Wie steht die Ärztekammer zur Homöopathie? Der Wiener Kurienobmann Ferenci rückt von pseudowissenschaftlichen Inhalten ab – ein Schritt, der wegen einer Nennung als Fortbildungsveranstalter nötig wurde.
„Wir distanzieren uns klar von Fortbildungen, die Homöopathie als anerkannte medizinische Behandlungsmethode propagieren.“ Dr. Stefan Ferenci, Obmann der Kurie angestellte Ärzte und Vizepräsident der Ärztekammer für Wien, sah sich zuletzt genötigt, für Klarheit zu sorgen. Denn: Aufgrund eines, wie es hieß, „organisatorischen Fehlers“ war die Wiener Kurie angestellte Ärzte als Veranstalterin einer Fortbildung mit Namen „komplementäre ärztliche Homöopathie bei Post- und Long COVID“ aufgeschienen und musste in der Folge mediale Schelte über sich ergehen lassen. „Hat die Wiener Ärztekammer den Verstand verloren?“, fragte der Kurier . Das wollte Ferenci nicht auf sich sitzen lassen. Homöopathie, ließ er wissen, sei eine pseudowissenschaftliche Strömung und nicht wissenschaftlich belegt. Kritiker halten der Homöopathie vor, dass ihre Grundannahmen nicht mit den modernen Erkenntnissen von Physik, Chemie, Pharmazie und Medizin vereinbar seien. Um sich von „unwissenschaftlichen Verfahren und Scharlatanerie“ (Rektor Prof. Dr. Markus Müller) zu distanzieren, wurde das Wahlfach Homöopathie im Jahr 2018 vom Lehrplan der MedUni Wien gestrichen. Es gebe keine wissenschaftlichen Studien, die einen evidenzbasierten Einsatz der Homöopathie belegen: Mit dieser Begründung hat vor einem Jahr die deutsche Bundesärztekammer beschlossen, keine Weiterbildung für Homöopathie mehr anzubieten. Die Vertreter der Homöopathie lassen sich nicht beirren. Aussagen, wonach Homöopathie nicht über den Placebo-Effekt hinauswirke, seien „wissenschaftlich nicht korrekt“, verlautet die Österreichische Gesellschaft für Homöopathische Medizin (ÖGHM) und verweist auf ein Gutachten des Freiburger Instituts für angewandte Erkenntnistheorie.
Homöopathie wirkt heute wie aus der Zeit gefallen
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„Urinschau, Aderlass und Quecksilbertherapie: Das sind nur drei der Verfahren, denen wir uns noch heute unterziehen müssten, hätte die moderne Medizin nicht über die Jahrhunderte hinweg die Hinwendung zu einer naturwissenschaftlichen Disziplin vollzogen. Heute ist die Medizin der Evidenz verpflichtet. Parallel dazu gibt es in der modernen Medizin noch immer Strömungen, die pseudowissenschaftliche Heilslehren verbreiten und Geschäfte mit dem Leid kranker Menschen machen, bekannt als Alternativ- oder Komplementärmedizin. Belege über die Wirksamkeit der propagierten Behandlungsmethoden, die über einen Placeboeffekt hinausgehen, bleibt sie schuldig. Die Homöopathie zählt dazu. Historisch gesehen entstand die Homöopathie Ende des 18. Jahrhunderts, als in Wien unter Medizinern der sogenannte ,therapeutische Nihilismus’ hochgehalten wurde, die Überzeugung, es sei besser, sich auf Selbstheilungskräfte zu verlassen als auf die – zu damaliger Zeit mitunter qualvollen – Therapiemethoden. Vor diesem Hintergrund wird auch eine unter anderen Umständen jeglicher Logik entbehrende Grundprämisse der Homöopathie nachvollziehbar: die sogenannte ,Potenzierung’ , also das Verdünnen der Grundsubstanz zur vermeintlichen Wirkungssteigerung. So verständlich der Grundgedanke der Homöopathie aus einer historischen Perspektive auch sein mag, so aus der Zeit gefallen wirkt er doch heute. Durch die Hinwendung der Medizin zur Wissenschaft ist es in den vergangenen 200 Jahren gelungen, hoch effektive Therapien zu entwickeln, sodass die alleinige Anwendung von Homöopathie heute de facto als unterlassene Hilfeleistung gelten muss. Im Leitbild der Ärztekammer für Wien steht der Satz: ,Die ärztliche Ethik ist Basis unserer Arbeit.’ Das umfasst – in Übereinstimmung mit dem Genfer Ärztegelöbnis – die Verpflichtung, den Beruf im Einklang mit guter medizinischer Praxis auszuüben. Daraus folgt: Die Wiener Ärztekammer muss die unreflektierte Verbreitung wirkungsloser, gar potenziell gefährlicher Heilsvorstellungen nicht nur nicht fördern, sondern aktiv hintanhalten. Eine wichtige Forderung ist in diesem Zusammenhang die Abschaffung nicht wissenschaftlich belegter ÖÄK-Diplome, wie auch jenes für Homöopathie. Es braucht ein inhaltliches Referat innerhalb der Ärztekammer, das sich kritisch mit alternativ- und komplementärmedizinischen Strömungen in der Medizin auseinandersetzt.“
Dr. Stefan Ferenci, Obmann der Kurie angestellte Ärzte und Vizepräsident der Ärztekammer für Wien
Fehlende Forschungsgelder erschweren Wirknachweis
„Dass Homöopathie evidenzbasierte Medizin ist, beweisen fünf von sechs Metaanalysen Placebo-kontrollierter Studien. Auch ist die positive Wirksamkeit der Homöopathie bei Lungenkarzinompatienten auf die Lebensqualität durch Reduktion der Nebenwirkungen einer Chemotherapie wissenschaftlich belegt. Aktuell konnte in der Grundlagenforschung durch eine Studie mit Wasserpflanzen die positive Wirkung von homöopathischen Substanzen sogar repliziert werden. Vielfach wurde gezeigt, dass homöopathische Mittel an Tieren und Pflanzen messbare Veränderungen bewirken. Die fehlenden Forschungsgelder erschweren den Nachweis des Wirkungsmechanismus. Auch die konventionelle Medizin ist zum Teil ,unwissenschaftliche Erfahrungsmedizin’, wie der Einsatz von Metformin und Acetylsalicylsäure beweisen, deren Wirkungsmechanismus lange unklar war.
