Im Gesundheitswesen passieren Verwechslungen von Namen, Dosierungen sowie Medikationsfehler. Pannen werden im besten Fall nicht unter den Teppich gekehrt, sondern in das Berichts- und Lernsystem „CIRSmedical“ eingegeben.
Zum ärztlichen Umgang mit den eigenen Fehlgriffen und Mängeln nimmt Präsident Dr. Artur Wechselberger Stellung.
Was war die ursprüngliche Motivation, CIRSmedical zu starten, und wie hat die Ärzteschaft reagiert?
Wechselberger: Ich hatte die freudige Aufgabe am 1. April 2009, damals noch in meiner Funktion als Referent für Qualitätsfragen, den Beschlussantrag im Vorstand der Österreichischen Ärztekammer zu stellen, nämlich dass wir ein Fehler-Lern- und -Meldesystem einrichten wollen. Es gab schon ein paar Beispiele in Deutschland, etwa „Jeder Fehler zählt“ ( www.jeder-fehlerzaehlt.de ). Einige Jahre zuvor ist der US-Report „To err is human“ erschienen (Anm.: National Academies Press; 2000) , der gezeigt hat, wie viele Fehler im Gesundheitssystem passieren und dass die Opferzahlen die Zahl der Verkehrstoten übersteigen. Das war Anlass genug für uns in der Österreichischen Ärztekammer, ein entsprechendes System zu implementieren. Gesundheitsminister Alois Stöger, SPÖ, war damals bereit mitzumachen. Im November 2009 sind wir gestartet.
Hat sich CIRSmedical genau so etabliert, wie Sie sich das ursprünglich vorgestellt haben?
Wechselberger: Ich würde sagen, ja. Es ist zu einer deutlichen Bewusstseinsverbesserung gekommen. Das Thema wurde gut aufgenommen. Zuerst gab es Befürchtungen, was man von einer Ärztekammer denkt, die ein System implementiert, das Fehler im Gesundheitswesen aufzeigt, die Ärztinnen und Ärzten unterlaufen. Der Gedanke, dass es unsere Aufgabe ist, Menschen gesund zu machen, hat sich durchgesetzt und wird akzeptiert. Ich kann mich an keine größeren Beschwerden aus der Ärzteschaft erinnern. Die Scheu ist nicht so groß, wie befürchtet. Wir suchen Fehler ohne blame and shame. Wir suchen nicht jemanden, den wir an den Pranger stellen, sondern um aus den Fehlern zu lernen.
Gibt es so etwas wie den klassischen Ärztefehler?
Wechselberger: Es gibt natürlich die klassischen Kommunikationsfehler, das sind zum einen Verwechslungen von Patienten und zum anderen von Körperhälften. Denken Sie etwa an die Operation eines gesunden Beines. Es gibt Verwechslungen bei der Medikamentenabgabe oder beim Rezept, bis hin zu Fällen, bei denen mit Angehörigen über die falsche Person Auskünfte erteilt werden. Die Kommunikation ist überhaupt ein großes Thema, und zwar nicht nur die Arzt-Patienten-Kommunikation bzw. Arzt-Angehörigen-Kommunikation. Das betrifft Fehler bei der Informationsweitergabe, die in einem arbeitsteiligen Prozess, wie es die Krankenbehandlung heute ist, auftreten können. Die Ursachen sind oftmals banal. Klar muss sein: In der Kommunikation zwischen Leistungserbringern im Gesundheitswesen hat Handschriftlichkeit nichts mehr zu suchen.
Wie hoch ist die Zahl der Todesfälle aufgrund vermeidbarer Fehler?
Wechselberger: Wir haben keine Daten dazu in Österreich. Wenn die deutsche Zahl stimmen sollte (Anm.: Eine Schätzung der Berliner Charité spricht von 40.000 Toten im Jahr für Deutschland) , dann ist das eine gewaltige Zahl, auch wenn man die berühmten zehn Prozent für Österreich ansetzt.
Ist das System offen für Whistle Blower?
Wechselberger: Der Grundgedanke von CIRS ist, dass jemand, dem ein Beinahefehler passiert ist, diesen meldet und Verbesserungsvorschläge macht. Danach sollte dieser Fehler in der Einrichtung diskutiert und Vermeidungsmaßnahmen ergriffen werden. Das wäre ideal. Zum anderen sollen aber auch beobachtete Fälle von Dritten gemeldet werden, wenn Sie das mit Whistle Blower meinen, von Menschen, die nicht im Gesundheitswesen tätig sind. Zum Beispiel von Menschen, die stundenlang im Wartezimmer sitzen und dabei eine Gefahrensituation wahrnehmen. Unser CIRS-Meldesystem ist hier freier als das anderer Länder, die nur auf Gesundheitsberufe und deren Angehörige konzentiert sind.
Wird heute weniger unter den Teppich gekehrt, als noch zu Beginn der CIRS-Initiative?
Wechselberger: Das ist jetzt schwer zu sagen. Die Zahl der Einträge nimmt natürlich zu, was wir aber eher auf die gestiegene Bekanntheit des Systems zurückführen und nicht darauf, dass man früher etwas vertuschen wollte.