Jeden Monat aufs Neue quälende Regel- schmerzen, deren Stärke weit über normale Menstruationsbeschwerden hinaus geht – Betroffene sind verzweifelt, die Diagnose kommt oft erst spät. Was können Hausärzte tun und woran wird geforscht?
Gerade ist die erste repräsentative Erhebung zum Thema Menstruationsgesundheit in Österreich erschienen. Ein Schwerpunkt lag auf Endometriose, einer chronisch verlaufenden Erkrankung, von der jede zehnte Österreicherin betroffen ist. Der Gesundheitsminister schreibt im Vorwort, dass der Menstruationsgesundheitsbericht 2024 Themen sichtbar machen soll, mit denen mehr als die Hälfte der Bevölkerung konfrontiert sind. Er lässt ein paar der erhobenen Zahlen folgen. 55 Prozent der befragten Frauen nehmen während ihrer Tage Schmerzmittel. Unter Umständen über eine lange Zeit, denn die Monatsblutung haben sie im Schnitt vom 13. bis zum 49. Lebensjahr. Eine bestätigte Endometriose-Diagnose haben 6,4 Prozent der befragten Frauen (n=1.332) zwischen 14 und 60 Jahren. Die chronisch-entzündliche Erkrankung geht u.a. mit starken Schmerzen, Problemen mit der Fruchtbarkeit, aber auch einem erhöhten Krebsrisiko einher. 31 Prozent der Befragten gaben an, noch nie von Endometriose gehört zu haben. Der Bericht und das Vorwort des Ministers sind ein Anfang, in Frankreich hat sich vor zwei Jahren der Staatspräsident selbst des Themas angenommen.
Jede zehnte Frau ist betroffen
Endometriose ist die in Österreich die am häufigsten diagnostizierte Erkrankung bei menstruierenden Personen. Fachleute geben an, dass in Österreich jede zehnte Frau betroffen ist. Die für den Bericht befragten Expertinnen und Experten der Fokusgruppe Endometriose sehen angesichts einer nicht seltenen Erkrankung großen Bedarf für Sensibilisierung und Weiterbildung von Hausärztinnen und Hausärzten, frühe Diagnostik, dezentrale Versorgungsangebote sowie mehrsprachige Aufklärung und Informationen in einfacher Sprache.
Wer weiß was?
Je höher der formale Bildungsabschluss, das persönliche Nettoeinkommen und das Nettohaushaltseinkommen ist, desto eher haben die Befragten aus dem Bericht schon von Endometriose gehört. Der Großteil der Personen mit Endometriose-Diagnose (n=85) ist zwischen 30 und 49 Jahre alt. Aufgrund der Stichprobengröße sind die Aussagen nicht repräsentativ, geben aber eine Tendenz wieder. Im Durchschnitt dauerte es bei den Befragten 6,6 Jahre vom persönlichen Verdacht bis zur bestätigten Diagnose. Also geschätzt ein Jahr starke Schmerzen und blutendes Gewebe an Körperstellen, wo es nicht vorkommen sollte. Mangels Aufklärung zum Tabuthema Monatsblutung glauben immer noch viele, selbst stärkste Schmerzen gehörten zum „Frausein“ dazu.
Belastende Symptomatik
Die Hauptsymptomatik der Endometriose sind Unterleibsschmerzen, oftmals zusammen mit der Regelblutung, aber auch während oder nach dem Geschlechtsverkehr. Die Schmerzen können mal stärker, mal schwächer sein und in den Unterbauch, den Rücken und die Beine ausstrahlen. Sie werden oft als krampfartig erlebt und können von Übelkeit, Erbrechen und Durchfall begleitet sein. Manche Betroffene haben so heftige Schmerzen, dass sie in Ohnmacht fallen. Zusätzlich können Schwindel, Schmerzen beim Stuhlgang, Unfruchtbarkeit und Nahrungsmittelintoleranzen auftreten.
Bei Endometriose wachsen Herde aus Gewebe, das der Gebärmutterschleimhaut sehr ähnlich ist, an anderen Stellen, zumeist im Bauchraum. Diese Herde verhalten sich ähnlich wie die Zellen des Endometriums: Sie unterliegen also dem Zyklus und lösen Blutungen aus. Verirrtes Gewebe und Blut können aber aus dem Bauchraum nicht einfach abfließen, was Zysten, Verwachsungen, Entzündungen und Vernarbungen verursachen kann. Die Herde können die Gebärmuttermuskelwand, das Bauchfell, Eierstöcke und Eileiter befallen. Dabei können auch andere Organe geschädigt und ihre Funktion eingeschränkt werden (Darm und Harnleiter).
Sensibilisierung ist essenziell
Über die Ursachen der Erkrankung ist kaum etwas bekannt – bislang lässt sich Endometriose nicht heilen, sondern nur behandeln. Um mit den Beschwerden umzugehen, ist es wichtig, den eigenen Körper und seine Reaktionen kennenzulernen – und sie auch zu dokumentieren: Trigger, Zyklusabhängigkeit, Beschwerdeprofil, Verdachtsmomente, Befunde und was Linderung bringt. Dazu rät die Selbsthilfegruppe Endometriose Vereinigung Austria (EVA).
