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Erschienen in: Journal für Gynäkologische Endokrinologie/Schweiz 4/2021

Open Access 28.09.2021 | Gynäkologische Endokrinologie

Geschlechtsangleichende Hormontherapie bei Transidentität: Voraussetzungen und Therapiemanagement

verfasst von: PD Dr. med. Gesine Meyer

Erschienen in: Journal für Gynäkologische Endokrinologie/Schweiz | Ausgabe 4/2021

Zusammenfassung

Die Anzahl transidenter Menschen, die sich mit dem Wunsch nach geschlechtsangleichenden Maßnahmen vorstellen, ist, ebenso wie die öffentliche Wahrnehmung des Themas, in den letzten Jahren angestiegen. Trotz einer zunehmenden Akzeptanz verläuft die medizinische Versorgung Betroffener häufig nicht optimal. Aufgrund der weitreichenden und teilweise irreversiblen Konsequenzen sollte eine geschlechtsangleichende Hormontherapie nur bei Erreichen aller notwendigen Voraussetzungen im Konsens mit dem behandelnden Psychiater bzw. Psychotherapeuten und nach ausführlicher Aufklärung durch einen erfahrenen Arzt eingeleitet werden. Vor Therapiebeginn muss ein umfangreiches Screening auf etwaige Risikofaktoren erfolgen und Komorbiditäten sollten adäquat behandelt werden. Die Behandlung erfolgt gemäß der vorliegenden Leitlinienempfehlungen bei Transidentität von Mann zu Frau mit 17β-Estradiol oder 17β-Estradiolvalerat in Kombination mit Cyproteronacetat oder Spironolacton als Antiandrogen, bei Transidentität von Frau zu Mann mit transdermalen oder intramuskulären Testosteronpräparaten. Regelmäßige klinische und laborchemische Verlaufskontrollen auf erwünschte und mögliche unerwünschte Wirkungen der Therapie sind ebenso wie gynäkologische bzw. urologische Früherkennungsuntersuchungen dauerhaft notwendig. Vor Therapiebeginn sollte eine Aufklärung und Beratung zu Fragen der Fertilität und Schwangerschaftsverhütung erfolgen.
Die geschlechtsangleichende Hormontherapie stellt einen wesentlichen Pfeiler der medikamentösen Geschlechtsangleichung dar und mehrere Studien belegen eindeutig ihre positive Auswirkung auf die Lebensqualität der Betroffenen. Bei sorgfältiger Beachtung der notwendigen Vorsichtsmaßnahmen weist die Therapie ein akzeptables Risikoprofil auf.
Hinweise

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Eine Geschlechtsinkongruenz liegt vor, wenn das bei Geburt zugewiesene, biologische Geschlecht und die empfundene Geschlechtsidentität nicht übereinstimmen. In direkter Übersetzung aus dem Englischen wird oftmals noch die Bezeichnung Transsexualität genutzt. Viele Betroffene bevorzugen jedoch den als weniger stigmatisierend empfundenen Begriff Transidentität oder bezeichnen sich selbst als Transgender. Biologisch männliche Menschen mit weiblicher Geschlechtsidentität werden als Transfrauen bezeichnet, biologisch weibliche Menschen mit männlicher Geschlechtsidentität entsprechend als Transmänner.
Zur Epidemiologie der Transidentität existieren keine sicheren Daten. Aus Hochrechnungen der Daten großer spezialisierter Behandlungszentren für transidente Menschen wird die Prävalenz auf 0,02–0,03 % geschätzt [1]. Schätzungen, die auf Befragungen zur Geschlechtsidentität basieren, ergeben eine mehr als 10-mal so hohe Prävalenz von 0,3–0,5 % [2]. Im Kindesalter liegen die Zahlen teils deutlich darüber, nur bei einem kleineren Anteil persistiert die Transidentität bis in das Erwachsenenalter hinein [3]. In diesen Fällen entwickelt sich typischerweise mit dem Einsetzen der körperlichen Veränderungen in der Pubertät ein deutlicher Leidensdruck (Geschlechtsdysphorie), der bei vielen, wenngleich nicht allen Betroffenen zum Wunsch nach geschlechtsangleichenden Maßnahmen führt. Die Rate an Suizidgedanken und -versuchen ist bei Menschen mit Geschlechtsdysphorie bis auf das 10-Fache erhöht [4, 5]. Einige Studien weisen auf eine signifikante Verbesserung zuvor bestehender psychischer und körperlicher Symptome sowie eine Zunahme der Lebensqualität nach Beginn einer geschlechtsangleichenden Hormontherapie hin [68]. Die Rate derer, die ihre Entscheidung zur Geschlechtsangleichung später bereuen, ist in Europa mit 0,3–0,6 % sehr gering [1]. Die geschlechtsangleichende Hormontherapie (GAHT) ist für Betroffene identitätsstiftend. Allerdings stellt die Gabe biologisch kontrasexueller Hormone einen erheblichen Eingriff in die körperliche Integrität dar. Insbesondere bei unkontrollierter oder überdosierter Behandlung besteht ein nicht unerhebliches Risiko für unerwünschte Wirkungen, wichtig vor allem vor dem Hintergrund einer zumeist lebenslangen Behandlung körperlich gesunder und junger Menschen.
In den letzten Jahren ist ein Anstieg der Anzahl transidenter Menschen zu beobachten, die sich mit dem Wunsch nach geschlechtsangleichenden Maßnahmen vorstellen [1]. Mögliche Mitursachen hierfür liegen in der steigenden gesellschaftlichen Akzeptanz der Thematik und der deutlichen Zunahme der öffentlichen und medialen Wahrnehmung. Trotz dieser zunehmenden Wahrnehmung und Akzeptanz verläuft die medizinische Versorgung Betroffener häufig nicht optimal [9, 10].

