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Ärzte Woche

22.09.2021 | Gesundheitspolitik

Sterbehilfe: Alles im grauen Bereich

Der VfGH hat den Tatbestand der „Mitwirkung am Selbstmord“ im Vorjahr zwar aufgehoben. Der Gesetzgeber lässt die Frist zur Reparatur dieses Gesetzes aber wohl verstreichen, meint Jurist Hubert Niedermayr.

„Inkonsequent und unverantwortlich“ nennt der Jurist Dr. Hubert Niedermayr den Umgang der Regierung mit dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs zum Thema Suizidbeihilfe. „Kein Arzt weiß heute im Vorfeld, ob er nicht des Mordes angeklagt wird wegen dem, was er für einen Patienten mit infauster Prognose tut.“ Mediziner agieren, was Beihilfe zum Suizid angeht, in einem Graubereich. Und daran wird sich so schnell nichts ändern, fürchtet Niedermayr. Nur, wie konnte es soweit kommen? Eigentlich hat der Verfassungsgerichtshof ja am 11. Dezember 2020 beschieden, dass das Verbot jeglicher Art der Hilfe zur Selbsttötung in § 78 StGB verfassungswidrig sei. Bedeutet? Beschließt das Parlament bis Ende des Jahres keine Neuregelung, ist ab 1. Jänner 2022 jede Form der Beihilfe zum Suizid straffrei. Das wäre nicht unbedingt im Sinne des VfGH, laut dem „Tötung auf Verlangen“ strafbar bleibt.

Die Politik hält sich zurück. Kein Wunder: Das Thema ist weltanschauliches Dynamit. Umso nervöser sind die involvierten Organisationen. Diakonie-Direktorin Maria Moser vermisst die parlamentarische Debatte. Wolfgang Obermüller von der Gesellschaft für ein humanes Lebensende kritisiert die Regierung, weil sie ein Werbeverbot für Sterbehilfevereine überlege. Caritas-Generalsekretärin Anna Parr fordert einen Ausbau der Hospiz- und Palliativ-Versorgung.

Hubert Niedermayr, spezialisiert auf Fragen zum Epidemiegesetz und COVID-19, hat sich eingearbeitet. Der streitbare Anwalt vermutet, dass „eine typische österreichische Lösung“ gefunden werden wird. „Assistierter Suizid ist zumindest nicht verboten. Es wird in jedem Einzelfall geprüft, ob der Arzt vor dem Strafrichter landet. Das ist einer modernen Gesellschaft nicht zumutbar.“

Martin Krenek-Burger

Ausführliche Beratungen mit Hearings sind kaum möglich

„Die Tatsache, dass bis dato keine Gesetzesvorschläge zur Neuregelung des assistierten Suizids vorliegen, ist ein massives demokratiepolitisches Versäumnis. In dieser gesellschaftspolitisch heiklen und ethisch schwierigen Frage ist eine angemessene Begutachtung von Gesetzesvorschlägen essenziell. Wir haben nachgerechnet: Spätestens Ende nächster Woche ( Anm. d. Red.: der Kalenderwoche 38 ) muss ein Vorschlag zur Begutachtung vorliegen, um bis Jahresende eine gesetzliche Regelung zu haben. Für angemessene öffentliche und parlamentarische Debatten ist es ohnedies schon zu spät.

Gesetzesvorschläge können von allen Parteien und auch überfraktionell von Abgeordneten eingebracht werden. In Deutschland liegen neben einem Diskussionsentwurf des Bundesgesundheitsministeriums zwei interfraktionelle Gesetzesentwürfe und ein Gesetzesentwurf zweier grüner Abgeordneten vor.

Damit ein neues Gesetz mit 1. Jänner 2022 in Kraft treten kann, müsste es spätestens Mitte Dezember vom Nationalrat und am 22. Dezember vom Bundesrat beschlossen werden. Davor sind aber noch einige Schritte notwendig. Zuerst braucht es einen Gesetzesvorschlag, welcher zur Begutachtung veröffentlicht wird.

In der Regel dauert es nach der Begutachtung drei bis vier Wochen, um Stellungnahmen einzuarbeiten. Der überarbeitete Gesetzesentwurf wird dann einem Ausschuss zugewiesen; dies müsste in einer der Nationalratssitzungen Mitte November erfolgen. Der Ausschuss könnte dann Ende November mit der Beratung beginnen. Spätestens am 14. Dezember muss der Bericht aber abgeschlossen sein, um im Nationalrat behandelt werden zu können. Der Ausschuss hat also nur zwei Wochen Zeit, um über den Bericht zu beraten. Ein ausführlicher Beratungsprozess mit Hearings ist in dieser kurzen Zeit kaum möglich.“

Dr. Maria Katharina Moser, Direktorin der Diakonie Österreich

Können nicht auf offiziellen Start der Pflegereform warten

„Die Verfügbarkeit von Hospiz- und Palliativangeboten – in angemessener Qualität sowohl flächendeckend als auch bedarfsdeckend in Wohnortnähe – ist die beste und wirksamste Suizidprävention. Denn der Wunsch, das eigene Leben frühzeitig zu beenden, ist ganz oft ein Hilferuf, ein Ruf nach Nähe, nach Schmerzlinderung. Das wissen wir auch von Ländern mit gut ausgebauten palliativen und hospizbegleitenden Versorgungsstrukturen.

