Eine Amtszeit währt fünf Jahre, ein Zeitraum, in dem der neue ÖÄK-Präsident konkrete Verbesserungen für seine Berufsgruppe erreichen möchte. Doch zunächst gilt es, die Ärzteschaft hinter sich zu versammeln.
Versorgungslücken im niedergelassenen Bereich, Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für Krankenhausärzte, Abwanderung des medizinischen Nachwuchses ins Ausland: Das sind nur drei Probleme, mit denen das Gesundheitswesen aus ärztlicher Sicht konfrontiert ist. Der im Juni neu gewählte Präsident der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK), Dr. Johannes Steinhart, nennt die Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Spitalsärzten, die Attraktivierung des niedergelassenen Kassenbereichs, die Sicherstellung einer wohnortnahen niederschwelligen Gesundheitsversorgung und die Entlastung der Ärzteschaft von bürokratischen Aufgaben. Ein wichtiger Fokus seiner Amtszeit liege darauf, innerhalb der Ärzteschaft Gemeinsames über Trennendes zu stellen: „Die zuletzt aufgetretenen Risse in der Ärzteschaft müssen geschlossen werden. Wir Ärztinnen und Ärzte müssen angesichts der Entscheidungen, wohin es mit der österreichischen Gesundheitsversorgung geht, stark und geeint auftreten. Nur der Zusammenhalt macht uns zu einem verlässlichen Faktor.“
Mit der Wahl von Steinhart und der Bestellung des neuen ÖÄK-Präsidiums hat Ende Juni eine neue fünfjährige Legislaturperiode in der Ärztekammer begonnen. Aus diesem Anlass hat die Ärzte Woche den neu gewählten Obmann der Bundeskurie der niedergelassenen Ärzte, Dr. Edgar Wutscher, den nunmehr zum fünften Mal zum gewählten Obmann der Bundeskurie der angestellten Ärzte gewählten Dr. Harald Mayer sowie eine Stimme von außerhalb der Ärztekammer, nämlich die Gesundheitssprecherin der NEOS, Fiona Fiedler, BEd, nach den drängendsten gesundheitspolitischen Herausforderungen der kommenden fünf Jahre gefragt.
Junge Menschen für den Arztberuf begeistern
„Meine Wiederwahl ist ein Auftrag, sich für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Entlastung der Ambulanzen, Schaffung von neuen Dienstposten und Ausbildungsstellen sowie für die Entlastung der Ärzte von bürokratischen Aufgaben einzusetzen und den Arztberuf an die rasanten Veränderungen in der Gesellschaft anzupassen. Nur dann, wenn wir in diesen Bereichen Veränderungen und somit Verbesserungen schaffen, wird es uns gelingen, junge Menschen für den Arztberuf weiter zu begeistern – die sinkenden Anmeldezahlen für die Aufnahmetests fürs Medizinstudium sind leider alarmierend. Nur wenn wir den Jungen ein attraktives Angebot machen, können wir langfristig verhindern, dass unsere besten Köpfe ins Ausland abwandern.
Die ÖÄK steht gerne mit ihrer Expertise zur Verfügung, wenn es darum geht, konkrete Strategien für die Attraktivierung des Arztberufes und für die Motivation des ärztlichen Nachwuchses – im Kampf gegen den drohenden Ärztemangel – zu entwickeln. Die wichtigsten Punkte:
- Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Spital durch Besetzung offener Dienststellen und leistungsgerechte Entlohnung.
- Steuerung von Patientenströmen zur Entlastung der Ambulanzen durch Ausbau des niedergelassenen Bereiches.
- Reduktion der administrativen Belastung und Dokumentationsarbeit im Spital.
- Hundertprozentige Einhaltung des KA-AZG ohne versteckte Überstunden.
- Flexible Arbeitszeitmodelle ermöglichen: Strikte Trennung in „angestellt“ und „freiberuflich“ auflösen. Weg von dem Gedanken, dass nur „Vollzeit“ sinnvoll fürs Arbeiten im Spital ist. In der Schweiz können sich Ärzte Hausarztstellen teilen und mit ihrer restlichen Arbeitskraft frei umgehen.
- Ausbildung ernst nehmen, das ist kein ärztliches Hobby! Offene Ausbildungsstellen besetzen und in jeder Abteilung, in der ausgebildet wird, einen Ausbildungsoberarzt installieren. Die Festlegung der Ausbildungsstellen in Österreichs Spitälern muss in der Hand der ÖÄK bleiben.
