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Ärzte Woche

28.08.2022 | Gesundheitspolitik

Die Inflation springt an, der Motor stottert

verfasst von: Von Martin Krenek-Burger

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Auch wenn „selbstverständlich“ keine Rettungsfahrt weniger unternommen wird – die heimischen Rettungsorganisationen spüren die Teuerungswelle genauso wie viele Bürger. Sie fordern eine Entlastung.

Mit einer Inflationsrate von 9,3 Prozent ist für den Monat Juli die höchste Teuerungsrate seit Februar 1975 gemessen worden. „Wir erleben derzeit die höchste Inflation seit 40 Jahren. Die Folgen sehen wir in unserer täglichen Arbeit, etwa bei den Caritas-Sozialberatungsstellen oder den Lebensmittelausgabestellen.“ Das sagt Klaus Schwertner, Caritas-Geschäftsführer der Erzdiözese Wien. Doch die gestiegenen Kosten, vor allem die hohen Spritpreise, machen auch den Blaulichtorganisationen selbst zu schaffen. Der Bundesgeschäftsführer des Samariterbundes, Reinhard Hundsmüller, im Brotberuf SPÖ-Klubobmann im NÖ-Landtag, fordert gar eine Befreiung von der Mineralölsteuer. Und ganz allgemein: „Die Bundesregierung muss endlich ein großes Lösungskonzept entwickeln. Gutscheine und kleine Zuschüsse reichen nicht mehr aus.“ Der stv. Rotkreuz-Generalsekretär Peter Kaiser erwartet ebenfalls eine finanzielle Entschädigung. Aber: „Die Befreiung von der Mineralölsteuer ist aufgrund des EU-Rechts nicht möglich. Wir setzen primär auf Verhandlungen mit den Vertragspartnern, den Sozialversicherungen, aber auch mit Ländern und den Gemeinden.“ Wie konnte es so weit kommen? Der deutsche Makroökonom Prof. Dr. Sebastian Gechert erinnert daran, dass die Inflation nicht durch den Ukraine-Krieg allein befeuert wird, sondern auch ein Ergebnis der Corona-Pandemie ist. Und er zieht einen historischen Vergleich mit den Krisen der Siebziger Jahre.

Keine Fahrt wird aus Preisgründen eingespart

„Die hohen Spritpreise treffen alle Menschen, die auf das Auto angewiesen sind und auch das Rote Kreuz ist auf den Einsatz von Fahrzeugen angewiesen – sei es im Rettungsdienst oder in der mobilen Hauskrankenpflege. Wir hoffen darauf, dass es für Einsatzorganisationen zu einer finanziellen Entlastung kommt. Trotz der Teuerungen ist die Versorgung sichergestellt und es wird keine Fahrt aus Preisgründen eingespart. Bei den Verhandlungen der Tarife der Rettungs- und Sanitätsdiensteinsätze für das Jahr 2023 wird der Faktor der gestiegenen Treibstoffkosten, aber auch die allgemeine Inflation miteinbezogen. Hinzu kommen bestehende Lieferengpässe, die die Bestellung von neuen Fahrzeugen und Material betreffen. Die aktuellen Wartezeiten sind sehr lang, und auch in diesem Bereich steigen die Kosten immer weiter an.

Die aktuelle wirtschaftliche Lage führt dazu, dass mehr Menschen in die Sozialmärkte kommen, weil sie sich die Lebensmittel im Supermarkt einfach nicht mehr leisten können, und ein erhöhter Bedarf besteht – an manchen Standorten bis zu 70 Prozent mehr als noch vor Kurzem. Auch der bevorstehende Schulstart ist für viele Familien eine große finanzielle Herausforderung, und die Menschen sind auf Unterstützungsleistungen aus der öffentlichen Hand angewiesen. Manche sind das erste Mal in ihrem Leben auf Unterstützung angewiesen und fühlen sich schuldig, wenn sie um Hilfe bitten müssen. Woran viele nicht denken: Auch die Papier- und Druckkosten sind stark gestiegen. Das macht sich vor allem bei den Printprodukten des Jugendrotkreuzes, zum Beispiel „Gemeinsam Lesen“, bemerkbar. In der Pflege und Betreuung ist die Inflation ebenfalls spürbar: Auf der einen Seite steigen die Kosten für Miete, Sprit etc., auf der anderen Seite bleiben die Normkosten aber gleich.

Ein positives Beispiel für soziale Verantwortung bei einem Energieanbieter ist die Kooperation der Individuellen Spontanhilfe des Österreichischen Roten Kreuzes ( Anm.: ISH, Paulanergasse 9G, 1040 Wien ) mit der Ombudsstelle von Wien Energie. An den zweiwöchentlich stattfindenden Energiesprechtagen werden die Fälle von Energiearmut im persönlichen Gespräch zwischen den Sozialarbeitern der ISH, den betroffenen Klienten und den speziell geschulten Kollegen von Wien Energie geprüft. Unter Berücksichtigung des individuellen Energieverbrauchs und des verfügbaren Einkommens suchen alle Beteiligten nach den Ursachen des Zahlungsproblems. Gemeinsam werden nachhaltige Lösungen erarbeitet, um die Energieversorgung zu sichern.“

