Während der Pandemie hat der VfGH zahlreiche Verordnungen zur Eindämmung der Infektionserkrankung als verfassungswidrig aufgehoben. Meist aus formalen Gründen. Die FPÖ schlug daraus politisches Kapital.
Abstandsregeln in Gasthäusern, Besucherobergrenzen bei Veranstaltungen oder die Maskenpflicht in Amtsräumen – Sie erinnern sich? Unter dem Motto „Gräben schließen – Verantwortung übernehmen“ hat die neue schwarz-blaue Regierungskoalition in Niederösterreich die Einrichtung eines „Corona-Fonds“ angekündigt. Mit dem Fonds in Höhe von 30 Millionen Euro sollen unter anderem Corona-Strafen zurückgezahlt werden, die auf Basis verfassungswidriger Verordnungen verhängt wurden. Zudem will Niederösterreich keine weiteren Werbemaßnahmen für die Corona-Impfung durchführen. Es war die FPÖ, die sich im Vorfeld für die Einrichtung eines solchen Fonds starkgemacht hatte. Nun soll er in Niederösterreich gemeinsam mit der ÖVP umgesetzt werden. Aber auch in anderen Parteien gibt es einzelne Befürworter, etwa den Salzburger SPÖ-Obmann David Egger. Zahlreiche Stimmen freilich sprechen sich klar gegen den Corona-Fonds aus: Die Bioethikkommission etwa kritisiert in einer Stellungnahme die zunehmende „Negierung der wissenschaftlichen Erkenntnisse“. Der Rechnungshof (RH) wird den von der niederösterreichischen Landesregierung angekündigten Fonds zur Rückzahlung von verfassungswidrigen Corona-Strafen einer Prüfung unterziehen. „Dass ein Staat Strafen übernehmen soll, die er selbst ausgesprochen hat, finde ich seltsam“, sagt RH-Präsidentin Margit Kraker. Die Verfassungsjuristen Heinz Mayer und Karl Stöger äußern verfassungsrechtliche Bedenken. Kritische Töne kommen aus den Reihen der ÖVP: Verfassungsministerin Karoline Edtstadler etwa ist skeptisch, ob das Vorhaben seinerseits mit der Verfassung vereinbar ist. Innenminister Gerhard Karner räumt ein, dass die Rückzahlung von Strafen rechtlich schwierig sein könnte.
Corona-Fonds befördert nur die Verschwörungsmythen
„30 Millionen Euro will das Land Niederösterreich zur Verfügung stellen, um unter anderem Strafen in Zusammenhang mit den Corona-Schutzmaßnahmen zurückzuerstatten. Und zwar solche, die aufgrund verfassungswidriger Bestimmungen eingehoben wurden. Das Argument lautet: Die staatliche Einhebung war nicht legitim, die Rückzahlung ist nur recht und billig. Was auf den ersten Blick plausibel klingt, ja als Gebot von Fairness und Gerechtigkeit, verursacht auf den zweiten einen unangenehmen Nachgeschmack. Viele Bestimmungen wurden vom Verfassungsgerichtshof ja nicht deswegen aufgehoben, weil etwa COVID-19 nicht gefährlich gewesen wäre oder die Schutzmaßnahmen übertrieben. Sondern hauptsächlich deswegen, weil formale Mängel vorlagen. Das Höchstgericht hat immer die gesamte Rechtsordnung vor Augen und muss Bestimmungen aufheben, die formal nicht passen, so sinnvoll sie im Einzelfall auch sein mögen.
Leider ist das Wasser auf die Mühlen derjenigen, die verbreiten, Schutzmaßnahmen seien grundsätzlich nicht zulässig gewesen; COVID-19 sei nur ein Vorwand gewesen, um unberechtigt staatliche Macht über die Bürger auszuüben. Genau solchen Verschwörungsmythen verschafft dieser Fonds weitere Bestätigung. Und das Signal, das ausgesendet wird, ist ein verheerendes. Opfer der Pandemie wären nicht nur die Erkrankten gewesen, sondern auch die von staatlichen Schutzmaßnahmen Betroffenen. Denken wir an das Tragen der Maske unter der Nase, diesen Nachweis des eigenen Egoismus. Oder an jene Personen, die im vollen Bewusstsein des Risikos der Ansteckung „Corona-Partys“ gefeiert haben. Ihnen sollen nun Strafen ersetzt werden. Wie müssen sich dann jene fühlen, die in der eigenen Familie Todesopfer zu beklagen hatten? Die vielleicht selbst an Long COVID leiden? Die – oft berechtigt – mitmenschliche Rücksichtslosigkeit dafür verantwortlich machen?
Der Corona-Fonds setzt auch ein äußerst bedenkliches grundsätzliches Signal: nämlich dass staatliche Normen relativ sind. Es entsteht der Eindruck, dass es von aktuellen politischen Mehrheiten abhängt, was als Recht angesehen wird und was nicht. Nach der völlig verunglückten Regelung der Impfpflicht ein weiteres Beispiel dafür, wie man das Vertrauen der Bürger verlieren kann. Immerhin darin beweist die Politik eine gewisse Konsequenz.“
DDr. Hubert Niedermayr, MBA, Rechtsanwalt mit den Schwerpunkten Medizinrecht und Ethik
Der niederösterreichische Weg soll Schule machen
„Während der Corona-Pandemie kam es zu zahlreichen Verordnungen und Maßnahmen, die – wie sich im Nachhinein herausstellte – nicht nur überbordend, sondern teils auch verfassungswidrig waren. Zahlreiche Menschen wurden diesbezüglich zur Kasse gebeten und mussten teils horrende Strafen zahlen. Parallel dazu haben einige ihre Jobs nicht mehr ausüben können, weil sie sich aus höchst persönlichen Gründen nicht impfen lassen wollten, oder haben aus demselben Grund keine neue Anstellung bekommen. Wie wir heute wissen, haben einige Maßnahmen auch zu psychischen Schäden geführt. So ist die Zahl an Depressionen deutlich gestiegen und vor allem bei Kindern und Jugendlichen sind die Auswirkungen durch Isolation und Homeschooling spürbar.
