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Ärzte Woche

14.03.2023 | Gesundheitspolitik

Neue Zeitrechnung für Primärversorgung

verfasst von: Martin Krenek-Burger

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Gesundheitsminister Johannes Rauch geht wenig überraschend der PVE-Ausbau zu langsam voran. Überraschender ist da schon ein Nebeneffekt der Reform: Rauch legt sich mit der Ärztekammer an.

Die politische Szene lange zu beobachten, bedeutet, Volksvertretern beim Jonglieren mit großen Zahlen zuzuschauen. Manchmal sind diese Zahlen von Anfang an zu fantastisch, um wahr zu sein. Mitunter meint es eine Regierung ernst. Dieses Szenario könnte nun eintreten: Die türkis-grüne Regierung will den schleppenden Ausbau der sogenannten „Primärversorgungseinrichtungen“ (PVE) vorantreiben. Ziel ist eine Verdreifachung bis zum Jahr 2025. Mit der Novelle soll auch die Ärztekammer entmachtet werden, wenn sich künftig sechs Monate lang keine neuen Ärzte finden.

Dass es von diesen PVE derzeit zu wenige gibt, liege am Widerstand der Ärztekammer, sagt Rauch. Dass die Standesvertretung bei der Einrichtung einer PVE ein Vetorecht hat, sei ein Anachronismus. Dass sich Sozialversicherung und Kammer bisher über die Ausschreibung eines Projektes einig werden mussten, habe oft zu jahrelanger Verzögerung geführt. Die gesetzlichen Voraussetzungen werden nun geändert.

Künftig ist Folgendes vorgesehen: Sind in einer Versorgungsregion zwei Stellen von Allgemeinmedizinern oder Kinderärzten unbesetzt, haben die Ärztekammer und die Gesundheitskasse (ÖGK) sechs Monate Zeit, neue Ärzte zu finden. Danach sollen Landesregierung und ÖGK gemeinsam eine PVE ausschreiben können – die Einspruchsmöglichkeit der Ärztekammer fällt weg. Zurzeit gibt es in Österreich 39 Primärversorgungszentren in sieben Bundesländern. Das ursprüngliche Ziel, bis 2021 75 Primärversorgungseinrichtungen zu errichten, wurde verfehlt. Trotzdem wurde ein neues Ziel formuliert: 2025 soll das Angebot auf 121 Zentren, die sich auf alle Bundesländer verteilen, verdreifacht werden.

Primärversorgungszentren sind zukunftsweisend

„Der Berufsverband Österreichischer PsychologInnen (BÖP) begrüßt den Vorstoß von Gesundheitsminister Johannes Rauch zur Beschleunigung von Primärversorgungseinheiten (PVE). Klinische Psychologen und Gesundheitspsychologen verfügen über die notwendigen Kompetenzen und Fähigkeiten, um sich hier aktiv einzubringen.

Das Gesundheitssystem befindet sich, mehr denn je, in großem Wandel. Jährlich leiden rund 30 Prozent aller Menschen in Österreich an einer psychischen Erkrankung. Für viele Betroffene stellt die Primärversorgung einen ersten, niederschwelligen Zugang zu psychologischer Hilfe dar. Um die Gesundheit der heimischen Bevölkerung langfristig und nachhaltig aufzubauen sowie aufrechtzuerhalten, ist eine gute psychologische Versorgung essenziell, denn eines ist klar: Die Psychologie ist eine unverzichtbare Ergänzung der Primärversorgung.

Durch eine engere Zusammenarbeit von Ärztinnen und Ärzten mit anderen Gesundheitsberufen können optimale psychosoziale Rahmenbedingungen für eine gelungene medizinische Therapie geschaffen werden. Das wiederum bedeutet eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität von PatientInnen sowie eine Entlastung von Ärztinnen und Ärzten.

Die Primärversorgungseinrichtungen sind zukunftsweisend in unserem Gesundheitssystem. Es entspricht unserem langjährigen Berufsverständnis und unserer Berufspraxis, interdisziplinär zu arbeiten. In Teams und kollegialer Zusammenarbeit die Bedürfnisse und Sorgen zu erkennen und schnell und niederschwellig Hilfe zu leisten.“

Prof. Dr. Beate Wimmer-Puchinger, Präsidentin Berufsverband Österreichischer PsychologInnen (BÖP)

Keine Blockaden von ärztlicher Seite her

( Mit Stefan Kastner hat Markus Stegmayr gesprochen. ) Zu den Plänen von Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) und seinem Vorhaben, die Anzahl der Primärversorgungszentren zu verdreifachen, befragt, meint der Tiroler Ärztekammerpräsident Stefan Kastner: „Es gilt zuallererst festzuhalten, dass Primärversorgungszentren aus meiner und aus der Sicht der Ärzteschaft kein Allheilmittel sind. Es gibt ja bekanntlich in Tirol bereits einige sehr gut arbeitende und funktionierende Gruppenpraxen, die auch bereits und schon seit längerer Zeit sehr gute Primärversorgung leisten. Es gibt diese Formen und auch andere Formen der Zusammenarbeit zwischen Kollegen, die bereits sehr gut, effizient und patientenorientiert funktionieren.“

