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Ärzte Woche

01.12.2017 | Essstörungen

Warum Kinder weniger essen

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Bei Kindern und Jugendlichen mit Essstörungen lohnt es sich, auf eine Autoimmun- oder autoinflammatorische Erkrankung zu achten. Aber auch der umgekehrte Zusammenhang ist möglich, wie die Daten einer dänischen Geburtenkohorte vermuten lassen.

Seit Langem ist man auf der Suche nach Faktoren, die mit der Entwicklung von Essstörungen in Zusammenhang stehen. Einige frühere Untersuchungen haben bereits wechselseitige Einflüsse von Essstörungen und Autoimmun- und autoinflammatorischen Erkrankungen bei Erwachsenen erkennen lassen. Bei Kindern war bislang beispielsweise über Nahrungsverweigerung im Zusammenhang mit einer Chorea minor und über Anorexie nach einer Streptokokkeninfektion (PANDAS-Anorexie) berichtet worden.

Stephanie Zerwas von der Universität North Carolina und Kollegen haben jetzt mögliche Assoziationen zwischen Essstörungen und Autoimmunerkrankungen bzw. autoinflammatorischen Erkrankungen in einer landesweiten, populationsbasierten Kohortenstudie mit jungen Dänen untersucht. Eingeschlossen wurden alle 930.977 Kinder und Jugendlichen, die zwischen 1989 und 2006 geboren und deren Daten bis 2012 in den medizinischen Datenbanken des Landes erfasst waren.

Bei insgesamt 25.984 Kindern und Jugendlichen wurde eine Autoimmun- und/oder autoinflammatorische Erkrankung diagnostiziert. 54,2 Prozent der Betroffenen waren Mädchen. 21,6 Prozent litten an gastrointestinalen Beschwerden, 13,3 Prozent an autoinflammatorischen Prozessen. Bei 3.914 Jugendlichen wurde während der Studiendauer mindestens eine Essstörung diagnostiziert, 91,9 Prozent davon waren Mädchen.

Deutlich häufiger Störungen

Bei den Kindern und Jugendlichen mit Autoimmun- und/oder autoinflammatorischen Erkrankungen zeigten sich signifikant häufiger Essstörungen. Das Risiko für eine Anorexie lag mit Autoimmunerkrankung um 36 Prozent höher als bei Kindern ohne, für Bulimie um 73 Prozent und für eine Essstörung ohne nähere Definition (EDNOS) um 72 Prozent. Noch höher waren die Risiken speziell bei den Autoimmunerkrankungen mit gastrointestinaler Beteiligung (Anorexie +74 %, EDNOS +148 %) und den autoinflammatorischen Erkrankungen (EDNOS +179 %). Besonders deutlich wurde dieser Zusammenhang bei Buben: Diejenigen, die an einer Autoimmunkrankheit litten, hatten ein um 368 Prozent erhöhtes Bulimie- und ein um 198 Prozent höheres EDNOS-Risiko als Immungesunde.

Gleichzeitig fanden Zerwas und Kollegen bei Patienten mit Anorexie ein um 64 Prozent und bei EDNOS-Patienten ein um 121 Prozent signifikant erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Autoimmunkrankheit.

Als weiterer signifikanter Risikofaktor für eine Essstörung der Kinder und Jugendlichen zeigten sich elterliche Autoimmun- und autoinflammatorische Erkrankungen (Anorexie +13 %, Bulimie +29 %, EDNOS +27 %).

Die Ergebnisse ihrer Studie, so Zerwas und Kollegen, bestätigten frühere Befunde und zeigten, dass Störungen des Immunsystems sowohl mit psychiatrischen Erkrankungen einhergehen als auch das Risiko dafür erhöhen könnten. Aus diesen Erkenntnissen, so die Autoren, könnten sich möglicherweise eine neue Sichtweise auf Essstörungen sowie Interventionsmöglichkeiten ergeben, um die Situation dieser nur schwer behandelbaren Patienten zu verbessern.

Wachsamkeit in beide Richtungen

Die Studie von Zerwas et al., so Rebecca Hommer und Susan Swedo, Bethesda, in ihrem begleitenden Kommentar, sei die erste, die einen bidirektionalen und über mehrere Generationen reichenden Zusammenhang zwischen Essstörungen und angeborenen wie auch erworbenen Erkrankungen des humoralen Immunsystems in einer großen Kohorte von Kindern und Jugendlichen belege. Weitere Studien seien nötig, um die gemeinsame Pathophysiologie aufzudecken. In jedem Fall aber sollten Ärzte, die Patienten mit Essstörungen behandeln, so Hommer und Swedo, die Möglichkeit einer zugrunde liegenden Autoimmun- oder autoinflammatorischen Krankheit in Betracht ziehen. Besonders wichtig sei dieser Aspekt bei Buben, die plötzlich ihre Nahrungs- oder Flüssigkeitsaufnahme einschränkten und gleichzeitig kognitive, emotionale, somatische Symptome oder Verhaltensauffälligkeiten zeigten. Umgekehrt müsse man bei Patienten mit Autoimmun- oder autoinflammatorischen Krankheiten auch auf Essstörungen achten.

Weitere Informationen:

Zerwas S. et al Eating Disorders, Autoimmune, and Autoinflammatory Disease. Pediatrics 2017; online 9. Nov. 2017, e20162089; DOI: 10.1542/peds.2016-2089

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Metadaten
Titel
Warum Kinder weniger essen
Schlagwort
Essstörungen
Publikationsdatum
01.12.2017
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 49/2017

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