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Ärzte Woche

04.03.2019 | Gesundheitspolitik

Landärztemangel

Hausapotheken sind nicht mehr das, was sie mal waren

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Die fast schon verzweifelte Suche nach Nachfolgeärzten lässt Gemeinden kreativ werden. Doch auch mit der Aussicht auf eine Hausapotheke lassen sich heute kaum noch Ärzte aufs Land locken.

Mehr Hausärzte bedeuten höhere Lebenserwartung. Eine brandneue Studie der renommiertesten US-Medizinuniversitäten fand heraus, dass zehn Hausärzte mehr pro 100.000 Einwohnern in den betroffenen Regionen zu einer Steigerung der durchschnittlichen Lebenserwartung der Bevölkerung um 51,5 Tage pro Person führen. Zehn Fachärzte mehr bringen nur plus 19,2 Tage an Lebenserwartung. Die Österreicher suchen EU-weit am zweithäufigsten den Hausarzt auf. Mindestens zehn Mal im Jahr gehen 12,3 Prozent der Österreicher zum praktischen Mediziner. Der EU-Durchschnitt liegt laut Eurostat-Daten hier bei nur 6,4 Prozent. Insofern ist es besorgniserregend, dass 87 Allgemeinmediziner-Kassenstellen nicht besetzt sind. Das sind zwar nur 2,3 Prozent, aber es bedeutet, dass 200.000 Personen unversorgt sind.

Manche Gemeindeleiter suchen händeringend nach einem neuen Arzt, einer neuen Ärztin: „HAUS-APOTHEKE MÖGLICH!!“, inserierte eine oststeirische Gemeinde im Vorjahr auf ihrer Gemeinde-Website, das profil berichtete. Der Hinweis auf die Hausapotheke ist kein Zufall. Kassen-Stellen mit Hausapotheke sind leichter zu vermitteln. Das Apothekengesetz schreibt allerdings vor, dass die Praxis des Arztes von der nächsten öffentlichen Apotheke mehr als sechs Straßenkilometer entfernt sein muss. Hausapotheken sind daher nur ein mögliches „Zuckerl“, um Ärzte anzulocken. Im niederösterreichischen Ennsdorf (Bezirk Amstetten) wird der „Neubau einer modernen Arztordination“ in Aussicht gestellt, der Neuarzt in spe dürfe sich einbringen. Ehrlich und offen kommuniziert Moosbrunn im Bezirk Bruck/Leitha, die Gemeinde stellt „finanzielle Mittel für einen Kassenplanstellennachfolger“ bereit, „damit dieser eine zeitgemäße Ordination hat“.

Martin Krenek-Burger

Die Existenz-Angst der Kassen-Hausärzte

„Ein Kassen-Hausarzt verdient 65.000 bis 70.000 Euro netto, das sind, auf 14 Monate gerechnet, etwa 5.000 Euro. Sicher mehr als ein Viertel des Gewinns (arbiträr) stammt nicht aus den Umsätzen als Kassenarzt, sondern aus einer quersubventionierenden Tätigkeit. Nach dieser lassen sich Kassen-Hausärzte grob in zwei Gruppen teilen:

- Einmal die mit Hausapotheke (etwa 840 Kassen-Hausärzte haben eine solche, das entspricht etwa 50 Prozent aller Landärzte und 20 Prozent aller Kassen-Hausärzte), die die Art der Patientenversorgung, wie sie am Land stattfindet, keinesfalls ohne durchführen könnten. Hausbesuche etwa wären dort längst Geschichte ohne Einnahmen aus der Hausapotheke.