Voraussetzungen zur Einleitung einer geschlechtsangleichenden Hormontherapie

Die GAHT führt rasch zu deutlichen, teilweise irreversiblen Veränderungen. Unabdingbare Voraussetzung zum Therapiebeginn ist daher die Diagnosesicherung und klare Indikationsstellung durch einen erfahrenen Psychotherapeuten oder Psychiater. Ideal ist eine interdisziplinäre Vernetzung der Behandler z. B. in Form von Behandlerarbeitskreisen, Qualitätszirkeln oder multidisziplinären Therapieeinrichtungen [11, 12]. Ein Therapiebeginn ist prinzipiell – das schriftlich dokumentierte Einverständnis der Erziehungsberechtigten und eine entsprechende Reife des Jugendlichen vorausgesetzt – ab einem Alter von etwa 16 Jahren möglich. Bei Minderjährigen ist eine Bestätigung der Indikation durch einen unabhängigen zweiten Therapeuten zu fordern [11]. Vor Therapieeinleitung muss eine ausführliche Aufklärung hinsichtlich der Wirkungen, des zeitlichen Verlaufs, der gegebenen Grenzen sowie über die möglichen unerwünschten Wirkungen erfolgen [11, 12].

Medizinische Abklärungen vor Therapiebeginn

Zur Erfassung möglicher Kontraindikationen und zur Abklärung eventuell vorhandener Risikofaktoren ist ein umfassendes prätherapeutisches Risikoscreening mit ausführlicher Eigen- und Familienanamnese, körperlicher Untersuchung und Bestimmung relevanter laborchemischer Parameter notwendig. Dieses Screening dient auch zur Anpassung der geplanten Therapie an das individuelle Risikoprofil (Tab. 1).
Tab. 1
Empfehlungen zur Abklärung vor Therapiebeginn und Kontraindikationen. (Nach [11, 12])
Eigenanamnese
✔ Vorerkrankungen (v. a. kardiovaskuläre und thromboembolische Erkrankungen, metabolische Störungen bzw. Erkrankungen, Lebererkrankungen, Tumoren, Migräne)
✔ Vormedikation (Selbstmedikation mit Hormonpräparaten, regelmäßige Einnahme anderer Medikamente)
✔ Nikotin, Alkohol, Drogen
✔ Sozialanamnese (sozialer Rollenwechsel, berufliche Tätigkeit, Partnerschaft, sexuelle Orientierung)
✔ Kinderwunsch
Familienanamnese
✔ Thromboembolische Erkrankungen
✔ Kardiovaskuläre Erkrankungen
✔ Hormonsensible Tumorerkrankungen (Mamma, Zervix, Prostata)
✔ Fettstoffwechselstörungen
Körperliche Untersuchung
✔ Internistische Untersuchung einschließlich Gewicht, Blutdruck
✔ Sekundäre Geschlechtsmerkmale (Brust, Genitalien, Behaarungsmuster)
✔ Biologische Frauen: gynäkologische Vorsorgeuntersuchung inklusive zumindest transabdomineller Sonographie des inneren Genitales
✔ Biologische Männer > 40 Jahre: urologische Vorsorgeuntersuchung
Labor
✔ Leberwerte
✔ Blutbild
✔ HbA1c, ggf. Nüchternglukose
✔ Lipidprofil
✔ Hormonstatus (TSH, LH, FSH, Estradiol, Testosteron, Prolaktin; bei biologischen Frauen zusätzlich DHEAS, Androstendion)
✔ Bei biologischen Männern PSA
✔ Kleiner Gerinnungsstatus (INR, PTT)
✔ Thrombophiliescreening bei positiver Eigen- oder Familienanamnese
Kontraindikationen
✔ Florider Alkohol- oder Drogenabusus
✔ Noncompliance
✔ schwerwiegende, die Entscheidung oder Therapie beeinflussende psychische Komorbidität
✔ Schwere thromboembolische Vorerkrankung
✔ Unkontrollierte chronische Vorerkrankung (Diabetes mellitus, arterielle Hypertonie, Epilepsie)
✔ Ischämische kardiovaskuläre oder zerebrovaskuläre Vorerkrankung
✔ Therapierefraktäre Migräne
✔ Leberinsuffizienz, Leberzirrhose
✔ Hormonsensible Tumoren (Mamma, Zervix, Prostata)
✔ Kinderwunsch
HbA1c glykiertes Hämoglobin
Die seltene Differenzialdiagnose einer organisch bedingten Variante der Geschlechtsentwicklung muss vor Therapiebeginn ausgeschlossen werden. Leichtgradige Abweichungen wie beispielsweise eine milde Erhöhung der Androgene im Rahmen eines polyzystischen Ovarialsyndroms sind nicht als ursächlich für die Geschlechtsinkongruenz anzusehen und stellen keine Kontraindikation dar. Ein Ausschluss chromosomaler Anomalien ist nur bei klinischen oder laborchemischen Anhaltspunkten für eine Variante der Geschlechtsentwicklung notwendig.
Komorbiditäten und Risikofaktoren (z. B. arterielle Hypertonie, Diabetes, Fettstoffwechselstörung, chronische Lebererkrankungen, HIV) müssen einer adäquaten Behandlung zugeführt werden und stellen bei suffizienter Therapie keine absolute Kontraindikation dar.
Absolute Kontraindikationen sind selten (Tab. 1). Die GAHT ist für die Betroffenen so essenziell, dass ihr im Einzelfall und in möglichst breitem Konsens mit allen Behandlern sowie nach ausführlicher Risikoaufklärung auch bei Vorliegen relativer Kontraindikationen Priorität eingeräumt werden kann. Aufgrund der hohen Risiken einer unkontrollierten Selbstmedikation bei Vorenthalten einer therapeutisch kontrollierten Hormontherapie ist eine individuelle Lösungsfindung anzustreben.

Transidentität von Mann zu Frau (Transfrauen)

Therapie [11]

