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Erschienen in: Wiener Medizinische Wochenschrift 7-8/2023

22.09.2022 | Ranula | fallbericht

Fröschlein im Mund: eine Blickdiagnose?

verfasst von: Martina Minkov, Anna Pourkarami, Peter Franz, Prim. Univ. Prof. Dr. med. Milen Minkov

Erschienen in: Wiener Medizinische Wochenschrift | Ausgabe 7-8/2023

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Zusammenfassung

Ranula, aus dem lateinischen „Fröschlein“, ist eine mit Speichel gefüllte Retentionszyste der Mundhöhle. Einfache Ranulae betreffen am häufigsten die Glandula sublingualis und präsentieren sich typischerweise als halbkugelige bläuliche Zyste am Mundboden, wodurch sie eine Blickdiagnose darstellen. Ein 7‑jähriges Mädchen präsentierte sich mit einer Schwellung an der Unterseite der Zunge, eine atypische Lokalisation einer Ranula, welche die Zuordnung erschwerte. Die optimale Therapie der Ranulae ist in der Literatur umstritten. Als Therapie der Wahl wird von vielen Autoren die chirurgische Sanierung favorisiert. Unser Fall zeigt, dass eine abwartende Haltung mit einfachem mechanischem Druck auf die Zyste ausreichend sein kann.
Hinweise

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Ranula, aus dem lateinischen „Fröschlein“, ist eine mit Speichel gefüllte Retentionszyste der Mundhöhle (Mukozele), entstehend durch die Verlegung des Ausführungsganges einer Speicheldrüse. Meist ist die Glandula sublingualis betroffen, wobei die Ranula durch ihr charakteristisches Aussehen eine Blickdiagnose darstellt (Abb. 1). Kleinere Speicheldrüsen sind viel seltener betroffen, und deren atypische Lokalisation ist den Klinikern oft nicht geläufig.
Der Name „Fröschlein“ widerspiegelt das Erscheinungsbild der Geschwulst, welche dem Bauch eines Frosches ähnelt. Die Schwellung zeigt sich typischerweise farblos oder bläulich transparent, langsam wachsend und schmerzlos. Histologisch findet sich eine dünnwandige Zyste ohne Epithelauskleidung mit einer durchschnittlichen Größe von 1–3 cm [13]. Ranulae sind seltene Pathologien mit einer Prävalenz von 0,02 %, welche hauptsächlich bei Kindern und Jugendlichen diagnostiziert werden, häufiger bei Mädchen [24]. Die Prävalenz der angeborenen Ranulae liegt hingegen bei 0,74 % [2].
Die Diagnose wird klinisch und unterstützend durch bildgebende Verfahren gestellt. Eine definitive Diagnose wird durch die Zytologie des Aspirates bestätigt. Der Inhalt der Zyste besteht aus Amylase und Muzin. Eine Standardtherapie bei Ranulae im Kindesalter ist nicht definiert, zumeist werden in der Literatur operative Verfahren diskutiert. In einigen wenigen Publikationen wird eine Observation über 5 bis 6 Monaten empfohlen.

Falldarstellung

Anamnese

Ein 7‑jähriges Mädchen wurde wegen einer seit einigen Tagen aufgefallenen schmerzlosen Schwellung an der Unterseite der Zunge vorgestellt. Diese wurde von der Patientin als störend (Fremdkörpergefühl) beschrieben. Das Mädchen war ansonsten beschwerdefrei, es waren keine Vorerkrankungen und kein Trauma erhebbar, und die Familienanamnese war unauffällig.

Klinischer Befund

Die Patientin präsentierte sich in einem sehr guten Allgemeinzustand. Die klinische Untersuchung zeigte einen bis auf die geschilderte Schwellung unauffälligen Status.
Status localis: Auf der Zungenunterseite, rechts des Frenulums, war eine ca. 2 × 1 cm ovaläre Schwellung mit teigiger Konsistenz, fluktuierend, nicht druckdolent, sichtbar (Abb. 2a).

Sonographie

Die Untersuchung wurde mit einem Linearschallkopf „Hockey-Stick“ mit kleiner Auflagefläche im Small-Parts-Programm mit einer Frequenz von 18 MHz durchgeführt. An der Unterseite der rechten Zungenhälfte kam eine umschriebene, glatt und zart berandete, annähernd ovaläre, 1,2 × 0,9 × 0,7 cm messende, echoleere (zystische) Formation mit dorsaler Schallverstärkung ohne Zeichen einer Binnenperfusion zur Darstellung (Abb. 3a, b).

Diagnose

Das Gebilde an der Zungenunterseite wurde aufgrund des klinischen Befundes und der sonographischen Charakteristiken als Retentionszyste (Ranula) der Glandula lingualis anterior zugeordnet.

