wahlkampf überhaupt kein Thema sei und sich kaum in den Wahlprogrammen finde, meinte Caritas-Präsidentin Anna Parr. „Es wirkt fast so, als würden Parteien meinen, es sei eh schon alles getan.“ Die von der Regierung beschlossenen Maßnahmen seien zwar wichtig und gut, „aber sie reichen keinesfalls aus, um den demografischen Herausforderungen, vor denen wir stehen, gerecht zu werden“.
Die im Finanzausgleich vorgesehenen Mittel würden bereits bestehende Reformmaßnahmen finanzieren, aber keine neuen Maßnahmen zur Weiterentwicklung der Pflegelandschaft, sagte Parr. Neben einer deutlichen Aufstockung der finanziellen Mittel brauche es Strukturreformen. Statt des „Fleckerlteppichs mit neun verschiedenen Pflegesystemen“ sei ein bundesweit einheitliches System nötig. Der Dachverband fordert Maßnahmen zur Personalgewinnung von Pflege- und Betreuungskräften sowie eine Attraktivierung des Berufs. Die begonnene Ausbildungsoffensive für Pflegekräfte müsse mit voller Kraft weitergefahren werden, fordert Elisabeth Anselm vom Hilfswerk und verglich die Herausforderungen mit der Besteigung des Mount Everest. „Wir haben es vielleicht geschafft, das Basislager einzurichten, aber jetzt müssen wir den Aufstieg schaffen.“
Martin Krenek-Burger
Künftige Bundesregierung muss für Entlastung sorgen
„Pflege und Betreuung ist kein politisches Randthema. Es betriff 1,5 Millionen Menschen, entweder weil sie selber Pflege brauchen oder weil sie pflegende Angehörige sind. Laut einer Umfrage, die das Market-Institut für die Diakonie durchgeführt hat, meint nur jeder Fünfte (20 %), dass Menschen mit Pflegebedarf derzeit ausreichend Unterstützung bekommen. Menschen, die dringend Hilfe zu Hause oder einen Pflegeheim-Platz brauchen, würden in einigen Regionen jetzt schon auf Wartelisten verwiesen. Diese unsichere Situation bereitet Menschen im Alter massive Sorgen und ist eine große Belastung für Familien. Eine künftige Bundesregierung muss für Entlastung sorgen.
Eine Reform des Pflegesystems ist notwendig, in deren Zentrum die langfristige Sicherstellung und Weiterentwicklung von Unterstützungsangeboten stehen müssten. Unser Pflegesystem ist versäult. Entweder Pflegeheim oder mobile Hauskrankenpflege. Das ist aber nicht immer das, was Betroffene brauchen. Manche würden mehrstündige Betreuung unter Tags brauchen. Anderen würde Betreuung nur in der Nacht helfen. Kurzzeitpflege ist ein großes Thema, auch Besuchsdienste und Tageszentren. Viele dieser Angebote gibt es bereits, aber nicht überall. Und wenn es sie gibt, sind sie oft nicht leistbar. Für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen ist die Frage nach einem Unterstützungsangebot, das ihren Bedürfnissen entspricht, das Um und Auf.
In Österreich leben rund 150.000 Menschen mit Demenz. 2050 werden es voraussichtlich doppelt so viele sein. Das ist eine große Gruppe. Umso schockierender ist es, dass Menschen, die mit Demenz leben, noch immer stigmatisiert werden. Es ist höchste Zeit, sich von Vorurteilen zu verabschieden und den Menschen hinter der Erkrankung zu sehen und echte Teilhabe zu ermöglichen. Unser zentrales Anliegen ist eine für alle offene Gesellschaft. Um eine für Demenz offene Gesellschaft zu fördern, gibt es viele Wege: Die Schulung von Mitarbeitern im Handel oder im öffentlichen Verkehr, Besuchsdienste zum gemeinsamen Einkaufen oder Spazieren. In der Demenzstrategie finden sich dazu viele Vorgaben. Es ist nun an der Zeit, ernst zu machen mit der Umsetzung und auf Basis der Pilotprojekte den gesellschaftlichen Wandel entschlossen voranzutreiben. Denn die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Demenz geht uns schon längt alle an.“
Maria Katharina Moser, Diakonie-Direktorin
Wir sind keine Ausfallshafter für fehlende Arztpraxen
„Den Gemeinden steht in den kommenden Jahren ein ‚Tal der Tränen‘ bevor, denn die Einnahmen werden aufgrund der Stagnation der Wirtschaft nicht steigen, während aber die Ausgaben und Aufgaben nahezu explodieren. Es gilt nun, die gemeindeeigenen Einnahmen zu stärken und hier neben Sparen und mehr Effizienz unter anderem auch die Grundsteuer zu reformieren. Der Gemeindebund-Bundesvorstand fordert daher schon jetzt für den nächsten Finanzausgleich die Erhöhung des Gemeindeanteils an den gesamten Steuereinnahmen des Bundes auf 15 Prozent ( Anm.: Derzeit liegt der Anteil bei rund 12 Prozent ).