Zur feminisierenden Hormontherapie wird eine Therapie mit 17β-Estradiol oder 17β-Estradiolvalerat oral oder transdermal empfohlen. Aufgrund des deutlich ungünstigeren Risikoprofils ist der Einsatz von Ethinylestradiol, wie es in den meisten kombinierten oralen Kontrazeptiva enthalten ist, obsolet [6, 13, 14]. Das Risiko für thromboembolische Komplikationen ist unter oraler Estradioltherapie höher [15], sodass bei zusätzlichen Risikofaktoren, wie Übergewicht, höherem Alter oder Nikotinkonsum, eine transdermale Applikationsform erfolgen sollte.
Da auch die Absenkung der Androgene eine wichtige Voraussetzung für die erwünschte Feminisierung des Körpers darstellt [16], erfolgt ergänzend eine antiandrogene Medikation. Standard ist dabei die Gabe von Cyproteronacetat [17]. Eine mögliche Alternative stellt die Gabe von Spironolacton dar. Auch die Applikation eines GnRH(Gonadotropin-Releasing-Hormon)-Analogons ist möglich, wobei hier die deutlich höheren Kosten zu beachten sind. Ein zusätzlicher Nutzen auf die Brustentwicklung durch eine additive Gabe von Progesteron konnte bislang nicht bestätigt werden [18, 19]. Randomisierte kontrollierte Studien hierzu fehlen. Aufgrund der belegten Erhöhung des Risikos für Mammakarzinome sowie kardiovaskuläre und thromboembolische Ereignisse bei postmenopausalen Frauen unter Hormonersatztherapie wird eine zusätzliche Gabe von Progesteron bei Transfrauen derzeit eher nicht empfohlen [11]. Nähere Informationen zu Präparaten und üblichen Dosierungen finden sich in Tab. 2.
Tab. 2
Geschlechtsangleichende Hormontherapie: Präparate und übliche Dosierungen. (Nach [11])
Medikation
Präparate
Empfohlene Dosierung
Feminisierende Hormontherapie bei Transidentität von Mann zu Frau
Estradiol
Oral: Estradiol bzw. Estradiolvalerat
transdermal: Gel
transdermal: Spray
transdermal: Pflaster
2–6 mg/Tag
1,5–3 mg/Tag
1,5–4,5 mg/Tag
25–200 µg/24 h
Antiandrogene Therapie
Cyproteronacetat
Spironolacton
GnRH-Analoga, z. B. Leuprorelin
5–50 mg/Tag p.o.
100–300 mg/Tag p.o.
3,75 mg alle 4 Wochen oder 11,25 mg alle 12 Wochen s.c.
Virilisierende Hormontherapie bei Transidentität von Frau zu Mann
Testosteron
Transdermales Gel
Testosteronundecanoat
40–125 mg/Tag
1000 mg alle 10–16 Wochen i.m.
Ergänzende Menstruationsunterdrückung (falls erforderlich)
Gestagene:
Medroxyprogesteron
5–10 mg/Tag
Dydrogesteron
10–20 mg/Tag
GnRH-Analoga, z. B. Leuprorelin
3,75 mg alle 4 Wochen oder 11,25 mg alle 12 Wochen s.c.
