Nobelpreis für Erforschung der Sauerstoffregulation auf molekularer Ebene

Ohne Sauerstoff ist kein menschliches Leben möglich. Zellen müssen die O2-Konzentration messen und ihren Stoffwechsel daran anpassen können. Wie das in den Zellen konkret geschieht, haben unter anderem die drei Wissenschaftler William Kaelin (USA), Gregg Semenza (USA) und Peter Ratcliffe (UK) erforscht. Dafür erhalten sie den diesjährigen Nobelpreis für Physiologie oder Medizin. Wer einen hohen Berg erklimmt, an einem Sport-Wettkampf teilnimmt oder krank ist, dem kann der Sauerstoff knapp werden. In diesen Situationen bilden die Nieren Erythropoetin (EPO), das durch Dopingskandale auch in Nicht-Wissenschaftler-Kreisen traurige Berühmtheit erlangt hat. EPO sorgt im Körper dafür, dass Erythrozyten gebildet werden, die den Sauerstoff transportieren. Dies haben Wissenschaftler bereits in den Achtzigerjahren entdeckt. Peter Ratcliffe und Gregg Semenza reichte das nicht. Sie fragten, was in den Körperzellen dazu führt, dass mehr EPO gebildet wird, wenn der Sauerstoff knapp wird. So entdeckten sie den Hypoxie induzierten Faktor HIF. HIF ist – stark vereinfacht gesagt – eine Art molekularer Schalter, der das Ablesen des EPO-Gens an- bzw. ausstellt und so die Produktion des Hormons reguliert. HIF wird nur bei Sauerstoffmangel aktiv. Aber wie wird HIF reguliert? Bei der Beantwortung dieser Frage half Willam Kaelin der Zufall. Er erforscht das Von-Hippel-Lindau-Syndrom (VHL-Syndrom). Dabei sind Mutationen im VHL-Gen für ein sehr stark erhöhtes Risiko für bestimmte Tumoren der Netzhaut, des Gehirns und der Nebennieren verantwortlich. Kaelin fand heraus, dass Krebszellen ohne funktionierendes VHL-Gen eine abnorm hohe Expression von HIF-Genen aufweisen. Damit war ein Zusammenhang zwischen VHL und HIF und somit der Zellantwort auf Hypoxie gefunden. Ratcliffe und seine Arbeitsgruppe konnten weiter zeigen, dass VHL mit einer HIF-Untereinheit interagiert und so zum HIF-Abbau bei normalen Sauerstoffleveln führt. Kurz gesagt: Leidet eine Zelle unter Sauerstoffmangel, ist viel HIF vorhanden und aktiv: es wird viel EPO produziert. Ist genug Sauerstoff in der Zelle, sorgt VHL, indem es an HIF bindet, für dessen Abbau und die EPO-Produktion lässt nach. Medikamente gegen Anämie und Krebs Aufbauend auf diesen Erkenntnissen zu diesem ‚Sauerstoff-Sensor-System‘ in den Körperzellen haben Pharma-Unternehmen neue Medikamente gegen Anämie und verschiedene Krebsarten entwickelt. Ein Beispiel sind die HIF-Prolylhydroxylase-Inhibitoren. Sie befinden sich bereits in der klinischen Entwicklung in Phase III. In Japan und China wurde eins dieser Medikamente sogar schon zugelassen. Eine andere Medikamentenklasse, die am HIF ansetzt, sind HIF-2-alpha-Antagonisten. Diese Substanzen soll die Behandlung von Nierenkrebs, Hirntumoren und anderen Krebsarten verbessern, sie werden derzeit in Phase-II-Studien geprüft.

Springer Medizin Österreich

Bitte loggen Sie sich ein, um Zugang zu diesem Inhalt zu erhalten