Der wichtigste Hebel, um das Leiden zu verkürzen, wäre für die Experten der Fokusgruppe die Integration entsprechender fachlicher Inhalte in die medizinische Ausbildung, nicht nur im Fachbereich Gynäkologie, sondern auch Histologie, Pathophysiologie und Pflichtpraktika. Zudem ist eine flächendeckende und niederschwellige Aufklärungsarbeit und breite Sensibilisierung im niedergelassenen Bereich wichtig – vor allem in gynäkologischen, aber auch kinderärztlichen und Allgemeinmedizinpraxen sowie bei Schulärzten .
Priv.-Doz. Dr. Beata Seeber, stellvertretende Direktorin der Innsbrucker Universitätsklinik für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin und Leiterin des dort angesiedelten Endometriosezentrums, war Ende September auf dem Jahreskongress der Österreichischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe in Salzburg, wo erstmals eine eigene Arbeitsgruppe für Endometriose eingerichtet wurde. Die Erkrankung erfordert Expertise aus verschiedenen Richtungen wie Chirurgie, Endokrinologie, Geburtshilfe und Reproduktionsmedizin. In der AG sind auch prospektive Studien geplant, weil die retrospektive Befragung Verzerrungen mit sich bringt. Für mehr Awareness müssen für Seeber die ersten Anlaufstellen für Betroffene in den Fokus genommen werden. „Ich sehe eine Lücke bei den Adoleszenten, denn schon mit 13 oder 14 Jahren können die Beschwerden beginnen und die Mädchen haben da vielleicht noch keine gynäkologische Betreuung. Es beginnt in der Familie, aber eben auch beim Hausarzt oder der Kinderärztin.“ Die diagnostische Verzögerung kommt mit daher, dass Symptome nicht ernst genommen werden auch, wenn die Mädchen einmal im Monat die Schule nicht besuchen können und Schmerzmittel nicht ansprechen.
Für die Leiterin des interdisziplinären zertifizierten Endometriosezentrums könnten auch die niedergelassenen Gynäkologinnen und Gynäkologen noch aktiver werden: „Viele beginnen erst bei einer gesicherten Diagnose mit der medikamentösen Therapie. Mit einer ausführlichen Ultraschalluntersuchung und geschultem Auge kann die Diagnose häufig ohne eine Gewebeprobe gestellt werden.“ Nicht jede Frau braucht ein MRT oder eine Operation in einem Fachzentrum und diese wären sonst auch überlastet. Das ist natürlich auch eine Frage der Vergütung dieser Leistungen. „Je länger man wartet, desto eher chronifizieren die Schmerzen und die Krankheit verschlimmert sich“, sagt Seeber, „leider haben wir keine optimale Therapie, die die Krankheit heilt UND die Schwangerschaftschancen erhöht“.
Hormonelle Behandlung hilft
Bei Frauen ohne Kinderwunsch wird hormonell behandelt, um die Gebärmutterschleimhaut zu verdünnen und die Herde zu schrumpfen. Auch nach einer laparoskopischen Operation, wo die Herde entfernt werden, soll so das Rezidivrisiko gesenkt werden. Auch GnRH-Agonisten und Antagonisten kommen zum Einsatz. Sie unterdrücken die Ausschüttung der Gonadotropine (LH und FSH) und führen zu einem menopausalen Hormonstatus. Mit einem Kinderwunsch ist das alles unvereinbar.
An der MedUni Wien läuft aktuell die Studie „Endogreet“ mit dem Ziel einen nicht-hormonellen Therapieansatz mit einem Grüntee Extrakt in einer randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Studie zu prüfen. René Wenzl, Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe, zum Stand der Dinge: „Wir sind mittendrin, haben aktuell etwa die Hälfte der 60 geplanten Patientinnen integriert. Mit Ergebnissen rechnen wir frühestens in einem Jahr.“
Im Endometriosezentrum werden für die komplexe multifaktorielle Erkrankung auch Ansätze zur Ernährungsumstellung verfolgt, aber zumeist wird hormonell behandelt. Die Suche nach Präparaten mit geringeren Nebenwirkungen läuft. Die Aufgabe der zertifizierten Endometriosezentren sieht René Wenzl in einer korrekten Diagnose und einer Therapieempfehlung: „Wenn bei jungen Frauen die Lebensqualität durch Unterbauchschmerzen eingeschränkt ist, sollte man immer an die Möglichkeit einer Endometriose denken. Es ist nicht normal, dass eine junge Frau wegen Schmerzen nicht arbeiten kann oder auf Geschlechtsverkehr verzichten muss. Wir Experten versuchen, die Wachsamkeit zu erhöhen und das Wissen über die Erkrankung zu verbreiten.“
Register in Arbeit
Mit der geburtshilflichen Seite beschäftigt sich Peter Oppelt, Prof. für Gynäkologie und Leiter des Endometriosezentrums am Kepler Universitätsklinikum Linz. Er bemüht sich aktuell um den Aufbau eines Geburtenregisters für tiefinfiltrierende Endometriose (BiRDeE), um betroffene Frauen in der Schwangerschaft besser beraten zu können. Der Aufbau des Registers verläuft „schleppend, weil noch zu wenig Daten eingetragen sind. Daher haben wir auch noch keine Empfehlungen, etwa zum besten Entbindungsmodus“.