Peter Kaiser, stv. Generalsekretär des Österreichischen Roten Kreuzes

Es gibt viele Parallelen zu den Ölkrisen der 1970er-Jahre

„Es gibt mehrere Faktoren, die hinter der historisch hohen Inflation stehen. Zunächst haben die Lieferengpässe und Betriebsschließungen aufgrund der Corona-Pandemie das Angebot an Waren und Dienstleistungen verknappt. Gleichzeitig zeigen unsere Untersuchungen: Haushalte, die beruflich gut durch die Pandemie-Zeit gekommen sind, aber ihr Geld aufgrund der Lockdowns nicht ausgeben konnten, haben Ersparnisse angehäuft. Die wollen sie jetzt ausgeben. Wenn die Nachfrage größer ist als das Angebot, steigen in der Regel die Preise. Viele Unternehmen haben diese Phase genutzt, um ihre Preise anzuheben und zusätzliche Profite zu machen. Hinzu kommt Russlands Krieg in der Ukraine, der die Preise für Gas und Öl und für Grundnahrungsmittel in die Höhe getrieben hat. Die Verteuerung von Rohstoffen wirkt direkt, etwa an der Zapfsäule, aber auch indirekt: Die Kosten der Autoproduktion steigen, wenn in der Stahlschmelze die Kohle teurer wird. Der Betrieb von Schwimmbädern wird teurer, wenn die Heizkosten steigen. Das schlägt sich in den Verbraucherpreisen nieder.

Wenn ich nach historischen Vorbildern gefragt werde, fallen mir die Ölkrisen der 1970er-Jahre ein. In der Folge stieg das allgemeine Preisniveau über mehrere Jahre im Bereich von sechs Prozent pro Jahr. Die Gründe waren zunächst ähnlich gelagert: Mit dem Jom-Kippur-Krieg 1973, damit zusammenhängenden Wirtschaftssanktionen und Drosselungen von Lieferungen sehen wir viele Parallelen zu heute. Das Problem ist damals wie heute, dass man gegen einen solchen Angebotsschock, wie wir Makroökonomen das nennen, leider wirtschaftspolitisch nur Dinge tun kann, die andere Probleme mit sich bringen. Etwa eine straffere Geldpolitik, die aber die Arbeitslosigkeit erhöhen dürfte. In den 1970ern verstetigte sich das Inflationsproblem noch, weil es zu einer Preis-Lohn-Spirale kam. Die Gewerkschaften reagierten auf den Kaufkraftverlust mit höheren Lohnforderungen, was die Unternehmen wiederum zu weiteren Preissteigerungen veranlasste; legitime Interessen, aber gesamtwirtschaftlich gefährlich. Aktuell sehen wir solche Zweitrundeneffekte zumindest bei den Löhnen nicht. Das nährt die Hoffnung, dass die Inflation perspektivisch wieder zurückgeht. Es sei denn, die Rohstoffpreise steigen weiter.“

Prof. Dr. Sebastian Gechert, Inhaber der Professur für Makroökonomie an der TU Chemnitz

Ich blicke mit großer Sorge in die Zukunft

„Es ist paradox. Einerseits befinden wir uns in einer Situation, in der Hilfsorganisationen mehr gebraucht werden denn je – von der Pandemiebekämpfung über Bewältigung der Pflegekrise bis hin zur Flüchtlingshilfe. Gleichzeitig lässt uns die Bundesregierung, was die finanzielle Unterstützung betrifft, im Regen stehen. Diese Mischung ist toxisch. Denn in den nächsten Monaten ist mit einer zweistelligen Inflationsrate zu rechnen. Ich blicke mit großer Sorge in die Zukunft.

In den vergangenen Wochen habe ich wegen der gestiegenen Treibstoffkosten wiederholt eine Sonderförderung für Blaulichtorganisationen gefordert ( Anm.: konkret eine Befreiung von der Mineralölsteue r) – mein Appell blieb ungehört, obwohl ich vor den negativen Folgen für das Rettungswesen eindringlich gewarnt habe.

Die Teuerungswelle rollt inzwischen weiter und macht auch vor anderen Bereichen der Hilfsorganisationen nicht halt. Ob Pflege, Wohnungslosenhilfe, Sozialmärkte, Flüchtlingsbetreuung oder Essen auf Rädern: Überall ist man mit steigenden Preisen konfrontiert. Neben dem Treibstoff macht sich die Kostenexplosion vor allem bei Strom, Gas und den Nahrungsmitteln bemerkbar. Allein in den Samariterbund-Pflegekompetenzzentren rechnen wir mit doppelt so hohen Energieausgaben wie vor einem Jahr. Hinzu kommt, dass die Mitarbeiter eine Anpassung der Löhne fordern werden.

In der Pflege macht sich der Mangel an Nachwuchskräften stark bemerkbar. Ein Grund für diese schwierige Lage ist die Ausbildung. Derzeit werden junge Menschen in der Ausbildungszeit mit einem kleinen Taschengeld abgespeist. Es braucht hier ein echtes Entgelt, das sich an jenem von Polizeischülern orientiert. Für das 1. Ausbildungsjahr wären das aktuell etwa 1.800 Euro brutto. Das derzeitig ausbezahlte Taschengeld macht es Jugendlichen finanziell oft unmöglich, eine Ausbildung in der Pflege zu starten.

Anschaulich ist die Teuerung in den Sozialmärkten. Die SOMAs des Samariterbundes ( Anm.: 5 × in Wien ) kämpfen mit höheren Kosten, gleichzeitig wächst der Kundenstamm in den Geschäften rapide an, weil es aufgrund der Inflation mehr armutsgefährdete Menschen gibt. Allein seit Jahresanfang hat sich die Zahl der SOMA-Kundinnen und -Kunden um mehr als 30 Prozent erhöht.“

Reinhard Hundsmüller, Bundesgeschäftsführer des ArbeiterSamariter-Bundes Österreich

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Metadaten
Titel
Die Inflation springt an, der Motor stottert
Schlagwort
Gesundheitspolitik
Publikationsdatum
28.08.2022
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 35/2022

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