Therapie und Verlauf

Nach erfolgter HNO-Begutachtung (P.F.) wurde eine abwartende Haltung eingenommen. Das Kind wurde instruiert, mehrmals am Tag mit den Zähnen gegen die Schwellung zu pressen. Die Zyste bildete sich innerhalb von 2 Monaten komplett zurück. Bei der Verlaufskontrolle nach 1 Jahr war das Mädchen beschwerdefrei mit einem weiterhin unauffälligen Lokalstatus (Abb. 2b).

Diskussion

Der Begriff „Ranula“ stammt aus dem lateinischen Wort für Frosch „Rana“, weil die Form der Ranula (v. a. der intraoralen Ranula) dem Unterbauch eines Frosches ähnelt. Es handelt sich um Pseudozysten, die mit Sekret aus den Speicheldrüsen gefüllt sind und von manchen Autoren auch als Mukozelen der Speicheldrüsen bezeichnet werden. Als Entstehungsmechanismen werden die Verlegung des Drüsenausführungsgangs oder ein Trauma mit Sekretaustritt in das umliegende Gewebe angenommen.
Ranulae sind gewöhnlich schmerzlos, durchsichtig oder bläulich imponierend, gut abgrenzbar, teigig und fluktuierend. Abhängig von deren Lokalisation werden 3 Gruppen abgegrenzt: sublinguale (einfache, intraorale), sublingual-submandibuläre und submandibuläre (zervikale) Ranula [2].
Die sublingual-submandibulären und submandibulären Ranulae weisen eine Herniation des Ranulainhalts durch den M. mylohyoideus auf, wodurch diese von zervikal sichtbar sind und als „plunging“ (tauchende) Ranulae bezeichnet werden.
Bei Kindern werden häufiger sublinguale Ranulae beobachtet. Mädchen sind häufiger betroffen als Knaben (1,4:1). Abhängig davon, aus welcher Speicheldrüse diese entstehen, sind sie am Mundboden (Glandula sublingualis) oder um einiges seltener (2–20 %) an der Zungenunterseite (Glandula lingualis anterior) lokalisiert [5]. Eine Retentionszyste der Glandula sublingualis (lokalisiert am Mundboden) stellt mit ihrer typischen Lokalisation und Aussehen eine Blickdiagnose dar. Das Spektrum der Differenzialdiagnosen einer Ranula in der Mundhöhle ist nichtsdestotrotz breit und umfasst Epidermoid‑, Dermoid- und Teratoidzysten, Mukozelen, Hämangiome, Teratome, Hamartome, Lymphangiome, benigne oder maligne Neoplasien der Speicheldrüsen, Lipome, Abszesse und Fibrome. Entscheidende differenzialdiagnostische Merkmale sind die anatomische Lokalisation, die teigige Konsistenz, die bläulich durchscheinende Farbe und das komplette Fehlen von Entzündungszeichen. Die initiale Zuordnung in unserem Fall war durch die „unpassende“ Lokalisation an der Zungenunterseite (ausgehend aus der Blandin-Nuhn-Drüse) erschwert. Ein Ziel unseres Berichtes war, auf die selteneren Lokalisationen der Ranulae hinzuweisen. Sowohl klinisch als auch sonographisch konnte die Läsion als eindeutig zystisch eingeordnet werden. Aus diesem Grund und im Hinblick auf das junge Alter der Patientin wurde auf eine Punktion und Aspiration und die dafür erforderliche Sedierung verzichtet.
Während sich die Diagnosestellung in unserem Fall relativ einfach gestaltete, war eine evidenzbasierte Therapieentscheidung nicht verfügbar. In den zugänglichen Literaturquellen werden mehrere Behandlungsoptionen, meistens basierend auf Fallberichten oder retrospektiven kleinen Fallserien, beschrieben. Diese reichen von abwartender Haltung bis hin zu aufwendiger Komplettresektion der Ranula und der betroffenen Speicheldrüse [13, 57]. Dabei wird nicht immer explizit zwischen der intraoralen und der „plunging“ Ranula unterschieden. In den meisten Veröffentlichungen wird die chirurgische Sanierung als die Therapie der Wahl gesehen und eher über den optimalen Zugang und den notwendigen Umfang/Radikalität (Marsupialisation vs. Resektion der Ranula +/− Resektion der betroffenen Drüse) des Eingriffes diskutiert [6, 8, 9]. Eine abwartende Haltung bzw. konservative Maßnahmen werden selten in Erwägung gezogen. Einige wenige Arbeiten beschreiben eine sklerosierende Therapie mittels Instillation von OK-432. Auch CO2-Laser wurde erfolgreich in der Behandlung von Ranulae eingesetzt.
Pandit et al. berichten über Spontanheilung der Ranula bei 2 von 6 Kindern und empfehlen vor einer chirurgischen Intervention eine abwartende Haltung für 5 Monate [10]. Eine abwartende Haltung für 6 Monate wird auch von Zhi et al. favorisiert [7]. Auch unser Fall zeigt, dass eine Spontanheilung möglich ist. Intraorale Ranulae präsentieren sich zumeist asymptomatisch und erlauben zunächst eine engmaschige Beobachtung des Verlaufs. Durch die abwartende Haltung können der chirurgische Eingriff und die damit verbundenen Risiken und Komplikationen im Einzelfall vermieden werden.