Oppelt nennt als großes Problem, „dass die Abklärung in Österreich nicht systematisch angegangen wird. Wenn Ärzte und Ärztinnen zwei bis drei richtige Fragen nach der Schmerzqualität, dem zeitlichen Auftreten und dem Blutungsverhalten stellen würden, könnte man eine erste Diagnose bereits recht gut stellen.“ Bei den Symptomen Abgeschlagenheit, Schmerzen und Blutungen werden Frauen oft monatelang mit Eisenpräparaten behandelt. In einem Start-up, das Diagnosesets für zuhause entwickeln will, ist Prof. Oppelt als klinischer Berater involviert.
Nicht ernst genommen
Ganz allgemein werden Menstruationsbeschwerden häufig nicht ernst genommen. Gerade jungen Frauen wird die Pille ohne weitere Aufklärung und Abklärung verschrieben, mit dem Ziel die Menstruation zu unterbinden (Amenorrhoe). Wenn diese abgesetzt wird, um den Kinderwunsch zu erfüllen, treten wieder Schmerzen auf und die Diagnose erfolgt verzögert.
Die befragten Betroffenen wünschen sich ein genaueres Eingehen auf Beschwerden bei Kontrolluntersuchungen sowie unabhängige Information, Beratung und Anlaufstellen. Zudem – angesichts der Wartezeiten –, eine bessere und raschere Diagnostik und Versorgung im niedergelassenen Bereich für eine wohnortnahe Behandlung. Zertifizierte Endometriose-Praxen gibt es in Österreich beinahe ausschließlich in Städten. Im Bundesland Salzburg aber aktuell keines, in Tirol zwei, in Wien drei.
Auch Überlegungen zu einem Nationalen Aktionsplan Endometriose, einem Budget für Beratung und Endometrioseversorgung, sowie ein österreichweites Versorgungskonzept (wissenschaftlich begleitet) mit einem Disease-Management-Programm im niedergelassenen Bereich, wurden in der Fokusgruppe genannt. In Frankreich begründete Emmanuel Macron einen nationalen Aktionsplan mit den Worten: „L’endométriose. Ce n’est pas un problème de femmes, c’est un problème de société.“
Leitlinien, Forschungsverbundund Selbsttest
Die Leitlinien für Diagnosestellung und Behandlung der European Society of Human Reproduction and Embryology wurden 2022 überarbeitet. Sie umfassen Schmerzmanagement, zudem wurde ein Abschnitt über Endometriose im Jugendalter ergänzt sowie die Themen Wechseljahre, Schwangerschaft und Erhaltung der Fruchtbarkeit ausführlicher behandelt. Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe arbeitet aktuell an Empfehlungen für multimodale Therapien und Rückfallprophylaxe, die auch Ernährungsumstellung und Beckenbodentherapie einbeziehen. Zudem wurde der neue Forschungsverbund HoPE gegründet ( siehe Infokasten ).
Beata Seeber berichtet, dass gerade junge Frauen oft hormonskeptisch sind: „Jede Therapie hat Vorteile, aber auch mögliche Nebenwirkungen. Ich rate den Patientinnen dazu, ihre Balance zu finden: Ja, eine hormonelle Behandlung kann möglicherweise zu leichter Gewichtszunahme führen, aber Schmerzfreiheit ist auch wichtig“. Sie hofft, dass sich die Zeit bis zur Diagnose im Vergleich zu den Angaben im Menstruationsgesundheitsbericht bereits mindestens halbiert hat.
Selbsttest in Entwicklung
An einem raschen, nicht-invasiven Selbsttest arbeitet das Start-up Diamens. Die Biotechnologin Marlene Rezk-Füreder hat ihre Doktorarbeit bei Peter Oppelt verfasst und im Vergleich von 1.200 Endometriose- und Kontrollpatientinnen einen Biomarker identifiziert, „den wir weiter validieren. Wir stehen vor der Zertifizierung als Medizinprodukt mit ersten klinischen Studien. Vor zwei Jahren haben wir angefangen, den Prototypen zu entwickeln. Es war eine große Challenge die beste Möglichkeit zu finden, Menstruationsblut so zu sammeln und zu stabilisieren, dass es getestet werden kann.“ Rezk-Füreder hofft, dass der Selbsttest 2026 oder 2027 auf den Markt kommen kann. „Erst mit der Diagnose erfolgt eine abgestimmte Therapie. Für die Frauen geht es aber um die Lebensqualität und hier wollen wir rasch Fortschritte machen. Ich höre, dass einige Frauen drei verschiedene Gynäkologen besucht haben, bevor erstmals der Verdacht ausgesprochen wurde. Eine erzählte mir sogar von neun. Der Test brächte rasch Gewissheit.“