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Erschienen in: ProCare 8/2021

02.11.2021 | Gastroenterologie | ENDOSKOPIEPFLEGE

Komplikationen nach Koloskopie

Zwischen Risiko und Nutzen abwägen

verfasst von: Hardy-Thorsten Panknin

Erschienen in: ProCare | Ausgabe 8/2021

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Seit dem Jahr 2002 ist in Deutschland neben anderen Vorsorgeprogrammen auch ein Darmkrebsscreening etabliert, in Österreich gibt es dieses Angebot seit 2005. Es beinhaltet das Angebot an alle gesetzlich Versicherten, sich zweimal im Abstand von zehn Jahren einer ambulanten Vorsorge-Koloskopie zu unterziehen. Die Kosten für diese Untersuchung können über die jeweilige gesetzliche Krankenkasse abgerechnet werden. Während die Altersgrenze in Österreich von Beginn an für alle ab dem 50. Lebensjahr gezogen wurde, galt sie in Deutschland zu Beginn ab dem 55. Lebensjahr und wurde 2019 für Männer auf 50 Jahre gesenkt. Ab diesem Alter kann die Untersuchung bei einem hierfür zugelassenen Kassenarzt (Endoskopiepraxis) stattfinden. Auch in anderen Industrieländern ist ein solches Screening bereits seit Jahren etabliert. Allerdings bringt jede Koloskopie auch die Gefahr von Komplikationen mit sich, besonders wenn dabei auch Schleimhautbiopsien entnommen werden. Über mögliche Komplikationen sollte der Patient, der die Untersuchung in Anspruch nimmt, im Rahmen des Vorgesprächs aufgeklärt werden. Eine ungeklärte Frage ist derzeit in den Versicherungssystemen aller Industrieländer, bis zu welcher oberen Altersgrenze ein solches Untersuchungsangebot sinnvoll ist.
In einer Studie aus der Universitätsklinik von Toronto, Kanada, wurde die Komplikationsrate nach ambulant durchgeführter Koloskopie bei Personen ab einem Alter von 50 Jahren retrospektiv anhand von Krankenkassen- und Krankenhausdaten nachvollzogen. Fragestellung der Studie war, ob die Komplikationen mit zunehmendem Alter der Patienten linear zunehmen und ob ab einem bestimmten Alter die Risiken einer solchen Untersuchung eher die Vorteile überwiegen [1].

Grunderkrankungen und Lebensstil als Risikofaktoren

Es handelte sich um eine retrospektive Datenauswertung von Krankenkassen- und Krankenhausdaten, die im Einzugsbereich der Großstadt Hamilton in der Provinz Ontario, Kanada, durchgeführt wurde. Eingeschlossen wurden alle Personen ab einem Alter von 50 Jahren, die sich im Großraum Hamilton einer ambulant durchgeführten Koloskopie unterzogen hatten. Der Studienzeitraum erstreckte sich über zehn Jahre (2008-2017). Zu Studienbeginn war auch in Kanada die kostenfreie Vorsorge-Koloskopie von Personen ohne Darmsymptome eingeführt worden.
Um nur Personen einzuschließen, bei denen zuvor keine chronischen Darmerkrankungen oder andere erhöhte Risiken für ein Darmkarzinom bestanden, wurden die in den Datensätzen der gesetzlichen Krankenkasse Kanadas hinterlegten Grunddiagnosen der Patienten abgefragt. Patienten, bei denen eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung oder ein familiäres Risiko für ein Darmkarzinom vorlagen, wurden nicht in die Studie einbezogen. Bei Vorliegen derartiger Einflussfaktoren wäre in jedem Fall eine Koloskopie angezeigt. Diese ist somit medizinisch indiziert und kann nicht mehr als „Vorsorge-Endoskopie“ im engeren Sinne bezeichnet werden. Weiterhin wurden eine Reihe von Grundkrankheiten als Einflussfaktoren für ein erhöhtes Risiko für Komplikationen erfasst: Herzkrankheiten, Anämie, Leberkrankheiten, chronische Nierenerkrankungen und Bluthochdruck, sowie als Faktoren des Lebensstils Übergewicht und Rauchen.
TABELLE 1
KOMPLIKATIONSRATE
Art der Komplikation
Alle koloskopierten Personen (n=38.069)
Jüngere Kohorte (n=30.443)
Ältere Kohorte (n=7626)
p-Wert
Akute Krankenhaus-aufnahme innerhalb 30 Tagen, n (%)
1310 (3,4)
795 (2,6)
515 (6,8)
<0,001
Akute Darmblutung, n (%)
141 (0,4)
76 (0,2)
65 (0,9)
<0,001
Darmperforation, n (%)
18 (0,05)
12 (0,04)
6 (0,08)
0,15
Akutes Herzkreislaufereignis, n (%)
274 (0,7)
138 (0,5)
136 (1,8)
<0,001
Infektionen, n (%)
148 (0,4)
97 (0,3)
52 (0,7)
<0,001
Um schwerere Komplikationen nach der Endoskopie zu erfassen, wurden alle ungeplanten oder notfallmäßigen Krankenhausaufnahmen der koloskopierten Patienten in den 30 Tagen nach der Endoskopie aus den Datensätzen der Krankenhäuser abgefragt. Um auch Krankenhausaufnahmen zu erfassen, die außerhalb der Großstadt Hamilton stattfanden, wurde der Abfrageradius auf Akutkrankenhäuser der gesamten Provinz Ontario (1,5 Millionen Einwohner) ausgedehnt. Nach Aufnahme der persönlichen Erkrankungsdaten der Versicherten wurden die Daten anonym kodiert und anonym statistisch analysiert.
Primarer Endpunkt der Studie war die Rate und Art von Krankenhausbehandlungspflichtigen Komplikationen bei Patienten im Alter von 50 bis 74 versus .75 Jahren innerhalb von 30 Tagen nach der Koloskopie. Sekundarer Endpunkt war die Rate der chirurgisch therapierten, neu entdeckten Darmkarzinome.