p.o. peroral, s.c. subkutan, i.m. intramuskulär, GnRH Gonadotropin-Releasing-Hormon

Zeitlicher Verlauf und Grenzen der Therapie

Siehe Tab. 3. Größe und Form des männlichen Larynx und somit die Stimmlage sind nicht beeinflussbar. Körperbehaarung und Bartwuchs nehmen ab, sistieren aber in der Regel nicht vollständig, sodass in den meisten Fällen eine Epilationsbehandlung notwendig wird.
Tab. 3
Wirkungen und zeitlicher Verlauf einer geschlechtsangleichenden Hormontherapie. (Nach [11, 12])
Wirkung
Beginn
Maximaler Effekt
Feminisierende Hormontherapie bei Transidentität von Mann zu Frau
Brustwachstum
3–6 Monate
2–3 Jahre
Abnahme von Muskelmasse und -kraft
3–6 Monate
1–2 Jahre
Fettumverteilung
3–6 Monate
2–3 Jahre
Rückgang der Körper- und Gesichtsbehaarung
6–12 Monate
> 3 Jahre
Weicherwerden der Haut
3–6 Monate
Abnahme von Libido und spontanen Erektionen
1–3 Monate
3–6 Monate
Abnahme der Hodengröße
3–6 Monate
2–3 Jahre
Virilisierende Hormontherapie bei Transidentität von Frau zu Mann
Aussetzen der Regelblutung
2–6 Monate
Stimmbruch
3–12 Monate
1–2 Jahre
Bartwuchs, Körperbehaarung
3–6 Monate
3–5 Jahre
Vermännlichung des Körperbaus, Zunahme der Muskelmasse
6–12 Monate
2–5 Jahre (trainingsabhängig)
Wachstum der Klitoris
3–6 Monate
1–2 Jahre

Nebenwirkungen und Risiken

Tab. 4 gibt einen Überblick über unerwünschte Wirkungen und Risiken. Ein relevantes Risiko besteht in der Entstehung venöser Thromboembolien. Ältere Studien unter Verwendung des heute obsoleten Ethinylestradiols zeigen eine deutliche Risikoerhöhung auf 5,5–6,3 % [6, 13]. Unter modernen Therapieregimes scheint die Inzidenz rückläufig auf etwa 0,6–2 % [20, 21]. Das perioperative Thromboembolierisiko unter feminisierender Hormontherapie wurde bislang nur in einer Studie untersucht [22]. Die Ergebnisse entsprechender Studien bei postmenopausalen Frauen unter Hormonersatztherapie sind heterogen. Insgesamt scheint eine transdermale Estradioltherapie ohne gleichzeitige Gabe von Gestagenen kein signifikanter additiver Risikofaktor zu sein. Die möglichen negativen Auswirkungen einer Therapiepause auf Psyche und Körper, das Risikoprofil sowie die eingesetzte Therapie müssen bei der Empfehlung zum perioperativen Management berücksichtigt werden [23]. Die meisten Behandler empfehlen bislang eine 2‑wöchige Pausierung der GAHT vor geplanten operativen Eingriffen [24].
Tab. 4
Unerwünschte Wirkungen und Risiken der geschlechtsangleichenden Hormontherapie. (Modifiziert nach [11, 12])
Feminisierende Hormontherapie
 
