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23.08.2024 | Gesundheitspolitik

Die Pforten von Dänemark

verfasst von: Sylvie Maier-Kubala

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Das kleine Land in Nordeuropa räumt den Hausarzt- Praxen eine tragende Rolle ein: Die dort tätigen „Spezialärzte für Allgemeinmedizin“ bilden im steuerfinanzierten dänischen Gesundheitssystem das Scharnier zwischen Patienten, Fachärzten und Spitälern. Dänische Ärzte setzen auf Digitalisierung, interdisziplinäre Zusammenarbeit in den Ordinationen und die Unterstützung durch administratives Personal.


Wenn Dorthe aus Kopenhagen mit Gliederschmerzen aufwacht und ein Kratzen im Hals spürt, ruft sie als erstes ihre Hausärztin an. Die sitzt jeden Morgen von 8 bis 9 Uhr am Telefon und steht ihren Patientinnen und Patienten persönlich mit Rat zur Verfügung. In diesen Telefonaten klärt sie ab, ob ein Ordinationsbesuch notwendig ist. In größeren Arztpraxen oder Ärztezentren übernimmt ein Arztsekretär diese Gespräche, führt mithilfe eines Fragenkatalogs die Basisanamnese durch und entscheidet nach dem Triage-System, ob ein direkter Kontakt erforderlich ist. Von 9 bis 11 werden dann Termine für einen Besuch in der Praxis vereinbart.

Allgemeinmediziner – oder, wie sie in Dänemark bezeichnet werden: Spezialärzte und -ärztinnen für Allgemeinmedizin – fungieren als Eintrittspforte der Patienten zur Gesundheitsversorgung, sie sind erste Anlaufstelle und zentrale Drehscheibe. Kann eine Krankheit oder ein Thema anderswo besser behandelt werden, wird der Patient an einen Physiotherapeuten, Psychologen, einen (der sehr wenigen) niedergelassenen Fachärzte oder an ein Krankenhaus überwiesen. „Neun von zehn Probleme werden beim Hausarzt gelöst, nur 5,9 Prozent aller Kontakte enden mit einer Überweisung ins Krankenhaus“, teilt der dänische Verband der Allgemeinmediziner (PLO) auf Ärzte Woche -Anfrage mit.

Der praktische Arzt bleibt auch bei einer Überweisung des Patienten häufig weiterhin Koordinator und Partner für das gesamte Behandlungsprogramm. Für alle Fachärzte mit Ausnahme von Augen-, HNO-Ärzten und Zahnärzten benötigen Patientinnen eine Überweisung.

Ärztemangel auf Seeland

Der durchschnittliche dänische Vollzeit-Allgemeinmediziner betreute laut PLO und gezählt nach Köpfen im Jänner des Vorjahres 1.678 Patienten. An einem Tag wurden im Schnitt 49 Konsultationen gezählt (bei 216 Arbeitstagen). Das Aufgabenspektrum ist vielfältig: So werden Kinder-, Schwangeren- und Krebsvorsorgeuntersuchungen ganz selbstverständlich beim Hausarzt mit durchgeführt. Im Schnitt arbeitet eine praktische Ärztin 44,9 Stunden pro Woche, eingerechnet sind Sprechstunden, Überstunden, Heimarbeit, Teilnahme an Konferenzen, Ausbildungstätigkeit, fachliche Arbeit, Forschung, Fachliteratur, Administration und Führungsaufgaben.

Die meiste Zeit wendeten Allgemeinmediziner im Jahr 2023 für Ordinationsbesuche auf (21,9 %), gefolgt von E-Mail-Konsultationen (12,4 %) und Telefonsprechstunden inkl. Telefonaten nach Terminvereinbarung (10,1 %). Weit mehr als die Hälfte der 3.188 Allgemeinmedizinerinnen und -mediziner ist weiblich (59,8 %). Seit 2014 hat der Frauenanteil kontinuierlich zugelegt, damals lag er unter 50 Prozent. In Zukunft wird der Beruf noch viel stärker weiblich geprägt sein, lautet die Prognose der PLO.

Je nach Wohnort ist man einem praktischen Arzt zugeteilt. Alternativ kann man sich auch selbstständig um einen anderen Arzt bemühen. Ist man bei einem Allgemeinmediziner eingetragen, scheint sein Name und seine Anschrift auf der Versicherungskarte auf, die bei jedem Arzt- oder Krankenhausbesuch mitzubringen ist. Es ist möglich, den Arzt oder die Ärztin zu wechseln, und auch kostenlos, sofern man umzieht oder die Praxis schließt. Anderenfalls werden bei jedem Wechsel 225 Dänische Kronen (umgerechnet 34 Euro) fällig. „An sich ist das in Ordnung. Man muss nur erst einmal einen Arzt nach seinem Geschmack finden, der noch Patienten aufnimmt“, sagt Dorthe. Denn auch in Dänemark herrscht Ärztemangel. Derzeit sind laut PLO 57 Prozent der Allgemeinmedizinischen Praxen des Landes für neue Patienten und Patientinnen geschlossen. Auf Seeland, der größten Insel Dänemarks mit der Hauptstadt Kopenhagen, auf der 40 Prozent der 5,9 Millionen Dänen leben, beträgt dieser Wert sogar 71 Prozent. In Dänemark gibt es nur eine staatliche Krankenversicherung, aber mit zwei Arten der Mitgliedschaft. Der überwiegende Teil der Bevölkerung (98 %) entscheidet sich für Variante 1, bei welcher man sich bei einem Hausarzt in die Liste einträgt. Nur wenige wählen Variante 2, die ihnen freie Arztwahl zusichert und bei der sie ohne Überweisung für die meisten Fachärzte auskommen. Im Gegenzug tragen sie einen Teil der Behandlungskosten, der je nach Arzt variiert. So reizvoll ist die Variante nicht: Für eine Behandlung beim Physiotherapeuten, Psychologen oder Podologen ist auch mit diesem Krankenversicherungstyp eine Überweisung erforderlich. Und sollte die Hausärztin der Meinung sein, die vom Facharzt verordnete Therapie sei überschießend, kann sie sie auf das Ausmaß reduzieren, welches durch Variante 1 gedeckt wäre. Was sich bezahlt macht, ist eine private Zusatzversicherung: Ein Viertel der Dänen leistet sich diese, da vom Staat etwa keine Zahnarztkosten für Jugendliche über 18 Jahren übernommen werden. Auch den Selbstkostenanteil bei Medikamenten kann man sich damit ersparen – er liegt zwischen 20 und 50 Prozent. Die Wartezeit für einen Termin bei HNO- oder Augenärzten lässt sich mit einer privaten Zusatzversicherung deutlich verkürzen.