Häufigere Darmblutungen bei älteren Patienten

In dem zehnjährigen Studienzeitraum wurden 40.681 Patienten ambulant koloskopiert. Von diesen wurden 2467 (6,1 %) wegen zuvor diagnostizierter chronisch-entzündlicher Darmerkrankung und 145 (0,4 %) wegen familiärer Darmkrebsbelastung ausgeschlossen. Somit wurden die Daten von 38.069 Patienten ausgewertet. Die jüngere Kohorte (50-74 Jahre) umfasste 30.443 Patienten mit einem mittleren Alter (± Standardabweichung) von 61,4 ± 7 Jahren, die ältere (≥ 75 Jahre) 7626 Patienten mit einem mittleren Alter von 80,5 ± 4,3 Jahren.
Die Häufigkeit von Vor- und Grundkrankheiten war in der älteren Kohorte erwartungsgemäß höher. Anämie, Bluthochdruck, chronische Herzinsuffizienz, Herzrhythmusstörungen, chronisch-obstruktive Lungenerkrankung und chronische Nierenerkrankungen kamen zwei- bis fünfmal häufiger vor, die Häufigkeit von Übergewicht lag in der älteren Kohorte dagegen nur bei einem Drittel des Anteils der jüngeren Kohorte. Die Gesamtmortalität (unabhängig von Ursachen) innerhalb von 30 Tagen nach der Koloskopie lag bei 17 von 7626 (0,2 %) in der älteren Kohorte versus 19 von 30.443 (0,06 %) in der jüngeren Kohorte. Dieser Unterschied war signifikant (p<0,001).
Die Häufigkeit von Komplikationen, die einer Behandlung im Krankenhaus bedurften, ergab, dass Darmblutungen in der älteren Kohorte etwa viermal so häufig auftraten, kardiovaskuläre Ereignisse etwa 3,5-mal und Infektionen etwa viermal häufiger als bei den jüngeren Personen. Die Rate von Darmperforationen war etwa gleich hoch. Dieses als Komplikation einer Koloskopie gefürchtete Ereignis trat bei insgesamt 38.069 Personen 30-mal auf (Rate: 0,079 %). Um das Alter als alleinigen Risikofaktor für Komplikationen herauszuarbeiten, wurden die Zahlen für die oben genannten Vor- und Grundkrankheiten durch eine multivariate Analyse adjustiert. Dabei zeigte sich, dass ein Alter ab 75 Jahren (als alleiniger, unabhängiger Risikofaktor) mit einer Risikoerhöhung für jede Art von Komplikation, die im Krankenhaus behandelt werden musste, um den Faktor 2,3 (95 % Vertrauensbereich: 2,0-2,6) assoziiert war. Da der Vertrauensbereich nicht den Wert 1,0 schnitt, war dieses Ergebnis signifikant.
„Die Rate neu entdeckter, innerhalb von 30 Tagen zu einer chirurgischen Therapie führenden Darmkarzinome war in der älteren Kohorte etwa dreifach höher als in der jüngeren.“
Die Rate neu entdeckter, innerhalb von 30 Tagen zu einer chirurgischen Therapie führenden Darmkarzinome war in der älteren Kohorte etwa dreifach höher als in der jüngeren: 1,6 versus 0,5 Prozent der Untersuchten (p=0,01).