Virilisierende Hormontherapie
Venöse Thromboembolienx
Risiko deutlich erhöht
Erythrozytose (Hämatokrit > 50)
Akne
Zerebrale Ischämienx
Kardiovaskuläre Komplikationenx
Hypertriglyzeridämiex
Anstieg der Leberwertex,y
Depressive Symptome/Verschlechterung einer vorbestehenden Depressiony
Gewichtszunahmex,y
Hyperprolaktinämie/Prolaktinomx
Meningeomey
Risiko moderat erhöht
Gewichtszunahme
Kardiovaskuläre Komplikationen
Arterielle Hypertonie
Anstieg der Leberwerte
Dyslipidämie
Mammakarzinom
Prostatakarzinom
Risiko nicht oder nicht eindeutig erhöht
Mammakarzinom
Ovarialkarzinom
Endometrium‑, Zervixkarzinom
xpotenzielle Nebenwirkung von Estradiol
ypotenzielle Nebenwirkung von Cyproteronacetat
Nicht selten wird eine Gewichtszunahme beobachtet [25, 26]. Weiterhin werden ein Anstieg der Triglyzeride [26, 27] und auch der Leberwerte [6] beschrieben. Auch diese metabolischen Nebenwirkungen scheinen unter Verwendung moderner, transdermaler Estradiolformulationen sehr viel weniger häufig aufzutreten [17, 27]. Bislang liegen nur wenige Langzeitdaten zum kardiovaskulären Risiko vor, es konnte jedoch ein vermehrtes Auftreten zerebraler Ischämien im Vergleich zu altersgleichen Frauen (2,4-fach erhöhtes Risiko) und Männern (1,8-fach erhöhtes Risiko) gesehen werden [28]. Die Rate an Myokardinfarkten zeigte sich höher als die von biologischen Frauen, aber vergleichbar mit der Rate altersgematchter Männer [28, 29]. Es sollte daher ein regelmäßiges Screening auf kardiovaskuläre Risikofaktoren erfolgen, die bei Manifestation soweit als möglich optimiert werden müssen. Die Betroffenen sollten motiviert werden, durch Lebensstiländerungen ihr persönliches Risikoprofil zu senken [11]. Ab dem etwa 50. Lebensjahr ist eine Senkung der eingesetzten Estradioldosis analog zum physiologischen Rückgang der Estradiolwerte altersgleicher Frauen zu empfehlen [30]. Zum Erhalt der Knochendichte ist möglicherweise jedoch eine kleine Erhaltungsdosis auch jenseits des statistischen Postmenopausenalters sinnvoll [31]. Bei zusätzlichen Risikofaktoren für das Auftreten einer Osteoporose und insbesondere in den Fällen, in denen die GAHT nach Orchidektomie nicht fortgeführt wird, ist eine Kontrolle der Knochendichtemessung zu empfehlen [11].
Insbesondere unter hohen Estradioldosen kommt es häufiger zu leichten bis mäßigen Anstiegen der Prolaktinkonzentration, die toleriert werden können. Bei relevanter Erhöhung auf mehr als das Doppelte der oberen Norm muss die Estradioldosis ggf. angepasst werden und bei Persistenz sollte gegebenenfalls auch eine Bildgebung der Hypophyse erfolgen, da Einzelfälle von Prolaktinomen unter langdauernder, hochdosierter Estradioltherapie beschrieben sind [32]. Cyproteronacetat erhöht dosisabhängig das Risiko für Meningeome, sodass die niedrigste wirksame Dosis dieses Präparats gewählt werden sollte.

Transidentität von Frau zu Mann (Transmänner)

Therapie

Es erfolgt die Gabe von Testosteron in Form eines transdermalen Gels oder eines intramuskulär injizierten Depotpräparats (Testosteronundecanoat). Zur Menstruationsunterdrückung ist die vorübergehende Hinzunahme eines Gestagens bis zur ausreichenden Suppression der gonadotropen Achse durch die Testosterontherapie möglich [11]. Um eine verlässliche Menstruationshemmung zu erreichen, müssen Gestagenpräparationen sehr regelmäßig in einem zeitlichen eng begrenzten Fenster eingenommen werden. Üblicherweise wird mit einer niedrigen Dosis einmal täglich begonnen. Bei nicht ausreichendem Effekt kann die Dosis auf 2‑mal täglich erhöht werden oder alternativ ein GnRH-Analogon eingesetzt werden. Nähere Informationen zu Präparaten und üblichen Dosierungen finden sich in Tab. 2.