Die Caritas weist schon seit vielen Jahren auf den notwendigen Ausbau dieser Angebote hin. Die Klärung der Regelfinanzierung steht nun mittlerweile dringend an. Wir appellieren dafür, noch vor dem Gesetz für den assistierten Suizid eine ‚Regelfinanzierung für das Leben‘ zu beschließen. Konkret also die bundesweit einheitliche und vor allem langfristige Regelfinanzierung von Hospiz- und Palliativ-Angeboten als Voraussetzung für den so dringend notwendigen Ausbau dieser Angebote. Mit den derzeitigen Angeboten kann nur die Hälfte des Bedarfes abgedeckt werden.

Ganz wesentlich im Sinne einer Suizidprävention ist der Ausbau insbesondere der mobilen Angebote. Denn erst mit ausreichend vorhandenen mobilen Palliativ- und Hospizteams wird eine wirklich wohnortnahe Versorgung und Begleitung von Menschen möglich. Zudem muss die Aus- und Weiterbildung von Menschen in Gesundheits- und Sozialberufen im Bereich Palliativ-Care gefördert werden und es braucht verbindliche Qualitätsstandards für alle Angebote in ganz Österreich – mobil wie stationär, für Erwachsene und Kinder. Die Klärung der Regelfinanzierung ist sowohl im Regierungsprogramm enthalten als auch ein wichtiger Teil der Pflegereform. Doch auf den offiziellen Start der Pflegereform kann nicht gewartet werden.

Zurzeit kann statistisch nur jeder zweite Betroffene ein Angebot in Wohnortnähe finden. Seit Jahren ist bekannt, dass es doppelt so viele Angebote braucht – dafür braucht es auch eine Verdopplung öffentlicher Gelder. Wir appellieren jetzt für eine schnelle Konsensfindung zwischen den zuständigen Ministerien, um die Regelfinanzierung noch im Herbst beschließen zu können. Der Ausbau der Angebote als wichtiges Angebot der Suizidprävention muss jetzt beginnen.“

Anna Parr, Generalsekretärin der Caritas Österreich

Sterbehilfe darf nicht in den Hinterhof gedrängt werden

„Geht es nach kirchennahen ÖVP-Gruppierungen, soll nun ein Verfassungsgesetz verabschiedet werden, das die aktive Sterbehilfe unterbindet. Wir fürchten, dass mit einem Verfassungsgesetz generell das Recht auf Sterbehilfe unterlaufen werden und die VfGH-Entscheidung pro Sterbehilfe durch die Hintertür ausgehebelt werden könnte. Ein solches Verfassungsgesetz wäre sachlich falsch, politisch durchsichtig und gesellschaftlich gefährlich. Die Politik hat das Urteil des VfGH zu respektieren und nicht zu umgehen. Derartiges Vorgehen untergräbt das Vertrauen in Verfassung, Justiz, Politik und Rechtsordnung.

Die Aussage der Kanzleramtsministerin Edtstadler, wonach eine „Kommerzialisierung“ der Sterbehilfe verboten sein und ein „Werbeverbot“ für Sterbehilfevereine verfügt werden soll, sehe ich kritisch. Professionelle Arbeit funktioniert nur, wenn sie auch bezahlt wird. Sie darf nicht in den Hinterhof gedrängt werden. Was etwa für Bestattungsunternehmen und Hospiz-Einrichtungen selbstverständlich ist, muss auch für Sterbehilfevereine gelten. Niemand würde ernsthaft verlangen, dass Hospizeinrichtungen und Bestattungsunternehmen künftig öffentlich nicht mehr sichtbar sein dürfen und ehrenamtlich arbeiten sollten.

Das Selbstbestimmungsrecht am Lebensende ist für immer mehr Menschen wichtig, das zeigen viele nationale und internationale Umfragen. Eine heimische Umfrage aus dem Frühjahr 2021 (INTEGRAL) zeigte, dass 80 Prozent der Befragten die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs gut finden, wonach es gegen das Selbstbestimmungsrecht verstößt, ,Hilfe bei der Selbsttötung’ zu verbieten. Rund ein Viertel (23 %) meinte, dass auch aktive Sterbehilfe erlaubt sein sollte. Lediglich neun Prozent der Österreicher möchten noch gerne am alten Verbot der Sterbehilfe aus dem Jahre 1934 festhalten. Hingegen verlangt eine Mehrheit von 53 Prozent, dass das Parlament jetzt ein neues Gesetz verabschiedet, welches das Recht auf Sterbehilfe stärkt. Und jeder Zweite kann sich vorstellen, einmal selbst Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen.“

Wolfgang Obermüller, Bereichssprecher Politik und Gesellschaft, Österreichische Gesellschaft für ein humanes Lebensende ÖGHL


Metadaten
Titel
Sterbehilfe: Alles im grauen Bereich
Schlagwort
Gesundheitspolitik
Publikationsdatum
22.09.2021
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 38/2021

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