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Ärzte Woche

02.05.2022 | Gesundheitspolitik

Der Haken am dritten Corona-Sommer

verfasst von: Von Martin Krenek-Burger

Es ähnelt einem Naturgesetz: Nach einem lockeren CoronaSommer folgt der HerbstBlues. Urlauber tragen zur Virusverbreitung bei, sind dann aber besser geschützt als die „systemrelevanten“ Bevölkerungsgruppen.

„Wer dreimal geimpft ist, kann unbeschwert in den Urlaub fahren!“ Also sprach Gesundheitsminister Johannes Rauch von den Grünen. Und dann? Was passiert im dritten Corona-Herbst? Derzeit schwanken die Österreicher zwischen dem Fallenlassen aller Mund-Nasen-Hüllen und dem konsequenten Weiter-Tragen der Maske, zuletzt vorgeführt von Wiens dreifach geimpfter Patientenanwältin Dr. Sigrid Pilz bei einer AK-Diskussion mit ebenfalls geimpften Kollegen ( selbst Ärztekammer-Präsident Dr. Thomas Szekeres hatte da schon „abgelegt“; Anm. ). Die Frage, was im Herbst passieren wird, lässt sich zum Teil beantworten: Zwei Untersuchungen der Universität Rostock bestätigten die Beobachtung, dass das Pandemiegeschehen anfangs von Urlaubsheimkehrern bestimmt wird. Diese Gruppe übersteht den auf die steigenden Infektionszahlen folgenden Lockdown verhältnismäßig gut, weil sie im Homeoffice geschützt ist. Vulnerable Gruppen, besonders die Insassen von Pflegeheimen, trifft die Krankheit stärker. Die Gesundheitsressorts aller Länder bereiten sich auf einen harten Herbst vor. Das Nationale Impfgremium empfahl zuletzt eine 3. Impfung für Kinder ab 5 Jahren. „Bei Kindern von 5-11 Jahren soll diese 3. Impfung spätestens zu Schulbeginn vor den voraussichtlich nächsten Infektionswellen im Spätsommer/Herbst 2022 erfolgen“, hieß es in der aktualisierten Anwendungsempfehlung. Empfohlen wird eine dritte Impfung sechs Monate nach der 2. Impfung. Der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach twitterte vor Kurzem folgende Hiobsbotschaft: „In den USA ist eine neue Variante aufgetreten ( Anm.: B.2.12.1 ), die deutlich ansteckender als Omicron BA 2 zu sein scheint.“ Von wegen unbeschwert.

Diese Bundesregierung hört nicht auf Experten

„Das Zurückfahren der Maßnahmen ist angesichts der sinkenden Zahlen das Mindeste und für die Menschen notwendig. Die von Gesundheitsminister Johannes Rauch ( Die Grünen, Anm. ) verkündete Lockerung der Corona-Maßnahmen bewerten die NEOS daher grundsätzlich positiv. Österreich muss langsam raus aus dem Krisenmodus. Wir müssen endlich lernen, mit dem Virus zu leben. Das bedeutet auch, dass das Impfen in das Regelgesundheitswesen überführt wird. Auf Dauer Impfstraßen aufrechtzuerhalten, kommt uns viel zu teuer. Das ist in der aktuellen Situation auch nicht mehr verhältnismäßig. Österreich geht europaweit immer noch einen Sonderweg. Das sehen wir neben dem teilweisen Aufrechterhalten der Maskenpflicht nicht zuletzt beim Grünen Pass. Denn der Gesundheitsminister hat richtigerweise gesagt, dass die EMA noch keine Empfehlung für den vierten Stich für alle abgegeben hat. Dass er im nächsten Atemzug aber allen eine Auffrischung Ende August empfiehlt, zeigt, wie wenig diese Regierung auf Experten hört. Die Corona-Maßnahmen müssten für die Bevölkerung nachvollziehbar sein. Nur so schaffe man auch Vertrauen. Nicht nachvollziehbar ist, warum der Grüne Pass für Dreifachgeimpfte nur zwölf Monate gilt. Solange die EMA keine vierte Impfung empfiehlt, muss das Ablaufdatum weg. Wir fordern schon lange ein klares Ziel in der Coronapolitik. Das fehlt immer noch. Wir müssen endlich klug, sinnvoll und nachvollziehbar vorgehen. Die Zeit der Brechstangen-Politik muss nach zwei Jahren Pandemie vorbei sein.“

NAbg. Mag. Gerald Loacker, NEOS-Pandemiesprecher

Steigende Raten von Durchbruchsinfektionen

„Für Krebspatienten stellt COVID-19 aufgrund ihres oftmals therapie- oder erkrankungsbedingt geschwächten Immunsystems ein besonderes Risiko dar, weshalb die Impfung für sie von großer Bedeutung ist. Aufgrund von Omikron ist es zu einer steigenden Zahl von Durchbruchsinfektionen bei Menschen mit einer Krebserkrankung gekommen, insbesondere während sich diese einer Krebstherapie unterzogen haben. Darum ist die Einhaltung von Schutzmaßnahmen und die Entwicklung von an Virusvarianten angepassten Impfstoffen für Betroffene wichtig.