Zeitlicher Verlauf und Grenzen der Therapie

Siehe Tab. 3.

Unerwünschte Wirkungen und Risiken

Einen Überblick über unerwünschte Wirkungen und Risiken gibt Tab. 4. Häufigste unerwünschte Wirkung ist eine Akne [17, 33]. Bei Behandlungsbedürftigkeit kommen je nach Schweregrad der Akne topische oder systemische Retinoide oder Antibiotika zum Einsatz. Bei der Anwendung von Retinoiden ist aufgrund der Teratogenität bei mit biologischen Männern sexuell aktiven Transmännern auf eine sichere Kontrazeption zu achten (siehe hierzu auch unten). Kombinierte orale Kontrazeptiva mit einem antiandrogen wirksamen Gestagen sind für Transmänner keine geeignete Therapieoption [34].
Gelegentlich wird über eine gesteigerte Aggressivität berichtet. Dies sollte bereits vor Therapiebeginn sowie regelmäßig im Verlauf angesprochen werden.
Durch die Wirkung von Testosteron auf die Erythropoese entwickelt sich bei bis zu 11–17 % der Patienten eine Erythrozytose. Das Risiko steigt mit der Dauer der Hormontherapie und der Höhe der verabreichten Testosterondosis, ist aber prinzipiell auch bei normwertigen Testosteronspiegeln vorhanden [17, 35]. Bei Auftreten dieser Nebenwirkung sollte die Testosterondosis reduziert bzw. das Injektionsintervall verlängert werden.
Das Körpergewicht kann ansteigen [25, 26]. Während einige Studien auf eine ungünstige Beeinflussung des Lipidstoffwechsels mit Anstieg des LDL- und Abfall des HDL-Cholesterins hindeuten [25, 26], zeigt sich in anderen Untersuchungen eher eine Angleichung der Blutfettwerte an den männlichen Normalbereich [17]. Insgesamt gibt es Hinweise auf ein etwas erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse [28, 29]. Bei Anwendung moderner, leitlinienbasierter Therapieregimes scheinen relevante Leberwerterhöhungen deutlich seltener aufzutreten [17, 27] als in früheren Arbeiten [6] berichtet.

Empfohlene Verlaufskontrollen unter Therapie [11]

Nach Therapieeinleitung sollten regelmäßige Verlaufskontrollen erfolgen. Im ersten Jahr sind Kontrollen in 3‑monatigen Abständen sinnvoll, längerfristig sollten sie alle 6–12 Monate erfolgen und auch nach geschlechtsangleichenden operativen Eingriffen weiter fortgeführt werden. Serummessungen der Geschlechtshormone sind zur Einschätzung der notwendigen Dosierungen und insbesondere zur Vermeidung einer Übertherapie hilfreich. Bei Transfrauen sollten Estradiolwerte im mittleren Referenzbereich prämenopausaler Frauen (< 200 pg/ml) und Testosteronwerte im weiblichen Referenzbereich (< 55 ng/dl) angestrebt werden. Die Entwicklung einer weiblichen Brust ist interindividuell sehr unterschiedlich ausgeprägt, erfolgt überwiegend in den ersten 1–2 Jahren der Hormontherapie und bleibt häufig pubertär unvollständig. Mehrere Studien zeigen, dass die Brustentwicklung nicht mit den gemessenen Estradiolwerten korreliert [17, 18, 36]. Eine Steigerung der Estradioldosis über das physiologische Maß hinaus fördert das weitere Wachstum der Brust nicht, erhöht jedoch das Risiko für unerwünschte Langzeitwirkungen der Therapie.
Bei Transmännern wird ein Testosteronwert im männlichen Referenzbereich (ca. 250–840 ng/dl) angestrebt. Hämoglobin und Hämatokrit sind wichtige Marker der Testosteronwirkung und sollten ebenfalls regelmäßig verlaufskontrolliert werden.
Darüber hinaus sollte ein regelmäßiges Screening auf mögliche unerwünschte Wirkungen und Risiken erfolgen mit Erfragung von Risikofaktoren und eventueller Komedikation sowie Kontrollen von Körpergewicht, Blutdruck, Leberwerten, Lipidstatus, Blutbild und bei feminisierender Therapie auch Prolaktin [11].

