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Ärzte Woche

14.06.2021 | Gesundheitspolitik

Leo Ho: Der neue Präsident von Ärzte ohne Grenzen

verfasst von: Mit Leo Ho hatMartin Kenek-Burger gesprochen

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Seit 1. Juni steht ein Mann an der Spitze der medizinischen Hilfsorganisation: Der aus Cleveland stammende Kinderarzt Leo Ho tritt in die „großen Fußstapfen“ seiner Vorgängerin, der Psychotherapeutin Margaretha Maleh.

Wie ist der Wunsch, an entlegenen Orten der Welt medizinische Hilfe zu leisten, entstanden?

Ho: Während meines Medizinstudiums habe ich schnell bemerkt, dass ich zwar einerseits ein Kinderarzt werden will, mich aber andererseits für eine Organisation wie Ärzte ohne Grenzen engagieren möchte. Von dieser Idee bis zum ersten Einsatz vergingen zehn Jahre, in denen ich meine medizinische Ausbildung in den USA abschloss und berufliche Erfahrung sammelte (siehe Kasten) .


Warum haben Sie diese vielversprechend anlaufende Karriere in den USA für Auslandseinsätze bei Doctors Without Borders aufgegeben?

Ho: Es gab ein Schlüsselerlebnis. Als ich noch ein junger Medizinstudent war, habe ich einen Bekannten in Mexiko besucht. Während meines Aufenthalts dort gingen wir jeden Tag an einer Gruppe Kinder vorbei. Eines Tages kam ich erst lange nach Mitternacht nach Hause, es regnete, es war kalt. Die Kinder waren noch da. Sie kauerten am Straßenrand und versuchten, sich gegenseitig warm zu halten. Das hat einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Mir wurde klar, dass der Lebensstandard stark davon abhängt, wo man geboren wird und aufwächst. Mir war zwar bewusst, dass man Armut und Verzweiflung überall auf der Welt findet, aber ich beschloss, mich nicht damit abzufinden. Der erste Auslandseinsatz für Ärzte ohne Grenzen ermöglichte es mir, weiterhin als Kinderarzt tätig zu sein, aber in Ländern, wo ein Mangel an Medizinern herrscht.


Sie sagten, es macht einen Unterschied, wo man geboren ist. Sie leben in Österreich. Was unterscheidet uns von jenen Ländern, in denen Sie schon tätig waren?

Ho: Das Leben in Österreich ist vergleichsweise bequem. Viele nehmen es als selbstverständlich hin, dass unser Gesundheitssystem gut ist, es genügend Ärzte, Krankenpfleger, Krankenschwestern und Spitäler gibt, und dass die medizinische Versorgung den Einzelnen in der Regel nichts kostet. Wir müssen uns auch keine allzu großen Sorgen wegen schrecklicher Krankheiten machen. In Westafrika habe ich Menschen behandelt, die an Tollwut oder Tetanus litten – Krankheiten, die sich leicht durch Impfungen vermeiden ließen.

Auf vielen meiner Missionen war ich oft der einzige Arzt weit und breit. Als ich nach Liberia in Westafrika gekommen bin, war das Land noch gezeichnet vom Bürgerkrieg. Jeder, der konnte und gut ausgebildet war, hatte das Land verlassen. Es waren in ganz Liberia 40 Ärzte übrig, ich war der einzige Kinderarzt. Die Abteilung der Kinderambulanz in Philadelphia, wo ich davor gearbeitet hatte, verfügte allein über 20 Kinderärzte. Das war zwar traurig, aber es bestärkte mich nur in meiner Entscheidung, dorthin zu gehen, wo es keine medizinische Versorgung gibt.


Sie gelten als jemand, der konstruktive Kritik schätzt und auch übt. Ärzte ohne Grenzen haben ein traditionell schwieriges Verhältnis zu Bundeskanzler Sebastian Kurz, der Ihrer Organisation einmal ein Naheverhältnis zu Schleppern unterstellt hat. Konkret hat Kurz privaten Seenotrettern im Mittelmeer vorgeworfen, Migranten in die Mitte Europas bringen zu wollen (siehe Artikel rechts). Wie ist Ihr Verhältnis zur Bundesregierung?

Ho: Wir sind offen für gute Beziehungen. Das bedeutet nicht, dass wir allem zustimmen oder, umgekehrt, alles verurteilen, was eine Regierung tut. Wir versuchen, uns, aus der Tagespolitik herauszuhalten und neutral zu bleiben, außer es wird Menschen unnötiges Leid zugefügt wie 2015, als die Flüchtlingsfrage akut wurde. Das ist für uns nicht akzeptabel, und das sagen wir dann auch laut und deutlich.


Sie sind gelernter Pädiater, Ihre Vorgängerin Margaretha Maleh war Psychotherapeutin. Welche Schwerpunkte werden Sie setzen?

Ho: Zunächst möchte ich Frau Maleh danken, für ihren langjährigen Einsatz und ihre Leistung, das sind große Fußstapfen. Sie hat maßgeblich dazu beigetragen, die Relevanz von psychologischer Hilfe in Krisengebieten sichtbar zu machen. Ich bin Kinderarzt und ich liebe Kinder.

Als ich bei Ärzte ohne Grenzen anfing, hatten wir medizinische Guidelines für unsere Arbeit draußen, aber die waren fast ausschließlich für Erwachsene. Das hat sich verbessert. Als Präsident muss ich mich aber auch um andere Fachbereiche kümmern, in denen es Verbesserungsbedarf gibt.


Zum Schluss kommend: Wie hat es Sie eigentlich nach Österreich verschlagen?

Ho: Der Grund ist meine Frau, sie ist Labortechnikerin und stammt aus Oberösterreich, heute leben wir in Wien. Kennengelernt haben wir uns tatsächlich bei einem Einsatz von Ärzte-ohne-Grenzen in einem Spital in Sierra Leone. Wir hassen beide Ungerechtigkeit und wollen die Welt ein Stück besser machen.

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Metadaten
Titel
Leo Ho: Der neue Präsident von Ärzte ohne Grenzen
Schlagwort
Gesundheitspolitik
Publikationsdatum
14.06.2021
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 24/2021

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