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Ärzte Woche

28.06.2021 | Geschichte der Medizin

Yad Vashem

Nicht nur Oskar Schindler

verfasst von: Josef Broukal

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Im Heeresgeschichtlichen Museum läuft eine sehenswerte Ausstellung. Sie berichtet über 112 Österreicher, die in der Nazizeit jüdische Mitbürger retteten. Unter ihnen einige Ärzte.

Wir kennen sie alle, die großen Verbrecher der Nazizeit österreichischer Provenienz – von Adolf Hitler abwärts bis Adolf Eichmann. Alle verstrickt in das große Menschheitsverbrechen Shoah, als Auslöser wie als willige Erfüllungsgehilfen. Weit weniger bekannt: Viele Menschen in Österreich halfen den von Deportation und Tod bedrohten jüdischen Mitbürgern.

Im Jahr 1953 schuf der junge Staat Israel eine Gedenk- und Erinnerungsstätte an den Völkermord an Europas Juden. Ihr Name: „Yad Vashem“ – auf Deutsch: „Hand und Name“. Aber es sollte nicht nur an den Schrecken erinnert werden, sondern auch an die Helfer, die jüdisches Leben gerettet hatten. Immer auch unter erheblicher Gefahr für sich selbst, und sehr oft auch unter großen Mühen und Entbehrungen. Ihnen gab man einen Ehrentitel: „Gerechte unter den Völkern.“

Heute finden sich unter den rund 27.000 Namen dieser „Ehrenlegion selbstloser Hilfsbereitschaft“ auch die von 112 Österreichern; und zu denen gehören wiederum fünf Mediziner und eine Medizinerin.

Es drohten Gefängnisund Konzentrationslager


Jüdischen Menschen helfen, das war seit 1941 im Deutschen Reich mit Strafe bedroht. Kurz nachdem die Nazis den Judenstern eingeführt hatten, drohte ein Erlass „deutschblütigen Bürgern“ mit einer „Schutzhaft“ von drei Monaten, wenn sie „in der Öffentlichkeit freundschaftliche Beziehungen zu Juden“ erkennen ließen. Es konnte also schon ein freundschaftliches Wort auf der Straße oder am Arbeitsplatz die Einlieferung in ein Konzentrationslager bedeuten. Umso mehr das Verstecken und Versorgen jüdischer Mitbürger. Wer Unterschlupf gewährt hatte, wurde wegen „verbotswidrigen Umgangs mit Juden“ festgenommen und von der Gestapo verhört. Wer ins Konzentrationslager eingeliefert wurde, hatte mit unabsehbaren Folgen für seine Gesundheit und sein Leben zu kämpfen.

Wichtig zu wissen: Damit diese 112 „Gerechten“ helfen konnten, brauchten sie ihrerseits ein Netzwerk von Helfershelfern. Weil Lebensmittel während des Krieges streng rationiert waren und kaum für eine Person reichten, mussten einige Menschen von ihren Essensmarken abgeben, um eine versteckte Person ernähren zu können. Schätzungen zufolge waren 1.000 Personen im Umfeld der „Gerechten“ einbezogen.

Wer waren nun diese 112 Judenhelfer aus Österreich? Darüber gibt Heeresgeschichtlichen Museum in Wien Auskunft: „Die Gerechten. Courage ist eine Frage der Entscheidung.“ Die Ausstellung ist kompakt gestaltet, man hat in einer Stunde mehr über diese fürchterliche Zeit gelesen und gesehen, als einem lieb sein kann. Die Ärzte Woche bittet die Organisatoren um eine Liste mit den Namen und kurzen Angaben zu jeder von Yad Vashem geehrten Person, und findet darin mehrere Namen von Ärzten.

- Dr. Erwin Leder versteckte als verantwortlicher Arzt im Gefangenenlager Sluzk (Belarus) von der Ermordung bedrohte Juden im Krankenhaus des Lagers. Leder übergab ihnen die Papiere von an Krankheiten Verstorbenen, um sie so vor der Überstellung in KZs zu bewahren. Mit Hilfe zweier jüdischer Frauen schmuggelte Leder Hilfsgüter in das Ghetto der Stadt, außerdem warnte er die dort lebenden Juden vor drohenden Verhaftungen. Schließlich wurden die beiden Frauen ertappt und erschossen. Leder geriet in Verdacht, beteiligt zu sein, aber man konnte es ihm nicht nachweisen. Er wurde an die russische Front strafversetzt und dort schwer verwundet.

- Dr. Rudolf Wertz rettete im Jahr 1941 viele Wiener Juden vor der Deportation nach Polen. Er stellte ihnen Bestätigungen schwerer Krankheiten aus und verordnete Bettruhe. Als die Gestapo seine Hilfsaktionen entdeckte, wurde er in eine Strafkompanie überführt. Er überlebte und arbeitete nach dem Kriegsende wieder als Arzt in Wien.