Bei Gesundheit und Pflege ist uns klar, dass die wohnortnahe Versorgung wichtig ist, aber die Gemeinden dürfen aber nicht Ausfallshafter für fehlende Arztpraxen sein ( Anm.: Hier geht es zum Beispiel um das Bereitstellen von Ordinationsinfrastruktur, um jungen Ärzten einen Anreiz zu bieten, überhaupt eine Ordination führen zu können ). Da die Kommunen einen großen Teil der Gesundheit und Pflege im Lande mitfinanzieren, fordert der Gemeindebund eine ordentliche Lösung für die medizinische Versorgung der Menschen im ländlichen Raum.
Beim Thema Kinderbetreuung und Schule drängen wir auf die ausreichende finanzielle Ausstattung, um die vielfältigen Aufgaben zu erfüllen. Dabei geht es auch um eine Lösung für die Assistenzpädagogen und die Inklusion, worauf die Gemeinden schon viel zu lange warten. Für den Gemeindebund ist weiters klar, dass alle Menschen die gleichen Lebensbedingungen auch im ländlichen Raum haben müssen und das beginnt bei der Infrastruktur. Von Glasfaser über die Nahversorgung mit neuen Konzepten bis hin zu wohnortnahen Jobs – Land und Stadt müssen gleichberechtigt sein.
Die Hochwasser-Katastrophe hat gezeigt: Am Ende des Tages sind es die Gemeinden, gemeinsam mit den vielen Freiwilligen, die vor Ort für die Menschen da sind und rasch direkte Hilfe vermitteln. Die Gemeinden sind in der Lebensrealität der Menschen wichtiger als Bund und Länder und daher müssen wir in Zukunft die Gemeinden stärken. Unser Forderungspapier haben wir beschlossen. Damit wissen die Verhandler für die nächste Bundesregierung, was die Gemeinden und damit die Menschen vor Ort brauchen.“
Johannes Pressl, Gemeindebund-Präsident und Bürgermeister von Ardagger (ÖVP)
Zuständigkeits-Dschungel muss ein Ende haben
„Ich fordere ein Ende der Ankündigungspolitik! Den Versprechungen müssen Taten folgen. Viele dringende Reformen sind auf unbestimmte Zeit verschoben worden. Damit muss Schluss sein:
Der Pflegebedarf wird immer größer. Statt einer durchdachten Gesamtstrategie haben die Entscheidungsträger aber bis dato nur kosmetische Einzelmaßnahmen umgesetzt – mit dem Ergebnis, dass das Pflegewesen einem Fleckerlteppich gleicht. Angebote, Kosten und Arbeitsbedingungen unterscheiden sich von Bundesland zu Bundesland. Daher pocht der Samariterbund auf eine österreichweite Gesamtreform mit einheitlichen Regeln. Das bedeutet den Ausbau von Pflege- und Betreuungseinrichtungen sowie eine Personal- und Ausbildungsoffensive und eine gesicherte Finanzierung – sowohl für die Betroffenen als auch die Pflegeorganisationen.
Die gesundheitspolitischen Herausforderungen können mit der heutigen Struktur und Finanzierung nicht bewältigt werden. Eine Novellierung des derzeitigen Sanitätergesetzes ist das Gebot der Stunde! Dringend notwendig ist eine mehrstufige Sanitäter-Ausbildung, die sich an europäische Standards anlehnt: Bedarfsorientiert ausgebildete und entsprechend eingesetzte Sanitäterinnen und Sanitäter haben enormes Potenzial, unser Gesundheitssystem durch erweiterte Befugnisse zu entlasten.
Wer arm ist, wird schnell krank – gleichzeitig wird am kassenfinanzierten Gesundheitssystem gespart. Das Geld muss endlich wieder für Patienten ausgegeben werden und nicht für die Bürokratie. Der Zuständigkeits-Dschungel zwischen Bund, Ländern und Sozialversicherungen muss ein Ende haben. Das umfasst auch, einen Fokus auf die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen zu richten. Denn wer in armen Verhältnissen aufwächst, zählt zu den chronischen Kranken von morgen.
Die erfolgreiche soziale Mission des Samariterbundes wäre ohne das Engagement von tausenden Ehrenamtlichen nicht denkbar. Damit das auch in Zukunft so bleibt, muss die Politik neue geeignete Rahmenbedingungen schaffen. Ich warne davor, das Ehrenamt als Selbstläufer zu sehen und es allein aus Kostengründen zu forcieren. Ein professionelles Freiwilligen-Management bietet beispielsweise Südtirol.“
Reinhard Hundsmüller, Bundesgeschäftsführer des Samariterbundes