Es gibt Menschen, nicht bloß die Aktivisten, sondern auch Ärzte und Wissenschaftler, die den Kampf um ein erträgliches Klima noch nicht aufgegeben haben.
Ganz ehrlich: Es fällt schwer, in Österreich klimafreundlich zu leben. Das ist keine persönliche Einschätzung, sondern die Bilanz des mehr als 700 Seiten umfassenden Special Report des Austrian Panel on Climate Change (APCC)¹. Die Studienautoren ziehen dazu etwa die kommunalen Abgaben heran, welche die Ansiedlung von Betrieben und Einkaufszentren an Ort und Stadteinfahrten begünstigen und zusätzlichen Autoverkehr auslösen. Die Menschen allein zu klimabewusstem Handeln aufzufordern, reicht nicht, lautet eine weitere Schlussfolgerung. Die Politik – der Bericht wurde vom Klima- und Energiefonds in Auftrag gegeben und aus Mitteln des Klimaschutzministeriums dotiert – erinnert sich selbst daran, dass sie das Blatt zum Besseren wenden kann, etwa indem sie die Wohnbaufördermittel zweckbindet. Einer der Leitautoren des Berichts ist Prof. Dr. Reinhard Steurer vom Institut für Wald-, Umwelt- und Ressourcenpolitik der Boku.
Steurer unterstützt die Straßenblockaden der „Letzten Generation“. Die Aktivitäten seien der Feueralarm für eine schlafwandelnde Gesellschaft. So wie er sympathisieren viele Forscher mit den Aktivisten, auch Mediziner. Seinen Forschungsschwerpunkt verlagerte Steurer in den vergangenen Jahren weg von der Frage, wie effektive Klimaschutzgesetze aussehen müssten, hin zu der größeren Frage, „wie es sein kann, dass wir den Kollaps unserer Zivilisation riskieren“. Steurer denkt, die Antwort auf die Frage zu kennen. Sie liege, sagte er im Gespräch mit der APA, in der psychologischen Natur des Menschen, in der sogenannten „kognitiven Dissonanz“. Dieser unangenehme Gefühlszustand entstünde, wenn das eigene Verhalten nicht mit den eigenen Werten übereinstimmt. Im Falle der Klimakrise werde diese Dissonanz durch Verharmlosung und Scheinklimaschutz aufgelöst. Seine Pension plant der Experte nicht in Wien, sondern im gebirgigen Teil des Landes zu verbringen. „Weil dort die Sommer ein paar Jahrzehnte länger erträglich sein werden.“
¹Der Klima-Bericht wird im Frühjahr 2023 bei Springer Spektrum als Open Access E-Book (ISBN 978-3-662-66497-1) und in Printversion (ISBN 978-3-662-66496-4) erscheinen.
Viele Tropfen schaffen eine Welle der Veränderung
( Mit Franz Essl hat Martin Křenek-Burger gesprochen. )
Franz Essl, der frischgebackene Wissenschaftler des Jahres 2022 (siehe Seite 28), wird in der Tiroler Tageszeitung wie folgt zitiert: „Die Bundesregierung aus ÖVP und Grünen ist derzeit nicht in der Lage, internationale Verpflichtungen und eigene Zielsetzungen zum Klimaschutz einzuhalten. Deshalb solidarisiert sich eine Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus verschiedenen Disziplinen sowohl mit den Forderungen als auch mit dem friedlichen und gewaltfreien Protest der ,Letzten Generation’.“
Die Aktionen sind zum einen gut geplant und organisiert, zum anderen Ausdruck einer Verzweiflung und Wut, dass es nicht und nicht gelingt, den Kollaps unserer Zivilisation abzuwenden. Franz Essl dazu: „Es ist für viele Klima-bewegte Menschen offensichtlich, dass der breite gesellschaftliche Druck für Klimaschutz, wie er sich in jahrelangen Großdemonstrationen geäußert hat, immer noch zu keiner angemessenen Klimapolitik geführt hat. Wenn sich Politiker an aktionistischen Protestformen stören, so sollten sie sich vorher fragen, ob sie nicht selbst durch die eigene Untätigkeit diese verursacht haben.“ Ein negativer Ausblick in die Zukunft wäre, dass jeder, der über die nötigen Hintergrundinformationen verfügt und es sich leisten kann, aus der Stadt wegzieht, weil die Sommer in urbanen Lebensräumen, die schon jetzt gesundheitsbedrohend heiß sind, immer heißer und heißer werden. Wenn es aber schon soweit gekommen ist, dass sich jeder sein persönliches Exit-Szenario macht, ist es dann überhaupt noch sinnvoll, sich für Klimaschutz zu engagieren? Essl: „Natürlich ist es wichtig, sich für eine lebenswerte Zukunft zu engagieren. Wofür sollte man sich sonst einsetzen, wenn nicht dafür? Die Zukunft ist gestaltbar, und rasches Handeln kann immer noch die schlimmsten Folgen der Klima- und Umweltkrise vermeiden. Dafür ist der Druck aus der Gesellschaft ganz wichtig. Viele einzelne Wassertropfen schaffen eine Welle der Veränderung.“
Prof. Dr. Franz Essl, Department für Botanik und Biodiversitätsforschung der Universität Wien; zuletzt arbeitete Essl an der ersten gesamtheitlichen Klassifizierung der Lebensräume der Erde mit (https://tinyurl.com/2xr9thd4).
