Präzisionsmedizin ist in aller Munde – das Streben, Werkzeuge und Wirkstoffe so einzusetzen, dass sie präzise auf die Krankheitsursachen im Erbgut von Patient:innen abzielen. Die Individualität eines jeden Menschen ist die Kombination aus genetisch festgelegten Dispositionen und den im Lauf eines Lebens sich ergebenden Lebensumständen und Umwelteinflüssen. Gender Medizin ist Präzisionsmedizin!
Denn historisches Faktum ist es, dass medizinische (Grundlagen-) Forschung nicht nur vorwiegend an männlichen Tieren (Ratten, Mäusen) durchgeführt wurde und wird, sondern dass klinische Studien vor allem an weißen (kaukasischen) Männern erfolgte. Die Forderung geht also, in der Forschung Diversität im Hinblick auf Geschlecht, Ethnizität bis hin zu Unterschieden im sozio-ökonomischen Status zu berücksichtigen und in die Ergebnisse einfließen zu lassen. Kürzlich wurde in den USA, initiiert vom NIH, ein Forschungsprogramm mit dem Titel „All of us“ etabliert, das genau die Diversität in Grundlagen- und klinischer Forschung zum Ziel hat.
Während es in der deutschen Sprache als Differenzierung nur den Begriff „Geschlecht“ gibt, vermag das Englische zwischen Gender und Sex zu unterscheiden: Gender also für Lebensumstände, Umgebung, Status etc., Sex für das, was dem Körper, auch genetisch, innewohnt. Die Perspektiven zukünftiger Medizin sind die personalisierte Therapie nach individueller Erforschung des Einzelnen und damit präziser Verabreichung von Medikamenten und anderen Therapiemöglichkeiten.
Neuere kardiovaskuläre Forschungen haben in genetischen Untersuchungen geschlechtsspezifische Unterschiede bei Deletions-Syndromen, die mit der Entwicklung von Kardiomyopathien einhergehen, herausgefunden. Überhaupt ist das Verteilungsmuster der einzelnen Zellen des Herzens bei Frauen und Männern unterschiedlich, wie andere Forschungen bestätigen. Im Rahmen eines Vortrags über „Ultra-Marathons“ (mit Distanzen über 60 km und mehr) wurde gezeigt, dass Frauen Männern in dieser Disziplin überlegen, weil bei längeren Distanzen schneller sind.
Wissenschaftlich/klinische Forschung muss, um heutigen Publikationskriterien zu genügen, einen relevanten Anteil von Frauen inkludieren. Dennoch wird nach wie vor bei den Ergebnissen in einem beträchtlichen Teil von publizierten Artikeln nicht zwischen weiblichen und männlichen Probanden unterschieden.
Dies und andere Aspekte waren Inhalte des im Rahmen der Berlin Science Week stattfindenden Symposiums.
Quelle „Sex and Gender Disparities in Medical research and Practice“, Max Delbrück Center, Berlin, 19. November 2023