Gynäkologische und urologische Untersuchungen

Transfrauen

Das Risiko für die Entstehung eines Mammakarzinoms bleibt auch unter feminisierender Hormontherapie kleiner als das biologischer Frauen, steigt jedoch im Vergleich mit Männern auf das 46-Fache an [37]. Transfrauen sollten daher an den üblichen empfohlenen gynäkologischen Früherkennungsuntersuchungen teilnehmen [11].
Da bei der geschlechtsangleichenden Unterleibsoperation die Prostata in situ belassen wird und Einzelfälle von benigner Prostatahyperplasie [38] wie auch Prostatakarzinomen [39] bei Transfrauen unter Hormontherapie beschrieben sind, werden ab dem 50. Lebensjahr jährliche PSA-Kontrollen und klinische Untersuchungen der Prostata empfohlen [11].

Transmänner

Aufgrund der Aromatisierung von Testosteron zu Estradiol besteht unter der GAHT prinzipiell weiterhin ein Risiko für hormonabhängige Tumoren. Die Datenlage hierzu ist insgesamt gering. Es wird daher insgesamt eher zur Durchführung einer Hysterektomie mit beidseitiger Adnexektomie geraten. Bis dahin werden regelmäßige gynäkologische Früherkennungsuntersuchungen wie für biologische Frauen empfohlen [11].
Trotz ihrer wichtigen Bedeutung werden die genannten Früherkennungsuntersuchungen – aus durchaus nachvollziehbaren Gründen – häufig nicht oder unregelmäßig wahrgenommen. Die Hemmschwelle, sich als Transfrau einer urologischen bzw. Transmann einer gynäkologischen Untersuchung zu unterziehen, ist oft sehr hoch. Nicht selten berichteten insbesondere Transmänner auch von erheblichen Schwierigkeiten, in einer gynäkologischen Praxis als Patient angenommen zu werden [9]. Für transidente Menschen muss, auch nach erfolgter Personenstandsänderung, eine regelmäßige gynäkologische Betreuung gewährleistet sein.

Kontrazeption

Die virilisierende Hormontherapie mit Testosteron allein bietet keinen ausreichend sicheren Kontrazeptionsschutz. Mit biologischen Männern sexuell aktive Transmänner sollten darüber aufgeklärt und zu sicheren und in der Kombination mit einer GAHT einsetzbaren Verhütungsmethoden beraten werden. Neben Barrieremethoden eignen sich orale oder intramuskulär injizierte Gestagenpräparate sowie hormonfreie oder gestagenbeschichtete Intrauterinpessare. Auch mit biologischen Frauen sexuell aktive Transfrauen müssen weiterhin auf eine Verhütung achten.

Fertilität und Kinderwunsch

Sowohl die feminisierende als auch die virilisierende Hormontherapie führen im Verlauf zu einer Beeinträchtigung der Fertilität. Die Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit sind interindividuell sehr unterschiedlich und zeitlich sowie in ihrer Ausprägung im Einzelfall nicht vorhersehbar. Die Entstehung einer irreversiblen Infertilität ist möglich. Transidente Menschen müssen vor Beginn einer GAHT ausführlich darüber und über die zur Verfügung stehenden Methoden eines Fertilitätserhalts aufgeklärt werden. Dabei sollte auch auf die bestehenden rechtlichen Limitationen und die von den Betroffenen selbst zu tragenden Kosten eingegangen werden, die je nach Behandlungsart und -dauer bis weit in den 5‑stelligen Eurobereich reichen können.
Für Transfrauen ist eine Kryokonservierung von Spermien möglich. Diese sollte möglichst vor Therapiebeginn erfolgen. Je nach Qualität und Menge des kryokonservierten Materials ist eine Insemination oder IVF/ICSI-Behandlung mit Eizellen der Partnerin erforderlich, wenn ein Kinderwunsch konkret wird. Eine assistierte Reproduktion rechtlich gleichgeschlechtlicher Paare ist in Deutschland prinzipiell legal, wird aber nicht in allen Zentren angeboten.
Die Fertilität von Transmännern kann durch eine Kryokonservierung von Eizellen oder ovariellem Gewebe erhalten werden. Ist eine geschlechtsangleichende Operation mit Hysterektomie und Adnexektomie nicht oder erst später geplant, kann eine Schwangerschaft nach Absetzen der GAHT unter Umständen auch spontan erzielt werden. Eine Eizellspende ist in Deutschland rechtlich unzulässig. Eine Austragung der Schwangerschaft ist somit nur durch den Transmann selbst – unter Pausierung der Testosterontherapie – möglich.
Nach deutscher Gesetzgebung bleibt die Transfrau, mit deren Spermien ein Kind entstanden ist, bzw. der Transmann, der ein Kind entbindet, auch nach erfolgter Personenstandsänderung als Vater bzw. Mutter dieses Kindes eingetragen [12].

