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Ärzte Woche

07.02.2022 | Gesundheitspolitik

Ärzte in erhöhter Alarmbereitschaft

Sozialminister Wolfgang Mückstein liebäugelt mit einer Freigabe der Wirkstoffverschreibung, um Arzneimittel-Engpässe zu vermeiden. Die Ärztekammer fürchtet um die Qualität der medizinischen Versorgung und wittert Geschäftemacherei.

Am 19. März wählen die Ärzte eine neue Vertretung. Eine ziemlich ausgelaugte, vom Ringen mit der Pandemie erschöpfte Wählerschaft will erst einmal in Stimmung gebracht sein. Das Aufregerthema Aut idem könnte eine Motivationsspritze sein. Nichts regt die Ärzteschaft mehr auf. Man sehe sich in der Pflicht, „auf diese gefährliche Entwicklung aufmerksam zu machen“, sagt Ärztekammer-Vizepräsident Dr. Johannes Steinhart. Eine von Gesundheitsminister Dr. Wolfgang Mückstein und dem Rechnungshofausschuss des Nationalrates vorgeschlagene Praxis der „Wirkstoffverschreibung“ würde bedeuten, dass Ärzte nicht ein spezielles Arzneimittel, sondern nur den darin erhaltenen Wirkstoff verordnen können.

Daher werde nun mit einer Medien-Kampagne mit Namen „Gegen Wirkstoffverschreibung – für Patientensicherheit“ ( www.gegenwirkstoffverschreibung.at ) losgelegt. Die Pharmazeutische Industrie will von einer Änderung ebenfalls nichts wissen. Dr. Wolfgang Andiel, Head External Affairs bei Sandoz Österreich, möchte den Status quo beibehalten: „Selbst wenn die Austauschbarkeit wirkstoffgleicher Medikamente durch den strengen Zulassungsprozess für Generika grundsätzlich möglich ist, gefährdet ein häufiger Austausch die Therapietreue und begünstigt Einnahmefehler.“

Kritik an dieser ablehnenden Haltung übt Apothekerkammer-Präsidentin Dr. Ulrike Mursch-Edlmayr. Die Aufhebung der Trennung der Rolle von Ärzten und Apothekern werde mit den Hausapotheken der Ärzte gerade praktiziert. Steinhart stelle die Arbeit von rund 800 Hausapotheken infrage. Mursch-Edelmayr stellt klar, dass die Apotheken nur einen „erweiterten Notfallparagaf“ wollen, um bei Lieferengpässen die Patienten mit einem wirkstoffgleichen Medikament versorgen zu können. Schon jetzt könnten Apotheken – bei Gefahr im Verzug – die kleinste im Handel verfügbare Packung abgeben. Die Trennung der Rollen habe man immer befürwortet. „Das Vier-Augen-Prinzip ist ein kostbares Gut im Sinne der Patientensicherheit.“

Martin Krenek-Burger

Weitere Informationen:

www.gegenwirkstoffverschreibung.at

Solche fragwürdigen Lösungen sind abzulehnen

„Wenn eine Ärztin oder ein Arzt ein Medikament verschreibt, dann denkt sie oder er sich auch etwas dabei. Niemand kennt meine Patientin oder meinen Patienten medizinisch besser als ich. Wenn ich weiß, dass eine Patientin beispielsweise Schluckbeschwerden hat, verschreibe ich ihr ein lösliches Medikament.

Wenn nun der Apotheker, der weder das Wissen noch die medizinische Kompetenz mitbringt, nur auf den Wirkstoff schaut und dieser Patientin einfach das gibt, was er gerade auf Lager hat und dieses Präparat dann eben nicht löslich ist, dann stehen wir vor einem gravierenden und potenziell gesundheitsgefährdenden Problem, das wir uns ganz einfach ersparen könnten. In der Gesundheitsversorgung sollte jeder Gesundheitsberuf das tun, was er am besten kann: Der Arzt soll Medikamente verschreiben, der Apotheker abgeben.

Wenn wir die Entscheidungshoheit über das, was der Patient tatsächlich bekommt, an den Apotheker abgeben, dann geht das auf Kosten der Versorgung und der Patientensicherheit. Zudem ist dann auch mit Haftungsproblemen zu rechnen. Aus der Erfahrung weiß man, dass sich ein häufiger Wechsel von Medikamenten negativ auf die Compliance, also die Bereitschaft des Patienten, sich aktiv an der Therapie zu beteiligen, auswirkt. Zudem erhöht dies das Risiko von Fehl- und/oder Mehrfacheinnahmen – dass sich das ungünstig auf die Gesundung der Patienten auswirkt, kann sich jeder vorstellen. Ein weiterer Punkt, der dabei oft völlig übersehen wird, geht über Form und Farbe der Medikamente hinaus – es ist der Geschmack. Das beste Medikament ist immer das, das auch genommen wird. Wir wissen aus dem Bereich der Kinderheilkunde, dass der Geschmack einer Arznei eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt.

