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Ärzte Woche

20.03.2023 | Gesundheitspolitik

Kriegsheld ohne Waffen

verfasst von: Mit Daniel Uy hat Stefan Schocher gesprochen

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Von Ende Februar bis Anfang November 2022 war das Gebiet zwischen Kherson und Mykolajiv Schauplatz von Kämpfen zwischen ukrainischen und russischen Kräften. In diesem vom Beschuss aufgerissenen Landstrich war der Wiener Mediziner Daniel Uy im Einsatz.

Es ist ein Landstrich, in dem keine Straße, kein Häuserblock, kein Feld vom Krieg verschont geblieben ist: das Gebiet zwischen der Stadt Kherson und der Stadt Mykolajiv. Kherson am Ufer des Dnipro war unter der Kontrolle der russischen Armee, Mykolajiv unter ukrainischer. Und dazwischen: Da versuchten die Russen Mykolajiv einzunehmen, denn damit wäre der Weg frei nach Odessa – während die ukrainischen Kräfte daran arbeiteten, die Stadt Kherson, den verletzlichen Brückenkopf auf dem rechten Ufer des Dnipro, zurückzuerobern.

Von Ende Februar bis Anfang November 2022 war der Landstrich zwischen den beiden Städten, die gerade einmal 40 Kilometer Luftlinie voneinander entfernt liegen, Schauplatz heftiger Kämpfe – bis Anfang November 2022 die russische Front in dem Gebiet kollabierte und die ukrainische Armee bis zum Dnipro vorrückte.

Als Teil eines mobilen Teams von Ärzte Ohne Grenzen war der Wiener Allgemeinmediziner Dr. Daniel Uy seit Dezember mit einer mobilen Klinik in der Region unterwegs. Der Ärzte Woche hat er seine Eindrücke geschildert.

Herr Uy, wie kann man sich die Arbeit mit so einer mobilen Klinik denn praktisch vorstellen?

Daniel Uy: Ganz einfach: Wir kommen mit einem Kleinbus und haben da vier Boxen: zwei Medikamentenboxen, eine mit medizinischem Gerät und eine Notfall-Box mit einem chirurgischen Set. Wir sind ein Team bestehend aus einem Arzt, einer Krankenpflegekraft, einem Psychologen und einem Health-Promoter, der zum Beispiel die Versorgung mit Nahrungsmitteln im Auge hat. Wir fragen dann mal nach, wie die Grundlagen aussehen: Also wie viele Menschen in dem Ort sind, was die Bedürfnisse sind, wie die Infrastruktur aussieht, wie die Ernährungssituation aussieht, ob es vielleicht noch eine medizinische Fachkraft in dem Ort gibt, mit der man zusammenarbeiten kann. Es gab zum Beispiel einen Ort, wo es noch eine Kinderärztin gab. Da haben wir dann nur Medikamente geliefert. Sonst aber fahren wir dann in das Dorf, wenn es sinnvoll ist. Vor Ort haben wir uns dann meistens in Schulen oder Rathäusern, in einer Garage oder sonst wo niedergelassen. Wenn das nicht möglich war, haben wir später Container aufgebaut. Das erste Mal waren dann meist nicht viele Patienten da. Nach dem zweiten und dritten Mal sind aber immer mehr Leute gekommen. Die Kliniken sind auf sehr positive Resonanz gestoßen.


Und wie erfahren die Menschen von Ihrem Kommen?

Daniel Uy: Der Health Promoter hat die Leute eine Woche vorab darüber informiert, dass wir kommen. Diese Dörfer haben dann meistens eine Chatgruppe, über die Infos verteilt werden. Später haben wir auch Aushänge gemacht, wann wir wieder kommen.


Was sind denn die dringendsten Notwendigkeiten in diesem Gebiet, das zum einen zwar unter russischer Besatzung lag, zugleich aber direkt an der Front?

Daniel Uy: Viele ukrainische Ärzte sind geflohen. Bestenfalls gab es in manchen Orten vielleicht noch eine Krankenpflegekraft. Wir haben uns da vor allem um Dörfer gekümmert, die vor dem Rückzug der Russen direkt an der Front gelegen sind. Orte also, die sehr hart umkämpft waren. Da waren 90 bis 95 Prozent der Gebäude zerstört. In solchen Orten sind vor allem alte Leute geblieben. Entsprechend auch die häufigsten medizinischen Probleme: Bluthochdruck, Diabetes. Also an sich gut zu behandelnde Krankheiten, die durch einen Mangel an Medikamenten aber zu gravierenden Problemen führen können. Wir hatten also viele Zuckerentgleisungen und so weiter. Sehr erfreulich ist, dass wir sehen konnten, dass sich der Gesundheitszustand der Bevölkerung im Laufe unserer Arbeit stabilisiert hat. Was aber sicher auch ein Thema ist, ist der psychologische Aspekt dabei. Wir haben auch einen Psychologen im Team. Es gab viele Fälle von PTSD sowie auch viele psychosomatische Störungen.