Checklisten

Für jeden in seiner Liste eingetragenen Patienten erhält der Arzt eine Pauschale, unabhängig davon, wie oft jene die Ordination aufsuchen. Das macht rund ein Drittel der Einnahmen aus. Hinzu kommen Einzelleistungsvergütungen und Konsultationen. Dazugerechnet werden auch die Telefonsprechstunden des Arztsekretärs. Übrigens verschreiben dänische Ärzte nur einen Wirkstoff – der Apotheker trägt dann dafür die Verantwortung, das jeweils günstigste Medikament herauszusuchen.

Viele Leistungen werden in einer Praxis auf nicht-medizinisches Personal übertragen, vor allem Arztsekretäre spielen eine wichtige Rolle. In Ärztezentren arbeiten mindestens ein angestellter Allgemeinmediziner, Ärzte in Ausbildung und eventuell Vertretungsärzte. Neben Arztsekretären können dort zudem Krankenpfleger, Sozialarbeiter, Physiotherapeutinnen, Hebammen oder andere Gesundheitsdienstleister tätig sein.

Vielfältige Organisationsformen


Neben Einzelpraxen findet man auch Ordinationen, in denen sich Ärzte einen Patientenstamm teilen, sowie Gruppenpraxen, in denen jeder Arzt seine Patienten behält und nur das medizinische sowie nicht-medizinische Personal geteilt wird. Um die Niederlassung von Ärzten in weniger attraktiven Regionen zu fördern, wurde vor Kurzem die Möglichkeit sogenannter Lizenzzentren geschaffen. Bei diesen stellt die Kommune Ausstattung, administratives sowie weiteres medizinisches Personal und übernimmt die gesamte operative Leitung. Der oder die praktischen Ärzte mieten sich ein und sind nicht mit wirtschaftlichen oder administrativen Aufgaben wie Gehaltszahlungen belastet. Die Möglichkeit, sich von Anfang an auf die medizinische Arbeit zu konzentrieren, soll jüngere Ärztinnen und Ärzte ansprechen, die Scheu vor zu viel Bürokratie haben. Sollte ein Arzt das Zentrum zu einem späteren Zeitpunkt ganz übernehmen wollen, steht ihm diese Option offen. So können junge Ärztinnen die Arbeit als Niedergelassene testen, ohne in eine eigene Praxis investieren zu müssen. Denn laut der Wochenzeitung „Ugeskrift for Laeger“ hätten 80 bis 85 Prozent der jungen Allgemeinmediziner den Wunsch, innerhalb von fünf Jahren ihre eigene Praxis zu besitzen. Gleichzeitig geben 90 Prozent an, dass eine „gute Kollegenschaft“ ihnen beim Kauf einer Praxis am wichtigsten ist.

Sieht man sich die Größe der allgemeinmedizinischen Praxen an, so zeigt sich laut aktuellen Zahlen des PLO folgendes Bild: Der Anteil der Ordinationen mit zwei bis drei Ärzten stieg in den vergangenen zehn Jahren von 34 Prozent auf 47 Prozent. Die Zahl der Praxen, die mit vier oder mehr Ärzten betrieben werden, legte von acht Prozent auf 15 Prozent zu.

Transparenz dank Digitalisierung


In Dänemark gibt es keine Vorbehalte gegenüber E-Health. Mit ihrer CPR-Nummer, der persönlichen Identifikationsnummer, die man für so gut wie alles im Land benötigt, steigt Dorthe beim Gesundheitsportal sundhed.dk ein und sieht dort ihre Krankengeschichte: Befunde, Medikamente, Laborwerte, Röntgenbilder oder Operationen sind hier transparent aufgelistet. Sie hat ihre Zustimmung dafür erteilt, dass auch Hausarzt, Apothekerin und Krankenhaus auf ihre digitale Gesundheitsakte Zugriff haben. Über das Portal fordert Dorthe die Verschreibung von rezeptpflichtigen Medikamenten an oder nützt es für nicht so eilige Korrespondenz mit der Ärztin. Das Buchen von Terminen geht übrigens über die App Min Laege (Mein Arzt). Diese nutzt Dorthe ebenfalls, genau wie zwei Millionen andere Däninnen und Dänen.

Weitere Informationen:

sundhed.dk

Metadaten
Titel
Die Pforten von Dänemark
Schlagwort
Gesundheitspolitik
Publikationsdatum
23.08.2024

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