- Und dann ist da die Gruppe, die Alternativmedizin und Ästhetik anbietet. Scharenweise bessern Kassen-Hausärzte ihr Auskommen auf: mit Low-Level-Laser, Magnetfeld-Therapie oder Homöopathie, die gegenüber dem Patienten allesamt als medizinisch-wissenschaftliche Tätigkeit angeboten werden. Für einige dieser alternativmedizinischen Angebote, die in anderen Ländern von mehr oder weniger angelernten Hilfskräften wie Heilpraktikern, durchgeführt werden, besteht paradoxerweise in Österreich ein Ärzte-Vorbehalt – wohl um den Hausärzten ihr Zubrot nicht durch Konkurrenz abspenstig zu machen; denn ohne diese Scharlatanerie wären Kassen-Hausarzt-Ordinationen kaum zu halten. Und dann gibt es nicht wenige Kassen-Hausärzte die mit Vampir Lifting, Botox-Spritzen oder Fadenlifting gegen die Falten ihrer Patienten vorgehen – all das, um die Gewinne so hoch zu bringen, dass sie sich ihre eigentliche Tätigkeit – Kassenpatienten hausärztlich zu versorgen – leisten zu können und trotzdem ein als angemessen empfundenes Einkommen zu erzielen. Beide Gruppen investieren also einen erheblichen Teil ihrer Arbeitszeit in Nicht-Kassen-hausärztliche Tätigkeiten und subventionieren so das Kassensystem.

Ein Kassenarzt ist ein Unternehmer. Und anders als Angestellte und Arbeiter, muss ein Kassenarzt seinen eigenen Arbeitsplatz bezahlen, also auch und vor allem Investitionen aus dem Gewinn stemmen – oder eben nicht. Denn, bei so einem geringen Gewinn, ist es viel gescheiter, Investitionen zur Gänze fremd zu finanzieren und auf die Betriebskosten umzuwälzen. Und das hat Konsequenzen. Denn die meisten Kassenärzte, vor allem wenn sie unter 50 Jahre alt sind, sind vermutlich hoch verschuldet. Natürlich sind die meisten zu elegant, das zuzugeben, aber real sind es die nächste Kreditrate, die Miete und die nächsten doppelten Gehälter für Angestellte, die drücken.“

Die Bewerbungen gehen gegen Null

( Mit Christoph Reisner hat Martin Křenek-Burger gesprochen ) Welche Rolle spielt die Hausapotheke eigentlich noch als „Zuckerl“, um Ärzte aufs Land zu locken? „Es ist nu einer von vielen Faktoren. Selbst wenn man allen Standorten, die Ärzte suchen eine Hausapotheke geben würde, hätte man das Problem der Landmedizin nicht gelöst“, sagt Christoph Reisner, Chef der nö. Ärztekammer. Der Ärztemangel mache sich allmählich bemerkbar, sagt der oberste Arzt des größten Bundeslandes. „Ich kann mich daran erinner, dass ich, als ich 2007 Präsident geworden bin, darauf hingewiesen habe, wo wir hinsteuern. Wir haben ein Pensionssystem für unsere Ärzte eingerichtet und kennen daher deren Altersstruktur. Es war klar, dass wir in – damals – 20 Jahren auf eine Pensionswelle zusteuern und dass weniger nachkommen. Damals bin ich belächelt worden.“ Heute lachen die wenigsten, sogar der Nationalrat befasste sich vor Kurzem mit dem in Zahlen fassbaren Desaster. „Wir haben vor 15 Jahren für eine Kassenstelle noch acht Bewerbungen, es sind kontinuierlich weniger geworden, heute geht es in Richtung Null.“

Über die verschiedenen Gründe, warum wir heute da sind wo wir sind, ließen sich Dissertationen schreiben, Praktiker Reisner kennt die wichtigsten: „Zum einen suchen wir schon die falschen Studenten aus, denen wir den Zustand zum Medizinstudium gewähren. Da sind zu einem hohen Anteil nicht die dabei, die in eine hausärztliche Ordination gehen möchten.“ Der andere Grund ist ein gesellschaftlicher Wandel. Die Ärztegeneration über 50 besteht zu ca. drei Viertel aus Männern und einem Viertel Frauen. Bei der nachrückenden Generation ist das Verhältnis: zwei Drittel Frauen zu ein Drittel Männern. Bedeutet? „Die klassische Konstellation von früher – der Mann ist Arzt, die Frau ist Ordinationshilfe, die Ordination wird als Familienbetrieb geführt – gibt es nicht mehr.“ Der Wunsch nach einer geregelten Arbeitszeit „wie jeder andere normale Berufstätige auch“ ist ein Kennzeichen der nächsten Ärzte-Generation, was sich mit der Realität in einer Landgemeinde nur schwer unter einen Hut bringen lässt. Parallel dazu geht der Wunsch, ein Unternehmen zu leiten und sein eigener Chef zu sein, zurück. „Diese Ärzte wollen sich nicht auch um Personal, Einkauf und Lagerhaltung kümmern.“ Ein weiterer Grund sei die Änderung der Ausbildungsverordnung im Jahr 2015, die zu einer Verschiebung in Richtung anderer Fächer geführt habe. „Wir haben viele Studenten, die in Österreich studieren, dann aber ins Ausland gehen. Wir haben aber auch viele Österreicher, die mit perfekten Noten in Deutschland studieren.“ Einfach ein vielschichtiges Problem. Das Heilmittel könnte eine Pflichtfamulatur bei einem Allgemeinmediziner sein. „Dann weiß der, wie das Leben wirklich ausschaut.“

