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15.12.2022 | Gesundheitspolitik | Online-Artikel

Tötungsklinik statt Hospiz

verfasst von: Michael Krassnitzer

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Nach 47 Dienstjahren zieht die Lungenfachärztin und Intensivmedizinerin Prof. Dr. Sylvia Hartl eine kritische Bilanz. Sie ist an der Abteilung für Atemwegs- und Lungenkrankheiten an der Klinik Penzing tätig und hat mit Ärzte Woche über Assistierten Suizid gesprochen.

Ärzte Woche: Frau Prof. Hartl, was sagen Sie zu dem neuen Sterbehilfe-Gesetz?
Hartl: Ich muss ehrlich sagen, ich bin ein bisschen besorgt. Und zwar nicht, ob das Gesetz gut gemacht ist, sondern warum wir dieses Gesetz machen. In einer Gesellschaft braucht man ein Gesetz für aktive Tötung nur dann, wenn sich die Gesellschaft von den Betroffenen distanziert. Weil eine Sterbebegleitung und eine palliativmedizinische Betreuung auf dem letzten Weg bei chronischen, schweren Erkrankungen gab es vorher auch schon. Wir kennen die beachtliche und die notarielle Patientenverfügung, wo man auch jetzt schon im voraus Entscheidungen treffen kann, welche Behandlung man haben möchte oder nicht.

Ärzte Woche: Was war vor der neuen Sterbehilferegelung gesetzlich schon möglich, um das Sterben zu erleichtern?
Hartl: Es geht immer darum, dass der Patient ausreichend informiert wird, um eine bewusste Entscheidung treffen zu können. Dass man sich lang genug im Verlauf einer Erkrankung Zeit nimmt, darüber zu sprechen. Und dann wird in der Patientenverfügung auch eingesetzt: möchten Sie Morphium erhalten oder andere Rauschmittel? Wenn es so weit wäre, dass sie sagen, es ist unerträglich für mich, auch um den Preis, dass das die Atmung dämpfen könnte und ihr Leben eventuell verkürzt. Und das unterschreiben auch schon sehr viele Patienten mit solchen Erkrankungen.

Ärzte Woche: Und wenn man plötzlich erkrankt und keine Patientenverfügung gemacht hat?
Hartl: In einer Akutsituation im Krankenhaus entscheidet der Arzt, was für eine Linderung gegeben wird. Ob zum Beispiel eine Intensivstation noch Sinn macht. Wenn man vorausschauen kann, dass sich die Erkrankung verschlechtern wird, beginnt man darüber zu sprechen, um gemeinsam mit dem Patienten zu erarbeiten, was er sich vorstellen kann. Die meisten Menschen leben viel länger, als sie vorher erwartet hätten. Das kann vielleicht mit dem neuen Sterbehilfegesetz auch so sein, dass man es zwar macht. Und dann das Sterben trotzdem hinausschiebt, weil sich Menschen immer dann für das Leben entscheiden, wenn sie Zuwendung und Hilfe bekommen und Gehör.

Ärzte Woche: Gerade in Ihrem Fach, der Lungenheilkunde, gibt es sicher viele Patienten, die Angst haben, zu Ersticken?
Hartl: Jeder Mensch hat Angst davor, qualvoll sterben zu müssen. Mit unerträglichen Schmerzen oder quälender Atemnot. Das Gefühl, ersticken zu müssen, ist wahrscheinlich etwas, das für jeden eine Horrorvorstellung ist. Wir können den Patienten medikamentöse Hilfe und Beatmungsgeräte geben, so gut es geht. Ich will aber nicht verschweigen, dass am Ende einer chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung wie zum Beispiel COPD sehr qualvoll sein kann und wir natürlich auch Morphium verwenden oder andere Rauschmittel, um die Patienten zu begleiten und ihnen so ähnlich wie bei Narkosen diese Atemnot zu nehmen. Und das auch um den Preis, dass es ihr Leben dann tatsächlich verkürzen kann.

Ärzte Woche: Sind Sie häufig mit dem Wunsch zu sterben konfrontiert?
Hartl: Nein, in unserem Bereich eigentlich nicht. Da wir für Patienten, die zum Beispiel einen künstlichen Atemweg haben, eine Betreuung für zu Hause organisieren, sind wir mit dem Thema viel weniger konfrontiert. Ich habe auch nicht das Problem, wenn einzelne Patienten diese Frage stellen. Ich habe das Problem, was die Konsequenz sein wird in der Gesundheitsversorgung. Denn zu uns kommen meine Patienten eher und sagen, wir fürchten uns, dass wir unter Druck geraten, dass man sich um uns nicht mehr kümmern wird oder dass wir unsere Ansprüche auf die Betreuung verlieren.

Ärzte Woche: Begleitend zum Sterbehilfegesetz soll ja die Palliativmedizin ausgebaut werden.
Hartl: Bis jetzt ist aber noch nichts passiert, oder? Die Gefahr die durch solche Gesetze entsteht, ist auch, dass man an der Ressourcen-Vergrößerung spart. Weil es natürlich Hindernisse gibt. Es gibt Pflegemangel, es gibt immer irgendwelche Probleme, die wir lösen müssen. Und dann sieht die Alternative so aus für Betroffene: ich kriege keinen Platz, es kommt niemand zu mir nach Hause. Das wäre dann nicht etwas, was das Gesetz hervorgerufen hat, sondern was der Wille einer Gesellschaft dorthin zu investieren, hervorgerufen hat. Und das ist eine Sorge, die überhaupt nie bei der Gesetzesentstehung thematisiert wurde, die aber sehr wohl bei behinderten, hilfsbedürftigen und alten Menschen da ist.