Wie die Forschungen zeigen, ist die Zahl der Durchbruchsinfektionen mit dem Auftreten der Omikron-Variante im Jänner 2022 deutlich angestiegen: 70 Prozent der infizierten Patienten waren geimpft. Damit hat sich das Risiko eines Impfdurchbruchs für Krebspatienten durch Omikron gegenüber der zwischen Oktober und Dezember vorherrschenden Delta-Variante verdreifacht. Dabei waren Durchbruchsinfektionen deutlich häufiger bei jenen, die sich gerade einer systemischen Behandlung unterzogen, als bei jenen ohne laufende Krebstherapie.

Auffällig sowohl bei Menschen mit soliden Tumoren als auch mit Blutkrebs war eine stark reduzierte Hemmung der Omikron-Variante durch spezifische Impfantikörper. Deutlich festzustellen war aber auch der Trend zu kürzeren Krankenhausaufenthalten von geimpften gegenüber ungeimpften Patienten. Außerdem machten die Durchbruchsinfektionen nur in seltenen Fällen intensivmedizinische Behandlung nötig. Die steigenden Durchbruchsinfektionen und Krankenhauseinweisungen von geimpften Krebspatienten unterstreichen die Notwendigkeit weiterer Schutzmaßnahmen nicht nur zur wirksamen Bekämpfung der laufenden Pandemie, sondern auch zur Vorbereitung auf das mögliche Auftreten weiterer SARS-CoV-2-Varianten. An die jeweilige SARS-CoV-2-Variante angepasste Impfstoffe könnten helfen, Krebspatienten besser zu schützen und die lebenserhaltende Krebsbehandlung während der Pandemie aufrechtzuerhalten.“

Prof. Dr. Matthias Preusser, Leiter der Klinischen Abteilung für Onkologie an der Medizinischen Universität Wien

Die Ausbreitung wird durch soziale Merkmale bestimmt


„Auch wenn die ersten beiden Corona-Wellen schon lange vergangen sind, kann man viel daraus lernen. Nämlich: welche Einflussfaktoren mit niedrigen bzw. hohen Infektionsraten zusammenhängen und was uns eventuell im kommenden Herbst wieder erwarten wird. Wir haben untersucht, warum die ersten beiden Corona-Wellen sich regional so unterschiedlich in Deutschland ausgebreitet haben. Wir wollten wissen, ob sich das Risiko für COVID-19-Infektionen zwischen den Regionen in Abhängigkeit von ihren sozioökonomischen Merkmalen, beispielsweise Bildung, Einkommen, Gesundheit, Mobilität, Alter und Geschlecht, unterscheidet.

Unsere Ergebnisse zeigen, dass die erste COVID-19-Welle als Krankheit in wohlhabenderen ländlichen Kreisen in Süddeutschland begann und erst im Verlauf der ersten Welle in ärmere städtische und ländliche Kreise vordrang. Der negative soziale Gradient, dass z. B. in Kreisen mit höherer Arbeitslosigkeit mehr Menschen von COVID-19 betroffen waren, entstand ab dem ersten Lockdown, wo wohlhabendere Landkreise besser geschützt zu sein schienen. Welche Ursachen spielten dabei die entscheidende Rolle? Wirtschaftliche und bildungsbezogene Merkmale der jungen Bevölkerung waren es beispielsweise und das gerade zu Beginn der Pandemie. Während der zweiten Welle hätte sich das Bild verschoben. Was man sehen konnte, war, dass so etwas wie der ,Ischgl-Effekt’, also die regionale Nähe zu Hotspot-Gebieten, die zu Beginn der ersten Welle mit hohen Inzidenzen verknüpft war, nicht mehr zu sehen war. Aber auch in der zweiten Welle kam es zu einer vergleichbaren Änderung des sozialen Gradienten, sodass im Laufe der zweiten Welle immer stärker sozial schwache Kreise ein hohes Infektionsgeschehen aufwiesen.

Die räumliche Ausbreitung der COVID-19-Pandemie ist nicht zufällig, sondern wird durch die sozialen Merkmale der Bevölkerung bestimmt. Soziale Schichten mit hoher Mobilität im Urlaub bestimmen am Anfang von Pandemiewellen das Geschehen. Diese Schichten können sich in den Lockdowns durch Homeoffice besser schützen. Damit verlagert sich die Pandemie in die Gruppe der vulnerablen älteren Menschen in Pflegeheimen. Bei den aktuellen Lockerungen der COVID-19-Maßnahmen sowie möglichen steigenden Fallzahlen im Herbst erwarten wir ein ähnliches Pandemiegeschehen.“

Prof. Dr. Gabriele Doblhammer, Institut für Soziologie und Demographie, Universität Rostock


Metadaten
Titel
Der Haken am dritten Corona-Sommer
Schlagwort
Gesundheitspolitik
Publikationsdatum
02.05.2022
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 18/2022

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