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Ärzte Woche

30.01.2018 | Gesundheitspolitik

Cannabinoide: Habemus Wunderdroge?

verfasst von: Astrid Pinsger-Plank

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Synthetisch hergestellte oder aus der Hanfpflanze gewonnene Cannabinoide erleben in den vergangenen Jahren eine Renaissance. Durch Anpassungen der Rechtslage in den USA oder jüngst in Deutschland, wurden diese sehr vielseitigen Substanzen einer breiteren Masse der Bevölkerung legal zugänglich gemacht. Dennoch gilt: es mangelt an aussagekräftigen klinischen Studien.

Eine umfangreiche Publikation in der National Academies Press Anfang 2017 präsentierte eine gesammelte Auflistung und Beurteilung aller bisher in englischer Sprache verfügbaren Studien zu den am Markt erhältlichen Substanzen und konnte klare Evidenz in ausgewählten Indikationen finden, darunter unter anderem bei chronischem Schmerz (http://bit.ly/2DKo0Qw)

Trotz vorliegender Evidenz vor allem hinsichtlich des medizinischen Einsatzes im Rahmen chronischer Schmerzerkrankungen wird seitens der Ärzteschaft in Österreich nur sehr zurückhaltend auf Cannabinoide zurückgegriffen. Zum Einen spielen dabei die seltene Kostenübernahme und die damit verbundenen hohen Kosten für die Patienten, vor allem bei längerfristiger Gabe, eine Rolle, zum Anderen mangelt es an fundierten Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten – es herrscht Unsicherheit.

Im Spannungsfeld zwischen Freigabe von Cannabis auch zu rekreativen Zwecken, evidenz-basiertem medizinischen Einsatz in ausgewählten Indikationen und fordernden PatientInnen fehlt auch in Fachkreisen nicht selten eine differenzierte Diskussion betreffend den Umgang mit dem Thema „Cannabinoid-Medizin“. Als wichtiges Netzwerk zur Erhaltung der Homöostase sowie der intra- und interzellulären Kommunikation bietet das Endocannabinoid-System mit seinen ubiquitär verbreiteten Rezeptoren ein breites Spektrum an möglichen therapeutischen Angriffspunkten – sowohl zentral als auch peripher.

So dürften Endocannabinoide, beziehungsweise Cannabinomimetika, eine wichtige Rolle in der Schmerzverarbeitung, vor allem über antinozizeptive Mechanismen und einen Crosstalk mit anderen Transmittersystemen (z. B.: endogene Opioide, serotoninerges System), spielen. Nicht nur eine direkte analgetische Wirkung, die in Studien oftmals geringer als erwartet ausfiel, sondern auch die Beeinflussung von Schlaf, Muskelentspannung, Opiat-sparende Effekte sowie Distanzierung vom Schmerzgeschehen scheinen für die hinsichtlich des Leidensdrucks positive Entwicklungen unter einer Cannabinoid-Therapie verantwortlich zu sein. Darüber hinaus weisen die verfügbaren Substanzen unter Beachtung von Kontraindikationen und entsprechender Dosierung ein gutes Nebenwirkungsprofil auf.

Nach Zusammenschau der rezenten Literatur ist der medizinische und therapeutisch begleitete Einsatz von Cannabinoiden als Co-Analgetika bei chronischen Schmerzerkrankungen zu befürworten – eine fundierte Ausbildung im Umgang mit den diversen Präparaten vorausgesetzt.

Versorgung, Weiterbildung, Kosten

Doch es gibt Hürden zu bewältigen. Drei wichtige Aspekte für weitere gesundheitspolitische Entscheidungen sollten berücksichtigt werden: Wie kann man die medizinische Versorgung mit Cannabinoiden von jenen Menschen ermöglichen, die von einer Therapie profitieren könnten? Wie kann die Ärzteschaft das nötige Wissen um die Einsatzmöglichkeiten von Cannabinoiden erlangen um in weiterer Folge auch erfolgreich therapieren zu können? Wie kann ein gemeinschaftlicher Konsens über die Vorgangsweise im Zusammenhang mit dem medizinischen Einsatz von Cannabinoiden von Verschreibenden und Kostenträgern gefunden werden und wie könnte dieser lauten?

Ein Versuch um das Begleiten und Anleiten unter einer Cannabinoid-Therapie für behandelnde Ärztinnen und Ärzte nicht nur zu vereinfachen, sondern auch wichtige Eckpfeiler für den Therapieverlauf festzulegen, wird derzeit im Rahmen einer retrospektiven Studie mit Daten von etwa 700 Patienten aus dem Zeitraum 2001 bis 2016 aus dem niedergelassenen Bereich unternommen. Die Ergebnisse sollen in weiterer Folge zu einem praxisinternen Therapieleitfaden zusammengefasst werden. Die Idee dahinter scheint für den medizinischen Einsatz – nicht nur – von Cannabinoiden allgemeingültig: Um ein für alle Beteiligten möglichst transparentes Therapievorgehen zu ermöglichen, benötigt es gewisse Orientierungshilfen, welche durch Studien untermauert werden sollen. Hierbei spielt auch immer wieder die Frage nach der Indikation eine Rolle – Zulassungsstudien sind rar. Dennoch sollte im Bereich der Forschung auch in Österreich motiviert werden. So wird beispielsweise in einer laufenden Studie im Orthopädischen Spital Speising auch klinisch getestet, ob Cannabinoide nicht nur bei chronischen SchmerzpatientInnen als Co-Analgetika, sondern auch perioperativ zum Einsatz kommen könnten.

Fazit für die Praxis

Es ist wünschenswert die Verschreibung der unterschiedlichen auf dem Markt verfügbaren Präparate seitens der Kostenträger zu erleichtern um den gerechtfertigten medizinischen Einsatz von Cannabinoiden fest zu verankern und gleichzeitig Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten für Ärzte zu schaffen, um Kompetenzen auf diesem Gebiet zu erlangen und damit auch die Sorge des missbräuchlichen Einsatzes möglichst gering zu halten. Eine standardisierte, engmaschige Dokumentation des individuellen Therapieverlaufs zur Beurteilung eines Ansprechens auf eine Cannabinoid-Medikation könnte dabei als Entscheidungshilfe für alle Beteiligten und als Basis für eine konstruktive, vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Patienten, verschreibenden Ärzten und Kostenträgern dienen.

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Metadaten
Titel
Cannabinoide: Habemus Wunderdroge?
Publikationsdatum
30.01.2018
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 6/2018

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