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Folgen für die nächste Generation entschärfen
( Mit Hans-Peter Hutter haben Dietmar Schobel und Martin Křenek-Burger gesprochen. ) In seinem aktuellen Buch, das Hutter gemeinsam mit der Journalistin Judith Langasch verfasst hat, befasst sich der Umweltmediziner mit der Frage aller Fragen: „Sind wir noch zu retten?“ Und? Sind wir? „Ja, wir sind noch zu retten, wenn wir das machen, was die Wissenschaft längst schon empfiehlt. Die technischen Mittel und das Wissen für einen Wandel hin zu einem gesellschaftlich zukunftsfähigeren und damit auch ,gesundheitsverträglicheren’ Lebensstil sind längst vorhanden. Wir müssen sie nur entsprechend nutzen. Das bedeutet vor allem auch, dass wir alles tun müssen, um den Temperaturanstieg abzubremsen und die Biodiversität, also die Vielfalt an Pflanzen, Tieren und Ökosystemen auf der Erde, so gut wie möglich zu erhalten. Wir müssen uns an die Umwelt anpassen, statt weiter Raubbau an der Natur und damit an unseren eigenen Lebensgrundlagen zu betreiben. Die aktuelle Energiekrise kann in dieser Hinsicht auch als weiterer Weckruf betrachtet werden. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob er gehört wird.“
Diese Unsicherheit verspüren auch Klimaaktivisten, die Fahrbahnen besetzen oder im Kampf gegen den Braunkohleabbau die Konfrontation mit der Polizei wagen. „Es ist schon sehr enervierend, manchmal ermüdend und immer öfter auch enttäuschend und ärgerlich, wenn jahrzehntelange Forschungsanstrengungen und Belege für die Notwendigkeit einer Reduktion der Emission von Treibhausgasen sowie die ebenfalls sorgfältig national und international erarbeiteten Lösungen einfach ignoriert werden. Noch schlimmer, wenn deren Effizienz geleugnet wird. Was sich die Politik an Maßnahmen an die Fahne heftet, ist schlicht und einfach zu wenig. Wenn sich nun junge Menschen kurz einmal an einer Straßenkreuzung festkleben, kann über Sinn und Unsinn diskutiert werden. Erstaunlich ist es jedenfalls, dass viel weniger darüber diskutiert wird, warum Politik und Gesellschaft derart säumig sind, die zahlreichen schwerwiegenden Folgen für die nächste Generation zu entschärfen oder zumindest signifikant abzumildern.“
Prof. Dipl.-Ing. Dr. Hans-Peter Hutter, Zentrum für Public Health (MedUni Wien), Abteilung für Umwelthygiene und Umweltmedizin
Fähigkeit zur Reflexion zeigt deutliche Brüche
„Wir können zwar feststellen, dass seit einiger Zeit ein gesellschaftliches Umdenken in Politik, der Wirtschaft und beim Einzelnen stattfindet, dass es so nicht weitergehen kann. Aber um die momentanen Herausforderungen meistern zu können, bedarf es Personen, die das Umdenken weiter vorantreiben, prägen und gestalten. Philosophie kann prinzipiell dabei helfen, die eigenen Standpunkte immer wieder kritisch zu hinterfragen und auf diese Weise auch Korrekturen oder zumindest Erweiterungen eigener Meinungen zuzulassen. Dieser Gedanke des permanenten Hinterfragens des eigenen Wissens basiert auf der Philosophie von Sokrates, die er im antiken Athen des 5. Jahrhunderts v. Chr. zu einer Zeit entwickelte, die von Krieg und Unsicherheit geprägt war. Sokrates war der öffentliche Austausch von Argumenten besonders wichtig. So fragte er seine Gesprächspartner mitten auf dem Markt von Athen nach ihren Überzeugungen, um auf diese Weise mit ihnen zusammen die Wahrheit zu finden. Der antike Philosoph war überzeugt davon, dass diese nur über einen lebendigen Dialog gefunden werden könnte. Übertragen auf unsere Zeit bedeutet dies, dass wir Lösungen nur über den Dialog finden können. Die Menschen müssen wieder lernen, offen und umfassend miteinander zu sprechen und sich selbst und den Stand ihrer Gesprächspartner zu reflektieren.
Diese Kulturtechnik hat in der Corona-Zeit deutliche Brüche bekommen, was die drohende Spaltung der Gesellschaft begünstigt. Ein Auseinanderdriften ist überall spürbar. Corona hat uns in Fraktionen von Leugnern und Befürwortern getrennt. Die selbsternannte ,Letzte Generation’ verstört mit ihren Angriffen und wirft den Älteren ein falsches Wertebewusstsein vor. Und doch liegt gerade in der öffentlichen Kontroverse auch eine Chance, gemeinsam Lösungen zu finden. Beim Blick über den Tellerrand können jungen Menschen auch Unterrichtsfächer helfen, die philosophisches Wissen mit wirtschaftlichen und politischen Grundlagen vereinen. Dadurch würden sie befähigt, in einer Welt der permanenten Veränderungen die Auswirkungen, Chancen und Risiken des Wandels zu erklären und die Zukunft mitzugestalten.“
Prof. Dr. Hendrik Müller, Wirtschaftsethiker und Leiter der Studiengänge Philosophie, Politik und Wirtschaft (B.A.) und Philosophy and Economics (M.A.) an der Hochschule Fresenius