Klare Trennung zwischen Ärzten und Apothekern

( Mit Silvia Moser hat Martin Křenek-Burger gesprochen ) Er lässt sich nicht mehr verheimlichen: der Mangel an Landärzten. In den Stellenausschreibungen der Landesärztekammern ist er nachzulesen. Allein im Bezirk Amstetten in Niederösterreich gibt es sechs Allgemeinmedizinerstellen, die entweder vakant oder bis Jahresende nachzubesetzen sind; im Bezirk Scheibbs sind alle vier ausgeschriebenen Stellen vakant, in Gresten sogar seit April 2016.

Die NÖ Ärztekammer fordert die Aufweichung der Kilometerregelung für Hausapotheken. Allerdings, ist die Hausapotheke nur einer von vielen Faktoren, denn der Ärztemangel am Land betrifft nicht nur die Allgemeinmediziner, auch Gynäkologen, Kinderärzte, Psychiater oder auch Spitalsärzte sind gesucht. Die Gesundheitssprecherin der Grünen Niederösterreich, Silvia Moser, stammt aus dem Waldviertel. Sie kennt die Probleme aus erster Hand. „Bei uns ist kein Primärversorgungszentrum geplant“, sagt Moser. Sie spricht sich für eine strenge Trennung zwischen ärztlicher und pharmazeutischer Tätigkeit aus. „Apotheker bieten ganzheitliche Beratungen, Schulungen und Informationen zu verschiedenen Themen rund um Gesundheit, Krankheit und Medikation an. Ein Medikamentenverkauf darf nicht dazu dienen, den Ärzten durch Hausapotheken ein besseres Einkommen zu verschaffen – je mehr Medikamente verordnet werden – umso besser verdienen die Ärzte.“ Wenn es also nicht die Hausapotheke ist, mit denen der Ertrag einer Praxis verbessert werden soll, womit dann?

Für die Grünen gehören „Gemeinschaftspraxen und lebenswerte Infrastruktur ebenso dazu, wie eine verbesserte Honorierung der ärztlichen Leistungen“. Und: Natürlich müsse es in jeder Arztpraxis eine Notfallapotheke für Akutpatienten geben. Ansonsten könne die Versorgung am Land durch Zustellsysteme oder Filialen der öffentlichen Apotheken ergänzt werden. Moser fordert eine bessere Honorierung der kassenärztlichen Tätigkeit, und zwar in einem Ausmaß, der eine Querfinanzierung durch Medikamentenverkäufe unnötig macht. Eine solche Aufwertung wäre tatsächlich nicht verkehrt. Die Honorare der NÖ GKK sehen zum Beispiel für eine Injektion intramuskulär 2,90 Euro, für eine Injektion intravenös 5,90 Euro vor. Für eine Grüne ungewöhnlich, macht sich Moser auch für Liberalisierung stark, nämlich eine freizügigere Gestaltung des Apothekenmarktes. Damit meine sie aber nicht, die Schaffung von Abgabestellen in Drogeriemärkten, sondern eine Lockerung des Gebietsschutzes der öffentlichen Apotheken.

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Metadaten
Titel
Landärztemangel
Hausapotheken sind nicht mehr das, was sie mal waren
Publikationsdatum
04.03.2019
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 10/2019

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