Schlussfolgerung

Die Autoren stellen fest, dass das Risiko ernsthafter Komplikationen, die eine Behandlung im Krankenhaus erforderlich machten, nach einer Koloskopie bei Patienten ab 75 Jahren nach Adjustierung für Vorerkrankungen 2,3-mal höher war als bei jüngeren Personen. Demgegenüber wurden jedoch auch mehr Karzinome entdeckt, die noch zu einer Operation führten. Der obere Altersgrenzwert, bis zu dem eine Vorsorge-Koloskopie noch sinnvoll ist, kann somit aufgrund dieser Studie nicht starr formuliert werden. Da das Komplikationsrisiko jedoch bei über 80-Jährigen noch einmal sehr stark anstieg, dürfte aus Sicht der Autoren etwa zwischen 75 und 80 Jahren der Punkt erreicht sein, ab dem Vorsorge-Koloskopien nur noch sehr zurückhaltend angeboten werden sollten.

Kommentar

Bei jeder vorsorglich durchgeführten, instrumentellen Untersuchung müssen die Risiken gegen die zu erwartenden Vorteile abgewogen werden. Diese Abwägung betrifft nicht nur den einzelnen Patienten mit seiner individuellen Lebenserwartung und Lebensperspektive. Sie ist auch für die Gesundheitssysteme der Industrieländer von großer Bedeutung. Im Falle der Koloskopie bringt eine frühzeitig durchgeführte, vorsorgliche Untersuchung für die Kostenträger den Vorteil, dass enorme Folgekosten mehrfacher Krebstherapien und vielfacher Krankenhausaufenthalte vermieden werden. Andererseits können akute Komplikationen der Endoskopie auch zu Krankenhausaufenthalten und gegebenenfalls Operationen führen. Eine Darmperforation durch eine zu tiefe Biopsieentnahme bei Koloskopie muss sicher immer operiert werden, ebenso wie eine starke Blutung. Die Kostenrisiken müssen somit gegeneinander abgewogen werden.
Die hier vorgelegte Studie hat eine Reihe von Einschränkungen, die die Autoren auch selbst formulieren. Es wurden nur schwere Komplikationen, die eine Behandlung im Krankenhaus erforderten, erfasst. Diese wurden vereinfacht definiert als „akute, notfallmäßige Krankenhausaufnahme innerhalb von 30 Tagen nach der Endoskopie“. Damit wurde die kausale Beziehung zur Koloskopie nicht direkt hergestellt. Es könnten auch zufällig andere plötzliche Erkrankungen aufgetreten sein. Weiterhin wurden nur ausgewählte Grundkrankheiten als zu berücksichtigende Risikofaktoren einbezogen, nicht dagegen die eingenommenen Medikamente. Gerade Blutgerinnungshemmer oder Antiarrhythmika können jedoch das Risiko für eine Komplikation deutlich erhöhen. Bei der Mortalität wurde nur die Gesamtmortalität erfasst, ohne einzelne Ursachen festzustellen. Somit konnte nicht dargestellt werden, ob einige der Koloskopie-Komplikationen sogar zum tödlichen Ausgang beitrugen. Auf der anderen Seite hat die Studie den großen Vorteil, dass eine sehr große Zahl von fast 40.000 Koloskopien ausgewertet wurde.

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Metadaten
Titel
Komplikationen nach Koloskopie
Zwischen Risiko und Nutzen abwägen
verfasst von
Hardy-Thorsten Panknin
Publikationsdatum
02.11.2021
Verlag
Springer Vienna
Schlagwort
Gastroenterologie
Erschienen in
ProCare / Ausgabe 8/2021
Print ISSN: 0949-7323
Elektronische ISSN: 1613-7574
DOI
https://doi.org/10.1007/s00735-021-1386-6

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