Friedreich-Ataxie: mehr als eine Gangstörung

Trotz individueller Symptome ist die Friedreich-Ataxie bei allen Betroffenen von einem ähnlichen neurodegenerativen Verlauf gekennzeichnet, der im Verlust der Gehfähigkeit mündet. Aufgrund der neu verfügbaren medikamentösen Therapie ist eine frühzeitige Diagnose wichtiger denn je, hellhörig sollte man etwa bei entsprechenden Aussagen der Eltern werden. Die Friedreich-Ataxie (FA) ist eine seltene neurologische Erkrankung, die laut Schätzungen mit einer Inzidenz von 1/50.000 vorkommt [1]. Der Ausbruch der Erkrankung liegt meist im Jugendalter, gefolgt von einer chronischen Progredienz. Die FA betrifft laut Schätzungen weltweit etwa 15.000 Menschen, sie ist damit die häufigste Form aller erblichen Ataxien, erklärt Dr. Wolfgang Nachbauer vom Zentrum für Seltene Bewegungsstörungen in Innsbruck [2]. Die Diagnose sollte so früh wie möglich gestellt werden, um die zeitnahe Einleitung einer multidisziplinären Behandlung und Patient:innen damit bessere Outcomes zu erlauben, wie etwa der längere Erhalt der Unabhängigkeit [1]. FIRST, orthopädische und kardiologische Symptome Das auffälligste Symptom bei der FA ist die namensgebende Ataxie mit Beeinträchtigung von Gehen und Stehen. Ein erster wichtiger Hinweis auf das mögliche Vorliegen einer FA ist die Kombination bestimmter Symptome, die als englisches Akronym FIRST zusammengefasst werden: Stürze/Falls (Gangataxie), Imbalance (Verlust der Propriozeption), Reflexverlust/ Reflex loss (Areflexie), Sensation loss (periphere Neuropathie) und Tiredness (chronische Fatigue); cave: Diese Symptome können sich auch mit anderen Krankheiten überschneiden [3 Parkinson]. Bei frühem Beginn im Kindesalter sind es oft die Eltern, die mit Aussagen wie „ich bemerke, dass sie oft hinfällt“, oder „nachts fällt es ihm schwer, die Treppe hinaufzugehen“, oder „es wird immer schwieriger, ihre Handschrift zu lesen“ in der Praxis hellhörig machen sollten. Etwas ältere Betroffene wiederum, die sich im Teenageralter befinden, berichten beispielsweise darüber, dass sie sich in einem dunklen Raum „wie auf einem schaukelnden Boot“ fühlen [4, 5]. Als besonders unfair muss die häufige Fehlinterpretation der torkelnden Bewegungsstörung bei jugendlichen Erwachsenen als Substanzübergenuss (sprich: alkoholisiert) eingestuft werden, berichtet Priv. Doz. Dr. Sylvia Boesch, ebenfalls vom Innsbrucker Zentrum für Seltene Bewegungsstörungen [2]. Daneben können bei FA-Patient: innen orthopädische Probleme wie Fußdeformitäten oder eine Skoliose auftreten, beziehungsweise „sind als Erstsymptom oft kardiologische Störungen wie Nachschwankungsveränderungen im EKG, eine hypertrophe Kardiomyopathie oder auch Rhythmusstörungen zu beobachten“, so die Neurologin [2]. Nicht zu vergessen sind die Auswirkungen auf die psychische Gesundheit: Laut Literatur berichtet der Großteil der Betroffenen von depressiven Symptomen, die bei 21 % sogar moderat bis schwerwiegend ausgeprägt sind: Traurigkeit, Pessimismus, Wertlosigkeit, aber auch Reizbarkeit werden hier genannt [6]. Wichtig: Im Gegensatz zu anderen Ataxien sind Patient:innen mit Friedreich-Ataxie bezüglich ihrer geistigen Leistungsfähigkeit nicht oder nur wenig beeinträchtigt und „sollten deshalb entsprechend gefördert werden“, betont Doz. Boesch [2]. × Jüngere: schwerere und schnellere Krankheitsprogression Die Symptomatik ist bei FA-Betroffenen zwar individuell ausgeprägt. Dennoch ist bei vielen Patient:innen ein ähnlicher Verlauf der Neurodegeneration zu erwarten, der schlussendlich zum Verlust der Gehfähigkeit führt [3, 7]. Für das Messen des Fortschreitens der Erkrankung ist neben dem ‚SARA‘ (‚Scale for the Assessment and Rating of Ataxia‘) auch der ‚mFARS‘ verfügbar (‚modified Friedreich Ataxia Rating Scale‘), der mehrere neurologische Funktionen auch in Bezug auf das Gehen umfasst [11]. Die Veränderungen der wichtigsten mFARS-Werte im Laufe der Zeit zeigen, dass der Verlust bestimmter Funktionen typischerweise in einer vorhersehbaren Reihenfolge sowie innerhalb eines messbaren Zeitrahmens für den Verlust der Geh- und Standfähigkeiten auftritt, der zur Nutzung eines Rollstuhls führt [7]: So dauert es von Beginn der Symptomatik an rund drei Jahre bis zur