Über die Schwierigkeiten der Besetzung solcher Primärversorgungszentren in seinem Bundesland sagt Kastner: „Konzepte wie Primärversorgungszentren oder Gemeinschaftspraxen sind meiner Meinung nach kommunizierende Gefäße, genauso wie die Kolleginnen und Kollegen. Ich kann einfach nicht erwarten und voraussetzen, dass sich diese sofort und wie von selbst befüllen. Es gilt für diese neuen Formen zuallererst Ärzte zu finden, die das überhaupt tun wollen. Diese haben ja in diesem Fall vorher noch überhaupt nicht zusammengearbeitet. Fakt ist in dieser Sache jedenfalls, dass es in Tirol bereits einige Allgemeinmediziner gibt, die mit anderen Kollegen oder auch mit Krankenschwestern unter einem Dach zusammenarbeiten. Sehr wohl werden dort auch die Randzeiten bedient und ausgiebige Ordinationszeiten angeboten. Kurzum und zum wiederholten Male: Primärversorgung in Tirol findet statt – nur halt nicht in Primärversorgungszentren.“

Der Vorwurf lautet ja, dass die ärztliche Standesvertretung den Ausbau der Primärversorgungszentren nicht eben befördert. Kastner dazu: „Die Ärztekammer Tirol hat aber überhaupt nichts gegen Primärversorgungszentren einzuwenden. Die Verträge müssen bei diesen allerdings attraktiv sein. Diese müssen so attraktiv sein, dass die Kolleginnen und Kollegen das machen wollen. Von unserer Seite gibt es jedenfalls keine Blockaden – wir sind offen. Womöglich muss aber noch an der Attraktivierung gearbeitet und genau dort nachgeschärft werden.“

Dr. Stefan Kastner, Präsident der Ärztekammer für TirolFacharzt für Allgemein- und Viszeralchirurgie in Innsbruck

Kritik der Ärztekammer scheint reflexartig zu sein

„Mit dem Entwurf zur Novellierung des Primärversorgungsgesetzes kommen wir mit der Primärversorgung endlich im 21. Jahrhundert an. Mit der Novellierung denken wir die Primärversorgung neu. Der interprofessionelle und interdisziplinäre Gedanke soll forciert werden, denn genau hier liegt der größte Nutzen für Patienten.

Diese Versorgungsangebote sind aus meiner Sicht optimal für Kommunen ab 4.000 Einwohnern und gerade auch bei Jungmedizinern beliebt. Denn mit einer Primärversorgungseinrichtung wird das kaufmännische Risiko geteilt. Zudem stehen Förderungen durch die EU zur Verfügung, die ebenfalls bei der Gründung helfen.

Konkret sieht der neue Entwurf deutliche Erleichterungen bei der Ausschreibung von Primärversorgungseinheiten vor. Diese innovativen Versorgungseinheiten haben bekanntlich nicht nur längere Öffnungszeiten, sondern sehen, dank verankerter interdisziplinärer und interprofessioneller Kooperation zwischen den Berufsgruppen, auch deutlich mehr Angebote für die Patienten vor.

Bisher hat das Primärversorgungsgesetz die Gründung durch Zusammenschluss von zumindest drei Allgemeinmedizinern mit Kassenvertrag vorgesehen. Künftig braucht es nur mehr zwei Mediziner oder Medizinerinnen. In Zukunft werden auch nichtärztliche Medizinberufe Teil der Gründer sein können. Zudem werden sich künftig ebenso Gynäkologen und Fachärzte für Kinder- und Jugendheilkunde bei der Gründung beteiligen können.

Die Kritik der Ärztekammer an der Novelle des Primärversorgungsgesetzes scheint mir reflexartig zu sein, denn jüngst von Kurienobmann Wutscher ( ÖÄK-Vizepräsident Edgar, Anm. ) vorgebrachten Punkte sind nicht nachvollziehbar. Auf der einen Seite kritisiert Wutscher, dass sich keine drei Ärzte finden, die zusammen arbeiten wollen. Auf der anderen Seite übersieht er, dass es schon zumindest 39 Mal diese Konstellation gibt. Alleine zwölf davon in der Steiermark. Wäre es so, wie Wutscher es beschreibt, dann dürfte es diese gar nicht geben. Wir sind aber noch lange nicht dort, wo wir hinmüssen, wenn wir die Versorgung der Bevölkerung absichern wollen. Würden sich einzelne Ländervertretungen in der Ärztekammer nicht derart dagegen wehren, gäbe es jedenfalls schon mehr Primärversorgungseinheiten.“

Ralph Schallmeiner, Gesundheitssprecher der Grünen



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Metadaten
Titel
Neue Zeitrechnung für Primärversorgung
Schlagwort
Gesundheitspolitik
Publikationsdatum
14.03.2023
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 11/2023

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