Fazit für die Praxis

  • Die geschlechtsangleichende Hormontherapie führt rasch zu erheblichen, teilweise irreversiblen Veränderungen und bedarf daher einer eindeutigen Indikationsstellung.
  • Vor Therapieeinleitung ist ein umfangreiches Screening auf etwaige Risikofaktoren notwendig. Vorbestehende Komorbiditäten müssen adäquat behandelt sein.
  • Die feminisierende Behandlung erfolgt gemäß der vorliegenden Leitlinienempfehlungen mit 17β-Estradiol(valerat) in Kombination mit einem Antiandrogen. Der Einsatz von Ethinylestradiol ist aufgrund des deutlich höheren Nebenwirkungsprofils obsolet. Zur virilisierenden Therapie werden transdermale oder intramuskuläre Testosteronpräparate eingesetzt.
  • Nach Therapieeinleitung sollten regelmäßige klinische und laborchemische Kontrollen erfolgen.
  • Für transidente Menschen muss, auch nach erfolgter Personenstandsänderung, eine regelmäßige gynäkologische/urologische Betreuung gewährleistet sein.
  • Fragen zu Kontrazeption und Fertilität sollten vor Therapiebeginn besprochen werden.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

G. Meyer gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Literatur
13.
Zurück zum Zitat Asscheman H, Gooren LJG, Eklund PLE (1989) Mortality and morbidity in transsexual patients with cross-gender hormone treatment. Metabolism 38(9):869–873CrossRef Asscheman H, Gooren LJG, Eklund PLE (1989) Mortality and morbidity in transsexual patients with cross-gender hormone treatment. Metabolism 38(9):869–873CrossRef
17.
27.
Zurück zum Zitat Wierckx K, Van Caenegem E, Schreiner T et al (2014) Cross-sex hormone therapy in trans persons is safe and effective at short-time follow-up: results from the European network for the investigation of gender incongruence. J Sex Med 11(8):1999–2011. https://doi.org/10.1111/jsm.12571CrossRefPubMed Wierckx K, Van Caenegem E, Schreiner T et al (2014) Cross-sex hormone therapy in trans persons is safe and effective at short-time follow-up: results from the European network for the investigation of gender incongruence. J Sex Med 11(8):1999–2011. https://​doi.​org/​10.​1111/​jsm.​12571CrossRefPubMed
38.
Zurück zum Zitat Casella R, Bubendorf L, Schaefer DJ, Bachmann A, Gasser TC, Sulser T (2005) Does the prostate really need androgens to grow? Transurethral resection of the prostate in a male-to-female transsexual 25 years after sex-changing operation. Urol Int 75(3):288–290. https://doi.org/10.1159/000087811CrossRefPubMed Casella R, Bubendorf L, Schaefer DJ, Bachmann A, Gasser TC, Sulser T (2005) Does the prostate really need androgens to grow? Transurethral resection of the prostate in a male-to-female transsexual 25 years after sex-changing operation. Urol Int 75(3):288–290. https://​doi.​org/​10.​1159/​000087811CrossRefPubMed
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Zurück zum Zitat Miksad RA, Bubley G, Church P et al (2006) Prostate cancer in a transgender woman 41 years after initiation of feminization. JAMA 296(19):2316–2317CrossRef Miksad RA, Bubley G, Church P et al (2006) Prostate cancer in a transgender woman 41 years after initiation of feminization. JAMA 296(19):2316–2317CrossRef
Metadaten
Titel
Geschlechtsangleichende Hormontherapie bei Transidentität: Voraussetzungen und Therapiemanagement
verfasst von
PD Dr. med. Gesine Meyer
Publikationsdatum
28.09.2021
Verlag
Springer Vienna
Erschienen in
Journal für Gynäkologische Endokrinologie/Schweiz / Ausgabe 4/2021
Print ISSN: 1995-6924
Elektronische ISSN: 2520-8500
DOI
https://doi.org/10.1007/s41975-021-00215-x

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Éditorial

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