- Bessere Karriere- und Aufstiegsmöglichkeiten sowie Teilzeitmodelle anbieten, um Familie, Freizeit und Beruf besser in Einklang bringen zu können. Schaffung von betriebsnahen Kinderbetreuungsplätzen. Einsatzzeiten im Spitalsdienst planbar machen.“
Dr. Harald Mayer, Obmann der Bundeskurie der angestellten Ärzte in der ÖÄK
Wahlärzte haben eine wichtige Versorgungsaufgabe
„Wir stehen an einem ganz entscheidenden Zeitpunkt in der heimischen Gesundheitspolitik. Der niedergelassene Bereich kommt immer stärker unter Druck. Auf der einen Seite gibt es bürokratische Hürden, Deckelungen, Dämpfungspfaden und drohende Einsparungen, auf der anderen Seite werden die Lücken in der kassenärztlichen Versorgung immer größer. Anstatt hier die logische Verbindung zustande zu bringen, dass eines das andere bedingt, haben wir in den vergangenen Monaten einen ganzen Köcher an katastrophalen Vorschlägen präsentiert bekommen – von Zwangsverpflichtungen bis hin zur Abschaffung des Wahlarztbereiches. Genau jetzt wird es wichtiger denn je sein, hier dagegenzuhalten. Dafür braucht es aber ebenso auch konstruktive Zusammenarbeit und ein Aufeinander-Zugehen. Wir dürfen niemals vergessen, dass die Hauptleidtragenden von Versorgungsproblemen unsere Patientinnen und Patienten sind. Diesen müssen wir Ärztinnen und Ärzte uns verantwortlich fühlen.
Zur Attraktivierung des Kassenbereichs braucht es ein ganzes Bündel an Maßnahmen, die wir im Übrigen der Politik schon vor langer Zeit und immer wieder vorgeschlagen haben. Wir setzen sehr darauf, dass nun endlich die Einsicht kommt, dass dringend gehandelt werden muss. Zusammengefasst braucht es unter anderem weniger Bürokratie, die Ärztinnen und Ärzten die Zeit raubt, die sie für ihre Patientinnen und Patienten bräuchten. Das überholte und überflüssige Arzneimittelbewilligungs-System (ABS) darf zum Beispiel nicht mehr zurückkehren.
Unzweifelhaft müssen sich Politik und Sozialversicherungen mit unseren Modellen der zukünftigen medizinischen Versorgung auseinandersetzen und sie akzeptieren. Der von uns vorgestellte einheitliche Leistungskatalog bildet die moderne Medizin ab. Damit ist auch in Zukunft die hohe Versorgungsqualität gewährleistet. Die Wahlärzte haben eine wichtige Versorgungsaufgabe und sichern der Bevölkerung eben diese Wahlfreiheit, welche viele Bürger wünschen. Daneben gibt es noch zahlreiche andere Schrauben, an denen gedreht werden muss: mehr Wertschätzung für Allgemeinmedizinerinnen und Allgemeinmediziner durch den „Facharzt für Allgemeinmedizin“, das Dispensierrecht für alle Ärzte, die Stärkung des freien Arztberufes und vieles mehr. Der Ball liegt bei der Politik, unsere Vorschläge endlich ernst zu nehmen. Die Zeit drängt.“
Dr. Edgar Wutscher, Obmann der Bundeskurie niedergelassene Ärzte der ÖÄK
Kassenverträge sind derzeit offenbar unattraktiv
„Die aktuell wichtigsten gesundheitspolitischen Themen sind in meinen Augen Gesundheitskompetenz, Prävention und eine komplette Systemreform. Um die Krankenhäuser zu entlasten, bräuchte es für die Versorgung im niedergelassenen Bereich wesentlich mehr Primärversorgungszentren, in denen alle Gesundheitsberufe vertreten sind. Die Etablierung von Community Nurses muss aus meiner Sicht ein zentraler Punkt dieser Systemreform sein. Eine solche Community Nurse stellt einen niederschwelligen Zugang zur Gesundheitsversorgung und zur medizinischen Betreuung dar. Ziel ist es, die Ärzte zu entlasten, sodass diese mehr Zeit für ihre Patienten haben. Natürlich müssen die Community Nurses entsprechend ausgebildet sein. Die Aufwertung der Pflegeberufe gehört aber überall dazu. Es sollten auch School Nurses eingeführt werden, die ständig in den Schulen präsent sind und sich der Kinder und der Pädagogen annehmen, auch was psychische Gesundheit betrifft.
Eine Systemreform beinhaltet auch das Füllen der bestehenden Versorgungslücken im Kassenbereich. Derzeit sind ja viele Patienten und Patientinnen gezwungen, einen Wahlarzt oder eine Wahlärztin aufzusuchen, weil die Versicherungsträger nicht dafür sorgen, dass genügend Kassenärzte vorhanden sind. Wir haben wiederholt Anträge gestellt, dass die Versicherten die Wahlarztkosten zur Gänze erstattet bekommen und nicht nur zu 80 Prozent der Kassenbeiträge. Das wurde jedoch stets abgelehnt. Wir sehen aber, ehrlich gesagt, nicht ein, warum jeder Bürger und jede Bürgerin Versicherungsbeiträge zahlen muss, ohne eine Leistung zu bekommen, und dann auch noch die Wahlarztkosten selbst tragen muss.
Für eine Verbesserung braucht es aber auch attraktivere Arbeitsbedingungen bei den Kassenärzten. Die Kassenverträge sind offenbar so unattraktiv, dass Ärzte regelrecht in den Wahlarztsektor gedrängt werden oder dem Arztberuf überhaupt den Rücken kehren. Dasselbe gilt für die Krankenhäuser, in denen Jungärzte extrem überlastet sind. Hier mehr Eingriffe tagesambulant zu machen, könnte die Häuser entlasten.“
Fiona Fiedler, BEd, Gesundheitssprecherin der NEOS