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Ärzte Woche

21.12.2021 | Gesundheitspolitik

Die Büchse der Pandemie

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Was in den sozialen Medien über COVID-19 verbreitet wird, ist lebensgefährlich, meint der neue Bundeskanzler Karl Nehammer. Er wirbt um die Ungeimpften. Doch wozu? Ein Dialog scheint nicht mehr möglich.

Karl Nehammer hielt eine verbindliche Antrittsrede im Parlament, betonte den Zusammenhalt und wandte sich direkt an die immer noch große Gruppe der Noch-nicht-Geimpften: „Mit ist bewusst, und es ist spürbar, dass Sie unsicher sind, dass Sie Angst davor haben, diese Entscheidung (Anm.: für die Impfung) zu treffen, und gleichzeitig gibt es die Chance, für uns alle die Freiheit gemeinsam zu erreichen. Wenn Sie uns als Politikern misstrauen, dann misstrauen Sie auch Telegram- und Facebook-Gruppen, die zum Teil mit Inhalten gefüllt sind, die sogar lebensbedrohlich sind.“ Nehammer reichte noch eine Handlungsanleitung hinterher: „Suchen Sie das Gespräch mit dem Arzt Ihres Vertrauens, suchen Sie das Gespräch mit dem Arzt, der Sie kennt und der für Sie schon wichtig war, ehe das Thema Impfen so ein zentrales wurde in Ihrem Leben. Nehmen Sie die Gelegenheit wahr, und konfrontieren Sie ihn mit Ihren Fragen.“

Wer will denn noch reden? Die Schreihälse auf den Corona-Demos nicht. Die Krawallmacher in den sozialen Medien auch nicht. Selbst der Hinweis, dass Impfzauderer manipulierter Information aufsitzen, macht keinen Unterschied. „Offenkundiger Schwindel bringt diese Leute nicht dazu, von ihrer Überzeugung abzurücken“, sagt der Kabarettist Reinhard Nowak. Nowak lässt sich auf Facebook nicht unterkriegen. Dort wurde ihm beschieden, „den Mund und die Füßchen still zu halten“. Die Schriftstellerin Stefanie Sargnagel warnt davor, die Corona-Verharmloser zu verharmlosen: „Es ist ein gefährlicher Denkfehler, wenn man annimmt, man müsse nur mit denen reden, Verständnis zeigen, geduldig zuhören, sie sanft aufklären. Leider nein, diese Leute wollen nicht reden und aufgeklärt werden.“

Martin Krenek-Burger, Annabella Khom und Philip Klepeisz

Diese Leute wollen nicht reden und aufgeklärt werden

„Ich habe im Hinblick auf die Impfgegner-Bewegung und deren ausufernden Demonstrationen von einem Nazi-Hippie-Problem gesprochen. Damit wollte ich diesem Wahnsinn einen Namen geben. Jede Woche werden Unmengen an Einsatzkräften und unvorstellbare Summen an Steuergeld eingesetzt, nur um all den Verschwörungstheoretikern, Neonazis, Schamanen und zornigen und hasserfüllten, egomanischen Schreihälsen eine geschützte Fläche zu bieten, damit diese ungehindert und in allen möglichen und unmöglichen Ausdrucksformen gegen eine Maßnahme demonstrieren können, die eine Pandemie bekämpft. All der Aufruhr wegen einer sicheren Impfung!

Ich wollte all den fanatischen Esoterikern, Rechts- als auch Linksextremen und all den Lemmingen einen Namen geben, die sich nicht nur gegenseitig mit ihren wahnwitzigen Gedankenlawinen aufschaukeln, sondern auch unsichere Menschen mit fatalen ideologischen Meinungen in Angst und Schrecken versetzen. In diesen Kreisen wird fantasiert und erfunden, manipuliert und gehetzt, weil es eben keine Grenzen gibt!

Es ist ein gefährlicher Denkfehler, wenn man annimmt, man müsse ,nur mit denen reden, Verständnis zeigen, geduldig zuhören, sie sanft aufklären, ihnen andere Sichtweisen bieten ’. Leider Nein, denn diese Leute wollen nicht reden und aufgeklärt werden, sie wollen und werden keine andere Perspektive zulassen. Hier vermischt sich momentan alles, was Grund zur Sorge bereitet. Rechtsextreme gehen Schulter an Schulter mit Esoterikern und mit normalen, von der Pandemie gebeutelten, verunsicherten Menschen, Hand in Hand mit Ärzten, denen man Vertrauen können sollte.

Bei solchen Demonstrationen marschieren praktizierende Ärzte in ihren weißen Kitteln mit! Da sieht man Ärzte demonstrieren, die Schilder hochhalten, auf denen „Dr. XY“ steht und groß darunter prangt ein Diplom für Homöopathie, von der ÖÄK ausgestellt. Das muss man sich vorstellen, die Österreichische Ärztekammer vergibt Diplome in Homöopathie! Was soll das? Es gibt „Homöopathen ohne Grenzen e.V.: Hilfe zur Selbsthilfe“ – das ist eine unfassbare Verhöhnung von „Ärzte ohne Grenzen“. Das macht mich wütend, und ich bin fassungslos, dass so was sein kann. Ich sehe mir diese irrsinnigen Leugnerdemos mit einer hypnotisierenden Fassungslosigkeit an, denn was da – unter Polizeischutz – geschieht, ist ein nicht abreißender Strom an Wahnsinn.“

Stefanie Sargnagel, Schriftstellerin

Dialog – oder Nicht-Dialog?

