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Ärzte Woche

17.01.2022 | Gesundheitspolitik

Von der Pflicht, die Dinge richtig zu stellen

verfasst von: Mit Matthias Karmasin hat Martin Krenek-Burger gesprochen

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In der Pandemie hat sich der Wissenschaftsjournalismus gewandelt. Nicht nur Fachredakteure befragen Experten, auch Politik- oder Sportreporter. Diese sind es gewohnt, ihre Berichte mit kritischen Stimmen zu würzen. Doch das wird dem modernen Wissenschaftsbetrieb, der auf Konsens ausgelegt wird, nicht gerecht, sagt Kommunikationsforscher Prof. Matthias Karmasin.

Die Wissenschaftsskepsis ist hierzulande groß. Wie kann man gegensteuern?

Karmasin: Wenn man die empirischen Daten heranzieht, dann ist es zweifellos so, dass es in Österreich eine ausgeprägtere Wissenschaftsskepsis gibt als in anderen Ländern der EU. In Bezug auf Gentechnik oder Artificial Intelligence ist diese Skepsis im Vergleich sogar am größten. Bei den anderen Fragestellungen des jüngsten Eurobarometers ( https://bit.ly/3I18jFo ) – wenn es um das Vertrauen in und das Image der Wissenschaft an sich geht, um die Frage, ob Wissenschaftler ehrlich sind und ob man ihnen vertrauen kann – befindet sich Österreich im EU-Vergleich auf den hintersten Plätzen wieder. Der Befund, dass Wissenschaftsskepsis bzw. das Desinteresse an Wissenschaft besonders stark ausgeprägt ist, ist empirisch nachweisbar.


Welche Ausprägungen von Wissenschaftsskepsis gibt es?

Karmasin: Ich würde differenzieren in ein Desinteresse an Wissenschaft, in Wissenschaftsskepsis und in Wissenschaftsfeindlichkeit. Wenn wir über Skepsis und Desinteresse reden, gehört sicher das schon in der Monarchie gepflegte Selbstbild als Kulturnation dazu. Dazu kommen die historisch nie ganz vollendete Aufklärung und Säkularisierung – ebenfalls ein Erbe der Habsburger-Monarchie –, aber auch die Schwächung von Wissenschaft und Forschung durch den Nationalsozialismus. Es gibt auch genuine Wissenschaftsfeindlichkeit im Sinne von Gegenaufklärung aus einer breiten Palette von Interessen heraus.


Was bedeutet das für die Wissenschaftsberichterstattung?

Karmasin: Kommunikationswissenschaftlich betrachtet bedeutet es, dass man die Autonomie und die Integrität der Wissenschaft stärker betonen müsste, und stärker darauf beharren müsste, dass Wissenschaft über das gesicherte Wissen der Zeit verfügt. Wissenschaftliche Erkenntnis ist unabhängig von wirtschaftlichen und politischen Interessen und richtet sich nach den Maßstäben der scientific community. Das darzustellen ist nicht immer gut gelungen.

Ein Hauptproblem bei der Vermittlung von Wissenschaft ist, dass Journalisten gelernt haben, ausgewogen zu berichten. Sprich: Beide Seiten kommen zu Wort. Im Falle eines Bauvorhabens gibt es ein Pro und ein Contra. Der eine sagt, die Brücke muss gebaut werden, eine andere sagt, dass die Brücke nicht gebaut werden darf. Bei der Vermittlung von Wissenschaft erweist sich diese Vorgangsweise als fatal, wenn der Konsens der Fachgemeinschaft nicht abgebildet wird. Dadurch erzeugen Journalisten eine „false balance“. Eine laute, sehr aktive Minderheit schafft es in die Schlagzeilen und bekommt dadurch ein Gewicht, das sie in wissenschaftlichen Publikationen gar nicht hat. Die Frage, was in der Medizin lege artis ist, wird nämlich nicht dadurch entschieden, wer die besseren Interviews gibt, sondern von denen bestimmt, die in den einschlägigen Journalen nach sorgfältiger Qualitätsprüfung publiziert werden. Umgekehrt: Wenn jemand einen evidenzbasierten Nachweis erbringen könnte, dass Homöopathie, Klangschalen oder Schüßlersalze genauso gut vor einer Corona-Infektion schützen wie die Impfung, und das ist mit einer replizierbaren Doppelblind-Studie nachgewiesen, und dieser Nachweis wird dann auch noch nach einem Double Blind Review–Verfahren in einem A-Journal publiziert, können wir darüber reden, daß es eine empirisch fundierte Argumentation ist. Wer heilt, hat recht, mag in der medizinischen Praxis ein taugliches Motto sein – für wissenschaftliche und theoretische Debatten braucht es mehr als Kasuistik.


Ist die Zuspitzung auf ein Duell zwischen Kontrahenten die Wurzel des Übels?

Karmasin: Es geht in der Wissenschaft nicht darum, sich rethorisch oder medial durchzusetzen, sondern darum, was nach den formalen und methodischen Standards der wissenschaftlichen Gemeinschaft beweisbar ist. Wissenschaftlicher Fortschritt basiert auf Konsens der Fachgemeinschaft und nicht darauf, was einzelne Personen sagen. Die Trennung von Argument und Person ist ein wesentliches Element wissenschaftlicher Debatten. Dass es einzelne, abweichende Meinungen gibt, setzt den Konsens nicht außer Kraft, im Gegenteil es fordert zu einer Schärfung der Argumentation auf. Es gibt kaum ein Fach auf der Welt in dem alle Theoretiker und Praktiker immer einer Meinung sind – warum sollte das in der Medizin anders sein? Das Ringen um die Wahrheit und die richtige Methode und Methodologie auf einen Konflikt – „Dissens“, „Duell“ – zwischen Personen zu reduzieren, wird der Komplexität des modernen Wissenschaftsbetriebes kaum gerecht.


Vergeben wir den Titel „Experte“ zu leichtfertig?

Karmasin: Dass jemand das Jus practicandi hat als Arzt oder Ärztin, heißt nicht, dass er oder sie in einem bestimmten Bereich forscht und publiziert. Man könnte schon recherchieren, in welchem Fachgebiet sich jemand auskennt, wofür man berufen wurde und wo er oder sie publiziert hat, ehe man die Person als wissenschaftlichen Experten ausschildert.


Worauf kommt es bei Wissenschaftskommunikation an?

Karmasin: In einer freien, gerechten Gesellschaft sind zwar alle Menschen gleich, das heißt aber nicht, dass ihre Aussagen alle gleich wahr sind. Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit beinhaltet kein Recht auf falsche Tatsachenbehauptungen. Dass es Menschen gibt, die politisch bestimmte Aussagen tätigen, die nicht mit dem Stand der Forschung in Übereinstimmung zu bringen sind – Trump und Klimawandel beispielsweise – entlastet den Wissenschaftsjournalismus und wissenschaftliche Institutionen nicht von der Pflicht zu sagen: Das ist falsch! Das entbehrt jeglicher Evidenz! Man kann sich darüber unterhalten, warum sich Donald Trump so verhält, aber dennoch muss Wissenschaft auf dem Unterschied beharren, dass wir zwar alle als Menschen gleich an Rechten sind, aber nicht alle Aussagen gleich wahr sind.

Weitere Informationen:

https://bit.ly/3I18jFo

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Metadaten
Titel
Von der Pflicht, die Dinge richtig zu stellen
Schlagwort
Gesundheitspolitik
Publikationsdatum
17.01.2022
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 3/2022

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