Wie äußert sich das konkret?

Daniel Uy: Am meisten über Druck in der Brust. Oder dass Menschen sagen, dass sie permanent starke Kopfschmerzen haben.


Hat das sowie der Umstand, dass es an Pharmazeutika mangelt zur Folge, dass Menschen auf Hausmittel zurückgreifen, die dann wieder negative Folgen nach sich ziehen? Stichwort: Alkohol.

Daniel Uy: Alkohol ist da sicher ein Thema, um sich zu beruhigen. Das haben auch einige Patienten selbst gesagt.


Sie haben die massiven Zerstörungen angesprochen. Sind das Landstriche, die verwaist bleiben werden, oder kommen die Leute zurück?

Daniel Uy: Eine wichtige Patientengruppe waren Kinder von Familien, die eben zurückgekommen sind. Und man muss auch sagen, dass während der Zeit, die ich dort war, ein paar Kinder auf die Welt gekommen sind. Wir hatten als jüngsten Patienten ein zwei Monate altes Baby. Es kommen immer mehr Leute zurück. Das ist auch, wieso wir erweitert haben und wohl auch weiter erweitern müssen. Als wird kamen, waren in manchen Dörfern 5 oder 10 Leute. Jetzt aber waren dort dann 200 bis 300. Man sieht auf jeden Fall, dass von Mal zu Mal 70 bis 80 Personen zurückgekommen sind. Aber Freilich: Viele Menschen sind auch aus der Stadt Kherson aufs Land geflohen. Weil die Situation dort sehr angespannt ist. Jetzt gibt es aber bereits die Überlegung, eine dritte mobile Klinik aufzubauen.


Mit den Rückkehrern kommen vermutlich auch Kinder. Wie wirkt sich dieser Krieg auf Kinder aus?

Daniel Uy: Da sind vor allem psychologische Folgen ein Thema. Von medizinischer Seite ging es da eher um Kleinigkeiten. Wir hatten zum Glück keine sehr schwerwiegenden Fälle, was Kinder angeht.


Die Region ist auch, was die Versorgung mit Trinkwasser angeht, problematisch. Oftmals gab es auch schon vor dem Krieg nur Grauwasser. Hinzu kommt jetzt, dass Russland gezielt Pumpstationen angreift. Hat das Folgen auf die Gesundheit der Menschen?

Daniel Uy: Wasser war ein relativ großes Problem für uns – wie auch die Stromversorgung. Unsere Logistiker haben Wasserproben genommen und die zur Kontrolle gebracht. Soweit ich weiß, war das mehr oder weniger in Ordnung. Was viel gemacht wurde ist, dass Menschen nicht das Wasser aus der Leitung verwendet haben. Wasser wird geliefert. Da sind viele NGOs aktiv auf diesem Gebiet. Was die Auswirkung auf die Menschen angeht, habe ich keine auffälligen Beobachtungen gemacht. Ich denke auch, dass die Ukrainer, was das angeht, gut geschult sind. Wir hatten jedenfalls keine medizinischen Fälle, die auf Verunreinigungen zurückzuführen sind.


Zerstörte Infrastruktur: Welche Tücken birgt das?

Daniel Uy: Öffentliche Infrastruktur gab es gar nicht mehr. Ein großes Problem sind auch Minen. Nach dem Rückzug der Russen ist ein Großteil vermint worden. Kleinstraßen zu den Dörfern sind auch noch nicht komplett entmint. Das war sicher das größte Sicherheitsrisiko. Wir haben dazu immer die Leute aus den Dörfern vorab kontaktiert, um Routen festzulegen.


Und wie betrifft das die Menschen?

Daniel Uy: Manche Dörfer sind komplett zerstört. Viele Menschen wohnen aber zum Beispiel in der Stadt, gehen dann aber tagsüber in die Dörfer, bauen was auf, und schlafen dann wieder in Kherson. Die Leute fangen wieder an, den Garten umzupflügen und etwas aufzubauen.


Die Region wurde gezielt vermint und ist landwirtschaftlich geprägt. Ist es bereits möglich, da etwas aufzubauen, wie Sie sagen?

Daniel Uy: Das wird zu einem großen Problem. Die Felder können nicht bepflanzt werden. Es kam auch immer wieder zu Vorfällen, wo es zu Verletzungen kam. Was das angeht, haben wir Notfall-Kits an die Gemeinden abgegeben und zugleich versucht, in jedem Dorf Ersthelfer einzuschulen. Das trifft auf sehr breite Resonanz.

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Metadaten
Titel
Kriegsheld ohne Waffen
Publikationsdatum
20.03.2023
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 12/2023

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Standpunkte

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