- Dr. Josef Feldner war Schularzt in Wien. Er kannte den jüdischen Schüler Hans Bustin aus dem Radetzkygymnasium im dritten Wiener Bezirk. Und über ihn dessen Familie. Als diese im September 1942 aus Wien in eines der Konzentrationslager gebracht werden sollte, bot Feldner sich an, Hans und seinem Bruder Herbert bei sich aufzunehmen und zu verstecken. Die Eltern beschlossen, den jüngeren Herbert mitzunehmen. Alle drei wurden später ermordet. Hans aber überlebte dank Feldners Hilfe und wurde von ihm nach dem Krieg adoptiert.

Bustins Enkelin Anna Goldenberg hat darüber ein berührendes Buch geschrieben: „Versteckte Jahre. Der Mann, der meinen Großvater rettete.“ Hans Feldner-Bustin wurde später selbst Arzt. Seine Frau, ebenfalls Ärztin, hatte das Konzentrationslager Theresienstadt überlebt. Feldner hätte, schreibt Anna Goldenberg, keine Auszeichnung gewollt. Er hielt es für selbstverständlich, zu helfen.

- Dr. Arthur Lanc war Amtsarzt in der niederösterreichischen Stadt Gmünd. Er war dort für die Betreuung der jüdischen Zwangsarbeiter zuständig. Diesen durften allerdings keine Medikamente verabreicht werden. Lanc zweigte dennoch Arzneimittel für sie ab. Dabei half ihm der Tierarzt Krisch. Später war er drei Juden behilflich, aus einem Lager in Gmünd zu fliehen. Sie überlebten in einem Versteck auf dem Dachboden der Weißgerberei Weißensteiner in Hoheneich. Im Jahr 2016 wurde in Wien-Leopoldstadt der Lancplatz nach ihm und seiner Frau benannt. Maria Lanc erhielt ebenfalls den Ehrentitel „Gerechte unter den Völkern“.

- Dr. Kurt Lingens und Ella Lingens begannen bald nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich Juden zu helfen. Während der „Reichspogromnacht“ versteckten sie zehn Juden in ihrer Wohnung. Auch später blieb die Wohnung der Lingens ein Zufluchtsort für die jüdischen Freunde des Paares. Sie halfen auch, als sie gebeten wurden, Juden bei der Flucht vor den Nazis behilflich zu sein. Dabei wurden sie an die Gestapo verraten. Kurt Lingens wurde mit einer Strafeinheit an die russische Front geschickt und dort schwer verwundet. Ella Lingens wurde ins Konzentrationslager Auschwitz eingeliefert. Sie wurde – als fast fertige Medizinstudentin – im Lager als Ärztin eingesetzt. Es gelang ihr, einige Juden vor dem Tod in der Gaskammer zu retten. Ella Lingens überlebte den „Todesmarsch“ von Auschwitz nach Dachau. Nach dem Krieg schloss sie ihr Medizinstudium ab. Sie war als Beamtin des Sozialministeriums am Aufbau des österreichischen Gesundheits- und Sozialwesens nach 1945 beteiligt.

- Dr. Lucia Heilman war während des Zweiten Weltkriegs verfolgte Jüdin. Sie überlebte durch die selbstlose Hilfe eines Freundes, Reinhold Duschka. Der versteckte Heilmann und ihre Mutter Regina zunächst in seiner Kunstschmiedewerkstatt. Als diese im Winter 1944 durch einen Bombentreffer zerstört wurde, blieb nur noch ein Kohlenkeller als Versteck. Lucia und ihre Mutter mussten mehrere Monate lang in völliger Dunkelheit und Stille im Kohlenkeller leben. Jeder Laut hätte sie verraten können, da auch die anderen Hausparteien aus diesem Keller ihr Brennmaterial holten. „Also nur im Keller sitzen, das war fast menschenunmöglich. Es war seelisch entsetzlich, es war gefährlich. Es war fast nicht auszuhalten! Keine Tätigkeit, nur Angst haben!“Nach dem Krieg wurde Heilmann Schulärztin.

- Die Ausstellung zeigt auch den Unternehmer Julius Madritsch, den „österreichischen Oskar Schindler“. Madritsch hatte wie Schindler selbstlos „seinen Juden“ geholfen. Leider gelang es ihm am Ende nicht, alle vor der Gaskammer zu retten.

Anna Goldenberg

Versteckte Jahre

Zsolnay Verlag 2018, 192 S., Hardcover 20,60 Euro

ISBN 978-3-552-05906-1

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Metadaten
Titel
Yad Vashem
Nicht nur Oskar Schindler
Publikationsdatum
28.06.2021
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 26/2021

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