Interessenkonflikt

M. Minkov, A. Pourkarami, P. Franz und M. Minkov geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.

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Literatur
1.
Zurück zum Zitat Zhi K, Wen Y, Ren W, et al. Management of infant ranula. Int J Pediatr Otorhinolaryngol. 2008;72(6):823–6.CrossRefPubMed Zhi K, Wen Y, Ren W, et al. Management of infant ranula. Int J Pediatr Otorhinolaryngol. 2008;72(6):823–6.CrossRefPubMed
2.
Zurück zum Zitat Packiri S, Gurunathan D, Selvarasu K. Management of paediatric oral ranula: a systematic review. J Clin Diagn Res. 2017;11(9):ZE6–ZE9.PubMedPubMedCentral Packiri S, Gurunathan D, Selvarasu K. Management of paediatric oral ranula: a systematic review. J Clin Diagn Res. 2017;11(9):ZE6–ZE9.PubMedPubMedCentral
3.
Zurück zum Zitat Bonet-Coloma C, Minguez-Martinez I, Aloy-Prosper A, et al. Pediatric oral ranula: clinical follow-up study of 57 cases. Med Oral Patol Oral Cir Bucal. 2011;16(2):e158–e62.CrossRefPubMed Bonet-Coloma C, Minguez-Martinez I, Aloy-Prosper A, et al. Pediatric oral ranula: clinical follow-up study of 57 cases. Med Oral Patol Oral Cir Bucal. 2011;16(2):e158–e62.CrossRefPubMed
4.
Zurück zum Zitat Huzaifa M, Soni A. Mucocele and ranula. Treasure Island: StatPearls; 2022. Huzaifa M, Soni A. Mucocele and ranula. Treasure Island: StatPearls; 2022.
5.
Zurück zum Zitat Kumaresan R, Karthikeyan P, Mohammed F, et al. A novel technique for the management of blandin-nuhn mucocele: a case report. Int J Clin Pediatr Dent. 2013;6(3):201–4.CrossRefPubMedPubMedCentral Kumaresan R, Karthikeyan P, Mohammed F, et al. A novel technique for the management of blandin-nuhn mucocele: a case report. Int J Clin Pediatr Dent. 2013;6(3):201–4.CrossRefPubMedPubMedCentral
6.
7.
Zurück zum Zitat Zhi K, Gao L, Ren W. What is new in management of pediatric ranula? Curr Opin Otolaryngol Head Neck Surg. 2014;22(6):525–9.CrossRefPubMed Zhi K, Gao L, Ren W. What is new in management of pediatric ranula? Curr Opin Otolaryngol Head Neck Surg. 2014;22(6):525–9.CrossRefPubMed
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Zurück zum Zitat Bolm I, Kämmerer P. C. W. Ranula der Glandula sublingualis. Zahnärztl Mitt. 2011;101(24A):42–4. Bolm I, Kämmerer P. C. W. Ranula der Glandula sublingualis. Zahnärztl Mitt. 2011;101(24A):42–4.
9.
Zurück zum Zitat Morita Y, Sato K, Kawana M, et al. Treatment of ranula—Excision of the sublingual gland versus marsupialization. Auris Nasus Larynx. 2003;30(3):311–4.CrossRefPubMed Morita Y, Sato K, Kawana M, et al. Treatment of ranula—Excision of the sublingual gland versus marsupialization. Auris Nasus Larynx. 2003;30(3):311–4.CrossRefPubMed
10.
Zurück zum Zitat Pandit RT, Park AH. Management of pediatric ranula. Otolaryngol Head Neck Surg. 2002;127(1):115–8.CrossRefPubMed Pandit RT, Park AH. Management of pediatric ranula. Otolaryngol Head Neck Surg. 2002;127(1):115–8.CrossRefPubMed
Metadaten
Titel
Fröschlein im Mund: eine Blickdiagnose?
verfasst von
Martina Minkov
Anna Pourkarami
Peter Franz
Prim. Univ. Prof. Dr. med. Milen Minkov
Publikationsdatum
22.09.2022
Verlag
Springer Vienna
Schlagwörter
Ranula
Chirurgie
Erschienen in
Wiener Medizinische Wochenschrift / Ausgabe 7-8/2023
Print ISSN: 0043-5341
Elektronische ISSN: 1563-258X
DOI
https://doi.org/10.1007/s10354-022-00964-9

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