Die Einzigen, die von einer Wirkstoffverschreibung wirklich profitieren würden, wären die Apotheken, die sich möglicherweise bei der Entscheidung, welches Produkt sie abgeben, durch Argumente wie Einkaufskonditionen und Rabatte beeinflussen lassen. Das alles zulasten der Patientinnen und Patienten – und daher können wir nur unterstreichen, dass solche fragwürdigen Lösungen aus der Sicht der Ärztevertretung und im Sinne der Patientensicherheit rigoros abzulehnen sind!“

MR Dr. Edgar Wutscher, Obmann der Bundessektion Allgemeinmedizin (BSAM), Allgemeinmediziner in Tirol

Wirkstoffverschreibung hat viele Nachteile

„Es hat gute Gründe, warum die Diskussion um die Wirkstoffverschreibung, die ein regelmäßig wiederkehrendes Ritual ist, den immer gleichen Ausgang findet. Die Wirkstoffverschreibung hat viele Nachteile, aber kaum Vorteile. Ein möglicher Vorteil wäre, dass Apothekerinnen und Apotheker dann – zumindest in der Theorie – ihre Lager verkleinern könnten. De facto hat aber jede Apotheke mit funktionierendem Warenwirtschaftssystem nur solche auf Lager, die auch üblicherweise nachgefragt werden. In der Praxis würde sich das also nur sehr begrenzt in Lagen mit hohem Laufkundschaftsanteil auswirken.

Weiters darf angenommen werden, dass, sollte es Preisunterschiede bei den austauschbaren Arzneispezialitäten geben, die Auswahl wohl von wirtschaftlichen Überlegungen geleitet würde. Die von der Sozialversicherung kolportierte Einsparung läuft aber den Interessen der Apothekerinnen und Apotheker entgegen und ist insofern vernachlässigbar, als die wirklichen Einsparungen durch den Preisverfall lukriert würden und nicht durch den Austausch verschiedener Generika untereinander. Auch müsste dann vorgeschrieben werden, dass durch den Apotheker nur die günstigste Arzneispezialität des jeweiligen Wirkstoffes abgegeben werden dürfe. Und das bedingt einen gravierenden Nachteil: Diese Vorgangsweise würde zu einer akuten Gefährdung der Versorgung führen. Wenn nur die günstigste Arzneispezialität abgegeben werden darf, müsste diese in diesem Monat – die Preise können einmal im Monat geändert werden – 100 Prozent des Marktes abdecken, ohne dass dies planbar ist.

Zudem liegt der Krankenkassenpreis von über 41 Prozent aller erstattungsfähigen Arzneimittelpackungen unter der Rezeptgebühr. Mit anderen Worten wird der Großteil der Arzneimittel, welche von einer Aut-idem-Regelung umfasst wären, privat bezahlt. Der Patient darf zahlen, hätte kein Mitspracherecht bei der Auswahl seines Arzneimittels und bekäme in der Apotheke ein anderes als gewohnt und mit dem Arzt besprochen. Das läuft allen Regeln des shared decision making mit dem behandelnden Arzt entgegen. Es gibt aus gutem Grund die Trennung zwischen Verschreibung durch den behandelnden Arzt und die Abgabe durch Apotheken“.

Prof. Dr. Ernst Agneter, MBA, Facharzt für Pharmakologie, Inhaber des Lehrstuhls für Pharmakologie an der Sigmund Freud Privatuniversität

Diskussion sachgerecht und auf Augenhöhe führen

„Die Wirkstoffverschreibung ist keine neue Idee, sie kommt in allen anderen EU-Staaten und in der gesamten OECD mit Ausnahme von Österreich zum Einsatz. Dabei sind entweder Wirkstoffverschreibung oder Generikasubstitution verpflichtend oder möglich, in den meisten EU-Ländern ist das nicht erst seit gestern, sondern zum Teil seit mehr als zehn Jahren der Fall. Diese langjährige internationale Erfahrung zeigt uns, dass bei gleicher Qualität für die Patienten nicht nur Einsparungen erzielt werden können, um damit neue und teure Therapien gegenzufinanzieren, sondern auch ein Beitrag zur Versorgungssicherheit geleistet werden kann.

Im Fall von Lieferengpässen bei bestimmten Produkten, kann zum Beispiel leichter auf andere Produkte auf der Ebene der Apotheke ausgewichen werden – das wird jetzt auch schon in der Praxis gemacht, ist aber eigentlich verboten. Zudem sind Apotheker Experten und haben ein entsprechendes Studium erfolgreich absolviert. Mit einer solchen Lösung wird explizit die Expertise der Apotheker in Anspruch genommen. Auch dies ist international so üblich. Dort, wo tatsächlich begründete Ausnahmen notwendig sind, wird es diese aus meiner Sicht auch geben. Wichtig dabei: Bei einer Wirkstoffverschreibung entscheiden natürlich die behandelnden Mediziner weiterhin über die passende Therapie, nämlich den Wirkstoff eines Medikaments – nur eben nicht über den Markennamen eines Konzerns.

Das Argument, dass Patienten anders aussehende Tabletten verwechseln könnten, stimmt so nur bedingt. Auch der Handelsname ist eine potenzielle Quelle für Verwechslungen, Namen klingen oft ähnlich – das ist gut belegt. Wirkstoffnamen sind eindeutig identifizierbar und können vermittelt werden, die Ärzte sind seit ihrem Studium damit vertraut. Es ist wichtig, diese Diskussionen sachgerecht und auf Augenhöhe zu führen und sie nicht als Reibebaum im angelaufenen Ärztekammerwahlkampf zu benutzen.

Unser gemeinsames oberstes Ziel ist die qualitativ hochwertige Versorgung der Menschen in Österreich. Wir sollten aus der umfangreichen internationalen Erfahrung schöpfen und sinnvolle Maßnahmen auch umsetzen.“

NAbg. Ralph Schallmeiner, Grüner Gesundheitssprecher

Metadaten
Titel
Ärzte in erhöhter Alarmbereitschaft
Schlagwort
Gesundheitspolitik
Publikationsdatum
07.02.2022
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 6/2022

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