„Es ist eine tragische Situation entstanden. Wir haben nicht nur eine gespaltene Gesellschaft, sondern fast eine Feindschaft und einen Kriegszustand zwischen Impfbefürwortern und Impfgegnern. Dies geht bis hin zu Morddrohungen. Wie soll man da reagieren? Jeden Kontakt abbrechen? Das wäre das Schlimmste. Es ist wie zwischen Staaten. Solange noch Gespräche und Diplomatie möglich sind, ist es besser, zu sprechen, als einen Krieg herbeizuführen. Dialog muss sein, solange es irgendwie geht. Auch wenn er mühsam ist. Nicht alle Impfgegner und Impfskeptiker haben dieselben Motive. Manche haben Angst vor der Impfung, manche sind unsicher, weil die Impfstoffe relativ schnell zugelassen wurden, und manche lehnen jeden Dialog ab.

Auf der anderen Seite stehen wissenschaftliche Erkenntnisse, die weltweit relativ einheitlich sind: dass eine Impfung – oder besser drei Impfungen – den Geimpften selbst und den anderen schützen – wenn auch nicht zu 100 Prozent–, dass Krankenhäuser und damit Ärzte, Pfleger und Schwestern vor Überlastung ihrer Arbeitskraft und Intensivstationen vor einem Volllaufen geschützt werden. Wenn das passiert, können akut Kranke nicht mehr aufgenommen werden, und notwendige Operationen müssen verschoben werden. Ganz zu schweigen von akuten Triage-Situationen, wo entschieden werden muss, wer noch ein Beatmungsgerät erhält. Gleichzeitig haben Politiker gelobt, Schaden vom Volk abzuwenden. Damit sind sie in der Pflicht, zu handeln. Nichts zu tun, würde das Drama nur verstärken. Also müssen sie handeln. Niemand tut das gerne. Besonders dann nicht, wenn der Gegenwind stark ist. Niemand gewinnt etwas durch Schulschließungen oder einen neuerlichen Lockdown, und niemand will eine allgemeine Impfpflicht. Und doch wissen wir aus der Vergangenheit, dass das Desaster der Pocken nur bekämpft werden konnte, weil in Österreich eine fast 40-jährige Impfpflicht bestand (1939-1977). Sonst wären wir alle nicht auf der Welt. Das Corona-Virus verschwindet nicht von alleine. Wir können es nur bekämpfen, wenn wir ihm den Wirt entziehen, den es zum Leben braucht – durch Abstand und Maske oder durch einen Impfstoff. Mehr Möglichkeiten gibt es nicht. Lassen Sie uns im Gespräch bleiben: die Impfgegner, die ihre Position noch mal überdenken, und die Impfbefürworter, die die Argumente der Gegner ernst nehmen. Sonst werden wir am Ende alle alles verlieren.“

Prof. Dr. Dr. Matthias Beck, Systematische Theologie/ Theologische Ethik, Schwerpunkt: Medizinethik

Soziale Medien verstärken Verbreitung von Unwahrheit

„Die radikalen Impfgegner erreicht man nicht mehr, ich habe es aufgegeben, mit ihnen zu diskutieren. Diese Menschen sagen, dass sie sich keine ,Mainstream-Sendungen’ im TV anschauen, weil dort sowieso nur gelogen würde. Für die Wahrheit halten sie beispielsweise Fake-Videos mit dem Virologen Christian Drosten, in dem dieser für die Corona-Leugner spricht. Dieses Video ist offenkundig manipuliert, denn Drosten empfiehlt ja die Corona-Impfung. Dieser offenkundige Schwindel bringt die Corona-Verharmloser aber nicht dazu, von ihrer Überzeugung abzurücken.

Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie ist enorm viel Falschinformation im Umlauf, die bewusst gestreut wird. Das bewusste Verbreiten von Unwahrheit ist ein Phänomen, das durch die sozialen Medien verstärkt wird. Dahinter steckt keine Dummheit, sondern bewusste Manipulation. So wie das die FPÖ-Abgeordnete und Medizinerin Dagmar Belakowitsch vor Kurzem auf einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen in Wien gemacht hat (Anm. d. Red.: Dr. Belakowitsch behauptete, die Spitäler seien nicht mit Ungeimpften gefüllt, sondern mit Geimpften, die wegen Impfschäden behandelt werden müssen). Sie hat das nur aus politischem Machtkalkül gesagt, um Wähler bei der Stange zu halten, die sonst zur MFG-Konkurrenz abwandern würden.

Ich habe immer wieder versucht, auf Facebook mit Impfgegnern zu diskutieren. Ich merke aber, es geht nicht. Ich wurde zum Beispiel von einer Dame beschimpft, die mir vorgeworfen hat, dass ich mir als Prominenter das Recht herausnehme, öffentlich für die Impfung einzutreten. Ich sollte lieber meinen Mund halten. Anderes Beispiel: Eine Dame bei einer Versicherung hat mir angedroht, dass sie ihre Kunden anhalten wird, nicht mehr in meine Vorstellungen zu gehen. Worauf ich gemeint habe, dass ich ihren Chef über ihr Verhalten informieren werde. Sie wiederum sagt, sie nehme Konsequenzen in Kauf, sie würde für ihre Überzeugung auch ins Gefängnis gehen. Wie soll man mit so jemanden vernünftig reden? Ich selbst habe niemanden beschimpft, aber betont, dass ich die Ungeimpften nicht verstehe. Es gibt auch in meinem Freundeskreis Menschen, die sich nicht impfen lassen, und zwar aus Gründen, die ich nicht nachvollziehen kann. Wirklich ärgern kann ich mich über Menschen, die bewusst wider besseres Wissen Fake News verbreiten.

Reinhard Nowak, Kabarettist und Schauspieler

Metadaten
Titel
Die Büchse der Pandemie
Schlagwort
Gesundheitspolitik
Publikationsdatum
21.12.2021
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 50-52/2021

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