Ärzte Woche: Die Behinderten waren ja sehr skeptisch, was das Sterbehilfe-Gesetz betrifft, weil sie befürchten, dass dann ein Druck auf den Einzelnen entsteht.
Hartl: Sie können auf vielen Wegen signalisieren: Du bist eine Last für uns. Ich kann das meinen Angehörigen nicht zumuten. Ich bin ganz alleine, das wäre eigentlich unverschämt. Und eine Gesellschaft versteckt sich hinter dem Staat und dem Gesetzgeber. Und dann frage ich einmal: wer ist denn der Staat? Und wer ist der Gesetzgeber? Wir alle! Und ich persönlich nach über 40 Jahren in der Medizin, empfinde es schon ein bisschen als ein gesellschaftliches Versagen.

Ärzte Woche: Auch die Initiatoren des Gesetzes sind unzufrieden und fordern, dass kommerzielle Sterbevereine wie in der Schweiz zugelassen werden.
Hartl: Ja, wir werden halt dann statt Hospize Tötungs-Kliniken haben. Man muss es klar so sagen. Und ob das ein eine schöne Zukunft ist für eine Gesellschaft, weiß ich nicht. Aber es könnte sein, dass unsere Betroffenen und irgendwann vielleicht doch wir selbst in die Situation kommen, wo man einfach glaubt, man habe keine andere Alternative.

Ärzte Woche: Was wären Alternative zur Sterbehilfe?
Hartl: Die Frage ist, ob man auf ein Problem unterschiedliche Antworten sucht. Man hätte auch das Problem bearbeiten können, indem man mehr in die Ressourcen investiert, indem man versucht, mehr Hospize aufzubauen, indem man mehr Leute in der Palliativmedizin ausbildet. Das löst das Problem nicht bis morgen. Aber das Problem mit aktivem Beistand zum Töten wird das Problem auch nicht lösen.

Ärzte Woche: Manche Menschen wollen nicht dem Gesundheitssystem ausgeliefert sein, sondern selbstbestimmt entscheiden, auch über den eigenen Tod.
Hartl: Und ich glaube, wir haben einen gewaltigen Vertrauensschwund in der Bevölkerung. Ich habe 47 Dienstjahre. Und ich habe noch nie erlebt, dass jemand angespuckt wurde, weil er sich um einen Patienten kümmern will und dass Securities vor dem Spital stehen müssen. Diese Covid-Krise hat sehr viel demaskiert, was hier für Gräben aufgerissen worden sind. Gräben des Misstrauens zueinander. Gerade wenn sie über aktive Sterbehilfe nachdenken, da braucht man mehr Vertrauen. Ich will sicher sein, dass ich alleine entscheide. Entscheidungen sind immer abhängig davon, wie der Zeitgeist ist, wie die Menschen sind, die sie umgeben, ob sie weinende Angehörige haben, ob sie irgendjemand so sehr liebt, ob sie ein Kind zu haben oder was weiß ich für Aufgaben haben, warum sie leben wollen oder auch eine schwere Bürde manchmal tragen. Letztendlich wenn sich jemand zu einen Selbstmord entschlossen hat, das ist ethisch gesehen nicht das Problem. Das ethische Problem ist auf der Seite der Gesellschaft, die solche Gesetze pusht.

Ärzte Woche: In Holland war auch wegen der Covid-Krise ein Höchststand an aktiver Sterbehilfe von 7.000 Menschen im letzten Jahr-
Hartl: Sie werden auch bei uns erleben, wenn ein Gesetz da ist, dass die Anzahl derer, die sich töten wollen und lassen, zunehmen wird. Und das ist genau der Punkt der Sorge. Weil man es dann institutionalisieren wird. Jetzt hat man vielleicht sehr viele bange Fragen. Irgendwann wird man nachlässiger. Gesetze werden immer gebrochen, Gesetze werden immer umgangen. Das wissen wir. Und wie viel Vertrauen hat man zu einer Gesellschaft? Und wenn Sie mich das jetzt fragen als Ärztin, dann muss ich Ihnen sagen, im Moment nicht besonders viel. Und deswegen habe ich zu diesem Gesetz eine sehr zwiegespaltene Einstellung, auch wenn ich nicht bezweifle, dass es juridisch, sachlich gut gemacht ist,

Ärzte Woche: Wo steuern wir hin? In anderen Ländern gibt es bereits aktive Sterbehilfe auch für Demente.
Hartl: Demenz ist ein vielschichtiges Thema. Wenn sie eine Beschäftigung haben, wenn jemand sich um sie kümmert, wenn sie sozusagen versorgt sind, liebevoll, dann können diese Menschen eine Lebensqualität haben, die wir nicht einschätzen können. Und das ist das Problem. Wir diskutieren immer um das gleiche Thema: wie viel möchten wir uns in einer Gesellschaft noch umeinander kümmern? Im Moment ist die Aussage: kümmere Dich um Dich selbst, finanziell, gesundheitlich, in allem. Das unterschreibe ich auch, denn wir wollen Eigenverantwortung übernehmen. Aber wenn es mir gerade mal schlecht geht zu signalisieren, dann bin ich halt leider auch nicht da, denn ihr seid einfach zu viele. Das ist ein Versagen der Gesellschaft letztendlich.   

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