Der Weg, den Niederösterreich nun einschlägt, ist meines Erachtens der richtige und sollte österreichweit Schule machen. Denn Strafen, die zu Unrecht verhängt wurden, zurückzuzahlen erachte ich als Selbstverständlichkeit. Für jene, die nachweislich seelische Schäden erlitten haben, die auf die pandemischen Maßnahmen zurückzuführen sind, soll es auch monetäre Unterstützung geben. Für mich ein ganz klares Signal in Richtung Wiedergutmachung.
Die Corona-Pandemie war ein bis dato noch nicht da gewesenes Ereignis, das fraglos Maßnahmen forderte. Doch nun ist es höchste Zeit, die begangenen Fehler einzugestehen – das ist ein anständiger Weg, den man in Niederösterreich bereit ist zu gehen. Für Wien würde ich mir ein solches Vorgehen ebenfalls erwarten. Gerade in der Bundeshauptstadt war man besonders restriktiv und hat die längsten und schärfsten Maßnahmen verhängt. Man kann nun nicht so tun, als wäre nichts geschehen, als hätte der Spruch des Verfassungsgerichtshofes kein Gewicht. Allein rund um den Lockdown für Ungeimpfte ist viel Schindluder getrieben worden. Besonders tragisch war die Situation wohl für Menschen, die kranke oder alte Angehörige in Spitälern oder Pflegeeinrichtungen nicht besuchen durften, da der 2 G-Nachweis nicht erbracht wurde. Hier ist viel seelisches Leid entstanden, für das nun jemand geradestehen muss.
Aus all diesen Gesichtspunkten heraus ist es für mich nicht nachvollziehbar, dass sich RH-Präsidentin Kraker vehement gegen den Corona-Fonds stellt. Denn die Schäden, die durch die Corona-Politik, die Freiheitseinschränkungen und Schulschließungen verursacht wurden, müssen schonungslos aufgearbeitet und wiedergutgemacht werden.“
Wolfgang Seidl, Gesundheitssprecher der FPÖ Wien
ÖVP Niederösterreich hat sich auf die andere Seite begeben
„Während der Pandemie mussten Parteien Farbe bekennen: evidenzbasierte Politik oder mit Ängsten das tägliche Geschäft machen. Chaos, Instabilität, Ängste und Wut sind der Nährboden für rechte Parteien wie FPÖ oder AfD in Deutschland. Auf Bundesebene rief die FPÖ als erste Partei nach Lockdowns, und die ersten Abstimmungen wurden mitgetragen. Herbert Kickl und Co. erkannten aber sofort das Potenzial für die FPÖ und schwenkten um. Dieser Nährboden hat bei den jüngsten Landtagswahlen die FPÖ in Niederösterreich gemästet. Mit dem zwischen ÖVP und FPÖ vereinbarten Corona-Fonds ist die ÖVP Niederösterreich aus der Phalanx der auf Wissenschaft und Forschung basierenden Parteien nicht nur ausgeschert, sondern hat sich auf die andere Seite begeben. Dieses Momentum hinterlässt die vielen Freiwilligen der Impfstraßen in den Gemeinden ratlos. Statt Dank bleibt der Geschmack von Verrat und Hohn.
Als Veterinärmedizinerin ist mir Epidemiologie und Seuchenlehre nicht fremd. Politik muss alle kritischen Ereignisse abwägen. Es darf und muss nach einer Pandemie auch gesagt werden, was man besser hätte machen können. Nachher ist man immer gescheiter. Unzulässig ist hingegen, Unumstößliches wie Impfprogramme anzufeinden. Kaiserin Maria Theresia hat ums Impfen gekämpft! Es ist nichts Neues, dass Menschen zu überzeugen sind: Sei es, die Welt nicht mehr als Scheibe zu sehen, die ersten Pocken-Impfungen, das Radfahren oder das Telefonieren. Wissenschaft und Politik müssen für eine moderne, liberale Demokratie kämpfen. Es gibt keine andere Lösung, um die großen Fragen der Zeit wie Klimakrise friedlich und evidenzbasiert zu beherrschen. Der Bildungsauftrag ist groß in Österreich.
Bereits vor Jahren hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft auf diesbezügliche Mängel hingewiesen. DFG-Präsident Peter Strohschneider etwa meinte dazu: Man schaue nur ins Parteiprogramm der AfD, wo der anthropogene Klimawandel bestritten wird. Immerhin gibt es in Österreich auch Stimmen der Vernunft. Hinsichtlich des angekündigten Verzichts auf weitere Werbemaßnahmen für die Corona-Impfung in Niederösterreich fragte sich zum Beispiel der ehemalige Bildungs- und Wissenschaftsminister Heinz Faßmann in den Salzburger Nachrichten : ,Man sieht täglich im Fernsehen Werbung für ein Mittel gegen Erektionsprobleme und eine seriöse Werbung für die Corona-Impfung sollte verboten werden?“
Dr. Helga Krismer, Klubobfrau der Grünen Niederösterreich