Diagnose; während dieser Jahre ist dann nach und nach etwa Stehen auf einem Bein und Stehen mit einem Fuß vor dem anderen nicht mehr möglich. Nach rund sechs Jahren könnten Betroffene nicht mehr mit den Füßen zusammen stehen, und circa 11,5 Jahren nach Einsetzen der Symptome ist die Nutzung eines Rollstuhls erforderlich [7]. Und: Jüngere Patient:innen, deren Symptome vor dem fünften Lebensjahr auftraten, haben einen schwereren Phänotyp und einen schnelleren Verlauf [8] (s. Abb. 1.). Mangel an Frataxin bedingt Mangel an zellulärer Energie Zur Diagnostik: Bei Vorliegen von FIRST beziehungsweise Aussagen von Eltern oder Betroffenen wie oben erwähnt sollte ein genetischer Test folgen, da dies die einzige Möglichkeit ist, die FA-Diagnose tatsächlich zu bestätigen. Bei der Friedreich-Ataxie besteht eine GAA-Repeat-Expansion im Intron 1 des Frataxin-Gens, das homozygot vorliegt, sodass es zu einer verminderten Expression des Proteins Frataxin kommt, erklärt Dr. Nachbauer. Ein Mangel an Frataxin führt in den Mitochondrien zur Eisenablagerung und Defizienz der Atmungskette und damit schlussendlich zu einem Energiemangel in der Zielzelle, was vor allem Neurone, Kardiomyozyten und die Zellen des Pankreas betrifft [2]. Cave bei der Diagnostik: Laut Dr. Nachbauer ist die molekulargenetische Diagnostik „speziell für die Friedreich- Ataxie“ und inklusive Sequenzanalyse anzufordern, da „die GAARepeat- Expansion durch ‚Next Generation Sequencing‘ meist nicht erkannt wird“ [2]. Abhängig von der GAA-Repeat- Länge bestehen bei der Friedreich-Ataxie mehrere klinische Phänotypen: Je länger die GAA-Repeat-Expansion ist, desto früher bricht die Erkrankung aus, desto schneller schreitet die Erkrankung voran und desto eher bestehen nicht-neurologische Manifestationen. Bei einer kurzen Repeat-Expansion hingegen bricht die Erkrankung erst im späteren Erwachsenenalter aus, schreitet langsam voran und präsentiert sich klinisch mit einer primär spastischen Ataxie. Die Patient: innen selbst bleiben dann oft bis ins hohe Alter gehfähig, so Dr. Nachbauer [2]. Erstmals Möglichkeit der medikamentösen Behandlung Für die Betroffenen stehen mehrere Behandlungsoptionen zur Verfügung, wobei zunächst die nicht-medikamentösen Behandlungsformen wie Physiotherapie, Logopädie und Ergotherapie zu nennen sind. Medikamentöse Therapien bestehen einerseits in der Symptombehandlung der nicht-neurologischen Symptome, wie zum Beispiel der Behandlung von Hypertonie, Kardiomyopathie, Herzrhythmusstörungen oder Diabetes [2]. Erstmals gibt es nun, mit Omaveloxolon (Skyclarys™) die Möglichkeit, den progressiven Verlauf der Erkrankung zu verlangsamen. Omaveloxolon ist ein Nrf2- Agonist und verbessert so die mitochondriale Funktion und reduziert den oxidativen Stress [9]. Die Ergebnisse der 48-wöchigen placebokontrollierten Phase- II-Studie können die Verlangsamung des Krankheitsverlaufes im Vergleich zu Placebo nachweisen [10]. Auch gewisse sekundäre Endpunkte zeigten hier eine nominelle Verbesserung, wie zum Beispiel die Aktivitäten des täglichen Lebens [9]. Seit Februar 2024 ist Skyclarys™ in der EU zur Therapie der Friedreich-Ataxie bei Patient:innen ab 16 Jahren in einer Dosierung von 150 mg einmal täglich zur oralen Einnahme zugelassen [9]. Bericht: Dr. Lydia Unger-Hunt Quellen (letzter Zugriff November 2024): 1. Cook A et al (2017) Br Med Bull 1124(1): 19–30 2. Friedreich-Ataxie - Mehr als eine Gangstörung. Awareness Video abrufbar unter https:// biogenlinc.at/de-AT/fortbildungen/ seltene-erkrankungen/friedreichataxie/ 3. Parkinson MH et al (2023) J Neurochem126(suppl1): 103-117 4. https://hirnstiftung.org/alleerkrankungen/ friedreich-ataxie/ 5. https://www.ninds.nih.gov/healthinformation/ disorders/friedreichataxia# toc-how-can-i-or-my-lovedone- help-improve-care-for-peoplewith- friedreich-ataxia- 6. Nieto A et al (2018) Int J Clin Health Psychol 18(1): 18–26 7. Rummey C et al (2020) EClinical Medicine 18: 1–9 8. Patel M et al (2016) Ann Clin TranslNeurol 3(9): 684–694 9. Skyclarys™ Fachinformation, Stand September 2024 10. Lynch DR et al (2021) Ann Neurol 89: 212–225 11. Rummey et al (2022) Ann Clin Transl Neurol 9(12): 2041-2046 FKI Skyclarys™

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