Der Schock sitzt tief: Millionen Tote weltweit, wirtschaftliche Turbulenzen und viele Länder, deren Impfquote immer noch viel zu niedrig ist. Die EU will wissen, aus welcher Ecke die nächste große Gesundheitsgefahr für die Menschheit kommt.
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Die EU will nach dem Corona-Schock nichts mehr dem Zufall überlassen. Die Lücken in den Pandemie-Plänen sollen aufgedeckt, Schreckensszenarien auf Eintrittswahrscheinlichkeit abgeklopft werden. Das ist Aufgabe der neuen Anti-Krisen-Agentur.
Heute wissen wir: COVID-19 hat die Welt kalt erwischt. Da mochte Bill Gates in seinem legendären TED Talk von 2015 noch so sehr warnen. Seine Botschaft: „Der nächste Ausbruch trifft uns unvorbereitet“, stieß bei den Gesundheitspolitikern in aller Welt auf taube Ohren. Heute sitzt der Schock tief: Mehr als 5 Millionen Tote. Ein Rückgang der Wirtschaft. Familien, die in kleinen Wohnungen wochenlang eingesperrt wurden. Zu wenig Masken und Schutzkleidung.
Weil es am Beginn der Pandemie an vielem fehlte, dachte jedes Land nur an sich selbst. Grenzen wurden geschlossen. Vorbei war die europäische Gemeinsamkeit. Wer würde zuerst ein Flugzeug voller Masken aus China ergattern? Masken, die sich schon bald als fehlerhaft und ungeeignet erwiesen … Erst als es darum ging, Impfstoffe einzukaufen, kam die EU wieder in Tritt. Aber nur für kurze Zeit: Schon bald stellte sich heraus, dass die Firma AstraZeneca zwar viel versprochen hatte, aber nur wenig halten konnte. Dass Pfizer Impfstoff lieber nach Israel verkaufte, weil man dort bereit war, mehr zu zahlen als die knausrigen Europäer.
Das ist heute Geschichte. Aber eine Geschichte, die sich nicht wiederholen soll. In der Europäischen Kommission entstand ein kühner Plan. Er hört auf den griffigen Namen „HERA“ — was gut ist, denn die Langform „Health Emergency Preparedness and Response Authority“ geht nur schlecht ins Ohr. (Auf Deutsch: „Behörde für gesundheitliche Krisenvorsorge und Krisenbewältigung“. )
Vor der Krise: Vorsorge
Die erste große Aufgabe von HERA wird sein, herauszufinden, aus welcher Ecke die nächste große Gesundheitsgefahr für die Menschheit kommt. Bis 2022 will man drei vermutete Bedrohungen genau unter die Lupe nehmen. Man will Instrumente schaffen, mit deren Hilfe drohende Ausbrüche einer Pandemie frühzeitig erkannt werden können.
Ein zweiter Schwerpunkt: HERA wird nach Lücken in den Pandemieplänen der Mitgliedsländer suchen – und diese aufzeigen.
Nie wieder, sagt die Europäische Kommission, darf Europa in Notzeiten auf Lieferungen aus dem Ausland angewiesen sein. Europas Industrie soll mehr Impfstoffe herstellen können als derzeit, und das auch rascher. Sie soll auf Knopfdruck imstande sein, all das herzustellen, was die Pandemie-Abwehr braucht:
„Die Herstellung medizinischer Gegenmaßnahmen in der EU wird hochgefahren, und es wird eine Bestandsaufnahme der Produktionsanlagen, der Rohstoffe, Verbrauchsmaterialien, Ausrüstungen und Infrastrukturen erstellt.“
So will die EU-Kommission zunächst einmal erfahren, wo Europa schlecht aufgestellt ist. Dann will man mit der Industrie verhandeln. Und sie, mit Geld und guten Worten, motivieren, auch Produktionsanlagen vorzuhalten, die im Augenblick nur wenig gebraucht werden.
So soll „ein Netz ständig einsatzbereiter Produktionskapazitäten für die Herstellung von Impfstoffen und Arzneimitteln“ entstehen. Ähnliche Notfallpläne soll es auch für Forschung und Entwicklung geben.
EU nimmt viel Geld in die Hand
Dass es der EU-Kommission und den Mitgliedstaaten ernst ist, sieht man schon daran, dass in den kommenden sieben Jahren 6 Milliarden Euro für HERA zur Verfügung stehen werden. Insgesamt aber will sich die EU noch großzügiger zeigen.
Sie sagt, alles in allem und über die verschiedensten Programme verteilt, werden bis 2027 etwa 30 Milliarden Euro in die Pandemie-Vorsorge gesteckt.
Weil die Zeit drängt, hat die Europäische Kommission darauf verzichtet, eine eigene HERA-Behörde aufzubauen. Das Anti-Pandemie-Programm wird innerhalb des bestehenden Apparates der Kommission betreut werden.
Noch ist nicht klar, ob alle EU-Staaten HERA unterstützen werden. Andreas Schieder ist Chef der SPÖAbgeordneten im Europaparlament, meint: „Hoffentlich haben die nationalen Regierungen so viel aus der COVID-19-Krise gelernt, dass sie auch bereit sein werden, HERA zum Erfolg zu verhelfen. Die Krise hat gezeigt, dass es auch in Gesundheitsfragen, im Krisenmanagement und in der medizinischen Forschung und Infrastruktur mehr gemeinsames Vorgehen braucht.“
Mückstein: Österreich ist dabei
Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein sagt zu HERA: „Österreich möchte, dass es eine starke EUGesundheitsunion gibt. Unser Land wird sich beteiligen. Es gibt allerdings noch einige offene Fragen. Was genau soll HERA tun? Wie viel Geld soll wofür aufgewendet werden?“
Minister Wolfgang Mückstein verlangt, dass alle EU-Staaten in diese Anti-Pandemie-Initiative der Europäischen Union eingebunden werden: „Langfristig wollen wir eine starke und unabhängige Institution. Außerdem soll eine nachhaltige Finanzierung gesichert sein.“
Josef Broukal ist Journalist und ehemaliger Politiker (SPÖ).
Josef Broukal