Im Gegensatz zu Europa und USA wird in Indien die leistbare, daher weitverbreitete Homöopathie in Spitälern und Ambulanzen angewendet. Die Homöopathie zeigt insbesondere bei chronischen, psychosomatischen Erkrankungen wie auch bei Long Covid einen positiven und nachhaltigen Effekt. Dies widerspricht offenbar den Marktinteressen vieler Pharmakonzerne. Ich beobachte einen Machtkampf um Märkte, bei dem viele Mittel recht sind: Diffamierung ihrer Gegner, Vorverurteilungen, Instrumentalisierung von Politikern und Medien, vor allem aber eine höchst einseitige Ausbildung und Weiterbildung der Ärzteschaft. Die Zeit einer schweren Erkrankung unseres Ärztekammerpräsidenten nützt nun sein Vizepräsident, um über eine Aussendung eine an sich bewilligte und am 20. April gut gelungene Veranstaltung des Referates für Komplementäre und Integrative Medizin zum Thema ,Komplementäre ärztliche Homöopathie bei Post- und Long Covid’ vorzuverurteilen bzw. die weitere Veranstaltung zum Thema ,Komplementäre Therapie bei Angst und Schlafstörungen’ zu unterbinden.
Laut aktueller Umfrage einer großen österreichischen Versicherung wünschen sich 70 Prozent der Versicherten die Integration der Komplementärmedizin in ihre Behandlung. Wann werden endlich auch die Interessen unserer Patienten berücksichtigt? Das Potenzial der Kostenersparnis, Medikamentenreduktion sowie vor allem einer Entlastung von Spitalsärzten und Pflegepersonal durch eine ergänzende Beratung von erfahrenen Experten in Komplementärmedizin wird immer noch nicht ausgeschöpft, leider! Cui bono?“
Dr. Rosemarie Brunnthaler-Tscherteu, Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Homöopathische Medizin (ÖGHM)
Fortbildungsdiplom für Homöopathie irreführend
„Aus Sicht der evidenzbasierten Medizin ist Homöopathie eine Pseudowissenschaft. Ihre Grundlagen sind mit der Naturwissenschaft des 21. Jahrhunderts nicht vereinbar. Es gibt keine verlässlichen Nachweise, dass Homöopathie über die Wirkung von Placebo hinausgeht. Natürlich gibt es Einzelstudien, sogar randomisierte kontrollierte Studien, die zeigen, dass Homöopathie wirkt. Das würde man aus statistischen Gründen aber bei jeder unwirksamen Therapie in Einzelfällen erwarten, weil wir mit Stichproben arbeiten und es dadurch zu einer Streuung der Ergebnisse kommt. Angenommen, man würde 100 Studien zu Aderlass bei COVID-19 durchführen, dann wären auch ein paar dabei, die besagen, dass es sich um eine wirksame Behandlungsmöglichkeit handelt. Und wenn diese Studien selektiert publiziert werden und die anderen in einer Schublade verschwinden, so wie das bei der Homöopathie wahrscheinlich der Fall ist, dann sieht es plötzlich so aus, als ob der Aderlass eine wirksame Behandlung wäre.
Eine gut gemachte Studie wird aus Gründen der Transparenz vorab registriert, damit man später sieht, was ursprünglich geplant war und ob nicht im Nachhinein die primären Endpunkte geändert wurden. Wir haben in einer Untersuchung herausgefunden, dass fast 50 Prozent der publizierten Studien auf dem Gebiet der Homöopathie nie registriert wurden. Und umgekehrt hat sich gezeigt, dass fast 40 Prozent der registrierten Homöopathie-Studien nie publiziert wurden. Das heißt, man kann davon ausgehen, dass sie einfach nicht das gewünschte Ergebnis gezeigt haben. Das ergibt ein sehr besorgniserregendes Bild.
Dass die Österreichische Ärztekammer ein Fortbildungsdiplom für Homöopathie anbietet, ist extrem problematisch. Ein solches Diplom verleiht der Homöopathie – und auch anderen pseudowissenschaftlichen Methoden – eine gewisse Legitimität und Glaubwürdigkeit. Und die Bevölkerung geht natürlich davon aus: Wenn die Ärztekammer ein Diplom verleiht, dann wird diese Behandlung wohl wissenschaftlich fundiert sein. Das ist eine Irreführung. Diese DFP-Diplome sollten schleunigst abgeschafft werden, wenn die Ärztekammer als eine Vertretung der wissenschaftsbasierten Medizin wahrgenommen werden möchte. An den medizinischen Universitäten jedenfalls wird Homöopathie seit einigen Jahren nicht mehr unterrichtet. Homöopathische Produkte sollten wie in den USA mit einem Hinweis versehen werden, demnach es keinen wissenschaftlichen Nachweis für die Wirksamkeit gibt.“
Prof. Dr. Gerald Gartlehner, Leiter des Departments für Evidenzbasierte Medizin und Evaluation an der Donau-Universität Krems